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Datum:
08.02.2000
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AutorIn: Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.,
Köln
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Anschrift:
Aquinostr. 7 - 11, 50670 Köln Tel. 0221/9726920
e-mail:
Grundrechtekomitee@t-online.de
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Pressemitteilung
Die nachträgliche Bekämpfung von "Staatsfeinden" mit
strafrechtlichen Mitteln - oder wie der autoritäre Sicherheitsstaat
staatsfeindliche, terroristische Vereinigungen erfindet: ein aktuelles
Kapitel politischer Justiz
Eine Erklärung des Komitees für Grundrechte und Demokratie
anläßlich einer unterbeschäftigten
Strafverfolgungsbehörde und deren dezemberlicher Coup. Am 19. Dezember
1999 erfand die Bundesanwaltschaft die terroristische Vereinigung
"Revolutionäre Zellen" (RZ) neu. Dazu bediente sie sich -
auf der Suche nach einem angeblichen Sprengstoffdepot - einer kriegerisch
überfallartigen Durchsuchungsaktion im alternativen Berliner
Kulturzentrum MehringHof. Hunderte von eingesetzten Beamten
hinterließen nach gründlicher, aber erfolgloser Arbeit einen
nach Angaben der MehringHof-Betreiber sich auf 100.000,- DM belaufenden
Sachschaden. Zeitgleich wurden drei Personen festgenommen, die vorgeblich
der Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung"
verdächtigt sind. Der staatliche Rückfall in die
Ermittlungsmethoden der 70er und 80er Jahre fand nur geringes
öffentliches Interesse. Staatsschutzaktivitäten gegen politische
Überbleibsel des linksradikalen Milieus schrecken und beunruhigen
gegenwärtig niemanden.
Bürgerrechtliche Beunruhigung und demokratischer Protest
erscheinenuns hingegen überaus angebracht: 1. Die
unverhältnismäßige Staatsschutzaktion gegen
gemutmaßte Mitglieder der RZ basiert auf dem
Anti-Terror-Sonderrechtssystem der 70er und 80er Jahre, das die Grund- und
Verfahrensrechte nach §129a StGB Beschuldigter und die
Verteidigungsrechte massiv einschränkt. Es verkehrt die traditionellen
rechtsstaatlichen Garantien eines fairen Strafverfahrens in
Staatsschutznormen zugunsten eines ohnedies übermächtigen Staates
und dessen Ermittlungsbehörden. Das zum allgemeinen Recht gewordene
anti-terroristische Sonderrechtssystem macht alle Bürgerinnen und
Bürger potentiell zum staatlichen Sicherheitsrisiko.
2. Das Anti-Terror-Sonderrechtssystem verlagerte die Bekämpfung von
"Staatsfeinden" mit strafrechtlichen Mitteln weit ins Vorfeld
strafbarer Handlungen, indem es bereits die Mitgliedschaft, die
Unterstützung und das Werben für eine als existent erachtete
"terroristische Vereinigung" unter Strafe stellte. Nicht die
strafrechtlich relevante Tat wird verfolgt und bestraft, sondern
mögliche Täter, vermeintlich erkennbar an ihrer
"staatsfeindlichen" Gesinnung. Eine Flut von Ermittlungsverfahren
nach § 129a gegen Personen aus dem linkspolitischen Spektrum war in
den vergangenen Jahrzehnten die Folge.
3. Die militanten Gruppen des linksradikalen Spektrums haben sich in den
90er Jahren größtenteils aufgelöst. Eine Gefährdung
für die Sicherheit des Staates ist nirgends ernstlicherkennbar. Statt
das auch in den 70er und 80er Jahren nur wider die Bürgerrechte
wirksame, ansonsten gänzlich unwirksame Instrumentarium abzubauen, die
Befugnisfälle der Ermittlungsbehörden wieder auf ein
rechtsstaatliches Maß zurückzuschneiden, wird es nun,
rückwärts gewandt, zur Bekämpfung mutmaßlicher
Staatsfeinde in aller Schärfe eingesetzt. Dazu mußte erstens die
Kontinuität der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
konstruiert werden. Als ob es nie öffentliche
Auflösungserklärungen, insbesondere der RZ, gegeben hätte.
Zweitens sind die Straftaten, der die nun unter Sonderhaftbedingungen
einsitzenden Verdächtigen beschuldigt werden, strafrechtlich
längst verjährt. Diesen Rechtsverhalt konzediert auch die
Bundesanwaltschaft. Was bleibt, ist drittens allein die unterstellte
Mitgliedschaft einzelner in einer staatsgefährdenden, noch heute
angeblich gefährlichen Vereinigung. Dazu mußte das angebliche
Sprengstoffdepot im linksalternativen MehringHof erfunden werden. Nicht um
Straftaten aufzuklären und um diese strafrechtlich zu sanktionieren,
verfolgt und ermittelt die Bundesanwaltschaft, sondern um individuelle
Mitglieder einer angeblich unverändert wirksamen militanten Gruppe
habhaft zu werden. Das aber bedeutet die Abkehr vom strafrechtlichen Tat-,
hin zum gesinnungsjustiziellen Täterprinzip. Der Staat schafft derart
erst jene Terroristen, mit denen er das Anti-Terror Sonderrechtssystem
fortwährend zum Schaden des Rechtsstaates legitimiert. Dieses
läßt sich mit liberalen und demokratischen
Strafrechtsvorstellungen nicht vereinbaren. Offenkundig geht es nur darum,
allgemein Furcht zu erzeugen und die eigenen viel zu großen
Ämter zu erhalten.
4. Was ist von einem Mitgliedsschaftkonstrukt der Bundesanwaltschaft zu
halten, das nach Presseberichten auf belastende Aussagen eines sogenannten
Kronzeugen beruht, der dafür Strafvergünstigungen erhält?
Welche Beweislast kommt einem Staatsschutzzeugen zu, der, selbst unter
schwerer Strafandrohung stehend, völlig von den
Strafverfolgungsbehörden abhängig ist?
5. Es ist erneut und mit Nachdruck politisch auf eine Revision des im
Rahmen der Terroristenhysterie geschaffenen Sonderrechtssystems zu
drängen, das bis heute liberale Bürgerrechte (Verteidiger und
Verteidigtenrechte) beschneidet. Insbesondere ist die Abschaffung des
§ 129a StGB zu fordern, der geschichtlich in seinen früheren
Versionen (vgl. auch §129 StGB) seit dem Ende des 18. Jahrhunderts
immer die "staatsfeindliche Opposition" unter wechselnden
Überschriften im Visier hatte: Von den Umsturzverbindungen über
die Sozialistengesetze bis zu den terroristischen Vereinigungen.
Die im Zusammenhang mit der Staatsschutzaktion vom 19. Dezember
1999 inhaftierten Sabine E., Harald G. und Axel H. sind freizulassen.
Sie können wegen strafrechtlich relevanter Taten gar nicht mehr
angeklagt werden.
Staatliche Rachegelüste aber haben in einem demokratisch
verfaßten undliberalen Rechtsstaat nichts verloren. Diese
Staatsschutzpraxis untergräbtdas demokratische Rechtssystem
und die Bürgerrechte. Dagegen istdemokratisch oppositioneller
Protest um seiner selbst Willen dringenderdenn je geboten. Hier
wäre endlich eine demokratische Rationalisierungeines vermeintlich
öffentlichen Dienstes angezeigt.
gez. Wolf-Dieter Narr/Dirk Vogelskamp
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