taz 15.01.2009
Mutmaßlicher Linksterrorist vor Gericht
"Wir verteidigen auf Freispruch"
In Stuttgart-Stammheim beginnt der Prozess gegen Thomas K. Er soll
Rädelsführer der Revolutionären Zellen gewesen sein.
VON CHRISTOPH VILLINGER
Die JVA Stuttgart-Stammheim: Hier muss sich Helmut K. vor Gericht
verantworten. Foto: dpa
Taucht Tarek Mousli, seit dem Jahr 2000 Kronzeuge der Bundesanwaltschaft
(BAW) gegen die Revolutionären Zellen (RZ), wieder vor Gericht
auf? Das Oberlandesgericht Stuttgart hat den mit neuer Identität
unter dem Schutz des Bundeskriminalamtes Lebenden für den 5.
Februar geladen. Denn heute beginnt im Stammheimer Gerichtssaal
der Prozess gegen Thomas K.
Die BAW wirft dem 60-Jährigen eine seit Mitte der 70er-Jahre
bis Anfang der 90er-Jahre durchgehend bestehende "Mitgliedschaft"
in den RZ vor, erweitert um den Vorwurf der "Rädelsführerschaft",
da Thomas K. "zumindest ab 1983 eine der dominierenden Persönlichkeiten"
in den RZ gewesen sein soll.
Die sich als sozialrevolutionäre Stadtguerilla verstehenden
RZ verübten bis zu ihrer Auflösung Anfang der 90er-Jahre
186 Anschläge. Höhepunkte ihrer "Flüchtlingskampagne"
gegen die damalige Asylpolitik der BRD waren zwei Knieschussattentate
auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg,
1986 und auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht,
Günther Korbmacher, 1987. Thomas K. soll zwar nicht direkt
beteiligt gewesen sein, sich aber "nachhaltig" für die Anschläge
"eingesetzt" und Bekennerschreiben mit verfasst haben. Beweisen
soll dies die Aussage von Tarek Mousli.
Dem inzwischen 49-jährigen Karatelehrer Mousli kam die Polizei
im Laufe der 90er-Jahre auf die Spur. Nach einer Untersuchungshaft
nahm er 1999 die umstrittene "Kronzeugenregelung" in Anspruch und
sagte umfangreich über sich und die angebliche Beteiligung
anderer an Aktionen der RZ aus. Er kam mit einer Bewährungsstrafe
von zwei Jahren davon. Fünf andere Angeklagte bekamen vom Berliner
Kammergericht 2004 Haftstrafen bis zu über vier Jahren.
Thomas K. war zusammen mit seiner Lebensgefährtin Adrienne
G. seit Ende 1987 auf der Flucht. Nach fast 19 Jahren im Untergrund
stellten sie sich am 4. Dezember 2006 in Karlsruhe der BAW. Im Gegenzug
setzte der Bundesgerichtshof (BGH) die Haftbefehle gegen Auflagen
außer Vollzug. Wer sie in den zwei Jahrzehnten unterstützte
und wo sie sich aufhielten, verraten die beiden nicht. "Im Gegensatz
zu vielen illegalen Migranten ist es uns nicht schlecht gegangen
in diesen 19 Jahren", sagte damals Adrienne G. zur taz. Sie wurde
inzwischen gegen ein Bekenntnis zur Mitgliedschaft in der "Roten
Zora", dem feministischen Flügel der RZ, zu einer zweijährigen
Bewährungsstrafe verurteilt.
Bei Thomas K. ist schon der Ort der Anklage strittig. "Die BAW
suchte Stuttgart aus symbolischen Gründen aus", sagt seine
Verteidigerin Edith Lunnebach. Eigentlich müsste er am Ort
der Taten in Berlin oder an seinem damaligen Wohnsitz Hamburg angeklagt
werden. Ein weiteres Problem für die Ankläger ist ein
Urteil des Berliner Kammergerichts, nach dem man nur Mitglied einer
regionalen Gruppe der RZ gewesen sein kann. Doch die BAW kann in
ihrer Anklageschrift Thomas K. keiner dieser Gruppen zuordnen und
hält ihm eine allgemeine "Mitgliedschaft in den RZ" vor. Nicht
einmal ihr Kronzeuge Mousli behauptet, dass Thomas K. Mitglied der
Berliner RZ gewesen sei. "Wir werden deshalb auf Freispruch verteidigen",
so Anwältin Lunnebach.
Da weder die BAW noch der Angeklagte Interesse an einem langwierigen
Verfahren haben, könnten die Stuttgarter Richter zu überraschenden
Ergebnissen kommen. Und Mousli bliebe ein letzter öffentlicher
Auftritt erspart.
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