Staatsanwaltschaft Frankfurt ./. Werner R. aus Hagen
(Stand 20.6.2000)
Wir wenden uns an Sie/Euch weil wir Öffentlichkeit herstellen und
um Ihre/Eure Unterstützung bitten möchten. Wir, das sind Freunde
und Freundinnen von Werner R.
Werner R. ist vielen als politisch aktiver Mensch, als Mitglied einer
Hagener KünsterInnen-Gruppe und der IG Medien bekannt. Werner
R.braucht unsere Unterstützung und Solidarität. Er ist quasi
über Nacht zum Objekt bundesdeutscher Terroristenfahndung
geworden.
Was ist passiert ?
Am 17. Januar dieses Jahres (um ca. 20:30 Uhr) haben Beamte und
Beamtinnen des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Staatsschutzes in Zivil
die Wohnung der Wohngemeinschaft, in der Werner R. seit 20 Jahren lebt, und
sein Atelier durchsucht. In der Wohnung wurden zunächst eine
Mitbewohnerin und eine Besucherin an die Wand gestellt, nach Waffen
durchsucht und nach dem Aufenthaltsort von Werner R. gefragt. Daraufhin
wurde sein Atelier mit gezogenen Waffen gestürmt. Werner R. war zu
dieser Zeit alleine im Atelier und fühlte sich durch die martialisch
auftretende Staatsmacht massiv bedroht.
Nach der Atelierdurchsuchung fuhren die BeamtInnen mit ihm in die
WG-Wohnung und durchsuchten sie vollständig, also auch die privaten
Räume der MitbewohnerInnen. Vier Stunden stellten 15 BeamtInnen alles
auf den Kopf. Alles fand ihr Interesse vom profanen Flugblatt bis zu
persönlichen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen.
Die anfängliche Nervosität und Aufgeregtheit der BeamtInnen
legte sich während der Durchsuchung. Dies änderte sich wieder,
als sie darauf stießen, dass Werner R. neben der deutschen auch die
schweizer Staatsangehörigkeit besitzt. Bei der Durchsuchung war
allerdings der Schweizer Pass, den er seit 1992 besitzt und bei seinen
persönlichen Unterlagen wähnte, nicht aufzufinden. Er hatte den
Verlust nicht bemerkt, da er ihn nur selten nutzte.
Daraufhin begann eine akribische Durchleuchtung seiner
Lebensverhältnisse (Quittungen, Rechnungen, Kontoauszüge),
Liebesbeziehungen (Briefe, Fotos) und politischen Aktivitäten.
Beschlagnahmt wurden Briefe aus Nicaragua von seinem Aufenthalt dort
1984, ein nicht abgeschickter Brief an eine frühere Freundin, die 1989
verhaftet wurde und für das BKA zum terroristischen Umfeld zählt,
und z.B. auch ein Notizzettel mit einer Verabredung zum
Schlittenfahren.
Nach über 20 Jahren...
Wie wir später der Presse entnahmen, war Anlass der Aktion die
Verhaftung von zwei vermeintlichen Mitgliedern der Revolutionären
Zellen in Frankreich einen Tag zuvor (Sonja S. (67) und Christian G. (58)).
Die Haftbefehle wurden mit der Beteiligung an drei Sprengstoff bzw.
Brandanschlägen auf AKW-Zulieferfirmen in den Jahren 1977/78
begründet bei denen Sachschaden entstand.
Beide sollen seit dieser Zeit unter falschem Namen in Frankreich gelebt
haben, Christian G. seit mehreren Jahren mit der Identität eines
Schweizer Staatsbürgers - und zwar unter dem Namen von Werner R..
Die Beiden sind zur Zeit gegen Kaution auf freiem Fuß, bis
über den Auslieferungsantrag der BRD entschieden ist (erste
Anhörung Ende Juni).
Die Befragung als "Zeuge"
Nach der Durchsuchung (um ca. 0.30 Uhr) ging es dann ins Hagener
Polizeipräsidium zur weiteren Befragung als Zeuge. Hier wurde Werner
R. unter anderem nach seinen Kontakten zur linken Szene befragt.
Später nutzten die BKA-Beamten den Begriff terroristische Szene.
Werner R. gab an, zu der Frau, an die er 1989 hatte schreiben wollen,
Anfang der 80er Jahre freundschaftlichen Kontakt gehabt zu haben.
Außerdem kenne er aus seiner Jugendzeit (ein Kneipenkontakt im
Alter von 16 Jahren) einen Menschen, der später wegen Mitgliedschaft
in der Bewegung 2.Juni verurteilt wurde und kurze Zeit in der Hagener
Justizvollzugsanstalt (JVA) einsaß. Diesem hatte er schriftlich
angeboten, Bücher zu schicken, die dieser aber nicht brauchte.
Und zu guter Letzt wohnte Werner R. 1975 in Köln in einer
Wohngemeinschaft, in der für zwei Wochen der Rechtsanwalt Klaus
Croissant wohnte, der zu der Zeit in Düsseldorf verteidigte.
Die Vernehmung dauerte bis ca. 2.30 Uhr.
Bei der erneuten Befragung am Morgen des gleichen Tages eröffneten
die Beamten Werner R., dass sie seine Angabe, sich das Verschwinden des
Passes nicht erklären zu können, für nicht glaubwürdig
hielten, weil er so zahlreiche Kontakte zu terroristischen Personen habe.
Er wurde aufgefordert, endlich die Wahrheit zu sagen und es wurde ihm damit
gedroht, dass er jetzt noch Zeuge sei, aber dass sich dies schnell
ändern könne.
Es geht den Ermittlungsbehörden offensichtlich nicht nur darum, das
Verschwinden des Passes zu klären. Damit muss Werner R. davon
ausgehen, dass gegen ihn der Verdacht besteht, sich in irgendeiner Form
strafbar gemacht zu haben - und so ist er nicht mehr nur Zeuge, sondern
gleichzeitig Verdächtigter, also ein tatverdächtigter Zeuge.
Die Aussagefreiheit von Verdächtigten
Werner R. hat sich nun entschieden, weitere Aussagen zu verweigern, weil
er selbst verdächtigt wird. Einer Ladung zur polizeilichen Vernehmung
einige Tage nach der Durchsuchung ist Werner R nicht nachkommen (niemand
ist verpflichtet zu einer polizeilichen Vernehmung zu gehen).
Einer Vorladung der Staatsanwaltschaft Frankfurt im März ist er in
Begleitung seiner Anwältin gefolgt. Er hat dort die Aussage
verweigert. Er nahm damit ein Aussage-Verweigerungsrecht für sich in
Anspruch, dass Verdächtigten zusteht.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt versuchte mit der Verhängung von
1000 DM Zwangsgeld weitere Aussagen zu erzwingen. Die Anwältin von
Werner R. beantragte beim Landgericht Frankfurt, die Verhängung des
Zwangsgelds aufzuheben. Dies hat das Landgericht am 20.04.2000 nach
Aktenlage, die der Zeuge nicht kennt, als im Wesentlichen unbegründet
zurückgewiesen.
Nach erneuter Vorladung zur Staatsanwaltschaft Frankfurt am 16.5. hat
der Staatsanwalt Rath nun Beugehaft bei Gericht beantragt.
Der Gesinnungsparagraph §129a StGB
Solange die Justiz Werner R. keinen Glauben schenkt und ihm somit
indirekt unterstellt, er hätte den Pass zur Verfügung gestellt,
besteht offensichtlich gegen ihn der Verdacht der Strafvereitelung bzw. der
Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, also des
Verstoßes gegen §129a StGB.
Der § 129a wurde in den siebziger Jahren ins Strafgesetzbuch
aufgenommen. Er bedeutete eine Verschärfung des § 129 (kriminelle
Vereinigung). Mit dem § 129a werden i.d.R. keine konkreten Handlungen
verfolgt, sondern die Gesinnung der Beschuldigten.
Er gehört zu einem Paket zahlreicher Gesetzesänderungen zur
Terrorismusbekämpfung während einer Gesetzgebungshysterie zur
Inneren Sicherheit in jener Zeit.
Dabei ist die Definition schwammig, so dass z.B. HausbesetzerInnen oder
AKW GegnerInnen unter diesen Paragraphen fielen: Schon das Aufhängen
eines Transparentes (Solidarität mit dem Hungerstreik der politischen
Gefangenen) hat einige mit Hilfe des §129a , wegen Unterstützung
einer terroristischen Vereinigung; direkt ins Gefängnis gebracht.
Vor allem gegen BuchhändlerInnen, VerlegerInnen oder Menschen, die
sich für die Rechte von politischen Gefangenen einsetzten, wurden
zahlreiche Verfahren eingeleitet.
Für die Abschaffung des § 129a
Seit Jahren gibt es seitens der liberalen Öffentlichkeit die
Forderung nach der Streichung der Terrorismusgesetzgebung aus den 70er
Jahren, bisher wurden aber nur die Kronzeugenregelung und der § 88 a
StGB (Zensurparagraph) abgeschafft.
Unterstützt wird diese Forderung unter Anderen vom Komitee für
Grundrechte und Demokratie, dem Republikanischen Anwaltsverein, der
Strafverteidigerinitiative mit Sitz in Köln und der Humanistischen
Union. Von einer SPD/Grünen-Regierung wurde ursprünglich
erwartet, dass sie dieses von internationalen Menschenrechtsorganisationen
kritisierte Geschichtserbe endgültig beseitigt.
Wir brauchen Ihre / Eure Unterstützung
Neben einer moralischen Unterstützung Werner R.'s halten wir
die Herstellung einer breiten Öffentlichkeit in diesem Fall für
unbedingt notwendig, um die Ermittlungswut anscheinend
unterbeschäftigter Behörden einzudämmen. Es darf nicht sein,
dass aufgrund phantasievoller Tatkonstrukte Menschen in ein
Ermittlungsverfahren verstrickt und mit Gefängnis bedroht werden.
Darum bitten wir Sie/Euch, im Rahmen Ihrer/Eurer Möglichkeiten
gegen das Vorgehen des BKA/Staatsanwaltschaft zu protestieren, um die
Beugehaft oder weitergehende Sanktionen gegen Werner R. zu verhindern.
Anbei finden Sie / findet Ihr eine Postkarte, die wir unterschrieben an
den Hessischen Minister der Justiz, Herrn Dr. Christian Wagner, Luisenstr.
13 in 65185 Wiesbaden zu senden bitten, um einen ersten Protest bei der
Stelle einzubringen, die im Moment Einfluss nehmen könnte.
Wir werden Sie/Euch über die Entwicklungen weiter auf dem Laufenden
halten.
Die Arbeit der Anwältin und die Öffentlichkeitsarbeit kosten
Geld. Deshalb bitten wir auch um Geldspenden auf das
QUADRUX Sonderkonto
Konto Nr.: 101 021 453
BLZ: 450 500 01
Bei der Sparkasse Hagen
oder in bar.
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QUADRUX Buchladen
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