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Wir dokumentieren im folgenden die Broschüre
WENN DIE SACHE IRRE WIRD - WERDEN DIE IRREN ZU PROFIS
Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft aus dem Jahr
1988.
Diese Broschüre, die im Rahmen der Aussageverweigerungs - Kampagne
nach den Angriffen der Staatsschutzbehörden im Jahre '87 auf
politische Zusammenhänge im Rheinland entstanden ist, dokumentiert
einiges an wichtigen Diskussionen und Auseinandersetzungen um
Aussageverweigerung und Beugehaft. Wir halten die Auseinandersetzung um
diese Fragen gerade im Anbetracht der aktuellen Situation nach den
Angriffen des BKA und der BAW vom 13.6. auf linke Strukturen und
Zusammenhänge und der Verurteilung von Ulf zu 5 Monaten Beugehaft
(weil er der Aufforderung der BAW zur Denunziation von GenossInnen nicht
gefolgt ist) für äußerst dringend und haben schon vor
einiger Zeit eine Broschüre der Roten Hilfe - die zum selben Thema
geschrieben wurde - hier im Netz verbreitet.
Projekt
ID-SH
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Vorneweg
Spätestens seit den Schüssen an der Startbahn mit den
nachfolgenden Festnahmen und Verhören von Beschuldigten und Zeuginnen,
bei denen es zu Aussagen und Belastungen en masse gekommen ist, gibt es die
Diskussion um Aussageverweigerung. Dabei schien den meisten
linken/linksradikalen Menschen die Forderung "Keine Aussagen - Keine
Kooperation mit dem Staatsschutz" politisch klar zu sein.
In dem Moment jedoch, als die Staatschutzbehörden mit der Anordnung
von Beugehaft, d.h. Knast bis zu sechs Monaten, zum härstesten
möglichen Strafmittel gegen aussageunwillige Zeuglnnen griffen, wurde
die Forderung nach konsequenter Aussageverweigerung relativiert, wurde eine
Vielzahl von Argumenten in die Diskussion eingeführt, warum das
Festhalten an der Forderung angesichts der Drohung mit Knast falsch sei,
warum im individüellen Fall Aussagen oder die Berufung auf eine
mögliche Selbstbelastüng nach § 55 StPO sinnvoll sein
könnten. Es tauchte die Frage auf, ob Knast nicht ein zu hoher Preis
für Aussageverweigerung sei. Zumal die theoretische Erkenntnis,
daß nur nichts zu sagen,'wirklich sicher ist, die betroffenen
Zeuglnnen nicht"automatisch" auch zu einem entsprechendem
Verhalten veranlaßte.
Schließlich blieben von den acht Zeuglnnen, die vor die
Alternative: "Knast oder Aussagen" gestellt wurden, ja auch nur
die beiden Bochumerinnen bei ihrer Aussageverweigerung. Daß die
beiden nach sieben- bzw. zweiwöchiger Haft wieder draußen sind,
löst das Problem nicht. Vielmehr werden Zeuglnnenvorladungen und
sonstige Verhörversuche durch die Organe des Staatsschutzes mit
dem Ziel weitergehend uns einzuschüchtern und zu spalten, unsere
politischen und persönlichen Zusammenhänge auszuforschen und zu
zerstören, und Einzelne von uns gezielter zu verfolgen.
So wurden gerade erst vier Leute aus Köln als Zeugen vor das OLG
Düsseldorf zitiert. Sie sollten Aussagen in einem § 129a
Verfahren gegen "unbekannt", wegen Unterstützung einer nicht
näher bezeichneten "terroristischen Vereinigung" machen. Die
Fragen, die ihnen gestellt wurden, bezogen sich auf Personen,
Zusammenhänge, Aktionen und Veranstaltungen rund um die besetzte
Weißhausstraße in Köln. (Die Zeugen verweigerten die
Aussagen; drei von ihnen erhielten Ordnungsgelder in Höhe von 200
Mark.)
Ähnliches wird es in anderen Städten geben; und wir sollten
uns darauf vorbereiten, daß der Staatsschutz in Zukunft
verstärkt zum Druckmittel der Beugehaft greift. Gerade auch als
Antwort auf ein - hoffentlich - zunehmendes Aussageverweigerungsverhalten
unsererseits. Deshalb wollen wir mit dieser Broschüre versuchen, die
Diskussionen um Aussageverweigerung und Beugehaft, wie sie in den
persönlichen und politischen Zusammenhängen im Ruhrgebiet
geführt wurden, öffentlich zu machen und unsere Erfahrungen damit
zu "sozialisieren". Denn wir sind davon überzeugt, daß
bei zukünftigen Beugehaftanordnungen die Probleme, die sich uns
gestellt haben, so oder ähnlich auch an anderen Orten, in anderen
Gruppen und Bündnissen auftreten werden.
Mit anderen Worten: Diese Broschüre soll dazu -beitragen, die nach
unseren Erfahrungen bei der Bedrohung mit Beugehaft auftretenden Probleme
und Diskussionen rechtzeitig anzugehen, damit Ihr in Zukunft besser
vorbereitet seid als wir es waren!
Dementsprechend dokumentieren wir weder den Verlauf der
Aussageverweigerungskampagne bzw. der Aktivin gegen Beugehaft hier im
Ruhrgebiet, noch versuchen wir eine politische Einschätzung der
Ereignisse im Zusammenhang bzw. in der Folge der Razzia am 18.12.1987. D.
h. die vorliegende Broschüre enthält nicht die Vielzahl von
Flugblättern, Presseerklärungen, Artikeln, Aktionen,
Solidaritätserklärungen, usw., die zum Thema
"Aussageverweigerung" bzw. "Beugehaft" in der Region
und bundesweit produziert worden sind. Und sie problematisiert auch nicht
den politischen Zusammenhang, in dem Zeuglnnenvorladungen bzw. die
Beugehaftbeschlüsse stehen.
Wir haben uns stattdessen aus den oben genannten Gründen auf das
Problem der Aussageverweigerung bei im Raum stehender Haftandrohung
beschränkt. Nach einem Informationsteil, der einen chronologischen
Abriß der Ereignisse, eine Beschreibung der Vernehmungssituation
durch die Bundesanwaltschaft und eine Zusamrnenfassung der uns bekannten
Fragen und Antworten bei verschiedenen Verhöranlässen
enthält, benennen wir in einem zweiten Teil noch einmal die
Gründe für eine konsequente Aussageverweigerung und stellen drei
unterschiedliche Positionen dar, die sich mit der Frage beschäftigen:
Aussageverweigerung trotz Beugehaft? Sie umreißen das Spektrum, das
in unseren Diskussionen eine Rolle spielte.
Welche Faktoren - jenseits der rationalen Einsicht in die Notwendigkeit
der Aussageverweigerung - angesichts der drohenden Beugehaft bei
betroffenen Zeuglnnen eine Rolle spielen und ihre Entscheidung wesentlich
mitbeeinflussen, und wie schwierig es ist, eine kollektive
Auseinandersetzungsform zu finden, in der diese Faktoren
berücksichtigt werden, ohne die Zeuglnnen unter falschen Druck zu
setzten, und ohne ihnen die Entscheidung mit allen Folgen allein zu
überlassen, soll der dritte Teil \/erdeutlichen. Dazu gibt es den
Bericht einer Zeugin, die aus sehr persönlicher Sicht beschreibt, wie
sie die Dinge erlebt hat. Und zvvei nicht minder subjektiv gefärbte
Beiträge, die vom entgegengesetzten Standpunkt, also aus der Position
politisch arbeitender Zusammenhänge, versuchen, die Schwierigkeiten
und Fehler im Verlauf des Auseinandersetzungsprozesses nachvoliziehbar zu
machen.
In einem vierten Teil schließlich reißen wir die Frage nach
dem politischen Stellenwert der Aussageverweigerung bzw. einer weiteren
Kampagne dazu an. Wir haben in diese Richtung bislang kaum diskutiert,
weshalb wir uns auf die Dokumentation eines Artikels aus der Nr.2 der NICHT
ZU FASSEN und eines Papiers der Redaktion von AUFRUHR, einer Bochumer
Szene-Zeitung, beschränken.
Abgesehen von einer kleinen "Literaturliste" zum Thema findet
ihr am Schluß der Broschüre ein Interview mit den beiden Frauen,
die in Beugehaft saßen. Wir haben es -aufgenommen, weil sich viele
von uns bis zur Inhaftierung der Beiden mit Knast nie intensiv
auseinandergesetzt hatten. Dementsprechend haben Knasthorror und
Spekulationen über die Bedingungen von Beugehaft unsere Diskussionen
sehr stark geprägt. Das Gespräch mit Gabi und Gaby zeigt,
daß ein großer Teil der Ängste und Befürchtungen
(Isolationshaft, 24-Punkte-Programm) überflüssig waren.
Schickt uns Eure Kritik an der Broschüre und setzt die Diskussion
fort! Wir verabschieden uns bis auf weiteres.
Solidarische Grüße aus einem sonnigen
Ruhrgebietsgärtchen im Juli 1989
Was passiert ist
Der vermeintliche "Schlag gegen die RZ", die Durchsuchung von
33 Wohnungen und Arbeitsplätzen am 18. Dezember 1987, hat neben
- der Verurteilung von Ingrid Strobl,
- den Haftbefehlen gegen vier Menschen,
- den Fahndungen nach weiteren Leuten,
- den nach wie vor laufenden Ermittlungsverfahren gegen rund zwei
Dutzend Personen,
u.a. auch eine Welle von Zeuginnenvorladungen nach sich gezogen. Abgesehen
von den EMMA-Frauen, die alle Aussagen machten und diese im Prozeß
gegen Ingrid Strobl wiederholten, sind uns rund 25 Fälle von
Vernehmungen bzw. Vernehmungsversuchen bekannt. Allerdings muß davon
ausgegangen werden, daß es weitere Fälle gibt, die bislang nicht
öffentlich wurden.
Die massenhaften Ausforschungsversuche begannen im August/September
1988. Damals erhielten innerhalb weniger Wochen über 20 Leute aus
Hamburg und dem Ruhrgebiet Termine zu Vernehmungen durch die
Bundesanwaltschaft. Mehrheitlich handelte es sich bei den geladenen
Zeuglnnen um ehemalige WG-Mitglieder bzw. Arbeitskolleginnen der per
Haftbefehl Gesuchten.
Fast alle verweigerten die Aussage ohne Angabe von Gründen und
wurden dafür mit Ordnungsgeldern bis zu 400 Mark belangt. Im
Ruhrgebiet machten lediglich ein TAZ-Mitarbeiter und zwei frühere
Wohnungsgenosslnnen einer Essener Beschuldigten Angaben zur Sache. Letztere
allerdings auch nur bedingt, indem sie die Antwort auf eine Reihe von
Fragen unter Berufung auf eine mögliche Selbstbelastung nach § 55
StPO verweigerten.
Informationen aus Hamburg, wo das Problem der Zeuglnnenvorladung als
privates gehandelt wird, fließen nur spärlich. Doch soweit wir
wissen, gab es in der ersten Vernehmungsrunde auch dort nur einen Fall, in
dem Aussagen gemacht wurden. Dieser Zeuge, ein ehemaliger Bochumer, wurde
im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen eine gesuchte Frau aus Bochum
befragt. (Zum Inhalt der Vernehmungen, soweit wir davon Kenntnis haben,
gibt es auf den folgenden Seiten einen Extrabericht.)
Nach dieser ersten Vorladungswelle schien die Sache erstmal ausgestanden
zu sein - bis, Anfang Dezember letzten Jahres, eine Frauenwohngemeinschaft
in Bochum durchsucht wurde. Die offizielle Begründung lautete
"Sicherstellung von Beweismitteln gegen Dritte" und bezog sich
auf die Ermittlung gegen einen Mann aus Köln, dem im "Komplex
18.12." Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der RZ's
vorgeworfen wird und dessen Aufenthaltsort den Behörden offensichtlich
nicht bekannt ist.
Mitgenommen wurden u.a. Flugblätter, Plakate und sonstiges
Intomaterial zur Razzia vom 18.12., zu den vorausgegangenen
Zeuglnnenvorladungen und zum Thema der Aussageverweigerung. Zudem erhielten
zwei der vier Wohhungsbewohnerinnen erstmalig Ladungen als Zeugin zur
Bundesanwaltschaft.
Beide Frauen verweigerten die Aussage, erhielten Ordnungsgelder und - im
Unterschied zu den vorher geladenen, aussageunwilligen Zeuglnnen -
innerhalb kürzester Zeit einen zweiten Vernehmungstermin. Ohne sich
auf einen der gesetzlichen Ausnahmegründe, also die mögliche
Selbstbelastung oder ein verwandtschaftliches Verhältnis zum
Beschuldigten, zu beziehen, schwiegen sie weiterhin. Mit dem Ergebnis,
daß die Bundesanwaltschaft die Anordnung von Beugehaft durch den
Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof beantragte.
Bis dato hatte niemand ernsthaft mit dem Einsatz dieses Zwangsmittels
gerechnet. Zumal zwischenzeitlich bekannt geworden war, daß aufgrund
des bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmten Materials 129a-Verfahren wegen
Unterstützung bzw. Werbung für die RZ's sowohl gegen die
beiden Zeuglnnen selbst als auch ihre Mitbewohnerinnen eingeleitet worden
waren. (Begründung der Staatsschutzbehörden: Die Bereitschaft zur
Aussageverweigerung zu wecken oder zu bestärken, sei geeignet, das
Vertrauen der RZ's in eine "breite solidarische Verschwiegenheit
der Szene" zu stärken, und sie auf diesem Wege zu einer
Fortsetzung ihres "strafbaren Tuns" zu motivieren.)
Solchermaßen selbst beschädigt, hätte den beiden
Bochumerinnen ein generelles Recht auf Assageverweigerung zugestanden
werden müssen. Daß stattdessen "Erzwingungshaft" -
wie, es im Juristendeutsch heißt - gegen sie beantragt wurde, sorgte
dementsprechend bis in bürgerlich-liberale Kreise hinein für
Empörung. Gleichzeitig enstand jedoch auch Angst.und Unsicherheit
unter denjenigen Zeuglnnen, die bei ihrer ersten Vernehmung keine Aussage
gemacht hatten, und die - sollten sie wie die beiden Frauen aus Bochum im
Fall einer zweiten Ladung weiterhin schweigen - ebenfalls mit
Beugehaftdrohung rechnen mußten.
Prompt kamen dann auch, kaum daß der erste Beugehaftantrag
gestellt worden war, zweite Zeuglnnenladungen für nicht alle, aber
einen Teil der Leute aus Hamburg und dem Ruhrgebiet, die bei der ersten
Runde den Mund gehalten hätten. Prompt hielten auch zwei Frauen dem
Druck nicht mehr stand und machten Aussagen. Und genauso prompt erhielten
aus dem Kreis derjenigen, die auch in der zweiten Runde schweigsam blieben,
weitere sechs Leute Anträge auf Beugehaft ins Haus geschickt.
Von den insgesamt acht Anträgen auf die Verhängung von
Beugehaft, die damit beim Bundesgerichtshof anhingen, wurde sieben vom
zuständigen Ermittlungsrichter Gerlach Anfang März stattgegeben.
Die achte Entscheidung, die eine der beiden Frauen aus Bochum betraf,
verzögerte sich aus terminlichen Gründen um einige Wochen,
unterschied sich im Ergebnis jedoch nicht von den übrigen.
Die sieben zunächst Betroffenen, drei Männer aus Hamburg und
vier Frauen aus Duisburg, Oberhausen bzw. Bochum, wurden für den 16.
März zu einer dritten, letzten und im Unterschied zu vorher in
Karlsruhe angesetzten Vernehmung zitiert. Derart vor die Alternative
gestellt, wider eigenes Wollen endlich doch Aussagen zu machen oder bis zu
einem halben Jahr in Haft genommen zu werden, beantworteten fünf von
ihnen erstmalig einen Teil der Fragen und beriefen sich bei den restlichen
auf ein Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO. D.h. sie
praktizierten eine Mischung aus Selbstbezichtigung und Teilaussage; die
dazu führte, daß sie bislang - abzuwarten bleibt, ob auch
letztendlich - vor weiteren Repressalien geschützt bleiben.
Eine sechste Zeugin konnte am 16., März aus Zeitgründen nicht
mehr vernommen werden, schloß sich jedoch bei ihrer auf den 3. April
verschobenen dritten Vernehmung dem Mehrheitsverhalten an. D.h. auch sie
verweigerte unter Hinweis auf eine mögliche Selbstbelastung nur noch
einen Teil der gewünschten Angaben. Lediglich die siebte Zeugin, Gabi
Hi. aus Bochum, verweigerte weiterhin jede Aussage. Im Unterschied zu
vorher allerdings unter genereller Bezugnahme auf § 55 StPO; die
angesichts ihres Beschuldigtenstatus grundsätzlich vorhandene
Möglichkeit einer Selbstbelastung.
Dennoch blieb die Bundesanwaltschaft bei ihrer Forderung nach Aussagen
und verbrachte die Bochumerin im direkten Anschluß an ihre
Vernehmung, also noch am 16. März, in die JVA Bühl. Ein von ihrer
Anwältin sofort eingelegter Antrag auf richterliche
Überprüfung dieser Maßnahme wurde - wie nicht anders zu
erwarten - zugunsten der Bundesanwaltschaft entschieden.
Ebenfalls erwartungsgemäß wurde rund zwei Wochen später
dem letzten noch ausstehenden Antrag auf Beugehaft stattgegeben; wie gehabt
mit der Aufforderung verbunden, zu einer dritten Vernehmung in Karlsruhe
anzutreten. Die betroffene Frau, Gaby Ho. aus Bochum, folgte der Ladung
nicht, da die Bundesanwaltschaft eine Terminverschiebung verweigert hatte,
obwohl sich der Anwalt der Zeugin zum betreffenden Zeitpunkt im Ausland
aufhielt.
Eine versuchte Zwangsvorführung der Zeugin scheiterte; in der Folge
erhielt sie eine Frist zum "freiwilligen" Antritt der Beugehaft
in der JVA Bühl zugeschickt, dem die Frau am 20. April Folge leistete.
D.h. sie ersparte sich einen dritten Vernehmungsversuch und blieb bei ihrer
prinzipiellen Aussageverweigeung, ohne einen rechtlichen Grund dafür
zu benennen.
Gabi Hi. und Gaby Ho. saßen eine Woche in einer Zelle, bevor
letztere auf Anweisung aus Karlsruhe und ohne ersichtlichen Grund nach
Heidelberg verlegt wurde. Für beide Frauen galt der sogenannte
"Normalvollzug". Sie wurden im Auftrag der Bundesanwaltschaft
zweimal in der Woche von der Knastverwaltung gefragt, ob sie mittlerweile
zu Aussagen bereit seien. Doch geschah dies quasi nebenbei, ohne daß
Druck ausgeübt worden wäre. Und auch ansonsten blieben die Frauen
von besonderen Schikanen oder Repressionsversuchen verschont,
Am 3. Mai wurden die Bochumerinnen nach sieben bzw. zweiwöchiger
Haft entlassen. Der 3. Strafsenat des BGH hatte - entgegen seiner in einer
Entscheidung aus dem Jahre 1981 vertretenen Auffassung - die Haftbeschwerde
im Fall von Erzwingungshaft für generell zuIässig befunden und im
vorliegenden Zusammenhang auch. positiv beschieden. Dabei beziehen sich die
Richter im Kern auf den Umstand, daß gegen die betreffenden Zeuginnen
eigene Ermittlungsverfahren im fraglichen Kontext laufen. Zwar wird ihnen
nicht grundsätzlich ein Beschuldigtenrecht auf Aussageverweigerung
zugestanden, immerhin wird jedoch die Möglichkeit eingeräumt,
daß Aussagen für ihre eigenen Verfahren relevant sein
könnten. Weshalb - so die Argumentation der Richter - der besonders
schwere Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte, wie ihn eine
Inhaftierung darstelle, nicht verhältnismäßig sei. Und zwar
unabhängig davon, ob eine Berufung auf § 55 StPO erfolgt sei oder
nicht.
D.h. die Beugehaftbeschlüsse gegen die beiden Bochumerinnen wurden
aufgehoben, nicht jedoch die gegen sie verhängten Ordnungsgelder. Und
vor allem: Die juristische
Begründung für die Freilassung der Zeuginnen ist nicht ohne
weiteres auf andere Fälle übertragbar Denn die in der
vorliegenden Entscheidung des BGH vorgetragenen rechtlichen Bedenken wenden
sich nicht grundsätzlich gegen die Durchführung von Beugehaft,
sondern lediglich gegen den Einsatz dieses Zwangsmittels im zu
prüfenden Spezialfall der beiden.Frauen.
Hätten Sie's gewußt? - Die BAW fragt
Zur Verhörsituation bei der Bundesanwaltschaft
Allgemein ist zu sagen, daß die einzige Person, die auf deiner
Seite dem Verhör beiwohnen kann, dein Rechtsbeistand, d.h. eine
Anwältln ist. Bei den Vorladungen am 16.3. und 3.4.89 saßen den
Verhörten jeweils 1 Staatsanwalt, 2 Typen vom BKA und eine
protokollierende Schreibkraft gegenüber.
Die erste Hälfte der Befragung erfolgte durch den Staatsanwalt. Der
zweite Teil der Fragen wurde von einem BKA'Ier gestellt. Es wurde immer
nur eine Frage gestellt und nach ihrer Beantwortung die nächste. Es
war also nicht möglich den Fragenkatalog vorher einzusehen.
Die Verhördauer lag jeweils zwischen 1 - 3 Stunden.
Alle Fragen, die sich auf dritte Personen bezogen und ein Teil der
Fragen,die sich auf die Befragten selbst bezogen, wurden, soweit es uns
bekannt ist, mit Hinweis auf den §55 nicht beantwortet. Die
Verweigerung der Aussage wurde dabei nicht in allen Fällen vom
Staatsanwalt anerkannt. Trotzdem blieben die Befragten in diesen
Fällen bei der Aussageverweigerung. Soweit wir wissen, betrug der
Anteil der so verweigerten Auskünfte im Verhältnis zum gesamten
Fragenkatalog zwischen 1/4 und 1/5. Im Laufe der Verhöre ist über
nachhakende Fragen ab und zu versucht worden, eine Gespächsebene
herzustellen.
In welche Richtung gingen die Fragen?
Bei den Vernehmungen durch die BAW am 16.3. und am 3.4. sowie sonstigen,
uns bekannten Verhören variierte die Zahl der Fragen zwischen 5 und
50. Dabei zählen wir jede Nachfrage, jedes Nachhaken oder
Konkretisieren als gesonderte Frage. Inhaltlich handelte es sich um
- Fragen, die sich auf die Gesuchten bezogen (Kleidungsgewohnheiten;
Hobbies, wie z.B. basteln, löten, wandern; Berufstätigkeit;
Krankheiten; Eigenheiten; Abwesenheitszeiten von zu Hause;
Aufenthaltsorte während der Abwesenheit; Verbleib von Eigentum der
Gesuchten; Fragen nach "konspirativem Verhalten")
- Fragen, die sich auf das Verhältnis anderer Personen zu den
Gesuchten bezogen (Zu welchen Personen hatte X regelmäßigen
Kontakt, wer war bei X zu Besuch, wie war der Kontakt zu den Eltern zu
den Geschwistern)
- Fragen, die sich auf das Verhältnis der Befragten zu den
Gesuchten bezogen (Zeitraum des Zusammenwohnens und der Bekanntschaft
miteinander, Fragen nach dem letzten Zusammentreffen mit den Gesuchten
und nachd er Art des Verhältnisses zu den Gesuchten)
- Fragen, die sich auf die Befragten bezogen z.B. ob sie im September
'87 bei dem bundesweiten Treffen der Frauen gegen Gen- und
Reproduktionstechniken in Essen dabei waren
- Fragen, die sich direkt auf die Razzia vom 18.12.87 und die
darauffolgenden Tage bezogen (wer mit wem telefoniert hat; wie
Benachrichtigte reagiert haben, überrascht oder nicht; wer sich um
Eigentum und Regelung von Verwaltungskram der Gesuchten nach dem 18.12.
gekümmert hat)
- Es wurde eine Bildermappe vorgelegt, auf der neben Bildern von
Personen auch Kleiderpuppen abfotografiert waren.
Im Großen und Ganzen wurden bei den Verhören also Fragen nach
persönlichen Verhältnissen gestellt. Bei den beiden
Verhörterminen am 16.3..und 3.4. war unseres Wissens die einzige,
direkt auf politische Zusammenhänge zielende Frage, die folgende:
"Ist Ihnen konspiratives Verhalten derjenigen Teile der
Frauenbewegung bekannt, die gegen Gen- und Reproduktionstechnologien
kämpfen?"
Auf die Nachfrage, was denn "konspirativ" sei, erwiderte der
Staatsanwalt, daß hierzu z.B. das Abschütteln observierender
Personen zähle. Desweiteren gehörte nach Auffassung der BAW dazu,
wenn eine Person einen Ort angibt, wo sie sich während ihrer
Abwesenheit von zu Hause aufhalten will, sich diese Person aber dann an
einem anderen Ort aufhält. Außerdem sei es konspirativ, wenn
jemand eine zweite Wohnung hat, ohne anderen davon zuerzählen.
Gründe für die Aussageverweigerung
Mit dem Druckmittel der Beugehaft zur Aussageerpressung werden wir es
wohl in Zukunft vermehrt zu tun bekommen. Nach den Erfahrungen im
Ruhrgebiet und im Startbahnwiderstand, wo Zeuginnen sehr unterschiedlich
reagierten, liegt die Notwendigkeit zu einem kollektiven, politischen
Vorgehen gegen die Denunziationspflicht auf der Hand. Rein individuelle,
taktische Überlegungen können keine Basis für uns sein.
Klar will keine/ r den Staatsschutzbehörden Informationen über
persönliche und politische Zusammenhänge liefern, die dazu
dienen, den Beweismittelnotstand der Karlsruher Ermittler zu verdecken und
Anklagekonstruktionen gegen die Beschuldigten zu erleichtern.
Schließlich begründet die BAW selbst in einem ihrer
Beugehaftanträge die Notwendigkeit von Zeuglnnenaussagen damit,
daß "im derzeitigen Stadium kaum noch andere Beweismittel (gegen
die Beschuldigten) erbracht werden können."
Was sind darüber hinaus die Ziele der Staatsschützer, die sie
mit der Erzwingung von Aussagen erreichen wollen?
- Da ist sicher zunächst das bereits genannte
Ermittlungsinteresse. Sie brauchen einfach dringend konkrete
Informationen in bestimmten Verfahren, in denen die Beweislage
außerordentlich dünn ist.
- Gleichzeitig ist diese Vorgehensweise darauf gerichtet, die Scene zu
verunsichern und ihre Struktur zu durchleuchten und zu erfassen. (Wer
kennt wen? Wer arbeitet in weichen politischen
Zusammenhängen?)
- Ein weiteres Ziel ist die generelle Einschüchterung und
Spaltung von politischem Widerstand. Sie reicht vom Herauspicken
Einzelner zu Zeuglnnenvorladungen bis zur Kriminalisierung der
Diskussion um die Aussageverweigerung. Dies zeigen z.B. die Ereignisse
in Bochum, wo bei einer Hausdurchsuchung gefundene Plakate und
Flugbätter über dieses Thema zu Ermittlungsverfahren
führten.
Unsere Interessen dagegen sind:
- niemanden zu verpfeifen oder zu belasten,.
- politische Zusammenhänge zu schaffen, in denen
Verläßlichkeit und Vertrauen existieren und offene
Diskussionen möglich sind,
- mit dem Staatsschutz keine Kooperation einzugehen.
Vor diesem Hintergrund werden hier nochmal die Gründe für die
generelle und konsequente Aussageverweigerung dargestellt. Sie stehen im
Gegensatz zur Berufung auf den §55 (Selbstbelastung) und der
Vorstellung, es gäbe entlastende Aussagen oder aber
"Gedächtnisschwund" wäre eine Lösung.
Es gibt keine entlastenden Aussagen
Es gibt keine entlastenden Aussagen. Das Interesse der
Bundesanwaltschaft besteht gerade darin, nur Belastendes zu finden.
Anscheinend entlastende Aussagen können schnell in ihr Gegenteil
verkehrt werden. Zumal es kaum absehbar ist, welche Informationen von der
BAW zu Indizien gemacht werden können in Verfahren, in denen es
häufig noch nicht einmal einen konkreten Tatvorwurf gibt. Die BAW ist
sehr phantasievoll in dieser Hinsicht!
Es gibt keine harmlosen Aussagen
Schon aus der Begründung laufender Ermittlungsverfahren wird
ersichtlich, daß es kaum Unverdächtiges in den Augen der
Staatsschützer gibt. So müssen z.B. als Indizien herhalten:
- das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, obwohl ein eigenes
Auto vorhanden ist,
- die Beschäftigung mit sog. anschlagsrelevanten Themen,
- das Treffen im Hinterzimmer einer Kneipe ohne am Telefon
ausdrücklich den Zweck des Treffens zu nennen,
- die Bekanntschaft mit Personen, die ihrerseits eines dieser sog.
Vergehen bezichtigt werden.
In der Begründung einiger Beugehaftanträge hieß es,
daß "Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich"
beweiserheblich seien, daß "durch persönliche, berufliche
oder gesellschaftliche Interessen erklärbares Verhalten der
Beschuldigten ermittelt werden muß, um es von Verhaltensweisen zu
unterscheiden, die ihre Erklärung in dem Engagement der Beschuldigten
für die terroristische Vereinigung RZ / Rote Zora finden."
Welches Verhalten wozu diente, wird natürlich von den
Ermittlungsbeamten entschieden. So ist es doch eine "Erkenntnis"
des BKA, daß es gerade die Strategie der Roten Zora ist, sich auf
Demonstrationen, öffentlichen Veranstaltungen, z.B. Kongressen zu
tummeln.
Auch im privaten Bereich, z.B. dem Zusammenwohnen in einer WG, wird es
schwierig mit harmlosen Antworten. Auf Fragen nach Freundinnen, Bekannten,
Aufstehgewohnheiten, Krankheiten, Lese- und Telefoniergewohnheilen der
beschuldigten Person zu antworten, daß diese Dinge nicht bekannt
seien, legt für das BKA den Schluß nahe, daß diese Person
konspirativ gehandelt haben muß.
Beispiel: Telefongespräche
Eine Zeugin wird gefragt, ob ihre Mitbewohnerin X mit Y bekannt ist. Im
Bemühen möglichst schwammig und unverbindlich zu antworten, sagt
die Zeugin: "Ich weiß nicht". Nun hat aber das BKA die
Person X schon länger bespitzelt und ein Telefongespräch zwischen
X und Y abgehört. Auf diesem Hintergrund, der der Zeugin nicht bekannt
ist, wird die Aussage "ich weiß nicht" zur relevanten
Information. Verheimlicht die Zeugin die Beziehung, weil sie ihr heikel
erscheint, oder hat gar X selbst gegenüber der Zeugin die Beziehung zu
Y verheimlicht? Beides deutet auf eine möglicherweise konspirative
Beziehung zwischen X und Y hin.
Beispiel: Rasterfahndung
Auch scheinbar banale Aussagen können zur Aufstellung von Rastern
dienen. Die harmlose Eigenschaft, Leser der Süddeutschen.Zeitung zu
sein, ließ Rolf Pohle in das Fangnetz des BKA laufen. Durch
Observierung der Zeitungskioske in Athen wurde er beim Kauf einer solchen
erwischt.
Im Rahmen der Rasterfahndung ergeben dann auch Fragen nach Krankheiten,
Angewiesensein auf bestimmte Medikamente, Allergien, Kontaktlinsen einen
Sinn.
Es gibt keine banalen Fragen
Auch scheibar banale Fragen und solche, auf die es amtliche Antworten
gibt, erfüllen ihren Zweck!!! Prinzipiell gilt, daß die BAW
keine dummen Fragen stellt.
Beispiel: Verhörsituation
Die BAW stellt eine Reihe Fragen wie: "wo hat X zu einem bestimmten
Zeitpunkt gewohnt?" - Natürlich wo er gemeldet war -, "wo
hat X gearbeitet?" etc.
Die Zeugin überlegt angestrengt, welche Frage ihr relativ harmlos
erscheint, welche nicht. Ihr Zögern, Ausweichen, ihre schnelle Antwort
können der BAW Hinweise auf sie möglicherweise interessierenden
Punkte in der Biographie der gesuchten Person geben.
Zeuglnnenbefragungen finden in der Regel als Frage und Antwort-Spiel
statt. D.h. die Zeuglnnen bekommen nicht einen Fragenkatalog vorgelegt, wo
sie von vornherein einen Überblick über die einzelnen Fragen und
deren mögliche Bedeutung haben und eventuell in Ruhe entscheiden
können, welche Frage sie beantworten. Die BAW bemüht sich um die
Atmosphäre eines Gespräches. Blockiert eine Zeugin an einzelnen
Punkten dieses Gespräches, muß sie dies häufig
begründen.
Diese zermürbende Situation hat z.B. im Falle eines Hamburger
Zeugen 3 Stunden gedauert. Die wenigsten Zeuglnnen werden sich nach einer
solchen Prozedur noch erinnern können, welche Informationen sie dem
Staatsschutz gegeben haben.
Für den eigenen Schutz!
EinE Zeugln ist schnell BeschuldigteR
In 129a-Verfahren können Zeuglnnen im Nu selbst zu Beschuldigten
werden, da die Bekanntschaft mit einer verdächtigen Person jede und
jeden selbst in den Kreis verdächtiger Personen kommen
läßt. Dies ist in der Vergangenheit schon häufig geschehen
(in RAF-Verfahren).
Insbesondere mit der Verweigerung der Aussage unter Berufung auf den
§55 belastet man/frau sich selbst. Im Kern besagt dieser Paragraph,
daß Antworten, die eine mögliche Selbstbelastung beinhalten,
verweigert werden können.
Diese Selbstbelastung kann durchaus von BKA und BAW für
künftige Verfahren erwünscht sein.
Außerdem sieht das Gesetz vor, daß jeder Bezug auf den
§55 erstmal begründet werden muß. Eine schizophrene
Situation, weil das heißt, daß mit der Begründung warum
solch eine Aussage etwas mit der eigenen Person zu tun hat und belastend
sein könnte, jede Menge Informationen geliefert wird.
Ob die BAW bei der jeweiligen Frage den §55 akzeptiert, hängt
von ihrer Willkür ab; wurden viele andere Fragen beantwortet, lassen
sie vielleicht einige unbeantwortete zu.
Ist eine Zeugin bereits Beschuldigte in einem anderen 129a Verfahren, so
ergibt sich daraus noch nicht automatisch das Recht auf Aussageverweigerung
nach §55. Denn auch in diesen Fällen behalten sich die
Ermittlungsbehörden die Entscheidung darüber vor, ob ein
Zusammenhang zwischen den Verfahren und damit ein Aussageverweigerungsrecht
besteht. Im schlimmsten Fall faßt die BAW die Berufung der Zeugin auf
den §55 als Bestätigung der gegen sie erhobenen Vorwürfe
auf.
Für die Zukunft ist noch vermehrt zu befürchten, daß die
Bekanntgabe von Ermittlungsverfahren solange hinausgezögert wird, bis
die Zeuglnnen ihre Funktion erfüllt haben.
Aussagen schützen nicht vor weiteren Vorladungen
Die Zeuglnnenvorladungen im Zusammenhang mit den Schüssen an der
Startbahn West in Frankfurt zeigen: Auch Aussagen schützen nicht vor
weiterer Verfolgung. Bei signalisierter Aussagebereitschaft kann eine
Person immer wieder vorgeladen werden. Nach unseren Informationen wurden in
Frankfurt einzelne mehrfach vorgeladen, mit neuen Fragen bedrängt und
jedesmal neu dem Druck zur Zusammenarbeit mit den Staatsschutzbehörden
ausgeliefert.
Das eigene Gewissen
Jede/r wird sich die Frage stellen: Habe ich mich so verhalten, wie ich
es richtig finde?
Bei Aussagen kann man/frau sich nie sicher sein, möglicherweise
doch jemanden belastet zu haben.
Immer bleibt die Aussicht, bei einem späteren Prozeß Aussagen
wiederholen zu müssen, die der angeklagten Person möglicherweise
Knast einbringen.
Läßt sich die Beugehaft Überhaupt gegen den politischen
Schaden und dem Vertrauensverlust in der Scene aufrechnen, den Aussagen
anrichten können?
Aufgrund all dieser Argumente meinen wir:
- Nichts sagen, nur das ist sicher
- Keine Aussagen
- Keine Kooperation mit dem Staatsschutz
Gedankenfragmente
Die Frage, wie mit den Zeuginnenvorladungen umzugehen sei, ist bislang
rigoros auf die generelle Aussageverweigerung reduziert worden.
Die Leichtigkeit, mit der Aussageverweigerung propagiert wurde, und
deren Konsequenzen nicht diskutiert wurden, erinnert eher an die
VoBo-Debatte. Dies scheint die erste gravierende Fehleinschätzung
gewesen zu sein.
Es geht in diesem Fall um die Verfolgung von flüchtigen Personen,
die der Mitgliedschaft in der RZ und konkreter Taten beschuldigt werden.
Die Beweisnöte und Schwierigkeiten bei den Ermittlungen sind
offensichtlich. Also ist eigentlich davon auszugehen, daß BKA und BAW
bei der Verfolgung von "Terroristlnnen" jeden Spielraum, der
ihnen durch Gesetze, StPo u. ä. geboten wird, auch nutzen.
Die Repressionsmöglichkeit der Beugehaft trifft jede Einzelne in
ihrer gesamten Lebenssituation:
Sie ist nicht nur mal eben ein halbes Jahr weg vom Fenster, sondern sie
hat weitreichende Konsequenzen zu tragen. An diesem Punkt stellt sich die
Frage nach der Verhältnismäßigkeit zwischen dem Preis, der
für die Verweigerung zu zahlen ist, (nämlich Knast,) und dem
Schaden, den eine Aussage anrichten kann. Es gibt kein.Patentrezept, was
diese Frage eindeutig lösen könnte, denn jede Zeugin ist in einer
unterschiedlichen Situation, was ihre persönliche Lebenssituation und
den möglichen, von ihr gestifteten Schaden angeht.
Diese Auseinandersetzung ist für die einzelne Zeugin eine ganz
entscheidende. Die Fixierung auf Aussageverweigerung als einzig
mögliche Verhaltensweise hat eine rechtzeitige und gründliche
Auseinandersetzung aber eher unmöglich gemacht. Deshalb unmöglich
gemacht, weil niemand (außer den Betroffenen?) diese Frage ernsthaft
zulassen wollte.
Mit den Widersprüchen haben sich die Betroffenen geplagt, wobei
diese jedoch nicht zur Diskussion gestellt wurden - Welchen Sinn macht eine
solche Forderung (Auss.Verw.) an das Verhalten jeder einzelnen Zeugin, wenn
dies dazu führt, daß sie allesamt in den Knast wandern? Ist denn
tatsächlich die politische Situation so, daß eine Chance gesehen
wird, dies verhindern zu können? Ist es ein sinnvoller Akt der
Solidarität mit den §129a Verfolgten, selbst in den Knast zu
gehen? Wird sich daran der große gesellschaftliche Aufschrei
entzünden?
Eine solche Herausforderung kann nur dann sinnvoll sein, wenn eine
ernsthafte Möglichkeit gesehen wird, auch gewinnen zu können oder
selbst wenigstens keinen großen Schaden zu erleiden. (wie
beispielsweise beim VoBo). Trotzdem von allen Zeuglnnen weiterhin ein
Gleichverhalten (generelle Aussageverweigerung bis in den Knast) zu fordern
heißt: entweder die realen Machtverhältnisse zu ignorieren oder
nicht wahrhaben zu wollen, oder aber durch die Schaffung von
"Heldlnnen" weiterhin eine Ideologie hochzuhalten, die einer
realen Basis entbehrt.
Dies führt zu einer Situation, die nur das Verhalten der Zeuglnnen
in den Mittelpunkt rückt und nicht mehr deutlich macht, wer denn
eigentlich Menschen zu Zeuglnnen machen kann, wer denn eigentlich den
Allzweckparagraphen 129a mit welchen Zielen einsetzt, welches
Instrumentarium zur Verfügung steht, politische Gegnerschaft als
"Terorrismus" zu definieren und zu verfolgen.
Nur wenn alle Seiten/Standpunkte in der Diskussion zugelassen werden,
ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Zeuglnnenvorladungen
möglich.
Kollektives Handeln kann nicht zum Ziel haben, ein einzig mögliches
Verhalten für alle als Ideal zu propagieren, sondern muß sich
vielmehr an den Möglichkeiten der Einzelnen orientieren und diese zur
Diskussion stellen.
Außerdem:
Die Zeuglnnenvorladung ist nur eine Methode, Informationen zu gewinnen.
Dies sollte bei der ganzen Diskussion nicht außer Acht gelassen
werden.
Aufruf zur Aussageverweigerung ist eine politische Sackgasse
Leider sehen wir uns als "Gesamtorganisation" nicht in der
Lage, eine schriftliche (unsere) Einschätzung der bisherigen Kampagne
gegen die Beugehaft abzugeben. Wir wollen aber Euer Vorhaben, eine
Dokumentation mit mehreren verschiedenen Positionen dazu zusammenzustellen,
damit unterstützen, indem ich versuchen will, einige Anmerkungen
über Verständnis und Motivation meinerseits dazu zu machen. Sie
geben damit einen Teil der Diskussionen im Zusammenhang der
Mitarbeiterlnnen der lnfostelle wieder, sind aber von der inhaltlichen
Aussage her allein von mir zu verantworten.
Unsere Beteiligung an der Kampagne war sehr zögernd und individuell
von einigen Mitarbeiterlnnen. Das erklärt sich einerseits aus dem
Mandat der Südostasien-Informationsstelle als entwicklungspolitische
Bildungsorganisation zu Ländern in der Region, zum anderen in der Art
und Weise wie auf den jeweiligen Veranstaltungen und Versammlungen
diskutiert wird und mit welchem politischem Verständnis. Erst
nebenstehender Plakatentwurf zwang uns als Infostelle, Stellung dazu zu
beziehen. (1) Wir schrieben daraufhin u. a.:
"Wir halten es für begrüßenswert, eine
möglichst breite Öffentlichkeit für die Unterstützung
des Kampfes gegen die Kriminalisierung der Beschäftigung mit Themen
wie z. B. Gentechnologie, Flüchtlingspolitik oder Sextourismus
erreichen zu wollen. Deshalb sollte unseres Erachtens auch der Schwerpunkt
des Entwurfes auf den Inhalten liegen, die für ein unbedarftes
Publikum näher ausgeführt werden müßten d. h. auch,
daß die momentane Anwendungspraxis des §129a und die
Beugehaftandrohungen stärker in den inhaltlichen Kontext eingebettet
werden müssen." (... )
"Bei den Forderungen haben wir starke Bedenken und finden es auch
politisch falsch, Aussageverweigerung zum alleinigen Mittel des
Widerstandes zu erklären und damit zum Kriterium für
solidarisches Verhalten zu machen. Wir denken, daß eine
differenzierte Taktik durchaus diskussionswürdig wäre, denn
Aussageverweigerung ist unseres Erachtens selbst nicht ein politisches
Mittel, sondern muß von Fall zu Fall entschieden werden."
Dies war und ist sehr knapp ausgedrückt unsere grundsätzliche
Haltung zu der Kampagne. Was den endgültig veröffentlichten
Plakataufruftext angeht, so haben wir uns genau deshalb geweigert, ihn mit
zu unterschreiben, weil er Aussageverweigerung als einziges
"Kampf" -Mittel und Aussagen als "Kooperation mit dem
Staatsschutz" hinstellt, was sowohl in der Endparole ("Nur
gemeinsame Aussageverweigerung und ein breiter Widerstand können die
Verfolgungswelle des Staates stoppen!") als auch im vorletzten Absatz
("Vor diesem Hintergrund hat sich die Mehrzahl derbislang in dem
Gesamtkomplex zu Vernehmungen geladenen Zeuglnnen entschlossen, jede
Kooperation mit dem Staatsschütz zu verweigern, d. h. sie machen
keinerlei Aussagen, da [. . . ] ".) deutlich zum Ausdruck kommt. Wir
haben Formulierungsalternativen angeboten (Streichung der Endparole und
Änderung des vorletzten Absatzes in "[... ] Zeuginnen
entschlossen, keinerlei Aussagen zu machen, da [... ]."), die nicht
berücksichtigt wurden. Eine - für uns - erstaunlich große
Anzahl von Gruppierungen hat denn den Aufruf unterschrieben.
Ich halte ihn trotzdem für eine politische Sackgasse, was meines
Erachtens nach der Inhaftierung von Gabi einerseits und den Aussagen
einiger andererseits mehr als deutlich wurde.
Die neue Situation nach dem 16.3. mit Gabi im Knast bedeutete für
uns, unabhängig von anderen Aktivitäten im Rahmen unserer
Möglichkeiten und unseres politischen Verständnisses zu
handeln.
Wir haben einen eigenen Aufruf an über 300 Personen und
Organisationen im In- und Ausland.verschickt, der auch in verschiedenen
Zeitschriften abgedruckt wurde. Es haben daraufhin - soweit uns bekannt -
15 Organisationen aus dem Ausland (5 aus Südostasien) und 12 aus der
BRD, darunter 15 MdB der Grünen, reagiert und meist an Justizminister
und Ermittlungsrichter geschrieben.
Ich bin der Auffassung, daß die ganze Beuge- oder besser noch
"Erzwingungshaft" immer nur eng im Zusammenhang mit dem
(Gesinnungs-) Paragraphen 129a StGB gestellt werden muß. Der.
§129a beschneidet eklatant die Bürgerrechte in einem
demokratischen Rechtsstaat, wie im übrigen auch eine Reihe von anderen
Gesetzen. Es kann uns m. E. in der heutigen politischen Situation vorerst
nur darum gehen, jede Einschränkung der demokratischen-Grundrechte im
Rahmen dieses Rechtsstaates abzuwehren und sich für eine extensive
Auslegung dieser Grundrechte für die breite Bevölkerung
einzusetzen. "Die Herrschenden" haben immer versucht, den
Beherrschten einmal zugestandene Rechte rückgängig zu machen oder
einzuschränken im Namen ihres Verständnisses von
Staatsräson. Demokratische Grundrechte mußten und müssen
immer wieder aufs Neue erkämpft oder durchgesetzt werden.
Im Zusammenhang mit dem § 129a bedeutet das, offensiv gerichtet an
eine breite, demokratische Öffentlichkeit nicht nur an die alternative
und pseudorevolutionäre Szene - die Konsquenzen dieses
Gesinnungsparagraphen in jeder Hinsicht hervorzuheben und sich um dessen
Abschaffung in einem politischen Bündnis mit möglichst vielen
Kräften einzusetzen. Mit den sogenannten "anschlagsrelevanten
Themen" in der Sprachterminologie der Bundesanwaltschaft wird jedem
demokratisch denkenden Menschen die Gesinnungsverfolgung deutlich.
Außerdem bedeutet es, tatsächlich auch eine radikale Kritik an
den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu entwickeln und
öffentlich zu führen, die ja gerade durch die Paragraphen
kriminalisiert werden soll, wobei eine Übereinstimmung mit einer
solchen Kritik nicht zur Voraussetzung für ein Bündnis gegen den
Paragraphen 129a gemacht werden darf.
Das allgemeine Lamentieren einiger selbsternannter
"Revolutionäre" im linken Spektrum darüber, daß
der Staat - wer immer dabei im einzelnen gemeint sein mag - uns sowieso nur
ausplündern und unterdrücken will, reicht nach meinem
Verständnis nicht aus und hat mit radikaler und ernstzunehmender
Gesellschaftskritik, die die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung
im Auge hat, wenig zu tun, wie auch die Aktionen des sogenannten
"militanten Widerstandes" von RAF, Rote Zellen u.ä. nicht.
Versuche (radikale) Veränderungen unserer Gesellschaft ohne
Unterstützung in großen Teilen der Bevölkerung
durchzusetzen sind m. E, nicht möglich und nicht erstrebenswert.
Meines Erachtens bietet unsere gesellschaftliche Wirklichkeit genügend
Anhaltspunkte für den menschenverachtenden Charakter des ihr
zugrundeliegenden Systems, um früher oder später eine Mehrheit
für ihre Veränderung zu gewinnen.
Wenn wir schon etwas aus den erfolgreichen Befreiungskämpfen der
Völker der 3. Welt lernen wollen, so doch die Tatsache, daß
subjektiv oder zumindest objektiv die große Mehrheit der
Bevölkerung hinter den Befreiungsbewegungen und -Organisationen
gestanden hat. Daß dabei noch lange nicht immer eine sehr viel
bessere Alternative herausgekommen ist, wie sich häufig gezeigt hat,
heißt für uns doch, daß sich konkrete
Veränderungsvorstellung zu Gunsten der Mehrheit der Bevölkerung
nur auf Grundlage radikaldemokratischer Verhältnisse entwickeln
können.
Mitarbeiter der Südostasien-Informationsstelle, Bochum
(1)
Verhindern wir die Beugehaft!
Acht Männer und Frauen aus Duisburg, Oberhausen und Hamburg sollen
zur Erzwingung von Aussagen in Beugehaft genommen werden. Dies ist ein in
der Justizgeschichte der Bundesrepublik bislang beispielloses Vorgehen.
Hintergrund der Maßnahme ist die bundesweite Razzia vom
18.12.1987. Damals durchsuchten Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft 33
Wohnungen und Arbeitsstätten in Köln, Hamburg und im Ruhrgebiet.
Die Behörden begründeten ihre Aktion mit Ermittlungsverfahren
gegen mehr als zwei Dutzend Personen. Sie alle sollen angeblich Mitglieder
bzw. Unterstützerlnnen der "Revolutionären Zellen" oder
"Rote Zora" sein.
Unter den Beschuldigten ist auch die Kölner Journalistin Ingrid
Strobl, die zur Zeit in Düsseldorf vor Gericht steht. Und dazu
zählen vier weitere Personen, nach denen seit über einem Jahr
öffentlich gefahndet wird. Die Betroffene sind als radikale
Gegnerlnnen der Gen- und Reproduktionstechniken, staatlicher
Flüchtlingspolitik und des Sextourismus bekannt.
Diese Themen wurden von der Bundesanwaltschäft zu
"anschlagsrelevanten Themen" erklärt. Damit ist die
Grundlage geschaffen, jeden entschiedenen Widerstand gegen die herrschende
Politik in den genannten Bereichen nach §129a zu verfolgen.
Der Gesinnungsparagraph 129a sichert dem Staatsschutz eine Art
Ausnahmezustand, der jede Bespitzelung, Beschattung, Abhör- und
Durchsuchungsaktion, Vorladung und Datensammlung, die Beschneidung von
Rechten der Beschuldigten und der Verteidigung, verschärfte
Haftbedingungen, wie Isolationshaft, ermöglicht. Seine Anwendung soll
einschüchtern, spalten und unseren Diskussions- und Handlungsraum in
den staatlich erlaubten Rahmen zwingen.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Mehrzahl der bislang in dem
Gesamtkomplex zu Vernehmungen geladenen Zeuglnnen entschlossen, jede
Kooperation mit dem Staatsschutz zu verweigern. D. h. sie machen keinerlei
Aussage, da in 129a-Verfahren selbst die kleinste, scheinbar noch so
unbedeutende Information zur Konstruktion von Beschuldigungen herhalten
kann.
Jetzt sollen acht dieser Zeuglnnen in Beugehaft genommen werden, um die
gewünschten Aussagen mit Gewalt zu erpressen. Für die Betroffenen
kann dies bis zu einem halben Jahr Knast bedeuten. -
Wir fordern:
Keine Beugehaft!
Einstellung aller Fahndungen und Ermittlungen nach § 129a!
Freiheit für Ingrid Strobl!
Weg mit dem Gesinnungsparagraphen 129a!
Nur gemeinsame Aussageverweigerung und ein breiter Widerstand
können die Verfolgungswelle des Staates stoppen!
Trotz Beugehaft:
Keine Aussagen - keine Kooperation
Wenn Ermittlungs- und Justizbehörden Informationen sammeln, dann
tun sie dies in einem Interesse, das unserem entgegengesetzt ist. Sie
wollen diesen -Staat schützen; wir wollen ihn angreifen. Also kann es
für uns grundsätzlich auch nur eine richtige Antwort auf die
vielfältigen Formen ihrer Ausforschungspraxis geben: Den Widerstand
dagegen organisieren. Und das heißt im Fall von
ZeugInnen"vorladungen: Aufrufen zu einer kompromißlosen
Aussageverweigerung.
Daß diese Position, die in der Vergangenheit von einem (relativ)
breiten politischen Spektrum getragen wurde, heute zunehmend in Frage
gestellt wird, ist Ausdruck einer Verunsicherung, die mit Verhängung
der ersten Beugehaftbeschlüsse einsetzte. Zwar herrscht - von
Ausnahmen abgesehen - noch immer die Überzeugung vor, daß
konsequentes Schweigen die einzig sichere Verhaltensweise ist, sich den
Aushorchungsversuchen des Staatsschutzes zu entziehen. Doch im Unterschied
zu früher wird daraus nicht mehr die unbedingte politische Konsequenz
gezogen, offensiv zur Aussageverweigerung aufzurufen. Der Grund
hierfür ist eine Diskussion, die nach dem exemplarischen Einsatz von
Beugehaft zur Disziplinierung aussageunwilliger "Zeuglnnen" ihren
Anfang nahm, und die sowohl die individuellen als auch die politischen
Folgen der Aussageverweigerung neu thematisiert.
Bevor die Bundesanwaltschaft zum Zwangsmittel der Beugehaft griff, waren
"die Betroffenen" und damit die subjektive Problemstellung der
Aussageverweigerung kein Thema. Dagegen spielte ihre politische Bedeutung
eine umso größere Rolle. Anna und Arthur wurden zum Symbol des
Widerstandes gegen politische Denunziation und Gesinnungsschnüffelei.
Die Verweigerung, der geforderten Kooperation mit dem Staatsschutz galt als
Dokumentation unseres Widerstandes gegen die Bespitzelung, Erfassung und
Kontrolle von politischer Opposition. Und schließlich versprach die
kollektive Aussageverweigerung, eine praktische Handlungsperspektive zur
Verhinderung massenhafter "Zeuglnnen"-Vorladungen bzw. zur
Blockierung laufender Ermittlungsverfahren zu eröffnen.
Seit jedoch die Beugehaft als ernstzunehmende Bedrohung im Raum steht,
wird über die politische Funktion der Aussageverweigerung kaum noch
geredet; im Extremfall wird sie neuerdings sogar geleugnet. Dagegen ist
eine Debatte in den Vordergrund gerückt, die an unterschiedIichen
Punkten ansetzt, im Kern allerdings stets um die Frage kreist, ob das
Absitzen von Beugehaft nicht ein zu hoher Preis für die
Aussageverweigerung ist. Wobei alle möglichen Überlegungen zur
Entscheidungsfindung herangezogen werden: die eigene Angst vor dem Knast;
der mögliche Verlust von Arbeitsplatz und Beziehung; die Sorge um
Kinder oder anstehende Prüfungen; die Einschätzung, daß die
Mehrheit "der Betroffenen" den Schritt in die Beugehaft sowieso
nicht tut; die Befürchtung, "Märtyrerlnnen" oder
"Heldlnnen" zu produzieren. Nur ein Gedanke fällt
völlig unter den Tisch. Die Erwägung der politischen Konsequenzen
nämlich, die ein Standhalten bzw. Nachgeben gegenüber dem
Zwangsmittel der Beugehaft mit sich bringt.
D h. die augenblickliche Diskussion orientiert sich nicht mehr am Ziel
der Aussageverweigerung und den politischen Interessen, die wir damit
verbinden. Vielmehr macht sie die allgemeine Angst vor Inhaftierung, unsere
politische Schwäche und natürlich vorhandene Erpressbarkeit zur
Richtschnur des weiteren Handelns. Mit dem Ergebnis, daß die
Entscheidung für oder gegen Aussagen zum persönlichen Problem
wird, auf das es keine politische Antwort, sondern nur noch individuelle
Reaktionen gibt.
Dem Entgegenzuwirken, setzt vorraus, die Diskussion um die Beugehaft vom
Kopf auf die Füße zu stellen. Was zunächst einmal bedeutet,
sich an die Gründe uns Zielsetzung der Aussageverweigerung zu
erinnern, und diese zur erneuten Grundlage der Auseinandersetzung zu
machen. Bestimmen wir sie im ursprünglichen Sinn, d.h. als Teil
unseres Widerstandes gegen politische Erfassung und Kontrolle, und wollen
wir uns selber ernst nehmen, kann daraus nur die offensive Aufforderung zur
Aussageverweigerung und zur Inkaufnahme der Beugehaft folgen. Alles andere
wäre ein Zurückweichen hinter die eigene Einsicht in die
politische Notwendigkeit; eine Kapitulation vor der willkürlichen von
der Gegenseite bestimmenden Schmerzgrenze "Knast"; ein Aufgeben
der eigenen Interessen sobald ihre Verteidigung unsere ganze Person
erfordert.
Eine derartige öffentliche Positionsbestimmung zum Thema der
Aussageverweigerung erfordert allerdings eine entsprechende Bereitschaft,
sich sowohl mit den eigenen als auch den Schwächen, der im Einzelfall
direkt betroffenen "Zeuginnen", zu konfrontieren. D. h. wenn uns
die Aussageverweigerung das Risiko einer Inhaftierung wert ist, reicht es
nicht, dies politisch zu vertreten, sondern wir müssen in einem
zweiten Schritt, von uns und anderen, ein demgemäßes Verhalten
einklagen.
Das geht aller Erfahrung nach - insbesondere in der Auseinandersetzung
mit "Zeuglnnen" - nicht ohne Heulen und Zähneklappern
über die Bühne. Schließlich wollen wir alle lieber in der
Sonne liegen, mit Freundlnnen in der Kneipe sitzen, mit dem oder der
Liebsten ins Bett gehen, statt im Knast zu hocken. Und natürlich sind
wir alle nur zu gerne bereit, unser bißchen Freiheit hier
draußen mit allen Mitteln zu verteidigen. Trotzdem bzw. gerade
deshalb gilt es, die politischen Interessen, den persönlichen
Bedürfnissen entgegenzusetzen.
Anders als oft unterstellt wird, bedeutet ein solches Vorgehen
keinesfalls, die Ängste und Schwierigkeiten, die angesichts einer
drohenden Inhaftierung auftauchen, zu leugnen oder gar als
"bürgerliche Kacke" einfach abzutun. Es geht vielmehr darum,
sie nicht zur Grundlage der Debatte zu machen und damit den Anschein zu
erwecken, als sei das jeweilige Verhalten von "Zeuginnen"
Ergebnis ihrer psychologischen Disposition bzw. persönlichen
Lebensumstände. Denn ob sich jemand entscheidet, in Beugehaft zu gehen
oder mit sogenannten "begrenzten Aussagen" den Weg zur
Kooperation zu beschreiten, ist in erster Linie eine Frage des politischen
Kopfes. Und so muß das Ganze - bei allem Verständnis für
die menschlichen Schwierigkeiten und ungeachtet des Wissens um die eigene
Erpressbarkeit - auch diskutiert werden.
Dies ist im Ruhrgebiet bisher nicht gelungen und beweist sich im
Nachhinein als entscheidender Fehler. Denn durch die mangelnde politische
Auseinandersetzung und fehlende Konfrontation der "Zeuglnnen" mit
kollektiven Anforderungen existierte kein Korrektiv zum Versuch, ihre
Verweigerungshaltung mit Hilfe der Beugehaft zu brechen. Statt kritischer
Solidarität und aktiver Unterstützung, dem Erpressungsversuch zu
widerstehen, wurde den Frauen lediglich Mitgefühl und die eigene
Verunsicherung entgegengebracht. Daß sich im Ergebnis die Mehrheit
von ihnen aussagebereit gezeigt hat, ist also zumindest zum Teil unserer
Unfähigkeit geschuldet, den "Zeuglnnen" eine Entscheidung
abzuverlangen, deren politischer Charakter zutage getreten wäre und
die entsprechend auch hätte diskutiert werden können.
Zum Schluß noch ein Wort zu der Behauptung, das
kompromißlose Vertreten der Aussageverweigerung und die Bewertung
jedes Aussageverhaltens als Kooperation mit dem Staatsschutz würde
angesichts der Drohung mit Beugehaft "Märtyrerlnnen"
schaffen: Damit wird unterstellt, daß "Zeuglnnen" sich zu
Opfern ihnen aufoktroierter Ziele machen ließen, was nicht nur eine
entsprechende Absicht behauptet und damit ein ungeheuerliches
Mißtrauen gegenüber der Szene ausdrückt, sondern
gleichzeitig bedeutet, daß den "Zeuglnnen" keine eigene
Entscheidungsfähigkeit zugetraut wird.
Ähnliches ist zur Befürchtung zu sagen, daß die
Bestimmung jedes Aussageverhaltens als politische Kooperation den
Verratsvorwurf impliziere. Denn spätestens seit den
Auseinandersetzungen um die massenhaften Aussagen und Belastungen haben wir
gelernt, zwischen praktischem Verrat und politischen Interessensverkauf zu
unterscheiden. Nicht zufällig hat daher auch die Verratsdebatte im
Zusammenhang mit der Beugehaft noch keine Rolle gespielt.
Erfahrungsbericht einer Zeugin
Im Großen und Ganzen habe ich für mich das Gefühl,
richtig gehandelt zu haben, indem ich Aussagen gemacht habe. Zweifel
bleiben, kommen auch immer wieder auf. Es scheint notwendig zu sein
darzustellen, daß ich keine Aussagen gemacht habe, die dritte
Personen belasten bzw. in diese Geschichte verwickeln könnten.
Wie ich mit der Verhörsituation umgegangen bin, habe ich dort
erzählt, wo ich das Gefühl habe auch offen damit umgehen zu
können. Ich habe das auch zu dem Zweck gemacht, damit diese Leute
wiederum gegenüber anderen klarstellen können, daß die
Aussagen, die in Karlsruhe und Essen gemacht wurden, eine andere
Qualität haben als die, die im Zusammenhang mit den
Startbahnschüssen zunächst gelaufen sind.
Ich wurde dazu gezwungen, Aussagen zu machen. Meine Einstellung zur
Aussageverweigerung schlechthin hat sich dadurch aber nicht von einem Tag
auf den nächsten verkehrt. Nach wie vor finde ich es richtig, Aussagen
im Zusammenhang mit Verfahren nach dem §129a zu verweigern. Trotzdem
können wir in dieser Haltung nicht verharren, ohne zu diskutieren, wie
wir damit umgehen, wenn der Druck auf die Einzelnen, z.B. unter der
Androhung von Beugehaft, zu groß wird. Gibt es in so einer Situation
Wege, möglichst wenig zu sagen, eben um nicht mit dem Staatsschutz zu
kooperieren?
Ich habe gelernt, daß es faktisch kein kollektives Vorgehen gibt,
jedenfalls nicht in der Form, daß alle zum Schluß in der
gleichen Art und Weise handeln. Trotzdem ist das sich-zusammen-hocken und
austauschen, heulen und lachen, gemeinsam nach Lösungen suchen ein
wichtiger Prozeß. Uns als Gruppe der Vorgeladenen unter
Ausschluß anderer Leute zu treffen, war absolut notwendig. Wir haben
allerdings den Fehler gemacht, die Diskussionen um unsere Ängste,
unsere labile emotionale Situation, unsere ökonomischen und
beziehungsmäßigen Probleme nur unter uns zu führen. Aus
Angst, der Statsschutz könnte unsere Schwächen mitkriegen und
genau in diese Kerben hauen, haben wir davon noch nicht mal was in die uns
direkt unterstützenden Kreise fließen lassen. Außerdem hat
aus juristisch-taktischen Gründen keine von uns vorher offengelegt,
wie sie sich nun genau bei ihrer 3. Vorladung zu verhalten gedenke, d. h.
wie die Strategie der Einzelnen aussieht.
Das hatte fatale Folgen. Auf allen Flugblättern, in allen
veröffentlichten Publikationen, auf Plakaten und in politischen
Diskussionen ging es nur um die Aussageverweigerung bis in die letzte
Konsequenz, nämlich für ein halbes Jahr in den Bau zu wandern.
Die unterstützenden Leute fühlen sich jetzt teilweise benutzt und
verarscht, weil die meisten von uns doch Aussagen gemacht haben. Sie hatten
angenommen, wir alle würden im Zweifelsfall für die
Aussageverweigerung in den Knast gehen.
Wir müssen also offener diskutieren. Der Anstoß und das
Bemühen darum muß meiner Meinung nach aber genausogut von den
UnterstützerInnen kommen. Es ist naiv zu glauben, daß da 8 Leute
sind, die diese Situation für sich mal ganz locker wegstecken und mal
eben für einen Frühling und Sommer lang im Knast verschwinden. In
der Theorie habe ich auch gesagt, Aussageverweigerung bis in den Knast. Als
die Bedrohung spürbar war, hatte ich oft das Gefühl an der
Schizophrenie kaputtzugehen. Noch nie zuvor habe ich so intensiv
gefühlt, wie ich mich nach dem Frühling, nach Sonne, Wärme,
bunten Blüten und schönen Gefühlen sehne. - Trotzdem,
jedesmal wenn ich die Sicherheit hatte, mit den anderen zusammen ein
gemeinsames Vorgehen gefunden zu haben, ging es mir gut. Sobald alles
wieder schwankte, ging es mir total beschissen. Ein Grund dafür war,
daß ich nur dann einen Sinn darin sah in den Knast zu gehen, wenn wir
es gemeinsam getan hätten, um zu zeigen, daß wir uns nicht
kleinkriegen und spalten lassen und in der Hoffnung, daß das Vorgehen
des Staatsschutzes Empörung bis in die liberale Öffentlichkeit
hinein auslösen würde. Der Druck der Öffentlichkeit
hätte dann vielleicht bewirkt, daß der Staatsschutz die 6 Monate
Beugehaft nicht hätte durchziehen wollen.
Zu erfahren, daß einige Leute für sich entschieden hatten,
einige Aussagen zu machen und andere nach §55 zu verweigern,
veränderte die Situation für mich. Deshalb mußte ich mich
nochmal mit den wenigen Handlungsalternativen, die ich hatte,
auseinandersetzen. Mir wurde immer klarer, daß ich letztendlich meine
individuelle Entscheidung treffen und tragen mußte. Das hieß,
ich mußte die Spekulationen über ein gemeinsames Vorgehen
aufgeben, zumindest im Zusammenhang mit meiner Entscheidungsfindung.
Ich habe also nochmal intensiver im Knastratgeber gelesen, um mir die
Knastsituation zu vergegenwärtigen. Dann habe ich mit einem geredet,
der selbst mal gesessen hat. Auf der anderen Seite habe ich fiktive
Verhörfragen aufgeschrieben und mich hingesetzt, um sie zu
beantworten. Irgendwann habe ich den Kuli in die Ecke geschmissen und
beschlossen die Aussage zu verweigern; es ist zu riskant und zu kompliziert
mich auf deren Logik einzulassen.
Dann bin ich in den Park gegangen, hab eine Frau getroffen, die mir
sagte, daß sie und andere finden, ich solle nicht in den Knast gehen.
Also habe ich mich wieder an die Fragen gehockt und mich auf deren
Beantwortung eingelassen. Nach einer Weile habe ich sowas wie einen Sog
verspürt, der den Effekt hatte, daß ich mir nach und nach immer
weniger bei der einzelnen Frage überlegt habe, ob ich sie
überhaupt beantworten will. Ich merkte, daß ich sehr damit
beschäftigt war, nur noch zu überlegen, wie ich diese Frage
beantworten sollte, um so wenig wie möglich mit dieser Antwort
auszusagen. Das war also eine Gefahr, in die ich bei einer Vernehmung
geraten könnte für den Fall, daß ich Aussagen machen
würde.
Die Entscheidungen sahen letztlich so aus , daß Einige weiterhin
die Aussage verweigern wollten. Andere wollten zunächst die Aussage
verweigern und sehen, wie sie mit der Knastsituation klarkommen
würden. Daran gemessen wollten sie ihr weiteres Vorgehen bestimmen. Im
Hinterkopf bei uns war dabei, wenn wir alle jede Aussage nach dem §55
verweigern, dann können sie uns nicht sofort einknasten, weil die
Begründung für den Beugehaftbeschluß sich auf unserere
juristisch nicht begründete Aussageverweigerung bezieht. Zumindest
würde sich der Haftantritt verzögern, weil unserer Meinung nach
ein neuer Beugehaftbeschluß gemacht werden mußte, der sich auf
die veränderte Situation bezieht. Also gut, angenommen wir würden
sofort eingeknastet, so wäre der Ermittlungsrichter bestimmt
"froh", nach ca. 3 Wochen eine grundsätzliche
Aussagebereitschaft von uns signalisiert zu bekommen. Wir nahmen an, es
könnte einen Kompromiß geben, sozusagen bis zu 5 Fragen gestellt
zu bekommen, die nicht so "heikel" sind, auf deren Beantwortung
wir uns einlassen können.
Mit diesen Überlegungen im Kopf sind wir am 16.3. nach Karlsruhe
gefahren. Spätestens als klar war, daß die BAW gegen Gabi in
absoluter Härte vorgegangen ist, war auch klar, daß unsere
schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen wurden.
Es war klar, wenn ich jetzt in den Knast gehe, gibt es keine Kompromisse
mehr. Entweder ich bleibe dann das halbe Jahr drin oder ich komme nur raus,
wenn ich die ganze Tortur der Befragung über mich ergehen lasse.
Konsequenz: entweder ich gehe jetzt rein und das für ein halbes Jahr;
oder ich bleib draußen in der Hoffnung, daß sie mich nach
einmaliger Befragung in Ruhe lassen.
Gedanken um Gabi: wie geht es ihr jetzt?
Ich fühle mich beschissen, spüre, daß der Druck
wiederkommt, daß ich mich neu entscheiden muß unter neuen
Umständen. Meine Gedanken schwanken zwischen "Gabi nicht alleine
lassen" und der Angst als "Hardlinerin" in den Augen der
Staatsschutzbehörden dazustehen und im Anschluß an die Beugehaft
weiter mit Mitteln wie Strafvereitelungsverfahren und / oder §129a
Verfahren verfolgt zu werden.
Ich habe dann Aussagen in Kombination mit dem §55 gemacht. Die
Verhörsituation war anstrengend. Mich dazu zu zwingen jede Frage
dahingehend zu prüfen, ob ich sie überhaupt beantworte, ist mir
nicht immer gelungen. Hinzu kam, daß ich mit meiner Nervosität
zu kämpfen hatte. Den Körper unter Kontrolle zu kriegen, um nicht
offensichtlich zu zittern.
In so einer Verhörsituation ist es wichtig auf bestimmte Sachen zu
achten:
Zu jeder Frage rausgehen, damit der Gesamteindruck nicht
hängenbleibt, zu welchen Fragen man/frau sich erstmal mit
Rechtsbeistand beraten muß, und welche Fragen spontan beantwortet
werden. Außerdem gebe ich mir damit die Zeit, in Ruhe über die
gestellte Frage nachzudenken und meine Möglichkeit damit umzugehen.
Wenn ich dann noch die Fragen und Antworten protokolliere, kann ich
nachsehen, ob mir diese Frage nicht schon einmal in einer anderen Variante
gestellt wurde. Es ist wichtig, das Protokoll denen zur Verfügung zu
stellen, die ebenfalls "betroffen" sind, sei es von Vorladungen
oder von Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang.
Jetzt komme ich zu meinen Erwartungen, die ich den Leuten gegenüber
habe, die sich mit Aussageverweigerung beschäftigen. Setzt euch
solidarisch mit den Vorgeladenen auseinander. Versucht die Situation, in
den Knast zu gehen, emotional so weit es geht, an euch heranzulassen.
Guckt, ausgehend von eurem eigenen Standort, was es bedeutet, folgende
Sachen in eure Entscheidung einzubeziehen:
- die eigene politische Einschätzung
- die ökonomische Situation - evtl. Verlust von Wohnung,
Arbeitsplatz, Anspruch auf Ärbeitslosenhilfe usw. - Schulden, die
sich nach einem halben Jahr Beugehaft in Höhe von 7000,- bis
11000,- DM angesammelt haben (Merke: der Knastaufenthalt ist selbst zu
bezahlen!)
- die emotionale Situation - im Herbst ist es leichter in den Knast zu
gehen als im Frühling - wie ist meine psychische Konstitution?
- die soziale Situation - wie ist das mit meiner Liebesbeziehung und
meiner WG zu vereinbaren? - Die meist ziemlich nervende
Auseinandersetzung mit der Familie nicht zu vergessen.
- die Zweifel, ob ich mit der Knastsituation und den Leuten dort klar
komme.
- die Zweifel, ob ich mit der Verhörsituation und den Folgen
klarkomme,
ich kann jeder Zeit wieder vorgeladen werden; der
Beugehaftbeschluß wurde nur ausgesetzt, d. h. ich stehe bei einer
erneuten Vorladung wieder vor der Knastbedrohung;
ich kann nur hoffen, nicht mal in einem Prozeß zu sitzen und da
miterleben zu müssen, wie meine Aussagen in einem BAW-Konstrukt
auftauchen.
Die Anti-Beugehaft - Kampagne
- Ein Szenetheater in vier Akten -
Die Akteure: Grüne und Studis, Autonome und Freizeitalternative,
diverse Initiativlerlnnen und versprengte Liberale, ja selbst einige
Karteileichen, einzelne Vormals-Linke. Sie alle treten plötzlich auf
die Bühne. Empört über die Androhung von Beugehaft.
Entschlossen zum Widerstand gegen diese jüngste Variante staatlicher
Repression. Gemeinsam fordernd:
Keine Aussagen!
Keine Beugehaft!
Lauter Annas und Arthurs.
Scheinbar
1. Akt: Friede auf Erden
Diskutiert wurde zunächst mal nicht. Es ging um
Informationsverbreitung und Protestaktionen. Die Versammlungen wurden von
praktischen und organisatorischen Problemen bestimmt. Ein Manko, das
erkannt, hier und da auch benannt, jedoch nicht ernsthaft thematisiert
wurde. Denn in der ersten Zeit herrschte tatsächlich weitgehende
Einigkeit darüber, daß praktisches Handeln das Gebot sei. Auf
die Offensive der Bundesanwaltschaft, die in dieser Form und im konkreten
Zusammenhang erstmalige Androhung von Beugehaft, sollte schnell und
öffentlichkeitswirksam reagiert werden.
Es gab Flugblätter, Plakate und Aufkleber, Pressemitteilungen,
Veranstaltungen und Kundgebungen, Graffitis, Solidaritäts- und
Spendenaufrufe, eine Fülle größerer und kleinerer Aktionen.
Das Ganze, obwohl im wesentlichen auf's Ruhrgebiet beschränkt und
im Grunde ein unreflektiertes Sammelsurium unterschiedlichster
Aktivitäten, hieß .sehr schnell
"Anti-Beugehaft-Kampagne" und erfreute sich erstaunlich breiter
Unterstützung. Bis hin zu Leuten, die nicht politisches Interesse,
sondern die persönliche Bekanntschaft mit den Betroffenen
motivierte.
Zwar wußte letzlich niemand zu sagen, warum gerade diese und keine
andere Aktion gemacht wurde. Zwar existierten unterschiedliche
Vorstellungen darüber, welche Öffentlichkeit mit welchen Mitteln
und welchem Ziel anzusprechen sei. Zwar gab es Erfahrungen mit
VertreterInnen von Kirchen-, Friedens- und Dritte-Welt-Gruppen, die
Aussageverweigerung richtig, eine Aufforderung dazu jedoch politisch falsch
fanden. Zwar kannten alle die Kneipengespräche, in denen nach einem
dritten Weg zwischen Aussagen und Knast gesucht wurde. Und
schließlich wußten nicht wenige von den Unsicherheiten,
Ängsten und Zweifeln der Zeuglnnen.
Doch von alledem drückte sich in den regelmäßig
stattfindenden Versammlungen nichts aus. Politische Differenzen und
Widersprüche, sofern sie denn Überhaupt mal angedeutet wurden,
verschwanden in Windeseile wieder unter dem Szeneteppich. Alle sonnten sich
in ihrer vermeintlichen Solidarität und Stärke. Und die wenigen
Mißtrauischen, die den schönen Schein mit lästigen Fragen
nach der jeweiligen Motivation bzw. politischen Zielsetzung der
AktivistInnen anzukratzen suchten, ernteten bloß Schweigen.
Alles in allem feierte das längst überholt geglaubte Motto
"Einheit geht vor Klarheit" fröhlich Urstände. Bis dann
den Anträgen auf die Verhängung von Beugehaft stattgegeben wurde
und sich damit bestätigte, was angeblich vorher klar war: Konsequente
Aussageverweigerung bedeutet im Zweifelsfall Knast!
Zwischenspiel: Krieg bricht aus
So locker dieser Satz zuvor im Mund geführt worden war, so
plötzlich verwandelte er sich nun in die unliebsame Erkenntnis,
daß mangelnde Kooperation mit diesem Staat tatsächlich ihren
Preis hat. Sehr zum Entsetzen derjenigen, die die gerade produzierten
Aufkleber "Bedenke: Der Feind ist unendlich gemein!" so ernst
denn doch nicht gemeint hatten. Mit dem Ergebnis, daß sich die
über Wochen verdrängten politischen Unterschiede nun schlagartig
Bahn brachen.
In einer hitzigen Diskussion kam erstmalig alles auf den Tisch, was
zuvor so sorgfältig druntergehalten worden war: Die Unsicherheit
über die grundsätzlich politische Funktion von
Aussageverweigerung. Zweifel an ihrer Bedeutung in der aktuellen Situation.
Kriminaltechnische Überlegungen, welche Aussagen der Gegenseite
nützlich sind und welche nicht. Die Frage nach der eigenen
Entscheidung, wäre mensch selbst betroffen. Die Überzeugung,
daß nichts auf der Welt eine Einknastung wert sei. Und
schließlich der irrationale Horror vor dem Knast ganz generell.
Natürlich nannte kam jemand das Kind beim Namen. Heraus kamen
vielmehr Behauptungen wie: "Wir (!) können es nicht verantworten,
Leute in den Knast zu schicken." Oder: "Gehen die freiwillig (!)
in den Knast, bleiben sie auch nach dem halben Jahr drin." Und:
"Das ganze ist die Sache nicht wert." Bzw: "Zur
Aussageverweigerung bis zum Letzten ist die politische Situation noch nicht
reif." Und besonders interessant: "Die Anti-Beugehaft-Kampagne
ist gescheitert. Eine Aussageverweigerungskampagne haben wir nie
gemacht!"
2. Akt: Täuschen und Tarnen
Doch wer denkt, die endlich aufgebrochene
Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung hätte zu längst
überfälligen Debatten geführt, der unterschätzt die
Verdrängungskünste, Diskussionsunfähigkeit und
Auseinandersetzungsängste der Szene ganz gewaltig. Schon zwei Tage
nach dem mit ach so viel Engagement, persönlicher Betroffenheit und
politischem Verantwortungsgefühl geführten Streit, herrschte
Schweigen wie gehabt. Ganz so, als hätte sich nicht gezeigt, wie tief
die politischen Gräben zwischen den an der "Kampagne"
beteiligten Aktivistlnnen sind.
Da konnten selbst die betroffenen ZeugInnen vorbeischneien und
vermelden, daß sie ungeachtet der Beugehaftbeschlüsse auch
weiterhin keine Aussagen zu machen, sondern - wenn´s denn sein
müsste - in den Knast zu gehen gedächten. Es wurde nicht mal nach
einer Begründung für diese Entscheidung gefragt. Sie weder, was
angesichts der eigenen Bedenken und Ängste nur konsequent gewesen
wäre, politisch in Frage gestellt noch als Lippenbekenntnis
eingeschätzt. Und schlimmer noch: Alle diese Versäumnisse wurden
informell, in privaten Gesprächsrunden nachgeholt, ohne das die
Ergebnisse dieser Küchentischkultur in irgendeiner Form für die
politische Auseinandersetzung fruchtbar gemacht worden wären.
Derweil wurde nach außen hin, auf Flugblättern und in
Redebeiträgen, weiterhin und scheinbar ungebrochen für eine
Aussageverweigerung ohne Wenn und Aber agitiert.
Gemessen an den öffentlich vertretenen Positionen und angesichts
der erklärten Schweigeabsicht zumindest der Zeuglnnen aus dem
Ruhrgebiet hätte also der Umstand, daß sich letztendlich doch
sechs von acht Zeuginnen zu Aussagen erpressen ließen, als politische
Schwäche gewertet werden müssen. Stattdessen wurde das Geschehen
am 16. März in Karisruhe tabuisiert.
Aus unterschiedlichen Gründen allerdings: Von "gebeugten"
Zeuginnen aus Unfähigkeit, mit dem eigenen Verhalten umzugehen. Von
jenen, die sowieso im Ruf der "HardlinerInnen" stehen, aus Angst,
eine Kritik am praktischen Aussageverhalten könnte ihnen als
Verratsvorwurf ausgelegt werden. Und von denjenigen schließlich, die
dem Mehrheitsverhalten der ZeugInnen insgeheim Beifall klatschten, aus
mitleidiger Rücksichtsnahme den in Haft sitzenden
"Märtyrerinnen" gegenüber.
3. Akt: Das Ablenkungsmanöver
Ersatzweise wurde eine Diskussion eingeführt, die gekonnt von den
eigentlichen Fragen ablenkt. Hieß es doch auf einmal:
Aussageverweigerung sei zwar richtig, doch eine entsprechende Kampagne
könne nicht an den Betroffenen vorbei geführt werden. Womit nicht
etwa gemeint war, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Sich in
Zukunft offener, ehrlicher und gründlicher mit (potentiellen)
Zeuginnen auseinanderzusetzen. Ihnen nach Kräften den Rücken zu
stärken und eine Entscheidung zu ermöglichen, die diesen Namen
auch verdient. Sie die Konsequenzen ihres Verhaltens, sei es die
Einknastung oder seien es die politischen und persönlichen Folgen der
Aussagebereitschaft, nicht alleine tragen zulassen.
Nein. Der Hinweis auf die berühmten Betroffenen meint im Gegenteil,
sich nicht einzumischen. Das eigene Verhalten von dem ihren abhängig
zu machen. Zwar wirft ein solches Vorgehen die ZeugInnen auf sich slebst
zurück. Doch hat es unschätzbare Vorteile für beide Seiten.
Die Betroffenen müssen sich nicht rechtfertigen. Egal was sie tun, es
ist akzeptiert. Und die anderen brauchen keine politische Position zu
beziehen. Sie können bei ihrem "Ja" zur Aussageverweigerung
und "Nein" zum Knast bleiben, ohne das eine oder ander zu Ende
denken zu müssen.
4. Akt: Der Untergang
Ergebnis ist, was beim Jeinsagen immer herauskommt und hierzulande
"Realpolitik" genannt wird: Die mehrheitlich getroffene
Entscheidung der Betroffenen wird zum Maßstab des Machbaren
erklärt. Ganz nach dem Motto: Wenn 75% der KandidatInnen das
Klasssenziel nicht erreichen, müssen die Anforderungen gesenkt werden.
Oder wie es auch formuliert wurde: "Wir dürfen die Latte nicht so
hoch hängen, daß niemand mehr drüber springen kann."
Im Klartext heißt das: Die eigene Schwäche wird zur politischen
Linie gemacht.
Noch 'ne Einschätzung
Seit die beiden Bochumerinnen aus dem Knast raus sind, ist es zu einem
rapiden Schrumpfen der Diskussion um Aussageverweigerung und Beugehaft
gekommen. Verständlich, zumal sich diese hauptsächlich
anläßlich der zunächst drohenden, dann eingetretenen
Beugehaft entzündet hat.
Aber mit der Freilassung der beiden Frauen ist letzendlich nur die
Zuspitzung des Konflikts - und das vermutlich nur für eine begrenzte
Zeit - ausgesetzt worden. Wenn wir es mit unserer eigenen Einschätzung
der Funktion von Zeugenaussagen im Rahmen von §129a Verfahren ernst
meinen, dann befinden wir uns nicht am Ende einer
Aussageverweigerungskampagne, sondern mittendrin (am Anfang?).
Wir halten daher eine Zwischenbilanz der Aussageverweigerungskampagne im
Ruhrgebiet für notwendig, zum einen um die Fehler, die gemacht wurden
zu diskutieren und zum anderen, um die Diskussion nach der Perspektive
einer Aussageverweigerung weiterzuführen.
Zu Beginn ein kurzer Rückblick auf die Aussageverweigerungs /
Anti-Beugehaft-Kampagne / im Ruhrgebiet:
nach der Razzia vom 18.12.87 war klar, daß es zu einer Menge
ZeuglnnenVorladungen kommen würde. Nach den Erfahrungen mit
Zeuglnnenaussagen im RheinMain-Gebiet sollte ein ähnliches Desaster
hier vermieden werden.
Die meisten ZeugInnen verweigerten ohne Angaben von Gründen die
Aussage, nur wenige machten Aussagen oder verweigerten nach §55. Bei
den direkt Betroffenen und in der linken Szene herrschte scheinbar
weitgehende Einigkeit über die Notwendigkeit und die Bedeutung von
Aussageverweigerung. Diese Situation setzte sich auch noch in einer
Veranstaltung vom 11. 12. 88 fort, die u. a. das Ziel hatte, die
Aussageverweigerung mit allen möglichen Konsequenzen in einem
über die Betroffenen hinausgehenden Rahmen zu diskutieren. Auch da
schien noch alles klar: konsequente Aussageverweigerung, keine Kooperation
mit dem Staatsschutz! Zu diesem Zeitpunkt zogen jedoch noch wenige in
Betracht, daß dies u. U. Knast bedeuten kann, obwohl es theoretisch
möglich war.
Nachdem die Staatsanwaltschaft den ersten Antrag auf Beugehaft gestellt
hatte, schreckte die Szene auf. Es bildeten sich Anti-Beugehaft-Plena, die
es sich als Ziel gesetzt hatten, die Beugehaft zu verhindern.
Auch zu diesem Zeitpunkt stellte kaum jemand die weitere konsequente
Aussageverweigerung in Frage. Verschiedene Aktionen zur Informierung der
Öffentlichkeit wurden durchgeführt, es wurde versucht, die
Diskussion um Aussageverweigerung und Beugehaft in ein möglichst
breites linkes/linksliberales Spektrum reinzutragen.
Als die Beugehaft dann angeordnet wurde und sich für die
Betroffenen die harte Alternative Aussage oder Knast stellte, da geriet mit
einem Schlag die bisherige scheinbare Klarheit bezüglich
Aussageverweigerung nicht nur bei einigen Betroffenen.ins Schwanken.
Angesichts der jetzt kaum noch abwendbaren Realität Knast, brach die
Diskussion um konsequente Aussageverweigerung, Perspektive und
Durchführbarkeit einer Aussageverweigerungskampagne, individuelle
Zumutbarkeit, Bedründung der Aussageverweigerung etc.heftigst aus.
(Argumente siehe diese Broschüre)
Diese Diskussion wurde jedoch im wesentlichen informell geführt, d.
h. sie fand kaum öffentlich statt. Ein wesentlicher Grund dafür
war die Tatsache, daß nach Bekanntgabe der Beugehaftanordnung von
Betroffenen, berichtet wurde, daß sie auch in Karlruhe bei der 3.
Vernehmung die Aussagen verweigern bzw. sich gegebenfalls auf §55
berufen würden. Angesichts dieser scheinbar getroffenen Entscheidung
wollte niemand die grundsätzliche Diskussion aufwerfen, um die
Betroffenen nicht in Zweifel zu stürzen und um ihnen nicht in den
Rücken zu fallen. Zudem befürchteten einige, daß eine
grundsätzliche Diskussion ein weiteres Handeln blockieren würde.
Öffentlich und kontrovers wurde die Diskussion erst dann wieder
geführt, nachdem die erste Bochumerin in Beugehaft saß und
nachdem in Karlsruhe Aussagen gemacht worden waren.
Fehler, die gemacht wurden:
Die Trennung zwischen politischen Unterstützerlnnengruppen und
konkret Betroffenen konnte nur im Falle der Bochumerinnen teilweise
aufgehoben werden. Sonstige Unterstützerlnnengruppen haben von
Dikussionen und Zweifeln der Betroffenen zu wenig mitgekriegt, mit der
Folge, daß das Kräfteverhältnis und die Entschlossenheit
der Einzelnen falsch eingeschätzt wurden. Dieses hat letztendlich dazu
geführt, daß die Aussagen in Karisruhe für viele
überraschend kamen und bis zuletzt Ratosigkeit darüber bestand,
wie mit dieser Tatsache umzugehen sei. Diese vor Karlsruhe bestehende
Trennung konnte nach dem 16.3. erst recht nicht aufgehoben werden, d. h. es
hat bis heute keine gemeinsame Diskussion über den 16.3. gegeben.
Die Diskussion über individuelle und politische Gründe zur
Aussageverweigerung bzw. welches die Ursachen sind, daß Aussagen
bislang die Regel und nicht die Ausnahme sind, wurde nie gründlich
geführt.
Es wurde zwar öfter die unterschiedliche persönliche und
politische Vorstellung der Menschen, die von ZeugInnenvorladungen betroffen
sind als wichtige zu berücksichtigende Größen genannt, es
ist jedoch nur in Ansätzen gelungen, die diversen Faktoren, die diese
Unterschiedlichkeiten ausmachen, zu konkretisieren und die jeweils daraus
folgenden Konsequenzen für das Verhalten zu diskutieren.
Angesichts der Tatsache, daß auch im Ruhrgebiet letzten Endes
deutlich mehr Aussagen und / oder - Berufung auf den §55 als
konsequente Aussageverweigerungen stattgefunden haben, stellt sich die
Frage nach dem Erfolg und der Perspektive der Aussageverweigerungskampagne.
Polemisch gefragt: War / ist die Kampagne richtig, nur die Menschen haben
versagt?
Der Erfolg der Kampagne läßt sich nicht an
Zahlenverhältnissen festmachen.
Im Rahmen der Aussageverweigerungskampagne wurden bis jetzt mehrere
Dinge erreicht:
- Die Problematik und Gefahr von Zeuglnnenaussagen ist in das
Bewußtsein einer relativ breiten linken Öffentlichkeit
gedrungen.
- Die prinzipielle Aussageverweigerung (ohne juristische Grundlage)
als eine mögliche kollektive politische Antwort auf den Angriff der
Statsschutzbehörden ist für viele linksradikale/linke Menschen
vorstellbar und machbar (?) geworden.
- Der Angriff auf die linksradikale/linke und feministische Szene im
Ruhrgebiet, der mit dem 18.12.87 offen eingeleitet wurde, konnte
zumindest teilweise abgewehrt werden. Es hat keine Aussagewelle gegeben!
Die Aussagen, die letztendlich gemacht wurden, wurden in dem klaren
Wissen um ihre möglichen Auswirkungen und dementsprechend
überlegt gemacht. Von den allermeisten ZeugInnen der ersten
Verhörrunde wurden keine Aussagen gemacht. Und beim Großteil
der "KanditatInnen" der zweiten Runde mußte die BAW
immerhin zu ihrem härtesten Druckmittel Beugehaft greifen, um von
den Leuten Aussagen zu erpressen.
- Die Androhung und Anwendung der Buegehaft hat zu einer Verbreiterung
der Diskussion um Aussageverweigerung geführt. Dieser Effekt war
sicherlich von den Staatsschutzbehörden nicht vorgesehen. Auch der
Versuch, die Diskussion um Aussageverweigerung zu kriminallisiern (mit
Hilfe des §129a) hat nicht die gewünschte Entsolidarisierung
oder Distanzierung bewirkt.
Wir meinen, daß die Aussageverweigerungskampagne fortgesetzt
werden muß. Das Ziel muß bleiben:
Keine Kooperation mit dem Staatsschutz!
Keine Aussagen!
Voraussetzung für eine möglichst breite Verankerung der
Kampagne ist jedoch auch, daß die immer wieder auftretenden Zweifel,
Bedenken und Gegenargumente innerhalb der damit befaßten Szene offen
und solidarisch diskutiert werden und auf die noch offenen Fragen Antworten
gefunden werden. Solche Fragen sind z. B.:
Gibt es eine "weiche Linie" der Aussageverweigerung für
Menschen, die prinzpiell von der Aussageverweigerung überzeugt sind,
jedoch aus bestimmten (politischen, persönlichen) Gründen nicht
Knast dafür in Kauf nehmen wollen? Wo beginnt die"
Kooperation" mit dem Staatsschutz? Wo beginnt Denunziation? Welches
sind die Kriterien, anhand derer wir gemachte Aussagen be- oder
verurteilen'?
Und es muß weiter diskutiert werden, mit welcher politischen
Zielsetzung die Kampagne verbreitert werden kann, damit Aussageverweigerung
als "alltägliches" und "massenhaft" praktiziertes
Verhalten durchgesetzt werden kann.
Laßt sie im Trüben fischen
Diskussionspapier zur Kampagne für Aussageverweigerung
Am 16.03.1989 bekam Gabi H. aus Bochum für ihre Weigerung, der
"Denunziationspflicht" nachzukommen, sechs Monate Beugehaft
aufgebrummt. Im Vorfeld zu den Zeuglnnenvorladungen nach Karlsruhe im
März kam es aufgrund der Tatsache, daß einige der Vorgeladenen
aussagen würden, dazu, daß die Kampagne zur Aussageverweigerung
in Frage gestellt wurde. Die Palette der Argumente reichte vom Vorwurf,
daß die Betroffenen gar nicht anders handeln könnten, als zu
schweigen, da sie durch den Druck der Ansprüche in der Szene nur die
Wahl zwischen Märtyrerin oder Verräterin hätten bis hin zu
der Auffassung, die Kampagne wäre nicht "politisch".
Trotzdem - oder gerade deshalb - weil wir das für eine fatale
Entwicklung halten, wollen wir den Versuch starten, die politischen
Dimensionen und Voraussetzungen für das Gelingen einer solcher
Kampagne zu. thematisieren, denn mit der Beugehaft haben unsere Verfolger
eine neue Waffe erprobt.
Diese Waffe hat sich gegen uns bewährt, die Aussageverweigerung
konnten wir nur vereinzelt erreichen. Man muß kein Wetterfrosch sein,
um zu wissen, woher der Wind weht; um zu wissen, daß mit der neuen
Waffe Beugehaft in Zukunft vermehrt zu rechnen ist, bei der Fahndung gegen
militante Gruppen, bei der Kriminalisierung von Veranstaltungen, bei der
Verfolgung unserer Publikationen, bei der Konstruktion neuer
"terroristischer Vereinigungen".
Keine HeldInnen, keine Märtyrerlnnen! Der Ruf nach
größerer Entschlossenheit, nach Konsequenz und Opferbereitschaft
vergrößert nicht unseren Schutz, sondern produziert nur unsere
"Verräterlnnen". Wenn umgekehrt der Umgang mit der
Denunziationspflicht nur eine persönliche Entscheidung der Betroffenen
ist, wenn unser Umgang mit staatlichen Nachforschungen nur taktisch und
nicht politisch bestimmt ist, dann untergraben wir die Basis jeglichen
politischen Handelns, dann zerstören wir unsere Solidarität
untereinander. Wie wir unsere Kämpfe kollektiv führen wollen und
sollten, so muß auch unser Umgang mit der Repression ein kollektiver
sein.
Das soll nicht heißen, daß DER Verhaltenscodex entwickelt
wird. Gleiches Verhalten ist ungleich für ungleiche Menschen, die in
unterschiedlichen Lebenssituationen leben und unterschiedliche politische
Auffassungen haben. Wir können politische Grundpositionen, die
Richtung, in die unsere politische Intiative, die massenhafte
Aussageverweigerung, zielt, gemeinsam entwickeln, aber nicht detailliert
die einzelnen Handlungen.
Wenn wir die Kampagne, auf einen realistischen Boden stellen und
verbreiten, brauchen wir ein Konzept, das von allen (potentiell)
Betroffenen gemeinsam getragen werden kann. Die Unterschiedlichkeit und
Breite dieses Spektrums müssen wir dabei genauso berücksichtigen,
wie die unterschiedlichen Lebenssituationen der jeweiligen Betroffenen!
Trotz der Teilerfolge im Rhein-Main-Gebiet und im Ruhrgebiet, die
Kampagne Aussageverweigerung greift noch nicht überzeugend. Aussagen
sind die Regel, Aussageverweigerung die Ausnahme. Die - auch bei
Linksradikalen - hohe Aussagebereitschaft wird in Diskussionen, Analysen,
Kritiken und Rechtfertigungen mit vier Faktoren erklärt:
-
Viele meinen, mit größerer persönlicher
Entschlossenheit ließen sich die Probleme mit der, Kampagne
lösen. Größere Entschlossenheit ist natürlich
auf jeden Fall eine gute Sache, doch Skepsis ist angebracht, ob sie
allein ausreichen wird. "Die Aussagen waren und sind nicht (nur)
Ausdruck individueller Schwächen und fehlender persönlicher
Standfestigkeit; in ihnen spiegeln sich vor allem gravierende Fehler
einer gesamten Bewegung wider. Militante Überheblichkeit und
Arroganz, patriarchale Strukturen, Fluktuation und fehlende
Eigenverantwortlichkeit, die sich besonders immer wieder in der
Nichteinhaltung von gemeinsamen Absprachen gezeigt hat - dies sind
Fehler, die schon länger diskutiert wurden, ohne daß dies
jedoch zu ernsthaften Konsequenzen geführt hätte"
(Zitat aus der Plattform zum Startbahn-Prozeß). Unter anderem
auch die mangelnde Bereitschaft, sich auch auf der persönlichen,
alltäglichen Ebene (halt auch Ängste uns Schwierigkeiten)
mit der Bedrohung Knast auseinanderzusetzen. Bevor sie uns trifft,
unterschätzen wir ihre Gewalttätigkeit, nachdem sie uns
getroffen hat, unterschätzen wir unsere Kraft und
Widerstandsmöglichkeiten.
-
Politisch ist die Aussageverweigerung mit dem Kampfverhälfnis
zum Staat begründet worden. Viele der Strömungen, die eine
Kampagne mittragen müßten, haben aber gar kein solches
Verhältnis zum Staat - weder die Grünen, noch
Journalistlnnen von taz bis Emma -. Darüberhinaus: auch viele
Linksradikale verhalten sich entgegen ihren eigenen Analysen, als
hegten sie im Stillen die Hoffnung, sich taktisch geschickt der
Bedrohung entziehen zu können. Eine entsprechende
Unterwerfungsgeste ist die Berufung auf den juristisch-taktisch
ziemlich unbrauchbaren §55 StPO. Wenn unsere Verfolger konkret
an etwas interessiert sind, verzichten sie wegen einer
Unterwerfungsgeste nicht auf Repressalien; sie lassen erst ab, wenn
sie haben, was sie wollen oder wenn wir ihnen gezeigt haben,
daß sie nicht kriegen werden, worauf sie aus sind und ihnen der
politische Preis zu hoch wird.
-
Die Bereitschaft zu Aussagen ist umso größer, je mehr
Distanz zu den verfolgten Taten und / oder Inhalten besteht (siehe
Startbahn): Die Aussageverweigerung wird umgekehrt bestärkt,
wenn neben der Solidarität mit den verfolgten Menschen und
Inhalten (die ja, je nach Strömung unterschiedlich stark
ausgeprägt ist) ein gemeinsamer Inhalt die Aussageverweigerung
mitbegründet und mitmotiviert: der Kampf gegen den
§129a.
-
Besonders fatal sind die Konsequenzen des individuellen
Herangehens an die Zeugniserpressung. Aussagen werden gemacht in dem
(in der Regel irrigen) Glauben, sie würden nicht schaden:
"Ich weiß ja nichts, warum soll ich also Zwangsgeld und
Beugehaft in Kauf nehmen?" In dieser Haltung versteckt ist die
Bestärkung zweier Vorwürfe und Vorurteile: Zum einen ist
sie der heimliche Vorwurf des "Märtyrertums" an die
Leute, die bereit sind Aussagen generell zu verweigern und die
Beugehaft auf sich zu nehmen, zum anderen bestärkt sie die in
dieser unserer Denunziantenrepublik weit verbreitete Haltung,
daß "wer nichts zu verbergen hat, auch aussagen
könne" und entsprechend "wer nicht aussagt, hat auch
was zu verbergen". So richtig und wichtig konsequente und
generelle Aussabeverweigerung ist: eine Kampagne zur
Aussageverweigerung muß einen gangbaren Weg zwischen zu hohen
Ansprüchen und taktischer Beliebtheit (Berufung auf §55,
Teilaussagen, Gedächtnisschwund) finden.
Unser Vorschlag dazu ist eine öffentliche Absichtserklärung,
grundsätzlich jedes.129a-Verfahren zu blockieren, zu verzögern
und zu behindern. Und dies u.a. durch Verweigerung jeglicher Aussage - auch
entlastender Aussage - zu tun.
Das Ziel der Kampagne, die kollektive Aussageverweigerung, wird auch
erreicht über das Verständnis und die Solidarität legaler,
linker, politischer Gruppen bis hin zum Lager des politischen Liberalismus
und sie dazu zu bewegen, sich hinter diese Absichtserklärung zu
stellen.
Für den Kampf gegen den §129a ist das Ziel der Kampagne, die
Aussageverweigerung, eine praktische Handlungsmöglichkeit, die
über die hilflose Aufforderung an unsere Feinde hinausführt, den
von ihnen als Waffe gegen uns eingeführten §129a wieder zu
streichen.
In Verfahren nach diesem Gesinnungs- und Ermittlungsparagraphen, der
insbesondere ja auch soziale Beziehungen kriminalisiert (die Kontaktschuld
ersetzt mangelhafte Tatvorwürfe) kommen ZeugInnenaussagen eine
besondere Bedeutung zu. Um nicht mißverstanden zu werden:
Es geht NICHT um eine Relativierung des Ziels kollektiver
Aussageverweigerung!
Es geht um eine Diskussion auf möglichst breiter Ebene, von
Verständnis, Solidarität bis hin zum konsequenten Einsatz der
Aussageverweigerung und darum, dieses Zusammenwirken als Mittel gegen den
verordneten Denunziantenzwang durchsetzen.
Laßt uns nicht die Abschaffung des §129a fordern, sondern
Aussageverweigerung und Solidarität als eine Möglichkeit
einsetzen, um ihn wirkungslos verpuffen zu lassen.
Die "Auf-Ruhr" zur Anti-Beugehaft-Kampagne
Der § 129 a richtet sich als Angriff gegen
-
militante feministische und linksradikale Gruppen (Rote Zora,
Amazonen / RZ) und
-
gegen Leute, die zu "anschlagsrelevanten" Themen
radikale Positionen vertreten (Zeitungen, Veranstaltungen, Gruppen
... ).
Beide Zusammenhänge werden verfolgt, weil eine Wechselwirkung
besteht, d.h. Konflikte werden initiiert durch Militante (z.B. Angriff auf
Lufthansa) daraus folgen dann Diskussionen. Öffentlichkeit (hier
Flüchtlinge/Sextourismus) oder andersherum Veranstaltungen, Kampagnen
etc. werden gemacht (z.B. IWF), daraus folgen und beziehen sich
Anschläge zu beteiligten Objekten/ Personen.
Die Funktion von, Beugehaft in diesem Rahmen:
Aussagen erzwingen, um die o. g. Zusammenhänge zu durchleuchten
(d.h. bestimmte Mitglieder rauszufinden, einknasten), kriminalisieren,
einschüchtern um Widerstand zu spalten, d.h. Menschen, die legal von
radikalen Positionen aus zu bestimmten Themen arbeiten, sollen sich
entweder zur Kooperation mit dem Staatsschutz entscheiden müssen oder
dazu, solidarisch zu den betroffenen Zusammenhängen zu sein und
verstärkte Repression zu riskieren. Damit ist die Aussageerzwingung
ein Mittel der vorbeugenden Aufständsbekämpfung.
Was haben wir damit zu tun?
Wir als Zeitung verstehen uns als Bestandteil der Zusammenhänge,
die versuchen, eine offene Diskussion über radikale/systemfeindliche
Ansätze und Aktionen zu fördern/führen. Wir wollen
Widerstand verbreitern und finden zur Verschärfung der Konflikte
militante Aktionen notwendig. U.E. sind diese wichtig, um erstens bestimmte
Auseinandersetzungen ins Bewußtsein zu heben (z.B. Shell-Aktionen),
was dann aber verbreitert und diskutiert werden muß. Zweitens sind
militante Aktionen notwendiger Bestandteil bestimmter Kampagnen:
so ist die Parole "Verhindern wir den IWF-Kongreß" nur
im Zusammenhang mit Aktionen sinnvoll gewesen, die die Verhinderung auch
als Ziel hatten (Angriffe auf Hotels, Infrastruktur etc.)
Zur Kampagne gegen Beugehaft:
Sie hat nicht verhindert, daß zwei Frauen in Haft gehen
mußten. Aber Beweis dafür, daß die Kampagne gegriffen hat
ist die Tatsache, daß die BAW von der ursprünglichen Forderung
nach Aussagen runterschrauben mußte auf die Forderung nach
rechtskonformem Verhalten ("Bei der Anordnung von Erzwingungshaft geht
es nicht unbedingt darum, einen Zeugen zu einer Sachaussage, sondern zu
einem gesetzmäßigen Verhalten anzuhalten, das darin besteht, die
Aussage nicht ohne gesetzlichen Grund zu verweigern. (Zitat aus einem
Beugehaftbeschluß)
Zudem hat es eine relativ breite - über die engere Szene
hinausgehende - Diskussion um Aussageverweigerung und zum Verhältnis
zu staatlicher Verfolgung gegeben (gerade auch in Verbiridung mit dem
Strobl-Prozeß). Ein weitergehender politischer Druck der
Öffentlichkeit (zur Freilassung der beiden Frauen) konnte nicht
geleistet werden.
Zu kritisieren ist, daß die Diskussion zu losgelöst von den
Betroffenen geführt wurde. D.h. um die Lücke zwischen abstrakter
politischer Bestimmung und persönlicher Konsequenz zu schließen,
wäre eine Debatte über Knast und das persönliche Umgehen
damit angesagt gewesen. Gefehlt hat die Auseinandersetzung, von welchem
politischen Standpunkt aus sich die Aussageverweigerung als Konsequenz
ergibt (wobei verschiedene Positionen nebeneinander stehen können, wie
"prinzipielle Antistaatlichkeit" oder "aus eigener
politischer Arbeit an bestimmten Themen / Inhalten"...)
Aussageverweigerung ist von vielen Positionen aus sinnvoll, ein Austausch
über diese nötig. Nochmal: es geht nicht darum, eine bestimmte
politische Anschauung als die einzig richtige durchzukämpfen!
Wie weiter?
-
halten wir es für wichtig, daß die Menschen die
Teilaussagen gemacht haben, sich dazu äußern, wie es in
der Situation dazu gekommen ist und wie sie zur Kampagne stehen.
Das hat den Sinn:
-
zu klären, wo wir als Zusammenhang den Betroffenen nicht
genug Rückhalt gegeben haben;
-
die Unsicherheit zu beseitigen, die sich in verschiedenen
Beurteilungen der Aussagen und der Stellung der Zeuglnnen dazu
niederschlägt (von "Teilaussagen sind gar nicht so
schlimm" bis "nahe dran an Verrat"). Es geht uns nicht
darum, den "Verratsvorwurf" zu erheben, sondern darum, die
Verhörsituation besser zu verstehen und zukünftig die
Kampagne offener und kollektiver zu führen.
-
Wir wollen eine Spaltung verhindern in Leute, die
Teilaussagen-gemacht, nach §55 verweigert oder
grundsätzlich verweigert haben und diejenigen, die die Kampagne
politisch unterstützt und getragen haben.
-
Zur Weiterführung der Kampagne ist eine Auseinandersetzung
mit Knast unumgänglich. Nicht nur weil die beiden im Knast
sitzen -, sondern weil eine Konsequenz aus unserer politischen Arbeit
verschärfte Kriminalisierung und Repression ist. Das würde
auch die oben beklagte Lücke zwischen abstraktem politischen
Richtigfinden der Aussageverweigerung und persönlichem Handeln
schließen helfen. Dazu gehört u. E. auch die
Auseinandersetzung und Solidarität mit Kämpfen und
Widerstand, die im Knast stattfinden, wie dem Hungerstreik der
politischen Gefangenen und dem der Frauen in Plötzensee.
-
Anknüpfend an die Erfahrungen aus Frankfurt halten wir es
für richtig, daß die Aussageverweigerung in möglichst
vielen Szenen und Städten thematisiert wird, weil wir denken,
daß Zeuginnenvorladungpn und Beugehaft in Zukunft
verstärkt angewandt werden, um feministische / linksradikale
Zusammenhänge auszuforschen.
Nur durch gemeinsame Diskussion darüber, was wir politisch wollen
und wie wir unserem Ziel näher kommen und durch Klarheit darüber,
daß "der Feind unendlich gemein ist" ,jede Information
über uns gegen uns benutzt (daraus ergibt sich als logische
Folge kollektive Aussageverweigerung) wird es uns möglich sein,
Strukturen aufzubauen, die der Gegenseite den Zugriff auf unsere
Zusammenhänge so schwer wie möglich machen.
Die "Aufrührer"
Interview mit Gabi und Gaby
Knast erinnert an Fabrik - nur daß du bei
Regelverstößen nicht rausfliegst!
F:
Gabi, du hast bei der dritten Vorladung deine Aussageverweigerung zum
ersten Mal begründet, indem du dich wegen des gegen dich laufenden
Ermittlungsverfahrens auf ein generelles Aussageverweigerungsrecht nach
§55StPO berufen hast. Hast du damit gerechnet, trotzdem vom Fleck weg
verhaftet zu werden?
A:
Ich habe es schon für möglich gehalten, in Beugehaft zu
kommen. Jedoch nicht auf der Stelle. Ich dachte vielmehr, vor dem
Haftantritt nochmal nach Hause zu können, um ein paar Sachen zu
regeln. Dementsprechend ging es mir in den ersten Tagen auch nicht so
besonders. Doch wenn du dich erstmal darauf eingestellt hast, drin zu sein,
holt dich der Knastalltag schnell ein. Du fängst an, dir dein
Knastleben zu organisieren.
F:
Wie läuft so ein Knastieben denn ab?
A:
Wir saßen ja im sogenannten" Normalvollzug". Das
hieß in Bühl: Um 7 Uhr Wecken und Frühstück. Von 8 bis
9 Uhr Hofgang für alle zusammen. Von 9 bis 14 Uhr Einschluß.
Unterbrochen durch's Mittagessen und an bestimmten Tagen durch Duschen,
Besuch der Bibliothek, Gang zur Wäscherei. Von 2 bis 5 Uhr gab's
Umschluß. D. h. du konntest Mitgefangene "besuchen", indem
du dich in deren Zelle hast einschließen lassen. Und von 18 bis 22
Uhr war dann Aufschluß, d. h. alle Zellen wurden aufgemacht. Du
kannst dann auf deinem Flur rumlaufen, Fernseh gucken usw. Danach hattest
du dann nur noch eine Stunde, bis um 11 Uhr das Licht ausgemacht wurde.
A:
In Heidelberg war es vergleichbar. Mit einem entscheidenden Unterschied.
Während in Bühl rund zwei Dutzend Frauen auf einem Flur
saßen, du also verschiedene Kontaktmöglichkeiten hattest, sich
unterschiedliche Gruppen von Frauen bilden konnten, es kein großes
Problem war, wenn die eine mit der anderen nicht konnte, da es stets
Ausweichmöglichkeiten gab, war ich in Heidelberg mit nur fünf
Frauen zusammen. Zum Teil saßen sie schon länger zusammen und
hatten sich ein soziales Leben organisiert, bestimmte Verhaltensweisen und
ein Regelsystem für den Umgang miteinander entwickelt, dem du dich als
Neue erstmal unterwerfen mußt, willst du nicht isoliert werden bzw.
für Konflikte sorgen. Es war ein bißchen wie in der klassischen
Kleinfamilie. Eng, eintönig und sozial kontrolliert. Jedenfalls habe
ich, obwohl jeweils nur eine Woche in Bühl und Heidelberg gewesen,
sehr schnell begriffen, warum sich Gefangene gegen den Wohngruppenvollzug
wehren, bzw. umgekehrt, welche Vorteile die Einrichtung von Kleingruppen
für die Vollzugsverwaltung hat.
F:
Und ihr selber? Wie habt ihr euch da eingefügt?
A:
Also bei mir war es so, daß sich nach einiger Zeit eine
Zweiteilung des Tages ergeben hat. Der Vormittag gehörte mir bzw. den
Kontakten nach draußen. Ich habe im Knast so viele Briefe geschrieben
wie noch nie. Der Nachmittag und Abend war dann dem Leben drinnen
vorbehalten. Ich habe viel mit den anderen geredet, mir ihre Geschichten
angehört, geholfen, Briefe zu schreiben. Manchmal war es mir fast zu
viel. Jede ist nur mit sich selbst beschäftigt, den Problemen mit
Freund, Ehemann und Kindern, der Sehnsucht nach Drogen, der
Ungewißheit, was wird nach dem Knast, ohne Geld, ohne Arbeit, ohne
Wohnung. Naja, daneben haben wir oft Karten gespielt, in die Glotze geguckt
und auch viel gelacht. Es gibt eine besondere Sorte von Knasthumor. Du hast
oft einfach auch deinen Spaß gehabt.
A:
Ich war ja nur zwei Wochen drin und habe auch wenige mit den anderen
Frauen zu tun gehabt. Die meiste Zeit habe ich schon mit mir selber
zugebracht. Aber es war kein Problem. Ich habe mich nicht einen Moment
gelangweilt oder wirklich mies gefühlt. Also insgesamt glaube ich
schon, daß du es für ein halbes Jahr ganz gut aushalten kannst.
Das entmündigt, eingeschlossen, alleine sein, ist halb so schlimm.
Mehr Probleme hatte ich damit, erfahren zu müssen, daß ein
Wehren gegen die vielen kleinen alltäglichen Unsinnigkeiten, Ge- und
Verbote, manchmal auch Schikanen nicht möglich ist. Oder besser: Mir
nicht möglich war. Es ist mir immer wieder passiert, daß ich
mich von der allgemeinen Knastatmosphäre habe einlullen lassen, die
eben nicht von Konfrontation und Widerstand geprägt ist, sondern
bestimmt wird vom reibungslosen Mechanismus des immer gleichen
Tagesablaufs, einem eingeschliffenen Verhalten von Gefangenen und
Schließerinnen, das nur selten und für kurze Zeit mal
durchbrochen wird. Mit dem Ergebnis, daß ich es sehr schwer fand und
ständige Konzentration gebraucht hätte, mich da zu wehren, wo es
angesagt gewesen wäre. Oft ist es mir einfach nicht gelungen, habe ich
automatisch funktioniert und dann hinterher gedacht: Warum hast du das
eigentlich mitgemacht?
F:
Und wenn du noch mal zurückblickst? Ist es dir wie deiner Freundin
ergangen?
A:
Also ich habe die Zeit im Knast auch nicht als besonders schlimm
empfunden. Ich denke, ich hätte schon noch einige Monate länger
sitzen können, ohne besonderen Schaden zu nehmen. Natürlich
hat's mich genervt, eingesperrt zu sein, nicht tun zu können, was
ich wollte, liebe Leute zu vermissen. Und dann der Zwang, sich unsinnigen
Vorschriften unterwerfen zu müssen. Ich habe 10 Jahre in der Fabrik
gearbeitet, da war es auch so. Nur in der Fabrik bist du rausgeflogen, wenn
du dir Regelverstöße geleistet hast. Im Knast leider nicht. Doch
die Mitgefangenen, ihre Art, mit Konflikten umzugehen, war mir von
früheren Arbeitskolleginnen her vertraut. Und die Schließerinnen
sind wie Vorarbeiterinnen. Sie spielen ihr Fitzelchen Macht bei jeder
Gelegenheit aus. Was mir geholfen hat, mit dem Ganzen zurechtzukommen,
waren die vielen Blumen und Briefe, die ich bekommen habe. Zu merken,
daß die Leute draußen an dich denken. Trotzdem ist es mir so
gegangen, und andere Frauen haben das für sich auch so beschrieben,
daß ich mir verboten habe, zu intensiv an Leute draußen zu
denken, die ich vermisse. Mir vorstellen, was Freunde und Freundinnen
draußen gerade machen, mich an schöne Situationen
zurückerinnern... Alles das ging nur bis zu einem gewissen Grad.
Läßt du dich darüberhinaus auf solche Gedanken ein, macht
es dich fertig.
Literatur zum Thema
AUFRUHR Nr 5, Zeitung c/o Fahrradladen, Kortumstr 5, 4630 Bochum 1
BRUCHSTÜCKe: Nr. 2, Autonomes Knastbüro, c/o BiBaBuZe,
Aachener Str 1, 4000 Düsseldorf 1
CLOCKWORK 129a, c/o Konkret Verlag, Osterstr 124, 2000 Hamburg 20
(erscheint wöchentlich zum Strobl-Prozeß)
DURCH DIE WÜSTE, Antirepressionsgruppe, c/o Umweltzentrum,
Scharnhorststr 57, 4400 Münster (Buch)
NICHT ZU FASSEN, c/o Prozeßbüro für Ingrid Strobl,
Maastrichstr 49, 5000 Köln 1 (unregelmäßiges
Erscheinen)
RHEIN-MAIN-INFO, Info, c/o Nicaragua-Komittee, 3.WeltHaus, Friesengasse
13, 6000 Frankfurt 90
TEXTE ZUR AUSSAGEVERWEIGERUNG, Knastinfotelefon, c/o Babylonia,
Cuvrystr. 20, 1000 Berlin 36
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