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Datum:
Januar 2000
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Zeitung:
"So oder So"
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Titel:
Verhaftungen und Durchsuchungen gegen Revolutionäre
(Zellen)
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Verhaftungen und Durchsuchungen gegen Revolutionäre (Zellen)
Am Sonntag, den 19. Dezember 1999 stürmte die berliner Polizei
mit einem Großaufgebot den Mehringhof in Kreuzberg. Vorweg
die Sondereinsatzgruppen, gefolgt von einem Ermittlungsteam der
Bundesanwaltschaft und einem fast 1000- köpfigen Aufgebot von
Polizei und BGS. Das alternative Zentrum wurde von 6.00 Uhr bis
18.00 Uhr durchsucht. Zeitgleich wurden in Berlin und Frankfurt/Main
Wohnungen durchsucht und zwei Männer und eine Frau verhaftet.
Im Mehringhof wurde Kiloweise Sprengstoff gesucht. Gefunden wurde
nichts.
Es wurde aber ein Sachschaden an Türen, Wändern, Einrichtungsgegenständen
usw. im Wert von über 100.000 DM angerichtet. Verhaftet wurden
in Berlin Axel H. (49) und Harald G. (51), die beide auch in Projekten
des Mehringhofes mitarbeiten. In Frankfurt wurde zeitgleich Sabine
E. (53) festgenommen. Ihnen wird von der Bundesanwaltschaft die
Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen bzw. der Rote Zora
vorgeworfen.
Zum Teil sind einige Anklagepunkte bereits verjährt, aber
das hindert die Bundesanwaltschaft nicht, endlich nach Jahren auch
zu einem Schlag gegen die RZ ausholen zu können. Nachdem der
Ermittlungsrichter am BGH die Haftbefehle gegen die drei bestätigte,
wurden sie auf Knäste in Düsseldorf, Frankfurt und Wuppertal
verteilt. Neben dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung werden Harald G. und Sabine E. beschuldigt, an einem
Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für
Asylbewerber in Berlin beteiligt gewesen zu sein. Axel H., der im
Mehringhof als Hausmeister arbeitete, soll das dort gesuchte Sprengstoffdepot
betreut haben.
Schwerer Verrat
Zurück gehen die Verhaftungen und Durchsuchungen auf Verrat.
Schon aus dem Durchsuchungsbeschluß für den Mehringhof
wurde deutlich, daß aktuelle Aussagen den Anlaß gegeben
haben. Bereits im November verhaftete die Bundesanwaltschaft den
40jährigen Tarek Mohamad Ali Mousli unter der Anklage von Anfang
1986 bis Ende 1996 Mitglied der Berliner RZ und dabei an mehreren
Anschlägen beteiligt gewesen zu sein.
Auch dabei gab es acht Hausdurchsuchungen, auch dort wurde im
Mehringhof nach Sprengstoff Gelamon 40 sowie Sprengkapseln gesucht,
den die RZ in den 80er Jahren in einem Steinbruch enteignet haben
sollen. Wie bei den jetzigen Haftbefehlen ging es auch bei Tarek
Mousli. um Anschläge auf den Leiter der Ausländerbehörde,
Harald Hollenberg am 28. Oktober 1986 und auf den Richter am Bundesverwaltungsgericht,
Günter Korbmacher am 1. September 1987. Korbmacher und Hollenberg
waren durch Schüsse in die Beine verletzt worden.
Die RZ hatten die Anschläge mit der Asylpolitik begründet.
Aber beide Aktionen sind verjährt. Außerdem ging es um
einen Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für
Asylbewerber am 6. Februar 1987. Tarek Mousli war schon am 19. Mai
1999 wegen Verdachts der Unterstützung der RZ festgenommen,
am 7. Juli aber aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Seine
erneute Verhaftung im November hatte dann den wohl auch beabsichtigten
Effekt: einen Kronzeugen gegen die Revolutionären Zellen zu
gewinnen.
Tarek M. ist in der berliner Linken kein Unbekannter, sondern als
langjähriger Aktivist bekannt. Auch aus diesem Grund, ist davon
auszugehen, daß seine umfangreichen Aussagen auch Menschen
über den Zusammenhang Revolutionäre Zellen hinaus betreffen.
Der Angriff auf den Staat verjährt nie
Auch wenn die einzelnen Straftaten zum Teil verjährt sind,
handelt die Bundesanwaltschaft nach dem Motto, daß die Halbwertzeit
des bewaffneten Angriffs auf den Staat dem des Urans entspricht.
Jetzt ist es der Bundesanwaltschaft offensichtlich gelungen wirkungsvolle
Ansatzpunkte für Ermittlungen gegen die Revolutionären
Zellen zu finden. Wie auch schon gegen die Rote Armee Fraktion ermittelt
die BAW wegen Aktionen, die teilweise schon 20 Jahre zurückliegen.
Das verdeutlicht nicht nur ein bürokratisches Langzeitgedächtnis,
sondern vor allem auch, daß die Notwendigkeit auch weiter
besteht, an jedem Punkt den Sieg über die fundamentale Opposition
zu vollstrecken. Da spielt es keine Rolle, ob die Aktivist/innen
von damals auch heute noch weiterkämpfen; das ist allemal nur
ein Hebel für die Erpressung, die Rückkehr in die Bürgerlichkeit
mit der Auslieferung der früheren Genoss/innen glaubhaft zu
machen.
Die Bundesanwaltschaft reibt sich natürlich die Hände: Der
Verrat schafft eine Situation, in der darauf spekuliert werden kann, eine
Kettenreaktion auszulösen. Die Inszenierung der Durchsuchung des
Mehringhofes legt auch den Schluß nahe, daß kein Sprengstoff
gefunden werden sollte, sondern ein breites Echo für die Story,
daß jetzt Feierabend ist für die von der BAW so genannten
Feierabendterroristen . So hofft man nun, wie eine BAW-Sprecherin im Focus
mitteilte, daß sich über die aktuellen Verhaftungen vielleicht
auch neues im Fall Karry ergeben könnte. Der damalige hessische
Wirtschaftsminister war 1981 im Schlaf ungewollt erschossen worden:
getroffen werden sollten nur die Beine, wie eine RZ damals nach dem Tod
Karrys erklärte.
Die Kronzeugenregelung
Als eine der wenigen Wahlversprechen, die die Grünen einhalten
wollen, gilt die Abschaffung des in den 80er Jahren gegen die RAF
eingeführten Kronzeugengesetzes. Die Gewerkschaft der Polizei
protestierte zwar pflichtgemäß, aber an der Verlautbarung der
Bundesregierung, die Kronzeugenregelung zum Endes des Jahrtausends
auslaufen zu lassen, schien bisher kein Zweifel zu herrschen. Justamente
zum Ende hin, quasi auf den letzten Drücker, präsentiert die
Bundesanwaltschaft gleich zwei Kandidaten, für die das Gesetz noch
Anwendung finden könnte. Neben Tarek M. ist das Hans-Joachim Klein,
der vor einem Jahr in Frankreich verhaftet und vor wenigen Monaten an
Deutschland ausgeliefert wurde.
Die Rückkehr des Klein
Keine Überraschung war, daß Klein den deutschen
Repressionsbehörden helfen würde. Bereits 1977, als er mit Hilfe
des Spiegels und einem frankfurter Spontimilieu, das heute Minister stellt,
seine Abkehr vom Terrorismus verkündete, drohte er die Nennung von
Namen an. Die Bundesanwaltschaft klagt ihn jetzt wegen dreifachen Mordes
während der Besetzung der OPEC-Konferenz 1975 in Wien an. Fraglich war
es offentlichlich nur, ob er auch seine Freunde unter den Altspontis, die
ihn die Jahre finanziell und publizistisch unterstützten, mit in die
Pfanne haut oder nicht. Nachdem Klein mit der Bundesanwaltschaft
aushandelte, daß er nur Aussagen bis 1977 machen würde, waren
einige froh - denn heute ist es kein Verdienst mehr, mal aktiv gegen die
RAF gewesen zu sein. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist ein Mörder
nur ein Mörder - außer es sind die eigenen.
Dieser indirekte Deal mit der nachrückenden grünen
Beamtenschaft hat natürlich Opfer. So wurde am 15. Oktober 1999 in
Frankfurt der 56jährige Rudolph Schindler verhaftet. Klein hatte ihn
durch die Behauptung belastet, an der Auskundschaftung des wiener
OPEC-Gebäudes beteiligt gewesen zu sein. Rudolph Schindler sitzt
seitdem in Weiterstadt in Untersuchungshaft. Die BAW kündigte weitere
Festnahmen im Zusammenhang mit den Aussagen Kleins an. Der Prozeß
gegen Hans Joachim Klein wird im Frühjahr 2000 vor dem OLG Frankfurt
beginnen. Schon jetzt zeichnet sich ein längeres Verfahren ab, welches
ein spezielles Kapitel des bewaffneten Kampfes der 70er Jahre juristisch
abfertigen soll: Als Zeugen geladen sind u.a.der in Paris gefangene Ramirez
Sanchez, genannt Carlos , sowie Johannes Weinrich, gegen den die berliner
Justiz soeben im Moabiter Prozeß ein lebenslänglich beantragt
hat. Beide sind ehemalige Genossen Kleins. Wie immer die Politik und
Aktionen der Gruppe internationaler Revolutionäre , besser bekannt als
Carlos-Gruppe , im einzelnen zu bewerten sind, im Gegensatz zu Klein aber
haben sich beide bislang in der Haft offensichtlich mit Aussagen noch nicht
verkauft.
Erste Solidarität
In Berlin hat sich für die Verhafteten ein Solidaritätskomitee
gegründet. Eine Pressekonferenz und eine erste Solidaritätsdemonstration
mit ca. 250 Teilnehmer/innen wurde durchgeführt. Die alternativen
Betriebe des Mehringhofes protestierten gegen die Durchsuchung und
erklärten ihre Solidarität mit den Gefangenen. Die berliner
Forschungstelle für Flucht & Migration fordert Freiheit
für ihren Mitbegründer Harald. Ebenso rief der BUKO-Schwerpunkt
Rassismus und Flüchtlingspolitik , im dem Harald mitarbeitete,
auch andere Projekte der Linken dazu auf, die Gefangenen zu unterstützen.
Aus Chile gibt es ein erstes Zeichen internationaler Solidarität.
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