Berliner Impressionen
(Beitrag zur Zeugenveranstaltung vom 6.April 2000 im SO36)
Seit Tarek´s ersten Aussagen, mit denen er FreundInnen, Bekannte
und GenossInnen aus der linksradikalen Szene der 80er Jahre und dabei auch
heute noch politisch aktive Leute belastet und denen er Beziehungen
untereinander oder zu ihm andichtet, sind mittlerweile 4½ Monate
vergangen. Harald, Axel, Sabine und Rudolf sitzen schon länger als ein
viertel Jahr im Knast.
Das ist genügend Zeit für uns, mal darüber nachzudenken,
was dieses Verfahren - außer dem, was als umfassender
"Verrat" eines ehemaligen Genossen in bisher unbekanntem
Ausmaß bezeichnet wird - von anderen 129a-Verfahren unterscheidet. Wo
gibt's aber auch Ähnlichkeiten im Umgang mit anderen
Verfahren?
Wie prekär ist die Situation der Leute, die erfahren mußten,
daß auch ihr Name in den Akten auftaucht oder daß sie sogar
ganz konkret belastet werden? Wie lebt sich's damit?
Den momentanen Stand der Staatsschutz- und BAW-Schnüffeleien und
der Verhöre einzuschätzen ist schwierig, wir könnten euch
größtenteils auch nur Spekulationen bieten.
Auch WIR in der Gruppe haben keinen Überblick über die
Aktenlage. Wofür niemand besonders schlau sein muß: es gibt eine
Flut von Verhörprotokollen, die möglichen Konsequenzen für
weitere Leute lassen bisher auf sich warten. Quantitatives und qualitatives
Ausmaß Tarek'scher Stories und das Ausmaß der
Verfolgungsgier der Justizbehörden, können auch wir in der Gruppe
nur wage erahnen.
Klar ist, daß im Gegensatz zu Verfahren der 80er Jahre wie z. B.
Radikal, Startbahn oder die Verhaftungen samt juristischer wie
persönlicher Folgen gegen die Rote Zora 1987, inklusive dessen,
daß da Leute abtauchten mußten bzw. später wieder
auftauchten, aber auch im Gegensatz zu Kaindl, Radi und Komitee hier in
Berlin und dem Spitzel Steinmetz in Frankfurt zur Zeit kein Bewegungshoch
unsre Herzen und Hirne in Brand setzt.
Auch wenn wir bei Antifa, Antira, Antigen, Anti-AKW und - was als
gemischtgeschlechtliches Thema aus der Mode gekommen ist - im
FrauenLesbenkampf rumrödeln und es noch immer einige wenige Gruppen
gibt, die die Politik militanten Vorgehens fortsetzen und als
adäquates Mittel linksradikaler Politik propagieren, für dessen
Vermassung plädieren.
Was macht's so schwierig, sich dem Thema RZ/ Rote Zora zu nähern
ohne sofort einen Distanzhabitus anzunehmen: Die letzten Aktionen und
öffentlichen Äußerungen von RZ und Roter Zora liegen fast 5
Jahre zurück, und es sieht so aus, als ob sich beide Gruppen -
praktisch - aufgelöst haben oder uns zumindest durch Stillschweigen
diese Vermutung nahelegen.
Den juristischen Rest - "Leute, ihr seid für damals und die
Zukunft gescheitert" - würden Bullen und Staatsanwaltschaft uns
mit der Hilfe von Tarek als Kronzeugen nur allzu gerne mit den
üblichen Methoden beibringen. Diese Masche kennen wir schon.
Der Ermittlungszeitraum, um den es geht, ist tatsächlich immens,
umfaßt mehr als zwei Jahrzehnte. Johnny Klein ist leider ebenso Thema
ins unseren Köpfen wie Entebbe oder der spätere Antizionismus
à la RZ.
Was uns als Soliszene betrifft, seien wir doch mal ehrlich:
kriminalisiert wird etwas, was vor allem für die Jüngeren
längst ein Teil linksradikaler GESCHICHTE ist, den wir alle in den
letzten Jahren zugegebenermaßen nur noch selten diskutiert haben,
egal aus welchen Gründen.
Was UNS ALS ZEUGINNENGRUPPE beschäftigt, ist: was macht's mit
den Leuten, die damit rechnen müssen, daß vielleicht ein
wichtiger Zeitraum ihres politischen Werdegangs transparent gemacht werden
soll. Wer von uns allen würde schon gerne aus Bullenakten erfahren,
wie erdachte oder stattgefundene Kontakte oder Konflikte, Freund- oder
Feindschaften, geliebte Beziehungen oder lieber Vergessenes in
märchenhaften Ausschweifungen vor der BAW halluziniert wird?
Was machen die Leute "VON FRÜHER" heute, an was kann sich
wer noch ganz genau oder nur verklärt erinnern und welche längst
vergrabenen Emotionen, ob gut oder schlecht oder die Erinnerung an
sporadische oder damals existierende längere Verbindungen, spülen
sich wieder ins Bewußtsein?
Wie stark ist die Wut, die Ohnmacht, aber auch die sehr ernstzunehmende
Traurigkeit und Enttäuschung, die eigene Geschichte sowohl im
persönlichen wie politischen Kontext herabgespielt, verzerrt,
lächerlich gemacht und vor allem kriminalisiert verewigt zu
wissen?
Es wird diejenigen geben, die nach dem anfänglichen Schock,
Schrecken und natürlich auch Ängsten, den eigenen Namen in den
Akten zu wissen, ihren Vertrauten gegenüber Befürchtungen und Wut
äußern können, denen es dank eines intakten sozialen
Rahmens auf der Arbeit, im FreundInnenkreis, in der Familie und vielleicht
im politischen Zusammenhang gelingt, sich gut darauf vorzubereiten,
daß "da noch was kommen könnte". Denen es also
eigentlich doch ganz gut geht, weil es welche gibt, die über alle
Differenzen hinweg zu ihnen halten und wissen, wie sie Nähe
ausdrücken können.
Was ist mit denjenigen, die sich entweder auf eine andere Entwicklung
ihres Lebens konzentriert haben, die woanders oder eben nicht mehr
politisch engagiert sind und denen es vielleicht an Leuten mangelt, mit
denen sie nochmal - mit der nötigen Offenheit - gedanklich in IHRE
Geschichte in den 80ern und beginnenden 90ern zurücktauchen
können?
Oder denen, die sagen, sie hatten ihre Gründe, aus "UNSERER
POLITIK" auszusteigen, vielleicht zurecht?
Und wie gehen diejenigen, die aufgrund ihres Alters gar keinen Bezug zu
"damals" haben, mit Gerüchten um, mit der
verständlichen Neugier, die nicht an den Grenzen der Stadt halt
macht?
Es geht nicht darum, hier nen Entwurf der idealen Soliarbeit zu
skizzieren, aber wir haben uns - mit Verlaub - auch ein paar Gedanken
gemacht, die auf teilweise unschönen Erfahrungen mit Verfahren der
Vergangenheit beruhen.
Das Informationsbedürfnis der Szene über den offiziellen Stand
der Ermittlungen der Gegenseite ist ebenso berechtigt, wie wir das
spürbare Interesse an alten Texten der RZ und Roten Zora für die
Diskussionen über das "Wie" unserer Organisationsformen und
Aktionsebenen zur Umsetzung bisheriger oder zukünftiger Utopien
gutheißen.
UnterstützerInnengruppen und dabei vor allem diejenigen Leute, die
aufgrund ihres Einblicks in das Verfahren kompetent sind, müssen der
Gerüchteküche durch klare Informationen entgegentreten. Das war
und ist bis heute bei komplexen Verfahren sowohl nötig, wie's auch
'ne schwierige Aufgabe ist. Auch in diesem Verfahren bereiten SIE die
Grundlage und tragen die Verantwortung dafür, daß wir nicht bei
einer drögen Antirepressionspolitik landen, die um die Gefangenen
rotiert, Kohle sammelt oder Beratungstätigkeiten organisiert und
trägt.
Dabei schwingt sonst ein Hauch von Betroffenheitspolitik und
Funktionalisiertwerden mit. Ebensowenig läßt sich bei diesem wie
auch bei anderen §129a-Verfahren die politische Solidarität auf
ein Thema reduzieren, wie es blödsinnig wäre, sich
ausschließlich an den Fehlern von RZ und Roter Zora oder an
womöglichen autoritären Strukturen eines mythosbeladenen
militanten Zusammenhangs abzuarbeiten.
Angesagt wäre auch, damalige wie andauernde Animositäten
persönlicher und strategischer Art in unser aller Diskussionen nicht
unter den Teppich zu kehren. Denn diejenigen, die Lust haben, der
begonnenen Repression und der Schere in den Köpfen politisch etwas
entgegenzusetzen, können das nicht mit dem Zeigefinger auf dem Mund
tun.
Eine Soliarbeit, die versucht, ohne unangenehme Fragen untereinander
oder öffentlich auszukommen, ist nicht nur dröge, sondern bringt
uns im Blick zurück auch nicht weiter nach vorn, im Blick auf das,
FÜR was wir trotz fieser Scheißarbeit heute hier auch in Zukunft
kämpfen wollen.
Wir sind diejenigen, die unsere Geschichte kennen, beschreiben und
zerpflücken und anderen näherbringen könnten als was
Lebendiges, auch wenn für manche im Moment eine unklare und
beschissene Situation entstanden ist.
Und wer, wenn nicht wir - vor allem um glaubwürdig gegenüber
unseren Ideen zu sein - sind die, die den Leuten Unterstützung
zusichern müssen, die in der nächsten Zeit Streß bekommen
und die sich verunsichert und vielleicht auch bedroht fühlen. Und das
auch dann, wenn dabei mal Verstöße gegen den aufrechten Gang
passieren.
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