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Datum:
2 /2000
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Zeitung:
terz - autonome Stattzeitung für Düsseldorf und
Umgebung
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Titel: Roter Zorn
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Roter Zorn
Solidarität erforderlich!
Ende letzen Jahres schlug die bundesdeutsche
Repressionsmaschinerie wieder zu: Ingesamt vier Leute aus linken und
antirassistischen Gruppen wurden aufgrund zweifelhafter Denunziationen
festgenommen und inhaftiert. Ihnen wird die Mitwirkung an - inzwischen
längst verjährten - Anschlägen der
"Revolutionären Zellen/ Rote Zora" (RZ) vorgeworfen. Ende
Januar werden zudem noch zwei weitere Linke als angebliche RZ-Mitglieder
in Frankreich verhaftet.
Die Revolutionären Zellen sind seit der
Auflösungserklärung einer ihrer Gruppen 1992 nicht mehr als
einheitliche Untergrund-Gruppierung in Erscheinung getreten. Selbst das
Bundeskriminalamt geht nicht mehr davon aus, "daß die RZ noch
existieren". Warum also Verhaftungen aufgrund angeblicher
Mitbeteiligung an längst verjährten Straftaten? Vieles deutet
darauf hin, daß die Verhaftungen zugleich ein Mittel sind, um eine
antirassistische Arbeit zu diskreditieren und linke AktivistInnen mit
repressiven Mitteln einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Der
Verhaftete Harald Glöde - einsitzend im Düsseldorfer Knast auf
der Ulmer Höh'- war Mitbegründer und Aktivist der
"Forschungsgesellschaft Flucht und Migration" (FFM), die sich
tatkräftig gegen die rassistische Flüchtlingspolitik
engagiert. Zudem scheinen die Staatssicherheitsorgane trotz der
Auflösungen bewaffneter linker Gruppierungen nach wie vor den
politischen Ausnahmezustand vorexerzieren zu wollen, um die vorhandene
staatliche Repressionsmaschinerie öffentlich rechtfertigen zu
können.
Anders ist die polizeiliche Verwüstung des linken
Berliner Zentrums "Mehringhof" durch über 1000
Polizeibeamte schwerlich zu erklären.
Angeblicher Anlaß eines solchen
"Notstands"-Einsatzes mit einem Sachschaden von an die
hunderttausend Deutschmark war eine - logischerweise vergebliche - Suche
nach einem angeblichen Waffen- und Sprengstofflager der RZ. Die
Verhaftungen sind zudem ein trauriges Resultat eines schon
pathologischen Verfolgungswillens innerhalb der bundesdeutschen
Staatssicherheit: Jahrzehntelanger Frust über erfolglose
RZ-Fahndungen scheint dort dazu geführt zu haben, daß nun mit
dubiosen Anschuldigungen von zwei verhafteten Denunzianten
"rechtsstaatliche Rache" verübt werden soll. Denn
außer jenen - über Kronzeugenregelung und angedeutete
Haftverschonung erpressten - dubiosen Anschuldigungen liegt
überhaupt kein rechtsstaatlicher Verhaftungsgrund vor. Den Stein
ins Rollen brachte dazu die Verhaftung des in den siebziger Jahren
untergetauchten RZ-Aussteigers Hans-Joachim Klein 1998 in Frankreich und
seine Auslieferung in die BRD. Pikanterweise sind es gerade die
grünen Oberrealo-Strategen Fischer und Cohn-Bendit, von denen eine
brisante Spur zu Klein führt. Cohn-Bendit brüstete sich
früher damit, Klein die klandestin organisierte "Rückkehr
in die Menschlichkeit" ermöglicht zu haben. Er
unterstützte ihn in seinem französischen Exil und verkaufte
dies sowie zugleich Kleins Räuberpistolen als heroischen Akt der
Humanität. Da der RZ-Aussteiger schon etliche Besuche in seinem
Versteck erhielt, sogar Zeitungsinterviews gab und Publikationen gegen
die RZ-Aktivitäten erstellte, ist davon auszugehen, daß der
Unterschlupf nicht mehr allzu geheim war und Kleins Verhaftung
möglicherweise zu einem "günstigen Zeitpunkt"
erfolgt ist. Denn der grüne Außenminister, der heute
regierungsamtlich Bomben schmeißen läßt, hätte
durch Belastungen Kleins vielleicht einen ziemlichen
"Kollateralschaden" vor der letzten Bundestagswahl erleiden
können. Die Schußwaffe, mit der eine RZ-Gruppe den hessischen
Wirtschaftminister Karry erschoß, war in den Siebzigern in Joseph
Fischers PKW gefunden worden. Allerdings schadete die Verhaftung Kleins
dem zum staatstragenden Kriegsstrategen mutierten Ex-Radikalen nicht bei
dessen Wahl zum Außenminister. Fakt ist allerdings, daß der
inhaftierte Klein durch Denunziation den Auftakt für die
Verhaftungen gab.
Weitere Tipps erhielten die Verfolgungsbehörden von
dem Deutsch-Palästinen-ser Tarek Mousli (s. Foto), der aufgrund des
Verdachtes der Sprengstoffhortung für die RZ festgenommen und
erfolgreich durch die Mangel gedreht wurde.
Der Berliner Karatetrainer Mousli - konfrontiert mit
weiteren Anschuldigungen - versucht nun seinen Kopf zu retten, indem er
dubiose Aussagen über angebliche RZ-Tatbeteiligungen der vier
daraufhin Verhafteten machte. Da der Denunziant zudem über sein
Karatetraining viele Aktive aus der linksraddikalen Szene kennt, ist zu
befürchten, daß noch mehr Leute unter seinen dubiosen
Aussagen zu leiden haben werden.
Solidarität! Unabhängig von der Frage, ob den
Verhafteten wirklich irgendwelche RZ-Bezüge nachgewiesen werden
können, haben sie Solidarität von links verdient. Sie sind
aufgrund von Denunziationen eingeknastet worden und ihnen werden
verjährte Straftatbestände zur Last gelegt.
Als aktive Linke sollen sie den Kopf hinhalten für
eine staatliche Machtdemonstration, mit der vermittelt werden soll,
daß radikaler Widerstand von links in der BRD mit allen Mitteln
unterbunden wird. Obwohl die Zeit des bewaffneten linken Aufbruchs
längst vorbei ist, soll mit diesem staatlichen
"Rachefeldzug" augenscheinlich zugleich antirassistischen und
antifaschistischen Bewegungen die Repressionskeule vor die Nase gehalten
werden.
In Düsseldorf hat dies am 14.1. zum Gegenteil
geführt: Ca.
200 Leute aus linken und antirassistischen Gruppierungen
versammelten sich in Derendorf, um eine Protestkundgebung vor der Ulmer
Höh' abzuhalten.
Dort ist zur Zeit der FFM-Mitbegründer Harald
Glöbe, inhaftiert.
Nach dem Motto "gemeint sind wir alle" wurde
über Redebeiträge verdeutlicht, daß die Verhaftungen
zugleich als staatlicher Angriff auf antirassistische und linke
Netzwerke interpretiert wird. Auch in anderen Städten gab und gibt
es öffentliche Solidarität mit den Verhafteten. Die Forderung
der sich formierenden Solidaritätsbewegung ist eindeutig: Sofortige
Freilassung der Inhaftierten! Spenden sollten überwiesen werden auf
das Solidaritätskonto: Postbank Berlin Stichwort:
"Freilassung" Kontoinhaber: Martin Poell BLZ: 100100 10 - Kto:
2705-104 Weitere Infos via Internet über: www.freilassung.de
"Jedes Herz ist eine revolutionäre
elle!"Wege und Irrwege der radikalen Linken Die
"Revolutionären Zellen/ Rote Zora" sind in der BRD
für die radikale Linke zu einem Mythos geworden. Während sich
die bürgerliche Presse seit dem Aufkommen bewaffneter linker
Gruppen nahezu ausschließlich mit der RAF als "Staatsfeind
Nr. 1" beschäftigte, galten die "RZ" vor allem in
den Hochzeiten der Autonomen-Bewegung in den achtziger Jahren als
Identifikationsobjekt der radikalen Linken. Im Unterschied zur RAF wie
auch teilweise zur "Bewegung 2.Juni" vollzogen die autonom
operierenden Gruppen der RZ ihre militanten Aktionen nicht aus der
persönlichen Illegalität heraus. Statt "Abtauchen"
war dort vielmehr Mitarbeit in den diversen Kampagnen und
Bewegungsströmungen der radikalen Linken angesagt. Dies bedeutete
für die Linksradikalen der RZ, sowohl aktiver Teil der
"legalen" Linken wie auch zugleich anonymer Teil einer
illegalen militanten Praxis zu sein: Ein Unterschied in der
Organisierungsform, der den RZ seitens der "Illegalen" aus RAF
und auch dem 2. Juni wiederkehrend den Vorwurf einbrachte, nur
"halbherzig" für die revolutionäre Sache und vor
allem für die Praxis einer "Guerilla" in der BRD
einzustehen.
Unter den heutigen politischen Verhältnissen mit
einer völlig marginalisierten Linken erscheinen solche
Auseinandersetzungen für viele Linke irrig, aber in der Zeit des
neu-linken 68er-Aufbruchs war der Anspruch auf "Revolutionierung
der Massen" und "antiimperialistischer Befreiungskampf"
in den Metropolen in der Linken ein breit debattiertes Thema. Nach dem
1970 verkündeten Aufbau einer "Roten Armee" durch die RAF
und dem folgenden "Konzept Stadtguerilla" wurde heiß
gestritten um die Frage, ob nun mehr auf die "revolutionären
Massenkämpfe in den Metropolen" oder eher - in
antiimperialistischer Manier - auf die "kämpfenden
Völker" im Trikont mit einer von der lateinamerikarischen
Guerilla abgekupferten Konzeption zu setzen sei. Im Gegensatz zur RAF
setzte die 1972 gegründete "Bewegung 2. Juni" auf den
"Aufbau einer Organisation verschiedener autonomer Gruppen der
Stadtguerilla", die sich eher als eine Art von militanter
Basisgruppe für die hiesigen sozialen Kämpfe verstand. 1973
trat dann erstmals eine "Revolutionäre Zelle" mit einem
Anschlag auf ITT-Niederlassungen in Erscheinung, um ein
antiimperialistisches Signal gegen den Militärputsch in Chile zu
setzen: "Der Kampf kann nur massenhafter werden, wenn wir lernen,
neue Kampfformen zu entwickeln.
Kämpfen wir gemeinsam gegen den
BRD-Imperialismus" hieß es in der ersten
RZ-Anschlagserklärung. Die RZ - schon bald den Plural
"Zellen" benutzend - versuchten sich vom Avantgarde-Konzept
der RAF abzusetzen und über militante antiimperialistische Aktionen
sowie zugleich mit Anschlägen in Bezugnahme auf hiesige soziale
Kämpfe eine enthierarchisierte Verbreiterung militanter Praxis zu
erreichen. 1975 erschien die erste Ausgabe einer illegal vertriebenen
eigenen Zeitung. Im "Revolutionären Zorn Nr.1" hieß
es: "Was wir wollen, ist die Gegenmacht in kleinen Kernen
organisieren, die autonom in den verschiedenen gesellschaftlichen
Bereichen arbeiten, kämpfen, intervenieren, schützen, die Teil
von der politischen Massenarbeit sind. Wenn wir ganz viele Kerne sind,
ist die Stoßrichtung für die Stadtguerilla als
Massenperspektive geschaffen." Solche nahen Revolutionshoffnungen
kamen der Linken jedoch schon bald abhanden: Deutscher Herbst, das
Abflauen außerparlamentarischer Auflehnung und nicht zuletzt auch
verblendete Aktionen und Rechtfertigungen eines bewaffneten Teils der
radikalen Linken führten zu einem beginnenden Skeptizismus
gegenüber einer baldigen Revolutionierung der Verhältnisse,
der auch die RZ ergriff: "Wir (hatten) uns am Ausgangspunkt von
Massenbewegungen geglaubt, die die verschiedensten Sektoren der
Gesellschaft erfassen würden... Vor diesem Hintergrund entstand ein
Konzept des bewaffneten Kampfes, in dem die Stärkung der
Masseninitiativen durch klandestin operierende autonom und dezentral
organisierte Gruppen der erste Schritt eines langwierigen Angriffs auf
die Macht sein sollte. Angriffe gegen zentrale staatliche Institutionen
halten wir zur Zeit für politisch unmöglich: wir können
die Machtfrage nicht stellen! Wir führen keinen Krieg!"
(Revolutionärer Zorn Nr.6/1981) Eine Stellungnahme, die sich auch
als deutliche Entgegnung zur RAF-Strategie lesen lässt und die
aufzeigt, daß auch die eigene Praxis kritisch reflektiert wurde.
Das Organisationskonzept der RZ stellte nicht nur einen wesentlich
höheren Schutz dar für die eigenen Leute sowie für die
klandestine Struktur. Das gleichzeitige Mitwirken der Militanten in den
sozialen Bewegungen ermöglichte zudem auch eher ein Reflektieren
über die eigene Theorie und Praxis - eine Möglichkeit, von der
die RZ nur zum Teil Gebrauch machten...
Robin Hood für die Linken und Unterdrückten? Die
Aktionen der RZ waren vielfältig und spiegeln zum großen Teil
die sozialen Kämpfe von den siebziger bis zu den neunziger
Jahren.
Anschläge gegen Spekulanten und Frauenhändler,
gegen AKW-, Gen- und Biotechnolo-gie-firmen, gegen Kriegspro-duktionen
und Militäreinrich-tungen, gegen Richter und Staatsanwälte,
gegen Ausländerbehörden und Bürokraten... mit
Sprengstoff, Feuer, Knarre und auch mit viel militanter Phantasie wurde
Front gemacht gegen die Normalität kapitalistischer Gewalt. Viele
Aktionen erzeugten dabei mehr als nur klammheimliche Freude: Die
Aktionen der RZ riefen auch Nachahmungen hervor und waren in der
heißen Zeit der Autonomen teilweise nicht von anderen militanten
Auseinandersetzungsformen im Häuserkampf oder am Bauzaun zu
unterscheiden. Manchmal mußte es sogar der legalistischen Linken
schwerfallen, eine RZ-Aktion standhaft zu kritisieren; etwa als 1986
über einen Lüftungsschacht die Computer des Kölner
Ausländerzentralregisters zum Absturz gebracht und somit viele zur
Abschiebung "freigegebene" Flüchtlinge erst einmal wieder
anonymisiert wurden. Bei der RZ stand nicht nur Destruktion, sondern
auch Produktion auf der Tagesordnung: Gegen Fahrpreiserhöhungen
wurden illegal Fahrscheine in Hunderttausender-Auflage nachgedruckt und
verteilt; genauso Lebensmittelgutscheine für Obdachlose:
"Für uns ist diese Aktion nur ein Anfang. Wir sind der Meinung
- wie die Genossen in Italien, Frankreich und Südamerika -
daß auch in der BRD den Armen das gegeben werden muß, was
die Reichen ihnen nehmen, bis sie es sich selber holen. Friede den
Hütten, Krieg den Palästen!" (RZ, Ostern, 1976) Als zwei
Obdachlose daraufhin nach Einlösung dieser Gutscheine zu
Geldstrafen verurteilt wurden, fackelte eine RZ dem verantwortlichen
Richter sowie dem Staatsanwalt in bester Robin Hood-Manier die Karre ab
- Aktionen, bei denen nicht nur unverbesserlichen Linksradikalen ein
warmer Schauer durchs gebeutelte Herz ging. Politischer Mord sollte zwar
laut einer RZ-Grundsatzerklärung ausgeschlossen sein, nicht jedoch
die Schußwaffe, von der die RZ wiederholt Gebrauch machte. In
IRA-Manier wurden beispielsweise dem Chef der Berliner
Ausländerbehörde Knieschüsse verpasst und auch auf andere
Beamte und Richter wurde geballert. Eine Praxis, die 1981 beim
hessischen FDP-Wirtschaftsminister Karry nach erlittenem
Bauchschuß zum Tode führte. Ein "Unfall", wie die
verantwortliche RZ in einem nicht gerade gewissensgeplagten
Bekennerschreiben bedauernd bekundete: "Daß Karry durch
diesen Zufall die Reise in die ewigen Jagdgründe antreten
mußte, bekümmert uns ausschließlich insofern, als dies
nicht geplant war, wir damit das Aktionsziel verfehlten.""
Auch bei anderen Aktionen war die RZ bei der Wahl ihrer Mittel nicht
immer zimperlich. Zum Teil führte eine solche militante Praxis zu
zweifelhaften Erfolgen: Beispiel für einen solchen
"Erfolg" ist die militante Kampagne der Frauengruppe
"Rote Zora" gegen die Textilbekleidungsfirma Adler. Schon in
den Siebzigern entfalteten "Frauen aus der RZ" eine
militant-feministische Praxis. Die "Rote Zora" entwickelte
sich aus RZ-Zusammenhängen, entfaltete eine autonome Praxis und
löste sich nach internen Auseinandersetzungen organisatorisch von
den RZ. Zur Streik-Unterstützung südkoreanischer Arbeiterinnen
gegen ihre Ausbeutung durch die Firma Adler zündete die Rote Zora
eine Bombe in der deutschen Hauptfiliale und deponierte wiederholt
Brandsätze in den Kaufhausfilialen der Bekleidungsfirma. Zwar hatte
die Aktion letztlich positive Folgen für die Forderungen der
streikenden Arbeiterinnen. Allerdings ist kritisch zu hinterfragen, ob
Brandsätze in Kaufhäusern überhaupt als militante linke
Praxis zu rechtfertigen sind, denn solche Aktionen bedrohen
unbestreitbar auch völlig unbeteiligte Menschen. Das Hantieren mit
Sprengstoff hat auch in den eigenen Strukturen zu furchtbaren
Konsequenzen geführt: 1978 versuchte ein RZ-Militanter einen
Sprengsatz am argentinischen Generalkonsulat in München zu
deponieren.
Bei der Überprüfung explodierte ihm die Ladung,
die ihm beide Hände abriss und zu seiner Erblindung führte.
Dies hinderte das bayerische Landeskriminalamt übrigens nicht
daran, den unter Psychopharmaka gesetzten verkrüppelten Menschen
schon Tage nach seiner Krankenhauseinlieferung in Foltermanier zu
verhören. Auch Nachahmungen von RZ-Sprengstoff-Aktionen
führten zu Verletzungen der Beteiligten. Es ist daher
grundsätzlich zu hinterfragen, ob solche propagierten und
durchgeführten Sprengstoff-Aktionen dem RZ-Ziel einer Entfaltung
von Massen-militanz überhaupt dienlich gewesen sind.
Welche Zelle für welche Revolution? Fakt ist mit
Rückblick auf die Geschichte der RZ, daß von der RZ als
konstant politisch homogen strukturierter Gruppe mit diversen
"Aktionseinheiten" nicht gesprochen werden kann. Die Liste der
Anschlagserklärungen ist zwar groß. In ihr finden sich jedoch
sowohl völlig unterschiedliche Politikansätze wie auch ein
unterschiedliches Verhältnis zur Vertretbarkeit gewalttätiger
Mittel. Dies hatte seine Ursache nicht nur darin, daß einige
Militante im Laufe ihrer Entwicklung scheinbar zu veränderten
Einstellungen gekommen sind. Anschlagsziele, Wahl der Mittel und
Erklärungen zeigen auch, daß versucht wurde,
gegensätzliche politische Vorstellungen unter dem Label RZ zu
vereinigen. Nicht nur "Antiimps" (im linken Jargon die
damalige "legale" Unterstützer-Szene der RAF) versuchten
im Zuge des sog. "Front"-Konzeptes der RAF auf den RZ-Zug zu
springen und dieses Label für ihre monolithischen
"Block"-Vorstellungen von US-Imperialismus und
"antiimperialistischen Volksbewegungen" zu nutzen - ein
Versuch, der seitens der RZ durch eine ausführliche und auch heute
noch lesbare Entgegnung über den Unterschied von Antiamerikanismus
und Antiimperialismus beantwortet wurde. Auch dubiose
Sprengstoffdeponierungen und Anschläge wurden unter dem RZ-Logo
vollzogen, von denen sich die RZ distanzierten und von denen bis heute
gerätselt wird, ob dabei Faschisten oder gar Staatsschutzorgane am
Werke waren. Das Konzept "Schafft viele revolutionäre
Zellen!" beinhaltete daher zugleich die Gefahr des Mißbrauchs
der eigenen Ansätze. Allerdings ist auch bei der RZ im engen Sinne
geschichtlich betrachtet nicht von einer einheitlichen politischen
Ausrichtung zu sprechen. Vielmehr sind aus der Gründungszeit zwei
gegensätzliche Strömungen und Politikansätze erkennbar,
die - liest mann&frau die letzten öffentlichen Stellungnahmen
der RZ - schon vor der fatalen Flugzeugentführung 1976 mit
gewaltsamem Ende auf dem Entebber Flughafen in Uganda zu einer
Linienspaltung innerhalb der RZ geführt haben. Die Offenlegung
dieses Konfliktes ist zugleich das scheinbare Ende der RZ, und dies ist
zudem das dunkelste Kapitel dieser militanten Gruppierung der radikalen
Linken.
Auch wir haben mehr Fragen als Antworten...
Nun ist die TERZ nicht das geeignete Medium, um die
Geschichte der RZ detailliert nachzuzeichnen. Sinnig und notwendig ist
vielmehr die Frage, was aus der Geschichte dieses - am ehesten noch
kritisch reflektierenden - Teils der bewaffneten Linken zu lernen
ist.
Grundsätzlich ist im Rückblick erkennbar,
daß die RZ sich im Laufe ihrer Geschichte immer zwischen
unterschiedlichen Strategien bewegt hatten. Einerseits sollten
vorhandene soziale Bewegungen und Kampagnen durch militante Aktionen
unterstützt und radikalisiert werden. Militante Interventionen
sollten dabei existierende politische Ansätze quasi stützen
und festigen. Andererseits haben die RZ eigenständig politische
Themen aufgegriffen und dazu eine militante Praxis entfaltet in der
Hoffnung, damit eine breitere politische Bewegung anzustoßen.
Besonders im Bereich der Flüchtlingspolitik ist dies
rückblickend erkennbar. Schon 1978 - als der Linken das Thema
Rassismus noch weitestgehend fremd war - führte eine RZ einen
Anschlag gegen die Frankfurter Ausländerbehörde durch und
begründete diese Aktion mit dem notwendigen Protest gegen
staatlichen Rassismus. Auch im Bereich der autonomen
Flüchtlingskampagnen waren die RZ mit ihren militanten Aktionen
seit Ende der achtziger Jahre quasi militante Vorläufer einer heute
noch in Ansätzen breiter existenten Bewegung. Allerdings ist
festzuhalten, daß die RZ selber ihre Politik dazu als gescheitert
erklärten. Dies wirft die Frage auf, ob angesichts der heutigen
politischen Regulationsverhältnisse und Meinungs-bildungsprozesse
militante Untergrund-Konzepte überhaupt eine politische Perspektive
auf Erfolg haben. Es ist kritischzu hinterfragen, ob militante
"Zellen"- Konzepte der heutigen, mit dem Rücken zur Wand
stehenden und gesellschaftlich nahezu bedeutungslosen radikalen Linken
überhaupt von Nutzen sein können. Eine "militante
Massenperspektive" wie sie in den siebziger Jahren verkündet
wurde, wäre heutzutage wohl unbestreitbar schiere Phantasterei.
Eine undog-matische und antistaatlich sowie radikaldemokratisch
orientierte Linke muß heute die Debatte über Radikalität
und Mili-tanz grundsätzlich neu diskutieren.
Eine Anlehnung an überholte Stadtguerilla-Konzepte
führt dabei sicherlich nicht weiter. Gerade die
"postfordistische Guerilla" EZLN aus Mexiko zeigt
schließlich, daß heutzutage auch unter zugespitzten Klassen-
und offenen Gewaltverhältnissen seitens der Linken neue Wege
beschritten werden müssen, die sich jenseits eines klassischen
"Bewegungskrieges" vollziehen. Dies gilt für die hiesigen
Verhältnisse unter völlig anderen politischen Bedingungen
natürlich erst recht. Fakt ist, daß den RZ eine Verbreiterung
ihrer militanzorientierten Revolutionskonzepte nicht gelang. Auch die
lesenswerten politischen Stellungsnahmen der RZ stiessen zumeist keine
großen Debatten an: Außerhalb von Szeneblättern fanden
sie größtenteils keine Erwähnung, und in der
linksradikalen Szene wurden sie auch nicht gerade tiefgehend
erörtert. Unter den heu-tigen Verhältnissen müßte
eine radikale Linke völlig neu diskutieren, wie eine subversive
Praxis mit neuen Mitteln und Zielrichtungen entfaltet werden kann.
Mein-ungs-bil-dungsprozesse und Öffent--lichkeitsmobi-li-sie-rungen
funktionieren heutzutage anders als in den Siebzigern. Zudem wäre
grundsätzlich zu hinterfragen, ob eine radikale Linke unter
hiesigen Verhältnissen mit bewaffneten Interventionen durch
Untergrund-Gruppen überhaupt noch irgendeine
"Revolutionierung" erreichen könnte.
Allerdings kann den RZ nicht nachgesagt werden, daß
sie überhaupt keine politischen Fragestellungen zu entwickeln
versuchten. Ihre Grundsatzpapiere wären auch heute noch
bedeutungsvoll für linke Debatten. Dies gilt erst recht für
die letzten (selbst-)kritischen Stellungnahmen aus
RZ-Zusammenhängen vom Anfang der neunziger Jahre.
Dort sind Fehlentwicklungen offen benannt worden, aus
denen die heutige Linke lernen sollte. Dies gilt im besonderen
Maße für den "linken" Antisemitismus, der kaschiert
als antiimperialistisch begründeter Antizionismus zu katastrophalen
Auswüchsen nicht nur in der bewaffneten Linken der BRD geführt
hat. Das Ausmaß eines solchen Irrweges zeigt sich unter anderem
darin, daß erst der RZ-Militante Gerd Albatus, längere Zeit
mitwirkend in der Düsseldorfer Linken, von einer durchgedrehten
pälästinensischen Splittergruppe irgendwo im Libanon ermordet
werden mußte, bevor sich eine RZ-Gruppe zu einer offenen
Selbstkritik bezüglich der eigenen antisemitischen Auswüchse
durchringen konnte. Auch wenn Antizionismus und Antisemitismus nicht
völlig gleichgesetzt werden können, ist rückblickend
eindeutig festzustellen: Eine deutsche Gruppierung, die
"antiimperialistisch" verbrämte Vernichtungsparolen gegen
Israel verkündet und gar gewalttätig gegen jüdische
Einrichtungen oder gar Menschen vorgeht, ist mit allen Mitteln zu
bekämpfen.
Ein solcher sich links postulierender
"Antiimperia-lismus" gehört endgültig auf den
Müllhaufen der Geschichte. Die Selektionen jüdischer
Passagiere bei der Entebbe-Flugzeugentführung durch ein RZ- und
Palästinenserkommando war bei diesen antisemitischen Irrwegen nur
die Spitze des Eisberges. Noch heute ist beispielsweise nicht
endgültig geklärt, ob die Behauptungen des RZ-Aussteigers und
Denunzianten Hans-Joachim Klein über weitere geplante
RZ-Wahnsinnstaten nicht doch einen Wahrheitskern enthielten. Der
RZ-Aussteiger Klein behauptete 1979 in seinem Buch "Rückkehr
in die Menschlichkeit", durch öffentliche Bekanntmachung eine
geplante Ermordung des damaligen jüdischen Berliner
Gemeinderatsvorsitzenden und späteren Zentralratspräsidenten
Heinz Galinski durch ein RZ-Kommando verhindert zu haben. Sollte diese
Behauptung auch nur einen Funken Wahrheit enthalten, so müßte
die Linke dem Denunzianten Klein für diesen "Verrat"
für alle Ewigkeit dankbar sein. Die RZ jedenfalls dementierte weder
diese Behauptung Kleins in aller Eindeutigkeit, noch das angeblich
zugleich geplante Attentat auf den damaligen jüdischen
Gemeindevorsteher in Frankfurt a.M.
Undurchsichtig hieß es in einer offenen Antwort der
RZ auf H.
J. Klein: "Galinski: ihr fahrt auf HJKs Horrorstory
ab, statt zu überlegen, welche Rolle Galinski spielt für die
Verbrechen des Zionismus, für die Grausamkeiten der
imperialistischen Armee Israels, welche Propaganda- und materielle
Unterstützungsfunktion dieser Typ hat, der alles andere ist, als
nur 'jüdischer Gemeindevorsitzender', und: was man in einem
Land wie dem unseren dagegen machen kann." (RZ: Die Hunde bellen,
die Karavane zieht weiter, 1977) Eine Rechtfertigungs-stammelei für
geschichtsvergessene Verschwö-rungs-phantasien, die
wortwörtlich auch in der Nationalzeitung hätte stehen
könnten. Es fällt angesichts solcher Ausformungen
rückblickend schwer, Entschuldigungen für derartige
Auswüchse in der radikalen Linken zu finden. Vielmehr ist
schonungslos zu konstatieren, daß durchgedrehte
Funda-menta-lismus- und Antisemitismus-Propagandisten wie die
pseudolinke "Anitimperia-listische Zelle" (AIZ; eine sich
selbst als RAF-Nachfolger ernannte Anschlagtruppe, bestehend aus zwei
durchgeknallten Bombenlegern) tragischerweise nur als eine extreme
Konsequenz eines sich links definierenden antizionistischen
"Antiimperia-lismus" der bewaffneten Gruppen aus der BRD der
siebziger Jahre betrachtet werden müssen.
Sowohl RAF wie auch 2.Juni und Strömungen innerhalb
der RZ-Gründerzeit haben über Strategiepapiere wie auch
militante Aktionen die Grundlage für einen solchen Antisemitismus
in der bundesdeutschen Linken gelegt.
"Antiimperialismus" bedeutete dort zugleich
Antizionismus, der quasi programmatisch viele Grundsatzerklärungen
dieser Gruppen bis in die achtziger Jahre zierte und das Existenzrecht
Israels als angeblich "künstlich-imperialistischem Staat"
infrage stellte. Alle drei Strömungen der bewaffneten Gruppen
hatten zudem Kontakte zu diversen palästinensischen
Guerilla-Gruppen, in deren Ausbildungscamps sie für den
"antiimperialistischen Kampf" geschult und auch eingesetzt
wurden. Ein solcher "antiimperialistischer Kampf", dessen
Schulung übrigens auch deutsche Neonazis genossen, beinhaltete
nahezu zwangsläufig die Übernahme antisemitischer
Auswüchse. Zwar sind diese Auswüchse in der BRD-Linken
heutzutage glücklicherweise größtenteils nicht mehr
"hip"; eine konsequente inhaltliche Auseinandersetzung mit
solch einem geschichtsvergessenen Wahnsinn steht allerdings nach wie vor
noch aus.
Trotzdem ist die Praxis der RZ nicht reduzierbar auf
solche fatalen Ausformungen. Vielmehr zeigt sich an der Geschichte der
RZ, daß es keine monokausalen Bewertungen über richtige und
falsche Wege gibt im politischen Ringen um linke Postulate von
Gleichheit und Gerechtigkeit, von Freiheit und Solidarität sowie um
den Weg einer revolutionären Praxis. Die RZ waren Teil dieses
Ringens um eine Bekämpfung kapitalistischer Aus-beu-tungs- und
Gewaltverhältnisse. Sie haben versucht, durch die Entfaltung einer
militanten Praxis Anknüpfungspunkte für eine Revolutionierung
der Verhältnisse zu schaffen und aufzuzeigen, daß auch unter
nicht-revolutionären Verhältnissen radikale und
gesetzesüberschreitende Widerstandformen möglich und
nötig sind. Aus diesen Versuchen, aus ihren Fehlern und aus ihrer
Geschichte ist zu lernen für ein aktuelles Bemühen um
Veränderung der bestehenden Gesellschaftsordnung.
Eine Linke, die die heutigen Verhältnisse radikal
infrage stellen will, kommt an der Aufarbeitung der eigenen Geschichte
nicht vorbei.
AL C.
Unverzichtbare Literatur: Edition ID-Archiv (hg.):
Die Früchte des Zorns.
Texte und Materialien der Revolutionären Zellen und
der Roten Zora, 2 Bände, 798 S., 1993, 68 DM
calcül (hg.), Basisgruppe Geschichte: Antisemitismus
in der Linken Broschüre, 55 S., 1999, 5 DM
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