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Donnerstag, den 12.02.2009

Der fünfte und vermutlich vorletzte Verhandlungstag begann damit, dass die Vorsitzende das sog. Selbstleseverfahren für beendet erklärte und noch ein paar RZ-Texte vortragen ließ, die bei der Zusammenstellung des dicken Ordners wohl übersehen worden waren. Bei den Texten handelte es sich um Erklärungen, in denen das Bleiberecht für Roma und Sinti bzw. die Vorverlagerung der EU-Außengrenzen thematisiert wurde. Abschließend wurde eine öffentliche Kontroverse unter den RZ zu einem Hungerstreik von RAF-Gefangenen aus dem Jahr 1985 vorgelesen. Darin kritisiert eine Gruppe aus dem Traditionsverein der RZ unter der Überschrift Es ist zum Kotzen ... einen in der taz veröffentlichten Artikel einer angeblichen Gesamt-RZ, in der diese den Hungerstreik runtermacht. Ehe die Vorsitzende die Beweisaufnahme dann endgültig schloss, wollte sie sich noch vergewissern, ob das sog 'Gipfeltreffen' der RZ in Österreich tatsächlich 1985 stattgefunden hätte und ob der Senat noch den Monat erfahren könne. 'Wohl im Winter', war die Antwort, 'alles war weiß, so wie heute in Stuttgart.'

Dann folgte nach einer kurzen Unterbrechung der Auftritt der Bundesanwaltschaft. Monka erinnerte an die verschiedenen Strafprozesse gegen RZ-Angehörige und wagte die Prognose, dass dies wohl das letzte große Verfahren gegen ein RZ-Mitglied sein würde. Trotz der Kürze des Verfahrens handele es sich durchaus um einen bedeutenden RZ-Prozess. Anders als in Berlin, bei dem es die längsten Grabenkämpfe der Justizgeschichte in Sachen RZ gegeben habe, sei man in Stuttgart zu einem schnellen Ergebnis gekommen. Dazu hätten nicht nur die strenge Beweisaufnahme sowie die beispielhafte und professionelle Verhandlungsführung, sondern auch das offene Auftreten der Verteidigung und das Geständnis des Angeklagten einen erheblichen Teil beigetragen, lobte er alle Beteiligten über den grünen Klee. Deutlich nüchterner in der Wahl der Worte war dann der Beitrag des zweiten Bundesanwalts: er resumierte, dass der Vorwurf der Rädelsführerschaft sich nach der Beweisaufnahme nicht halten ließe, die Mitgliedschaft in der RZ sei aber durch die unstrittige Einlassung erwiesen. Dann folgte ein Abriss zu Thomas’ Person und zur Geschichte der RZ, einer 'terroristischen Vereinigung des letzten Jahrhunderts', der eine Besucherin zu dem Kommentar veranlasste, dass die BAW durchaus mit Guido Knopp vom Zweiten konkurrieren könnte. Monka nahm dann wieder die Begründung der Strafzumessung auf sich: zu Thomas’ Lasten spreche die Bedeutung der RZ, die mit ihren fast 200 Anschlägen die Republik in Atem gehalten habe und schon deshalb mehr als eine Randnotiz der Geschichte sein. Zu seinen Lasten spreche auch, dass er acht Jahre lang Mitglied gewesen sei, möglicherweise auch länger, frühere Zeiträume einer Mitgliedschaft aber nicht Gegenstand des Verfahrens waren. Entlastend müsste allerdings in Rechnung gestellt werden, dass der letzte Anschlag fünfzehn Jahre zurückliegt, ihm ohnehin in keinem Fall eine konkrete Tatbeteiligung hätte nachgewiesen werden könne, dass er sich selbst gestellt und durch seine Einlassung wesentlich zur Verfahrensverkürzung beigetragen hätte. Eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt würde, sei deshalb aus Sicht der BAW angemessen. Außerdem müsste Thomas die Kosten des Verfahrens tragen.

Nach einer kurzen Pause waren die Anwälte an der Reihe. Heinrich Comes bestätigte, dass die RZ angetreten waren, um etwas zu verändern und ihre inhaltliche Kritik an der Flüchtlings- und Asylpolitik nicht nur gerechtfertigt, sondern dringend nötig war. Die Nachrichten über Flüchtlinge, die in Lagern verbrannten, und gewaltsame Abschiebungen in Staaten, die sich Folter auf die Tagesordnung geschrieben hatten, bestärkten sie in einem Anliegen, das angesichts der Bilder aus Lampedusa oder Ceuta nichts an Aktualität verloren habe. Die Politik der Entsorgung derer, die hier Asyl suchten, stünde im krassen Widerspruch zu der Idee eines Weltbürgertums und Weltbürgerrechts, das schon Kant in seiner Schrift Zum ewigen Frieden reklamiert habe. Im zweiten Teil seines Plädoyers kritisierte H. Comes den §129, durch den das Strafrecht vorverlagert und die Befugnisse der Ermittlungsbehörden erheblich ausgeweitet würden. Außerdem bräuchten dem Einzelnen – wie in diesem Prozess - keine konkreten Tatbeteiligungen mehr nachgewiesen werden. Das wäre dasselbe, als würde jeder einzelne Polizeibeamte für die Übergriffe und Gewalttätigkeiten zur Rechenschaft gezogen, die von Zeit zu Zeit über die eine oder andere Polizeiwache an die Öffentlichkeit dringen würden. Allerdings müsse man auch feststellen, dass die Wahrscheinlichkeit der Anwendung des §129 in einem disproportionalen Verhältnis zur Größe der Gefahr steht, die von der Vereinigung ausgeht. Während Anschläge der RZ noch nach fünfzehn Jahren strafrechtlich verfolgt werden, bräuchten sich die Betreiber illegaler Kriege gar nicht zu verantworten.

Edith Lunnebach merkte an, dass es fast schon eine Beleidigung ist, wenn die Verteidigung in der öffentlichen Hauptverhandlung von den Vertretern der Anklage gelobt würde, weil es suggeriert, dass die Anwälte etwas falsch gemacht hätten. Dann kritisierte sie, dass Monka die bisherigen Urteile in RZ-Verfahren alle über einen Leisten geschoren hätte. Einen Kommentar zu dem Berliner Prozess wollte sie sich verkneifen, erwähnte stattdessen aber den Ausgang des Prozesses gegen Gerd Albartus und Enno Schwall. Bei deren Verurteilung hätte sich das Gericht auf die umfangreichen Aussagen von Hermann Feiling gestützt, der sich 1978 bei der Vorbereitung eines Anschlags auf das argentinische Konsulat in München schwer verletzt hatte und unmittelbar danach wochenlang vernommen wurde, obwohl er traumatisiert war und unter dem Einfluss von Morphium stand. Nach ein paar Ausführungen zur Struktur der RZ und der Bemerkung, dass sich das Gericht ja einen Eindruck davon hätte verschaffen können, wie sehr die einzelnen Gruppen ihre Autonomie gegen eventuelle Führungsansprüche verteidigt hätten, und dass dies doch liebenswert sei, beendete sie ihr Plädoyer, indem sie an die Auseinandersetzungen über die Situation der Roma erinnerte, die sie als Rheinländerin Ende der 80er Jahre in Köln selbst mit erlebt hätte.

Damit war auch dieser Verhandlungstag zu Ende. Am nächsten Donnerstag [19.02.2009] wird nun der Senat sein Urteil sprechen. Wie immer um 9:30 Uhr in Stammheim ...

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