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Datum:
2/2000
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Zeitung:
Lateinamerika Nachrichten
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Titel:
Editorial
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Über einen ironischen Zusammenhang
Am Sonntag, den 19. Dezember führten ca. 600, zum Teil vermummte
Polizeibeamte im gesamten Gebäudekomplex des MehringHof (MH)
eine mit zum Teil brachialen Mitteln vollzogene Hausdurchsuchung
durch.
Der Vorwand für diese Durchsuchung waren die Aussagen eines
nunmehr für die Bundesanwaltschaft tätigen Kronzeugen
Tarek M. Dabei impliziert der Begriff des Kronzeugen , daß
dieser sich auf Kosten der von ihm Belasteten, von eigenen Verfehlungen
frei zu sprechen sucht. Von diesem wurde nun behauptet, daß
sich im MH ein Lager für Sprengstoff und eine sogenannte Koordinationszentrale
der als terroristisch bezeichneten Organisation Revolutionäre
Zellen (RZ) befinden würde.
In diesem Zusammenhang waren unmittelbar zuvor zwei im MH tätige
Leute in ihren Wohnungen unter dem Vorwurf einer Mitgliedschaft
in eben jener Organisation verhaftet worden. Sie werden von dem
Kronzeugen beschuldigt in den Jahren 1986/87 an - allerdings verjährten
- Aktionen der Revolutionären Zellen gegen die imperialistische
Flüchtlingspolitik und das Abschiebungsregime teilgenommen
zu haben. Obwohl die Polizei in einer ersten Angriffswelle (so ein
Bulle) Schlösser und Türen im Werte von 100.000 DM zerstörten,
fanden sie weder das eine noch das andere. Was sie aber fand oder
besser: antraf, waren die übrig gebliebenen Gäste einer
von der Bolivengruppe im FDCL veranstalteten Party.
Sie hatte neben Fun und gute Laune, den Zweck, Geld für die
Ausreise eines Bolivianos zu sammeln, dem schon durch die Behörden
die Ausweisung angedroht worden war. Die Spezialpolizisten und die
GSG 9-Beamten nahmen zunächt alle zwanzig Partygäste fest,
und überprüften stundenlang ihre Personalien. Kein Anruf
nach Draußen war erlaubt, keine Unterhaltung untereinander,
dafür gabs aber Schläge und Beleidigungen. (Rede auf der
vom MH am 21.12.99 einberufenen Pressekonferenz)
Die Polizei zögerte nicht, sieben Leute aufgrund ihres unklaren
Aufenthaltstatuses sofort in Gewahrsam zu nehmen. Bei einem der
in Gewahrsam genommenen wurde zusätzlich noch eine Hausdurchsuchung
vorgenommen, bei der sofort eine weitere Person wegen eines unklaren
Aufenthaltstauses festgenommen wurde. Und um diese deprimierende
Geschichte kurz zu Ende zu erzählen: Zwischenzeitlich wurden
schon drei Bolivianos Opfer jenes Abschiebungsregimes und aus diesem
schönen Land ausgewiesen. Die Bundesanwaltschaft (BAW) führt
also den größten Polizeieinsatz gegen den Mehringshof
in dessen 20 jähriger Geschichte in einem Umfang durch, der
zumindest in den 70er Jahren niemand hätten zögern lassen,
ihn von seiner Intention und Ausmaß als faschistisch zu bezeichnen.
Dabei fahndet die BAW nach dem Gespenst einer sich um die Jahreswende
1991/92 als politisch übergreifender Zusamenhang auflösenden
Organisation namens Revolutionäre Zellen und findet - nichts.
Was die BAW aber findet und fängt, ist u.a. mit Harald von
der Forschungsstelle Flucht und Migration mindestens einen Mitarbeiter
aus der Flüchtlingsunterstützungsarbeit und drei als illegal
deklarierte Bolivianos, um sie daraufhin abzuschieben.
So oder so: Die Politik der BAW sucht den MehringHof in der Öffentlichkeit
mit fantastischen Bombenbauspekulationen nicht nur als eine Art
Terrorzentrale zu stigmatisieren. Der Ablauf und die Form der zersörungswütigen
Durchsuchungsaktion macht deutlich, das in der neuen Reichshauptstadt
ein Platz für die, die für ein breites Spektrum linker
Politik, von Linksliberal bis Linksradikal (einstehen), das nicht
in einem Begriff einzuordnen geht , nicht vorgesehen ist. (Rede
auf der ...) Der Preis, den alle zahlen sollen, die in dem Totalitarismus
der eindimensionalen Verhältnisse im globalisierten Kapitalismus
im Wege stehen, besteht in der Bedrohung, schlicht als überflüssig
markiert, entweder in den Knast oder außer Landes gewiesen
zu werden.
Auf der anderen Seite werden die Revolutionären Zellen ihre
eigenen - nur zum Teil veröffentlichten - Gründe dafür
gehabt haben, mit der Form ihrer Politik als auch mit ihrer Organsiation
aufzuhören; an der Auswahl eines vermeintlich falschen Themas
Flüchtlingspolitik kann jedoch ihr Ende nicht gelegen haben.
Die Abschiebung der drei Bolivianos ausgerechnet als eine Folge
der Anti-RZ-Aktion der BAW erinnert uns uns an einen Zusammenhang,
der zumindest in diesem Fall als ironisch bezeichnet werden muß.
Und als so etwas kann eine paradoxe Konstellation gelten, die einem
als frivoles Spiel einer höheren Macht erscheint. Und die liegt
hier unzweifelhaft vor. Es liegt an allen, diesen völlig falschen
Zusammenhang in der Zukunft in einem politischen Sinne zu durchbrechen.
Die Redaktion der LN schließt sich der Forderung nach Freilassung
der am 19.12.1999 von der Bundesanwaltschaft Inhaftierten vorbehaltlos
an und bittet um Spenden auf das
Spendenkonto, Stichwort "Freilassung" Martin Poell Postbank
Berlin, BLZ 100 100 10
Konto-Nr. 2705-104
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