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Datum:
09.06.2000
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Zeitung:
junge Welt
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Titel:
Anfang einer Politik
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Anfang einer Politik
Für die inhaftierten Mitglieder angeblicher Revolutionärer
Zellen wurden schon 100 000 DM gesammelt
Das Kato im U-Bahnhof Schlesisches Tor war brechend voll. Rund
400 Menschen kamen am Dienstag abend nach Berlin- Kreuzberg zu der
Veranstaltung "We kehr for you - gegen Repressions- und Staatsschutzmüll."
Dazu eingeladen hatte die Initiative "bis gleich" im Rahmen
der Kampagne für die Freilassung der verhafteten angeblichen
Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ). Vor sechs Monaten
durchsuchte die Bundesanwaltschaft (BAW) mit einem Großaufgebot
von 1 000 Staatsbeamten den Mehringhof in Berlin-Kreuzberg und nahm
zeitgleich drei Leute in Berlin und in Frankfurt/Main fest. Die
im November 1973 zum ersten Mal in Erscheinung getretenen RZ waren
nie richtig zu fassen gewesen. "Alle müssen alles können",
so der Anspruch der RZ. Die Gruppe wollte sich vor staatlicher Verfolgung
dadurch schützen, daß ihre Militanten völlig anonym
blieben und illegale Aktionen durchführten, aber weiterhin
legal lebten und arbeiteten. Sie sollten sich so an innerlinken
Diskussionen beteiligen - in der Hoffnung, dadurch mit dem legalen
Kampf gegen das System in Verbindung zu bleiben. Sie erwies sich
allerdings als Fehleinschätzung, wie die RZ in ihrer Erklärung
"Das Ende unserer Politik" 1992 eingestanden.
Inzwischen sind sechs angebliche RZ-Mitglieder in Haft, denen die
BAW die Teilnahme an RZ-Aktionen in den 80er und frühen 90er
Jahren vorwirft. Die Verhaftungen gehen auf die Aussagen von Tarek
M. zurück, dem die staatlichen Ermittler durch Zufall im November
1998 auf die Spur kamen und mit der Behauptung, er sei der Rädelsführer
der RZ Berlin, einsperrten. Im Dezember 1999 erfolgten die Festnahmen
von Axel H., Harald G. und Sabine E.. In Frankfurt/Main wurde gegen
Rudolf Sch. Haftbefehl erlassen. Mitte April nahmen die Staatsschutzbehörden
den Chef des Akademischen Auslandsamtes der TU Berlin, Matthias
B., fest. Einen Monat später wurde Lothar E., der seit Jahren
in Kanada lebt, dort im Beisein von BKA-Beamten verhaftet. Seitdem
befindet er sich in Auslieferungshaft. Wie Silke Studzinsky, die
Anwältin von Harald G., am Dienstag abend im Kato bestätigte,
sind an den Festnahmen allein die Aussagen von Tarek M. schuld.
Bislang jedenfalls haben die Ermittlungsbehörden keine weiteren
Beweise für ihre Vorwürfe vorgelegt. Allerdings sind die
Vernehmungen von Tarek M. und die weiteren Ermittlungen noch voll
im Gang. Das beweist die spektakuläre zweite Durchsuchung des
Mehringhofs am 30. Mai, bei der Tarek M. per Videoübertragung
die Beamten steuerte, die einen Fahrstuhlschacht und angrenzende
Räume nach Sprengstoffspuren durchsuchten. Gefunden wurde -
außer einem leeren blauen Müllsack - wie bei der ersten
Durchsuchung im Dezember vergangenen Jahres nichts.
Neben der Mitgliedschaft in den RZ wird den Festgenommenen der
Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für
Asylbewerber am 6. Februar 1987 vorgeworfen, bei dem ein 30 mal
40 Zentimeter großes Loch in der Außenmauer des Gebäudes
entstand. Im Zentrum der Anschuldigungen steht die "Flüchtlingskampagne"
der RZ gegen bundesdeutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik in
den 80er Jahren. Inwieweit die am 31. 12. 1999 ausgelaufene Kronzeugenregelung
in diesem Verfahren zur Anwendung kommt, konnte Silke Studzinsky
nicht sagen. Die Frage, ob sie überhaupt in einem Prozeß
nach Dezember 1999 angewendet werden könnte, warf der Bremer
Rechtsanwalt Rolf Gössner auf. Mit dem Paragraphen 129 a werden
nicht nur die Mitgliedschaft, sondern auch das Werben und die Unterstützung
einer sogenannten terroristischen Vereinigung justitiabel. Dabei
geht es nicht mehr um die Verfolgung von Straftaten, sondern um
Gesinnungsjustiz. Hinsichtlich der Aussagen von Tarek M. wies Rolf
Gössner darauf hin, daß die Aussagen eines solchen "gekauften
Zeugens" schon von vornherein in Zweifel gezogen werden müssen:
"Wer Belohnung durch Straffreiheit oder Strafmilderung zu erwarten
hat, wer dermaßen von staatlichen Institutionen abhängig
wird, gerät unter ungeheuren Druck und sagt leicht mehr, als
er weiß." Schon jetzt sind über 100 000 Mark an
Spenden für die Inhaftierten zusammengekommen. Das sind zwar
nicht die sechs Millionen, die Arnulf Rating mit Verweis auf die
private Spendensammlung von Helmut Kohl zuvor in seiner kleinen
Kabarett- Einlage als Meßlatte ausgab, aber immerhin.
Beat Makila
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