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Stuttgarter Zeitung, 20. Febr. 2009

Strafmilderung vorab ausgehandelt

Zwei Jahre Haft auf Bewährung für ehemaligen Vordenker einer linksterroristischen Vereinigung

Ein früheres Mitglied der Revolutionären Zellen ist vom Oberlandesgericht Stuttgart zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Das Urteil ist das Ergebnis einer Prozessabsprache.

Von Stefan Geiger

Der heute 60-jährige Thomas K. war von 1985 bis 1992 in Berlin Mitglied einer Revolutionären Zelle. Das hat er vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gestanden, nachdem die gegen ihn zu verhängende Strafe von den Richtern, der Bundesanwaltschaft und den Verteidiger ausgehandelt worden war. Und nur dafür ist er gestern erwartungsgemäß zu der ausgehandelten Strafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Als kuriose Fußnote ist zu vermelden, dass laut Urteil zwei Monate der Bewährungsstrafe bereits als "vollstreckt" gelten - "zur Entschädigung" für eine überlange Verfahrensdauer. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre.

Der Strafprozess ist in mehrfacher Hinsicht merkwürdig. So unterstellt der Staatsschutzsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts im Urteil fast alle Behauptungen als wahr, die auch in der Anklageschrift enthalten waren. Laut rteilsbegründung war K. nicht etwa erst seit 1985, sondern bereits seit den siebziger Jahren Mitglied einer Revolutionären Zelle in Berlin.

Die Richter halten es auch für erwiesen, dass K. über die Mitgliedschaft hinaus als "Denker" der Revolutionären Zellen durch Schriften und Reden influss auf die Orientierung der Zellen genommen habe. Im Rahmen einer Flüchtlingskampagne" hatten Mitglieder der Zellen damals Anschläge auf Ausländerbehörden sowie "Knieschussattentate" auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde und einen Richter des Bundesverwaltungsgerichts verübt. Die vom Oberlandesgericht zugelassene Anklage der Bundesanwaltschaft bewertete K.s Verhalten noch als Rädelsführerschaft, für die höhere, nicht mehr zur Bewährung aussetzbare Strafen drohen.

Das Spannungsverhältnis zwischen der zugelassenen Anklage und dem Urteil bei nahezu unverändert als wahr unterstelltem Tathergang legt also nahe, dass Gegenstand der Prozessabsprache nicht nur eine Strafmilderung, sondern auch eine Veränderung der rechtlichen Bewertung der Tat war.

Die Prozessabsprache erfolgte erst während der mündlichen Verhandlung. Zunächst war eine langwierige Verhandlung im Stammheimer Hochsicherheitstrakt geplant, obwohl der Angeklagte seit langem auf freiem Fuß ist. Allein für die Vernehmung eines "Kronzeugen" waren mehrere Verhandlungstage eingeplant. An der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen waren Zweifel laut geworden. Nach der Prozessabsprache wurde die Vernehmung des Zeugen überflüssig. K. war Mitglied einer Revolutionären Zelle in Berlin. Er hat keinen Bezug zu Stuttgart. Er konnte hier nur deshalb vor Gericht gestellt werden, weil er sich 2006 in Karlsruhe der Bundesanwaltschaft gestellt hatte. Offensichtlich sollte ein in Berlin vermieden werden.

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