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Datum:
05/2002
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Zeitung:
Phase 2
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Titel:
Jenseits der Caritas: Solidarität
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Jenseits der Caritas: Solidarität
Solidarität ist ein Kampfbegriff, Solidarität ist eine
Waffe, Internationale Solidarität ist die Zärtlichkeit
der Völker, kritische Solidarität - das ist so das, was
Linken bei dem Stichwort zuerst einfällt. Bei der Suchmaschine
google ist das anders: "Solidarität" bringt 10.000
Resultate, aber als erstes "www.cdu-solidaritaet.de".
Jeder Klick spendet für die CDU. Das belegt mal wieder, dass
Solidarität ein eng an politische Interessen und Praxis gebundener
Begriff ist, er muss immer wieder reflektiert und gegen solche Karikierungen
wie "cdu-solidaritaet" verteidigt werden.
Der Fremdwörterduden erklärt Solidarität als "Zusammengehörigkeitsgefühl,
Kameradschaftsgeist, Übereinstimmung". Aber wenn Solidarität
nur ein Gefühl wäre, wäre sie unreflektiert, vielleicht
gar dumpf. Kameradschaftsgeist findet sich bei Soldaten, Bullen
und Nazis. Und wäre Solidarität nur Übereinstimmung,
wäre sie unkritisch. Bei diesen Definitionen ist kein linkes
Verständnis dabei.
Dass das Hemd näher ist als die Jacke und jeder sich selbst
der Nächste, gehört zu den Wahrheiten, Grundlagen und
Lernzielen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Wer
das falsch findet, engagiert sich sozial, besser noch linksradikal.
Wer davon ausgeht, dass das Individuum selbstverantwortlich und
frei - aber nicht isoliert - sein sollte, steht dem stummen Zwang
der kapitalistischen Verhältnisse ablehnend gegenüber.
Wer Verhältnisse wie Krieg, Ausbeutung und Hunger nicht hinzunehmen
gewillt ist, sucht nach Möglichkeiten, sie zu ändern.
Wer bemerkt, dass das nur gemeinsam geht, organisiert sich und trifft
Entscheidungen kollektiv. Entsprechend war und ist Solidarität
eine Existenzbedingung linker Organisierung - im Alltagsleben linker
Gruppen und darüber hinaus.
Solidarität ist von der Geschichte der Linken nicht zu trennen.
Auch für die der Stadtguerilla war sie zentral. Ohne sie hätte
es keine illegale Organisierung und keinen Widerstand gegen die
Staatsmacht geben können.
Von Brot für die Welt zu Rot für die Welt
Von der Caritas unterscheidet sich internationale Solidarität
dadurch, dass sie Subjekte sucht, die auf der Basis gegenseitigen
Respekts diskutieren und zusammenarbeiten, keine bemitleideten Objekte,
die nur artig Danke sagen sollen. 1967 erschien Ches berühmte
"Botschaft an die trikontinentale Konferenz" in Havanna,
in der er zum weltweiten - bewaffneten - Kampf gegen den Imperialismus,
vor allem die USA, aufrief. Dort kritisierte er aber: "Die
Solidarität der fortschrittlichen Mächte der Welt mit
dem vietnamesischen Volk ähnelt der bitteren Ironie, die der
Beifall des Pöbels für die Gladiatoren im römischen
Zirkus bedeutete. Es geht nicht darum, den Opfern der Aggression
Erfolg zu wünschen, sondern an ihrem Schicksal teilzunehmen,
sie bis zum Tode oder bis zum Sieg zu begleiten."
Auch in der BRD wurde Ches Botschaft aufgegriffen und Ende der
60er suchten Teile des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes
SDS Kontakte zu militanten Organisationen wie der Black Panther
Party in den USA, dem Vietcong, der ETA oder IRA und auch der PFLP.
Im Februar 1968 wurde auf dem von einigen tausend Leuten besuchten
Internationalen Vietnam-Kongress in Westberlin offen über eine
"Zerschlagt die NATO"-Kampagne debattiert. Peter Weiss
-Autor der "Ästhetik des Widerstands" - sprach dort
davon, dass sich "die Aufgabe der Organisation des Widerstands
in den Metropolen" stelle, und "dieses Handeln muss zur
Sabotage führen, wo immer dies möglich ist. Dies fordert
persönliche Entscheidungen. Dies verändert unser privates
politisches Leben. Lasst uns den Widerstand entfalten auf breitester
Front. (...) Scheuen wir keine Opfer, um eine neue internationale
proletarische Solidarität zu schaffen." Hans-Jürgen
Krahl, einer der theoretischen Köpfe des SDS: "Die innerkapitalistischen
Widersprüche zu einer qualitativen Verbreiterung der Massenbasis,
zur Bildung einer zweiten Front gegen den Imperialismus in den Metropolen
ausbilden! (...) Zwar kann sich in den Metropolen der Kampf nicht
als eine unkritische Übertragung der Guerillastrategie darstellen
- diese liefert aber ein Modell kompromisslosen Kampfes, von dem
die traditionelle Politik der verfestigten Institutionen verurteilt
werden kann." Krahl verlangte "die organisatorischen Bedingungen
zu schaffen, dass wir den Kampf gegen die NATO-Stützpunkte
in ganz Westeuropa aufnehmen können, dass wir Maßnahmen
treffen können gegen den Transport amerikanischen Kriegsmaterials
für den Krieg in Vietnam und schließlich Aktionen gegen
die Niederlassungen der amerikanischen Rüstungsindustrie in
Westeuropa führen werden. (...) Es kommt darauf an, in solidarischer
Aktion und in konkreter Solidarität mit der revolutionären
Befreiungsbewegung in der 3. Welt den gigantischen militärischen
und staatlichen Machtapparat in den spätkapitalistischen Ländern
zu zerschlagen." Rudi Dutschke sagte in seinem Grundsatzreferat:
"Wir wagen es schon, den amerikanischen Imperialismus politisch
anzugreifen, aber wir haben noch nicht den Willen, mit unserem eigenen
Herrschaftsapparat zu brechen, militante Aktionen gegen die Manipulationszentren,
z.B. gegen die unmenschliche Maschinerie des Springer-Konzerns,
durchzuführen, unmenschliche Kriegsmaschinerie zu vernichten.
(...) Es lebe die Weltrevolution und die daraus entstehende freie
Gesellschaft freier Individuen!"
Die propagierte "Zerschlagt die NATO"-Kampagne hat die
zerfallende APO nicht mehr realisiert. Aber vier Jahre später
fanden Aktionen statt, die auf der Linie "konkreter Solidarität"
des Kongresses lagen. Die RAF zündete am 11. Mai 1972 einen
Sprengsatz vor dem Heidelberger US-Hauptquartier, bei dem technische
Einrichtungen der US-Luftwaffe, genutzt für die Bombardierung
Vietnams, beschädigt wurden. In ihrer Erklärung hieß
es: "Für die Ausrottungsstrategen von Vietnam sollen Westdeutschland
und Westberlin kein sicheres Hinterland mehr sein. Sie müssen
wissen, dass es für sie keinen Platz mehr geben wird in der
Welt, an dem sie vor Angriffen revolutionärer Guerilla-Einheiten
sicher sein können."
Dieses linksradikale Verständnis von internationaler Solidarität,
nämlich die "Bestie in ihrem Herzen", den Metropolen,
anzugreifen, findet sich noch 1983 in der Erklärung einer RZ
zu einem eher symbolischen Anschlag gegen die alliierte Truppenparade
in Westberlin. Sie zitierte den 1973 vom portugiesischen Geheimdienst
ermordeten afrikanischen Revolutionär Amilcar Cabral: "Wir
verlangen von euch einzig und allein, dass ihr euch an eurem Platz
bewährt, denn wenn ihr dem Kapitalismus seine eigentliche Grundlage
entzieht, helft ihr uns am meisten. Die Länder der Dritten
Welt hoffen gleichsam auf die Schwächung, die der Klassenkampf
im eigenen Land für den Aggressor bedeutet. Die Stütze
der Befreiungsbewegungen durch den innerkapitalistischen Konflikt
(Klassenkampf) sollten durch direkte Interventionen im Land der
Imperialisten ergänzt werden: durch den Druck auf die öffentliche
Meinung bis hin zu Aktionen gegen die Versorgungseinrichtungen oder
Nachschubwege der US-Armee."
Die Zusammenarbeit von Stadtguerillagruppen mit einer Abspaltung
der PFLP war ein spezieller Teil damaliger internationaler Solidarität.
Sie hatte 1976/77 erhebliche Konsequenzen, sowohl was die Entführung
einer Lufthansa-Maschine nach Mogadischu als auch die Entführung
einer EL-AL-Maschine nach Entebbe betrifft. Beide Aktionen sollten
politische Gefangene befreien, aber selbst dieses Ziel rechtfertigt
nicht die Geiselnahme von Unbeteiligten, und schon gar nicht von
Überlebenden des Holocaust, wie sie in Flügen nach Israel
mit einiger Wahrscheinlichkeit anzutreffen waren. Beide Aktionen
waren schon damals umstritten, auch in RAF und RZ selbst, weil sie
ZivilistInnen trafen und ihre Planung mit politisch kaum einschätzbaren
geheimdienstähnlichen palästinensisch-arabischen Strukturen
erfolgte. (Die PFLP selbst lehnte 1976 Flugzeugentführungen
bereits ab.) In frühen RZ- und RAF-Erklärungen finden
sich auch relativierende Vergleiche zwischen Holocaust und israelischer
Besatzungspolitik, wie sie in Teilen der Linken in den 70er Jahren
üblich waren. Solche Aussagen und vor allem die Flugzeugentführung
nach Entebbe wurden später von den RZ öffentlich verurteilt,
nachdem sie, 1991 als einer der ersten linken Zusammenhänge,
eine genauere Analyse und Kritik von Antisemitismus und Antizionismus
entwickelt hatten. Aktionen gegen israelische Ziele waren schon
Jahre vorher eingestellt worden.
Wer heutzutage die damalige Linke und die Stadtguerillagruppen
schlichtweg als antisemitisch abtut, bemüht sich nicht, den
damaligen Kontext, die Gründe der damaligen Fehler und die
historische Entwicklung seither zu verstehen. Dieses Verständnis
würde es aber eher erleichtern, ähnliche Fehler in Zukunft
zu vermeiden.
Zu berücksichtigen bei der Beurteilung der damaligen Linken/Stadtguerilla
ist auch, dass für sie der Kampf gegen die Kriegsverbrechen
der USA im Vietnamkrieg, die Solidarität mit den von faschistischen
Militärdiktaturen Verfolgten in Chile, Spanien oder Griechenland
erheblich wichtiger waren als die Palästinasolidarität.
Aktionen gegen das rassistische Südafrika mobilisierten viel
mehr Menschen als die Palästinademos und die Auflagenzahlen
der Solizeitungen lassen die Stellenwerte erkennen, alleine die
"Chile-Nachrichten" brachten es Mitte der 70er auf 20.000
Exemplare, alle Blätter zu Palästina zusammen auf weniger
als ein Zehntel.
Neue Solidarität: Flüchtlingskampagne und Frauenkämpfe
Ende 1983 erschien das RZ-Papier "Krieg-Krise-Friedensbewegung",
in dem ein neues Verständnis von internationalistischer Solidarität
formuliert wird: "Die 3. Welt kann in ihrer Gesamtheit nicht
mehr als historisches Subjekt verstanden werden, von dem revolutionäre
Veränderungen auch in den Zentren der Kapitalakkumulation ausgehen
und als dessen "verlängerter Arm" der Widerstand hier sich
definiert. Die unterdrückten Völker und Länder können
nur partielle Befreiungsprozesse aus kolonialer Abhängigkeit
machen. Die Konsolidierung dieses Prozesses ist an die Bedingung
des "Kampfes im Herzen der Bestie", an die Zerstörung des Imperialismus
in seinen Kernländern gebunden. Gleichzeitig scheint die Ära
nationaler Befreiungskämpfe zu Ende zu gehen. In den Hungerrevolten
und Plünderungen in Sao Paulo deutet sich an, dass die nationalistische
Klammer zwischen einheimischen Eliten und Unterklassen brüchig
geworden ist und der gemeinsame Kampf um soziale Befreiung in den
Metropolen wie in der 3. Welt zur materiellen Grundlage eines neuen
Internationalismus wird. (...) Kämpfende Revolutionäre
in den Metropolen sind Teil einer internationalen Front gegen den
Imperialismus. Es bleibt eine Tatsache, dass erfolgreiche Befreiungskämpfe
in der 3. Welt (Vietnam, Nicaragua) auch in den Metropolen ihre
Wirkung erzielen. Bedingung für eine politisch effiziente Solidarität,
die über gut gemeinte Absichtserklärungen hinausgeht,
ist ein starkes revolutionäres Widerstandspotential. Der Kampf
gegen den Imperialismus in den Metropolenländern entwickelt
sich erst an den Bedingungen, die hier die Lebens und Arbeitsbedingungen
prägen, zu seiner eigentlichen Schärfe. Nur ein klassenbewusster
Kampf, der den imperialistischen Angriff auf die Menschen hier aufzeigt,
kann perspektivisch gesellschaftliche Gegenmacht gegen die Herrschaft
des Geldes und der weißen Männer über den Rest der
Welt entwickeln. Das ist wesentlicher Bestandteil einer revolutionären
Bewegung im Kampf gegen den heutigen Imperialismus - sich auf die
weltweiten Befreiungskämpfe zu beziehen, deren positive Wechselwirkung
allen revolutionären Prozessen neue Kraft gibt. Die aktuellsten
Beispiele für diese Wechselwirkung sind die Kämpfe der
Unterklassen in Südafrika und die fast gleichzeitig stattfindenden
Ghettoaufstände in den englischen Städten Tottenham, Brixton
usw."
Es folgten Anschläge wie der gegen den Lebensmittelgroßhandel
REWE: "Auch REWE verdient an der Unterdrückung der schwarzen
Frauen! Weltweit bestimmten frühkapitalistische Ausbeutungsverhältnisse
das Bild in den Weltmarktfabriken, den Außenstellen der Multis
oder den riesigen Agrarplantagen. Immer wieder sind es die Frauen,
die diese Unterdrückung doppelt und dreifach ertragen müssen.
Eines der gravierendsten Beispiele dafür ist die Obst, Gemüse
und Konservenproduktion in Südafrika. Die Früchte, die
in den Zeitungsannoncen der hiesigen Supermarktketten als Sonderangebot
offeriert werden, sind das Produkt von Frauenarbeit, unter Bedingungen,
die die gesamte Breite der kapitalistischen und sexistischen Unterdrückung
darstellen."
1987 wurden von der Roten Zora mehrere Filialen der Kleidungsfirma
Adler angesteckt. Es gab Schäden durch Löschwasser und
vor allem Umsatzeinbußen, aber keine Verletzten. Adler ließ
Kleidung von koreanischen Frauen in einer Freihandelszonenfirma
zu Billigstlöhnen und unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen,
die mit sexuellen Angriffen verknüpft waren, herstellen. Die
Arbeiterinnen hatten sich dagegen zur Wehr gesetzt, ihre Protestaktionen
waren jedoch von südkoreanischer Polizei niedergeschlagen worden.
In der Erklärung zu der Aktion heißt es: "Wie funktioniert
der Mechanismus der imperialistischen Frauenunterdrückung hier
und in den Ländern der 3. Welt? Bei dieser Frage mussten wir
feststellen, dass Analysen des Imperialismus sich meist darauf beschränkten,
die politischen, ökonomischen und militärischen Machtstrukturen
des Imperialismus zu untersuchen, vernachlässigt wird die Analyse
der Strategie gegenüber den Frauen hier und in der 3. Welt.
Uns reicht es nicht aus zu sagen: Aus der Analyse des Imperialismus
ergibt sich das Angriffsziel Nato und indem wir Frauen die Nato
angreifen, bekommt der Frauenkampf seine revolutionäre Stoßrichtung.
Der Befreiungskampf besteht bei dieser Sichtweise wieder nur im
Angriff auf die zentralen Machtstrukturen des Imperialismus; die
alltäglichen Gewaltverhältnisse, in denen Zerstörung,
Unterdrückung und Ausbeutung erfahrbar wird, werden ausgeklammert."
Die Zitate lassen erkennen, dass die internationale Solidarität
sich nicht mehr auf die inzwischen oft an die Staatsmacht gekommenen
Befreiungsbewegungen bezieht, sondern auf Klassen- und Frauenkämpfe
- sowohl im Trikont als auch in der Metropole BRD.
Auf dieser neuen Linie lag auch die "Flüchtlingskampagne"
der RZ, die sie im Oktober 1986 so begründeten: " Noch
wissen wir nicht, ob sich an der Flüchtlingsfrage antiimperialistische
Politik mit Konfrontationslinien im entgarantierten Sektor verbinden
wird, aber der Kampf um das faktische Aufenthaltsrecht für
Flüchtlinge ist auch dann richtig, wenn er vorerst von den
weißen Schichten des Proletariats weitgehend isoliert bleibt.
(...) Die Flüchtlingsfrage (...) ist Teil eines globalen Klassenkampfes
und Ausdruck eines vom imperialistischen Weltsystem gesetzten Widerspruchs,
der ein Proletariat neuen Typs hervorbringt; die mobilisierten,
vertriebenen, entwurzelten Massen der 3. Welt. So wie die Flüchtlingsbewegungen
die Grenzen zwischen dritter und erster Welt überschreiten,
muss heute der antiimperialistische Kampf auf die Metropole zurückbezogen
werden. Es ist das gleiche imperialistische System, das die Menschen
dort vertreibt, sie hier in Lager sperrt und ihnen als Sozialpolitik
gegenübertritt. Antiimperialismus wird konkret, wo er Bezug
auf die gesellschaftspolitischen Konflikte nimmt (...). Antiimperialistische
Politik in der BRD hat sich bisher an den beiden Polen der Solidarität
mit den Befreiungsbewegungen der 3. Welt und der Bekämpfung
der imperialistischen Kriegsmaschinerien orientiert. (...) Die ersten
Aufgaben antiimperialistischer Politik liegen vielmehr darin, die
staatliche Regulation der Flüchtlingsbewegungen, die Abgrenzungen
der BRD vor der Armut der 3. Welt, zu unterlaufen und die polizeilichen
und sozialpolitischen Restriktionen gegenüber Flüchtlingen
zurückzudrängen. Unser Ziel muss es sein, ein faktisches
Aufenthaltsrecht für alle Immigranten und Flüchtlinge
in der BRD durchzusetzen. Der Weg dorthin führt nicht über
Forderungen an den Staat, sondern bestimmt sich nach dem Ausmaß
unserer eigenen Widerstandsaktionen. Unser Vorschlag richtet sich
an die autonome und sozialrevolutionäre Linke in der BRD, die
Flüchtlingsfrage aus einer antiimperialistischen Perspektive
heraus aufzugreifen und zum Prüfstein des politischen Handelns
auf verschiedenen Ebenen zu machen."
Fünf Jahre später schrieb eine RZ: "Wir haben in
der Verbindung von sozialer Thematik und Flüchtlingskampagne
Möglichkeiten gesehen, einen neuen Handlungsspielraum für
internationale Solidarität in den Metropolen selbst zu eröffnen."
Anschläge auf das rassistische Ausländerzentralregister,
auf für Abschiebungen verantwortliche Ausländerpolizeistellen
und verantwortliche Richter waren der militante Ausdruck dieser
internationalen Solidarität mit den Flüchtlingen und MigrantInnen
in der BRD. Allerdings organisierten sich Flüchtlinge nicht
so wie erhofft als eigene politische Kraft, wie es sich die RZ für
diese Kampagne erhofft hatten. Dadurch fehlten ihr die erwähnten
"Subjekte" der Solidarität, mit denen auf der Basis
gegenseitigen Respekts diskutiert und zusammenarbeitet werden sollte.
Das war sicherlich eine wesentliche Ursache für das Ende der
Flüchtlingskampagne - und auch der RZ.
Linke Organisierung: Solidarität ist eine Waffe
Die Bedeutung, die Solidarität für den Aufbau einer Organisation
hat, war auch der RAF von Anfang an klar. 1972 schrieb sie: "Solidarität,
indem sie nicht von den Kriterien des Marktes ausgeht, setzt diese
außer Kraft. Solidarität ist politisch, nicht erst als
Solidarität mit Politischen, sondern als Weigerung, nur unter
dem Büttel des Wertgesetzes, nur unter dem Aspekt von Tauschwert
zu handeln. Solidarität ist ihrem Wesen nach herrschaftsfreies
Handeln, als solches immer Widerstand gegen den Einfluss der herrschenden
Klasse auf die Beziehungen der Menschen zueinander, als Widerstand
gegen die herrschende Klasse immer richtig. Im Sinne des Systems
sind Leute, deren Handlungen sich nicht an den Erfolgskriterien
des Systems orientieren, Ausgeflippte und Trottel oder Versager.
Im Sinne der Revolution ist jeder, der sich solidarisch verhält,
wer es auch sei, ein Genosse. Solidarität wird zur Waffe, wenn
sie organisiert und konsequent angewendet wird: gegenüber Gerichten,
Polizei, Behörden, Vorgesetzten, Spitzeln, Verrätern.
Wenn jede Zusammenarbeit mit denen verweigert wird, ihnen keine
Mühe erspart, kein Beweis erleichtert, keine Information geschenkt,
kein Aufwand abgenommen wird. (...) Jede politische Arbeit ist auf
Solidarität angewiesen. Ohne Solidarität ist sie der Repression
schutzlos ausgeliefert."
Oskar Negt, heute Kanzler-Freund, damals schon einer der Sozialdemokraten,
die sich selbst noch Sozialist nennen, ärgerte sich 1972: "Die
Mechanik der Solidarität [mit der RAF] zerstört jede sozialistische
Politik. Sie ist das schlechteste Erbteil der Protestbewegung."
Tatsächlich gab es nie eine mechanische, sondern fast immer
eine kritische Solidarität, die reflektiert und nicht bedingungslos
die Auseinandersetzung suchte. Wer wie Negt diese Solidarität
denunzierte wollte eigentlich Distanzierung und Entsolidarisierung.
(Was einigen Altlinken auch das Etikett "Entsolidarisierungslinke"
eintrug). In derselben Zeit entstand übrigens die Floskel von
der "Solidarität der Demokraten", wie die bürgerlichen
Parteien ihre Einheitsfront heute noch nennen.
Ein paar Jahre später versuchten es solche "Entsolidarisierungslinke",
von denen mindestens einer heute im SPD-Bundesvorstand sitzt, mit
einem Flugblatt, das fett gedruckt zur "Solidarität mit
den Opfern" aufrief. Gemeintes Opfer war allen Ernstes der
von der Bewegung 2. Juni entführte CDU-Politiker Peter Lorenz,
der später im Austausch gegen mehrere politische Gefangene
und eingeknastete Demonstranten freigelassen wurde. Dieser Versuch
linke Solidarität umzuwidmen erntete nur Spott und Hohn. Allerdings
war Solidarität, wer mit wem wie solidarisch sein sollte und
wollte, auch früher in der Linken umstritten. Entsprechend
ist in der RZ-Zeitung "Revolutionärer Zorn" 1975
zu lesen: "Die Selbstverständlichkeit, mit der jede revolutionäre
Gruppe oder Bewegung Solidarität auf ihre Fahnen schreibt,
steht im Widerspruch zu den Schwierigkeiten, sie einzulösen.
Existenz und Gewalt des gemeinsamen Gegners reichen nicht aus, um
die Gegensätze und Konflikte in den eigenen Reihen einzudämmen."
Das Problem ist heute ja auch nicht gerade unbekannt ...
Gegen die Repression: Solidarität bricht die Macht
Politische Gefangene spielten zu allen Zeiten eine wichtige Rolle,
die französische Revolution begann mit der Befreiung der Gefangenen
aus der Bastille, die Solidarität mit den in den USA später
hingerichteten Anarchisten Sacco und Vanzetti war eine der wichtigsten
internationalen Solidaritätskampagnen in den zwanziger Jahren.
Die internationale Spendenkampagne für die junge Sowjetunion
und gegen die Klassenjustiz der Weimarer Republik führten zur
Bildung der ersten Roten Hilfe in Deutschland. 50 Jahre später,
nach den Verhaftungen von StudentInnen wegen Demonstrations- und
Widerstandsverfahren, wurde die Rote Hilfe neu gegründet und
kümmerte sich bald ziemlich gleichmäßig um politische
und sogenannte soziale Gefangene. Die praktische Arbeit war eigentlich
unspektakulär: Briefe schreiben, Knastbesuche organisieren,
Geld und Anwälte auftreiben, Veranstaltungen zur Lage in den
Knästen, Prozessberichte veröffentlichen. Die Bedeutung
dieser Solidarität für die Gefangenen war allerdings enorm.
Die Isolation wurde durchbrochen, die verborgene Dreckswelt der
Knäste öffentlich, Schließer mussten mit Reaktionen
vor ihrer Haustür rechnen und Knast wurde als politisches Terrain
erkannt. Für die Gefangenen war und ist eine Kraft jenseits
der Mauer, die ihre Isolation und ihre tendenzielle Ausgeliefertsein
an die Staatsmacht begrenzt, der beste Schutz. Alle Gefangenen wissen
sehr genau, dass sie ohne Solidarität eingemacht werden.
Die RAF-Gefangenen hatten ab 1972/73 weitergehende Interessen als
die Solidarität, die ihnen die RH bieten wollte, und initiierten
die "Komitees gegen die Folter", die ihre Solidarität
mit den Gefangenen gelegentlich so verstanden, dass sie deren Platz
im bewaffneten Kampf einnahmen. Auch die RZ formulierten damals:
"Solidarität mit gefangenen Revolutionären kann nur
heißen: Ihre Politik konsequent fortsetzen!" Von diesem
Verständnis hat sich Solidarität mit den politischen Gefangenen
zumindest in der BRD weit entfernt Wahrscheinlich aber auch nur
so weit, wie sich die politischen Gefangenen im Lauf der Zeit von
ihrer bewaffneten Politik entfernt haben.
Dass Solidarität mit politischen Gefangenen immer noch mobilisieren
kann, zeigte die Kampagne für Mumia Abu Jamal. Bei ihr wurde
der Rassismus in den USA in den Mittelpunkt gestellt und dementsprechend
politisch mobilisiert. Die juristischen Schweinereien gegen Mumia
spielten sicher auch eine Rolle, hätten aber als solche kaum
so viele Menschen bewegt.
Im Gegensatz dazu hat der laufende RZ-Prozess in Berlin, in dem
es um Rassismus in der BRD, bzw. um Aktionen gegen ihn geht, den
Mangel, nicht politisch als Prozess gegen militante antirassistische
Politik verstanden und entsprechend begleitet zu werden. Weil einige
Angeklagte diese Entpolitisierung wollten, ist der Prozess nur ein
schaler Nachgeschmack auf die dort angeklagte RZ-Flüchtlingskampagne.
Notgedrungen beschränkte sich die Solidaritätsgruppe auf
die unmittelbare Unterstützung der Gefangenen, die Erstellung
von Prozessberichten sowie den Versuch, eine (tatsächlich schon
lange entschwundene) liberale Öffentlichkeit zu mobilisieren.
In solchen Staatsschutzverfahren ist gut zu erkennen, dass die
Solidarität getroffen werden soll. Sie verstößt
gegen gewichtige Interessen der Herrschenden. Sie finden es gefährlich,
wenn sich ihre Untertanen gegen den Hirten und seine Köter
zusammentun. Ein Kronzeuge oder eine Distanzierung muss her, nicht
nur um irgendeine "Straftat" aufzuklären, sondern
um das vertrauensvolle solidarische Leben, Arbeiten und Kämpfen,
was ein linkes Kollektiv mal ausgemacht hat und was jede linke Organisierung
herstellen will, zu beenden und das eigennützige bürgerliche
Individuum wieder herzustellen. In dessen Kopf soll ein ganz mieser
Film laufen: "Wie war das noch mit der Solidarität? Was
hatte mein eigenes Verhalten noch mal mit der linken Geschichte
zu tun? Was verbindet mich eigentlich mit diesen Antifas, die sich
da im Fernsehen immer mit den Nazis hauen? Und diese ganzen Flüchtlinge,
die kenne ich doch gar nicht. Was war das noch mal für eine
Organisation, der ich angehörte? Heute ist alles anders. Man
kann doch eh nichts ändern."
Solche Selbstverarschungen können durch Diskussionen und
(selbst-)kritisches Denken verhindert werden. Aber vor allem - und
das gilt nicht nur für Gefangene - dadurch, dass man Solidarität
konkret und praktisch ausübt. Sobald man sich mit halbherzigen
Lippenbekenntnissen begnügt, bleibt von der Solidarität
nur noch Verdrängung und Zynismus und der Verrat an den alten
Idealen und Überzeugungen, an den alten GenossInnen und FreundInnen.
Solidarity forever
Solidarität beruht auf gegenseitigem Respekt, auch auf Respekt
vor dem Wissen anderer über Unterdrückungen. Der Begriff
der (internationalen) Solidarität ist ständig neu zu füllen.
Solidarität kann individuell etwas kosten, z.B. Beugehaft wegen
Aussageverweigerung. Solidarität steht im Gegensatz zur egoistischen
Konkurrenz aller gegen aller, wie sie der kapitalistische Markt
verlangt, zu den zunehmend individualisierten Risiken des Überlebens,
wo nur die Fitten und Reichen gut wegkommen, zur Kumpanei von Männerbünden,
zum Nationalismus, der Flüchtlinge und Nicht-Deutsche ausschließt
und verfolgt, zu Sozialdarwinismus, der Behinderten ein Lebensrecht
in dieser Gesellschaft abspricht und sie noch weiter an den Rand
drängen will. Die Unterprivilegierten sind um überhaupt
eine Chance auf Veränderung ihrer Lage zu bekommen, auf Zusammenarbeit
und Organisierung angewiesen, also auf Solidarität.
Allein machen sie dich ein ...
Klaus Viehmann
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