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FAZ 16.01.09

Eine Fußnote des Linksterrorismus

Thomas K. war mutmaßlich ein "Denker" der linksterroristischen "Revolutionären Zellen". 1987 tauchte er unter, 2006 stellte er sich. Angeklagt wird er jetzt in dem Gerichtssaal, in dem auch die RAF-Prozesse geführt wurden.

Von Rüdiger Soldt

STUTTGART, 15. Januar. Auf das schwarze T-Shirt von Thomas K. ist eine geballte Faust gedruckt. Als er auf der Anklagebank im Gerichtssaal in Stuttgart-Stammheim Platz nimmt, wo einst die Prozesse gegen die RAF geführt wurden, lächelt er seinen etwa zwanzig ebenfalls ergrauten linken Sympathisanten auf den Zuschauerbänken immer wieder triumphierend zu. Irgendwie scheint es Thomas K. mit Freude und Stolz zu erfüllen, dass er nun auf dem Platz sitzen darf, von dem aus einst der RAF-Terrorist Andreas Baader das Gericht beschimpfte.

Baader und die RAF sind für Zeitgenossen mit schlechtem Geschmack mittlerweile Bestandteile der Popkultur. Thomas K. und seine merkwürdige Organisation blieben immer unbekannt und eine Fußnote des deutschen Linksterrorismus. 19 Jahre lang war Thomas K., einst mutmaßlich ein führender Kopf der linksterroristischen Organisation "Revolutionäre Zellen" (RZ), untergetaucht. Er lebte "im Wald", wie es in der Diktion der RZ hieß. Im Dezember 2006 stellte er sich der Bundesanwaltschaft. Nun muss sich der mutmaßliche, mittlerweile 60 Jahre alte Terrorist vor dem ersten Senat des Stuttgarter Oberlandesgerichts verantworten: Die Bundesanwaltschaft hat Thomas K. angeklagt, "mindestens seit Sommer 1976 Mitglied" und ab "1983 oder 1984 Rädelsführer" einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein. Der Angeklagte, der ledig ist und als Beruf Lehrer und Informationselektroniker angibt, habe zu den "Denkern" der "Revolutionären Zellen" gehört, sagte der Bundesanwalt. Er habe die "Flüchtlingskampagne" gegen die damalige Asylpolitik maßgeblich mit vorbereitet. Für zwei Anschläge der Berliner Revolutionären Zellen habe er sich eingesetzt und "an der Erstellung der jeweiligen Selbstbezichtigungsschreiben" mitgewirkt. Gemeint sind damit die Schusswaffenattentate auf Harald Hollenberg, den früheren Leiter der Berliner Ausländerbehörde, im Oktober 1986 sowie auf den Bundesverwaltungsrichter Günter Korbmacher im September 1987. Für beide mittlerweile verjährten Straftaten ist nie Anklage erhoben worden, weil der "Feierabend-Terrorist" vermutlich mit Hilfe der Stasi vor einer Durchsuchung durch das Bundeskriminalamt gewarnt wurde und deshalb im Dezember 1987 abtauchen konnte. Thomas K. muss sich deshalb nur für die Mitgliedschaft und Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten. Die Bundesanwaltschaft hält ihn für "eine der dominierenden Persönlichkeiten mit bestimmendem Einfluss" innerhalb der "Revolutionären Zellen".

Doch es könnte schwierig werden, Thomas K. diesen maßgeblichen Einfluss nachzuweisen. Es gibt zwar eine Reihe von Texten, die der "Denker" K. mitverfasst haben soll und die das Gericht zur Beschleunigung der Verhandlung in einem Selbstleseordner zusammengestellt hat.

Doch die "Zellen" sollten "autonom" arbeiten und waren organisatorisch nur locker miteinander verbunden. Auch haben die Anwälte von Thomas K. Zweifel, ob das Gericht die Anklage mit den Aussagen des Kronzeugen Tarek M. hinreichend beweisen kann. Der Kronzeuge soll Anfang Februar an mehreren Verhandlungstagen in Stuttgart aussagen. Der Angeklagte folgte am ersten Verhandlungstag dem Rat seiner Anwälte und nahm zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft nicht Stellung. "Die Bundesanwaltschaft hat einen Täter, jetzt sucht sie eine Tat", sagte sein Anwalt am Donnerstag.

Das Gericht ist wiederum skeptisch, ob es richtig war, die Anklage auf eine Fassung des Paragraphen 129a aus dem Jahr 1987 zu stützen. Denn der Tatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung ist erst durch eine Novellierung im Jahr 2002 genauer spezifiziert worden und ist nun auch anzuwenden, wenn sich die Aktivitäten der terroristischen Organisation gegen die "politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen" eines Staates richten.

Die Lebensgefährtin Adrienne G., mit der Thomas K. fast zwanzig Jahre im Untergrund lebte, ist kürzlich in Berlin wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. In Berlin trafen die Verfahrensbeteiligten eine Absprache - das ist auch für den Stuttgarter Prozess nicht ausgeschlossen. Die Richterin ermahnte den Angeklagten, dessen Haftbefehl ausgesetzt ist und der sich lässig wie ein Passant im Gerichtssaal bewegte, zu den nächsten Verhandlungsterminen zu erscheinen. Ein Text von Thomas K., den das Gericht auswerten will, trägt den Titel: "This is not a love song".

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