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Datum:
23.12.1999
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AutorIn: Flüchtlingsrat Niedersachsen
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Anschrift: Lange Geismar Str. 73 D-37073 Göttingen
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Solidaritätserklärung
Ein Sondereinsatzkommando der Polizei schießt in Braunschweig am
10. 12. 99 - zynischerweise dem Tag der Menschenrechte - auf den
bulgarischen Flüchtling Zdravko Nikolov Dimitrov. Die angeblichen
Notwehr-Schüsse auf Dr. Nikolov fallen, als dieser unter
Selbstmord-Drohungen sich dagegen wehrt, wegen einschlägiger
Foltererfahrungen in Abschiebehaft genommen und einem Amtsarzt
zwangsvorgeführt zu werden. Der kommunistische Physiker Nikolov war
1992 in Sofia in einem psychatrischen Gefängnis von Ärzten und
Polizisten gefoltert worden, es bestand eine attestierte, akute
Retraumatisierungs- und Suizid-Gefahr. Am 20.12. 99 stirbt Zdravko Nikolov
Dimitrov an seinen Schussverletzungen.
Einen Tag vor seinem Tod durchsucht ein Großaufgebot an
polizeilichen Spezialeinheiten den Berliner MehringHof nach
Sprengstoffdepots. Neben anderen Initiativen sind hier zahlreiche
MigrantInnen-Selbstorganisationen und flüchtlingspolitische
Initiativen beheimatet, unter anderem das Forschungszentrum Flucht und
Migration (FFM). Mit dem FFM arbeitet der niedersächsische
Flüchtlingsrat schon seit Jahren zusammen. Gemeinsam haben wir 1998
eine Publikation über Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen
in der deutsch- polnischen Grenzregion herausgebracht. Ein Mitarbeiter des
FFM wird im Zusammenhang mit der polizeilichen Großaktion verhaftet,
ihm wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zur Last
gelegt. Die Straftaten, an denen er angeblich beteiligt gewesen sein soll,
sind straftrechtlich längst verjährt wie die Staatsanwaltschaft
selbst mitteilt. Bei den Vorwürfen geht es ausnahmslos um
Anschläge, die sich gegen Vollstrecker der deutschen Asylpolitik
richteten.
In einer Zeit, in der der deutsche Bundesinnnenminister laut über
die Abschaffung der Reste des Asylrechts sinniert, wird ein Flüchtling
erschossen - von Angestellten des Staates. Und in dieser Zeit werden einige
Initiativen und deren Mitarbeiter, die staatliche
(Flüchtlings-)Politik kritisch analysieren und kommentieren,
öffentlich als Terroristen gebrandmarkt, kriminalisiert, inhaftiert.
Die Mechanismen, mit denen Ausgrenzung und Stigmatisierung vorbereitet und
hemmungslose Leistungsverweigerung und Entrechtung bei Flüchtlingen
legitimiert und exerziert wurden, sind mittlerweile hinlänglich
bekannt. Dafür ist Berlin mit seiner Umsetzungspraxis des
Asylbewerberleistungsgesetzes inclusive Aushungern und Obdachlos-Aussetzen
von Flüchtlingen ein schauriges Beispiel.
Dass in dieser Stadt jetzt mit durchsichtigen aber trotzdem
funktionstüchtigen Mechanismen der Spaltkeil an die kritische
(füchtlings)politische Öffentlichkeit gesetzt wird, verdient
unser aller Empörung.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen unterstützt die Forderung,
den Mitarbeiter des Forschungszentrum Flucht und Migration und die
anderen beiden Festgenommenen sofort freizulassen.
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