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Datum: 11.05.2000
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Zeitung:
ak - analyse & kritik Nr. 438
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Titel:
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg
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Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg Wegen RZ-Vorwürfen Verhaftete
in den Fängen der BAW
Jahre nachdem das Kapitel bewaffneter linker Politik in der Bundesrepublik
von den jeweiligen Akteuren selbst ad acta gelegt wurde, holt die
Bundesanwaltschaft (BAW) erneut zum Schlag aus. Mit den Verhaftungen
am 19. Dezember 1999 in Berlin und Frankfurt, den Festnahmen von
zwei angeblichen RZ-Mitgliedern in Frankreich und dem Frankfurter
Verfahren gegen Hans Joachim Klein und Rudolf Schindler soll nun
das Kapitel Revolutionäre Zellen (RZ) juristisch und dadurch
vermittelt (staats-)politisch abgeschlossen werden.
Am 19. Dezember letzten Jahres initiierten BAW, Bundeskriminalamt
(BKA) und der polizeiliche Staatsschutz unter Zuhilfenahme der "Anti-Terror-Einheit"
GSG 9 und der Berliner Polizei ein polizeiliches Großereignis,
das wohl nicht ungewollt an die groß angelegten Fahndungsmaßnahmen
gegen "Terroristen" in den 70er und 80er Jahren erinnern
sollte. Insgesamt 1.000 Staatsbedienstete in den unterschiedlichsten
Funktionen beteiligten sich an der Durchsuchung des Berliner Alternativzentrums
Mehringhof - bei dem ein Sachschaden von rund 100.000 DM entstand
- und der Verhaftung von Axel H. und Harald G. in Berlin sowie der
Festnahme von Sabine E. in Frankfurt/Main.
Die Aktion vom 19. Dezember in Berlin und die Verhaftung der drei
war nicht der Beginn und auch nicht der Schlusspunkt des aktuellen
staatlichen Versuchs, von dieser Seite aus mit den RZ abzurechnen
- aber es war wohl der spektakulärste. In Sachen RZ konnte
die BAW bislang wenig vorweisen. Viermal wurden seit Bestehen der
RZ und der Roten Zora Verfahren wegen angeblicher Mitgliedschaft
in einer terroristischen Organisation nach §129a durchgeführt.
1977 gegen Gerd Albartus und Enno Schwalbe; 1978 gegen Rudolf Raabe;
1980 gegen Hermann Feiling, Sybille Straub und Sylvia Herzinger
und 1989 gegen Ingrid Strobl.
Eine miese Geschichte von Anfang an
Anfang 1977 wurden Gerd Albartus und Enno Schwalbe verhaftet; ihnen
wurde vorgeworfen, einen missglückten Anschlag auf ein Kino
in Aachen verübt zu haben, in dem der Film "Unternehmen
Entebbe" gezeigt wurde. Eine Verurteilung der beiden war nur
mit Hilfe des 1978 bei einer Bombenexplosion schwer verletzten Hermann
Feiling möglich. Feiling wurde, obwohl er vernehmungsunfähig
war und unter dem Einfluss starker Medikamente stand, viereinhalb
Monate völlig von der Außenwelt abgeschottet und verhört.
In diesen "Aussagen" tauchten auch die Namen von Rudolf
Schindler, der seit Oktober 1999 in U-Haft sitzt, und Sabine E.,
die am 19. Dezember in Frankfurt/Main festgenommen wurde, auf. Beide
entzogen sich damals weiterer Verfolgung, indem sie von der Bildfläche
verschwanden. Beide kehrten allerdings später wieder nach Frankfurt
zurück.
Das "Belastungsmaterial", das durch die illegale Befragung
des schwer verletzten Feiling zu Stande kam, war 1978 auch die Grundlage
für den Versuch, einen Prozess gegen Rudolf Raabe zu eröffnen,
der sich dieser Prozedur jedoch durch Flucht ins Ausland entzog.
1982 stellte Raabe sich allerdings den bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden.
Im anschließenden Prozess wurde er von allen Anklagepunkten
freigesprochen - lediglich wegen Urkundenfälschung wurde er
zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Verfahren gegen Hermann Feiling
wurde während des Prozesses, der 1980 begann, eingestellt.
Sybille Straub wurde auf Grund der illegalen Vernehmungsprotokolle
zu 15 Monaten auf Bewährung verurteilt. Sylvia Herzinger wurde
freigesprochen. Nach groß angelegten Razzien und Fahndungen
wurden am 18.12.1987 Ingrid Strobl und Ulla Penselin verhaftet,
denen die Mitgliedschaft bzw. die Unterstützung der Revolutionären
Zellen/ Roten Zora vorgeworfen wurde.
Eine breite Solidaritätskampagne machte damals die abenteuerlichen
Konstrukte der Bundesstaatsanwaltschaft immer wieder öffentlich
und half der Verteidigung, die Ankläger in Argumentationsschwierigkeiten
und Beweisnot zu bringen, so dass der Vorwurf nach §129a fallen
gelassen werden musste. Trotzdem wurde Ingrid Strobl mit fadenscheinigen
Beweisen, die ihr den Kauf eines Weckers nachweisen sollten, der
später für einen Anschlag benutzt worden sein sollte,
1990 zu drei Jahren Haft verurteilt. Acht Jahre nach der Selbstauflösung
der RZ glaubt die BAW nun den ganz großen Schlag gegen die
Revolutionären Zellen/ Rote Zora gelandet zu haben. Maßgeblich
dazu beigetragen hat Hans-Joachim Klein, der im September 1998 in
Frankreich festgenommen und im Mai vergangenen Jahres nach Deutschland
ausgeliefert wurde. Klein war Ende der siebziger Jahre aus den RZ
ausgestiegen und dann später mit Hilfe von Daniel Cohn-Bendit
und anderen aus dem Umfeld der Frankfurter Gruppe Revolutionärer
Kampf in Frankreich untergetaucht.
Berlin, Frankfurt, Paris
Zuvor allerdings war er an der Besetzung der OPEC-Konferenz in
Wien im Dezember 1975 beteiligt. Für die Aktion, bei der drei
Geiseln getötet wurden, zeichnete ein palästinensisches
Kommando verantwortlich. Klein wurde bei der Schießerei verwundet,
konnte aber gemeinsam mit dem Kommando ausreisen. Kaum war Klein
im Frühjahr 1999 an die deutschen Behörden ausgeliefert,
machte er angesichts des Vorwurfes des dreifachen Mordes umfangreiche
Aussagen. Dabei beschuldigte er Rudolf Schindler, er habe 1975 die
"Örtlichkeiten" ausgespäht und "konspirative
Wohungen" für das Kommando angemietet. (Spiegel, 28.2.2000)
Daraufhin wurde Schindler im Oktober verhaftet, im November wurde
gegen ihn in Frankfurt/Main Anklage wegen "Beihilfe zum Mord"
erhoben. Allerdings gibt es gehörige Widersprüche und
Ungereimtheiten in den Aussagen Kleins. So gab Klein einen Decknamen
von Schindler an, der nach Aktenlage und Zeugenaussagen in anderen
Verfahren eindeutig einer anderen Person zugeordnet ist.
Der Anwalt von Schindler, Hans Wolfgang Euler, kritisiert die Ermittlungsbehörden
deshalb massiv: "Eine solche Form der Nicht-Vernehmung wie
bei Klein, ohne einen ernsthaften Vorhalt von Widersprüchen,
habe ich bislang noch nicht erlebt." (ebd.) Fast einen Monat
nach den Verhaftungen in Berlin und Frankfurt/Main, am 16. Januar
diesen Jahres, wurden in Paris Sonja Suder und Christian Gauger
festgenommen. Beide waren seit 1978 - dem Zeitpunkt der Feiling-Aussagen
- abgetaucht. Auf die Spur der beiden kamen die deutschen Behörden
angeblich durch Besucher aus Deutschland. Die Haftbefehle beziehen
sich auf zwei Sprengstoffanschläge 1977 in Nürnberg und
Frankenthal und einen Brandanschlag auf das Heidelberger Schloss
im Jahr 1978. Sudner wird darüber hinaus beschuldigt, den Überfall
auf die OPEC-Konferenz mit vorbereitet zu haben. Der Vorwurf der
Mitgleidschaft in den RZ wurde wegen Verjährung fallen gelassen.
Diese Vorwürfe sind anscheinend nicht so stichhaltig, wie
die verfolgungswütigen deutschen Staatsschutzbehörden
glauben machen wollen. Die deutsche Seite hatte wegen Mordes, Mordversuches
und Brandstiftung die Auslieferung von Suder und Gauger beantragt,
allerdings wurden beide Ende März gegen eine minimale Kaution
von rund 3.000 DM aus dem Knast entlassen. Die Aussagen von Klein
reichten den französischen Behörden nicht aus, um die
beiden weiterhin in Haft zu halten, bis über das Auslieferungsgesuch
entscheiden ist. Für die deutschen Ermittlungsbehörden
dürfte die Entlassung von Suder und Gauger ein Schlag ins Gesicht
sein, ist die Entscheidung des französischen Gerichts doch
ein deutlicher Hinweis darauf, auf welch schwachen Füssen ihre
Anklage steht. Gehen die Vorwürfen gegen Suder, Gauger und
Schindler (zumindest teilweise) auf Aussagen von Hans-Joachim Klein
zurück, so sind die Festnahmen von Axel H., Harald G. und Sabine
E. am 19. Dezember Ergebnis der "Aussagefreudigkeit" von
Tarek Mousli.
Tarek Mousli ging der BAW im Frühjahr 1999 ins Netz. Er wurde
im Mai wegen zeitweiliger Unterstützung der RZ im Jahre 1995
verhaftet, kam aber bald darauf frei. Im November wurde er erneut
in Untersuchungshaft genommen. Die BAW feierte damals die Verhaftung
als vollen Erfolg. Ihrer Ansicht nach seien nun die RZ-Aktionen
von 1986/87 in Berlin aufgeklärt, hätte man mit Tarek
Mousli doch dem mutmaßlichen "Rädelsführer"
der RZ habhaft werden können. (Berliner Zeitung, 24.11.99)
Im Anschluss daran hat Tarek Mousli weit reichende Aussagen gemacht.
Jedenfalls beruhen die Beschuldigungen gegen Axel H., Harald G.
und Sabine E. - so weit bislang bekannt - ausschließlich auf
den Anschuldigungen von Mousli.
Axel H., Harald G. und Sabine E. werden verdächtigt, seit
Mitte der 80er Jahre Mitglieder der RZ gewesen zu sein. Axel H.
soll im Mehringhof ein Waffen- und Sprengstoffdepot der RZ betreut
haben. Zusammen mit Harald G. - so die BAW - habe er einem "Koordinierungsausschuss"
angehört, der Gelder an legale und illegale Gruppen verteilt
habe.
Axel H., Harald G. und Sabine E. sollen zudem an RZ-Aktionen gegen
die bundesdeutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik in den Jahren
80er Jahren beteiligt gewesen sein. Konkret wird ihnen ein Sprengstoffanschlag
auf die "Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber"
(ZSA) in Berlin am 6. Februar 1987 angelastet. Axel H. soll außerdem
noch an einem Sprengstoffanschlag auf die Berliner Siegessäule
im Januar 1991 beteiligt gewesen sein. Vorgeworfen werden Harald
G. und Sabine E. zusätzlich die Beteiligung an dem Knieschuss-Anschlag
auf den damaligen Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht,
Günter Korbmacher, im Oktober 1987. Sabine E. wird weiterhin
vorgeworfen, am Anschlag auf den ehemaligen Leiter der Berliner
Ausländerbehörde, Harald Hollenberger, im Oktober 1986
teilgenommen zu haben.
Diese beiden letzten Vorwürfe sind zwar schon verjährt,
zeigten aber "die Gefährlichkeit der terroristischen Vereinigung
,RZ'", so die BAW in ihrer Pressemitteilung vom 19.12.99,
und werden deshalb absehbar auch Gegenstand der Verhandlungen vor
Gericht sein. Nicht verjährt sind allerdings die Vorwürfe
der Mitgliedschaft in den RZ, die Beteiligung an Sprengstoffanschlägen
bzw. der unerlaubte Besitz von Sprengstoff.
loose talk kills
Mit Tarek Mousli, der in den 80er Jahren kein Unbekannter in der
Westberliner autonomen Szene war, hat die BAW einen Glücksgriff
gemacht. Nicht nur dass Mousli aus dieser Zeit viele Menschen und
Zusammenhänge kennt, die angesichts des Verfolgungswillen der
BAW unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt allemal für Verdächtigungen
und absurde Konstruktionen gut sind, auch erweist er sich als unermüdliche
Plaudertasche. Zumindest bis Ende April - also 24 Wochen lang -
dauerten seine Vernehmungen an. Auf seine Aussagen geht dabei der
zweite Haftbefehl gegen Rudolf Schindler zurück, der nach den
Verhaftungen am 19. Dezember gegen ihn erlassen wurde.
Angeblich soll Schindler auch an den RZ-Aktionen in der 80er Jahren
in Berlin beteiligt gewesen sein. Schon werden auch Sonja Suder
und Christian Gauger mit den beiden Knieschuss-Attentaten in Berlin
in Zusammenhang gebracht. Mittlerweile haben die Aussagen von Mousli
zu einer weiteren Hausdurchsuchung und einer weiteren Verhaftung
in Berlin geführt. Auch wenn zum gegenwärtigen Zeitpunkt
noch nicht klar ist, ob Tarek Mousli in den Genuss der Kronzeugenregelung
gelangt, die am 31.12.1999 ausgelaufen ist, an seiner Rolle als
Zeuge der Anklage ändert das nichts. Auch unterhalb des Kronzeugenstatus
hält das herrschende Recht für Leute, die angebliches
Tatwissen und angebliche Mittäter preisgeben, genügend
Vergünstigungen vor. Was die Glaubwürdigkeit solcher Aussagen
anbelangt, so müssen sie immer in Bezug gesetzt werden zu den
Vergünstigungen, die diese Zeugen von der staatlichen Seite
erhalten.
Wie die erfolglose Durchsuchung des Mehringhofs nach dem Sprengstoffdepot
der RZ, das dort nach Aussagen von Mousli sein sollte, beweist,
ist es mit seiner Glaubwürdigkeit nicht weit her. Darüber
hinaus sind alle Diskussionen über die Motive von Tarek Mouslis
Aussagefreudigkeit reine Spekulation. Bislang haben nicht einmal
die RechtsanwältInnen der von Mousli Belasteten volle Akteneinsicht.
Es ist davon auszugehen, dass sich die BAW bislang bei ihrem Vorgehen
nur auf diese Aussagen stützen kann, handfeste Belege für
ihre Vorwürfe gegen die Gefangenen sind zur Zeit jedenfalls
nicht bekannt. In einer solchen Situation sollte man nicht mit Spekulationen
hausieren gehen. Zu groß ist die Gefahr, dass man dabei das
Geschäft der Staatsschutzbehörden gleich miterledigt.
Dort dürfte man momentan eifrig damit beschäftigt sein,
mit allen Informationen, derer man habhaft werden kann, Bezüge
herzustellen und Verbindungen zu konstruieren, um so die Aussagen
von Mousli untermauern zu können. Dass Ex-Militante, die selbst
eine jahrelange U-Haft hinter sich haben, in einer solchen Situation
glauben, Fotos von RZ-Parolen den Gefangenen zur Aufmunterung in
den Knast schicken zu müssen, ist unglaublich und den Gefangenen
gegenüber verantwortungslos.
mb.
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