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Datum:
12.04.2007
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Zeitung:
Berliner Morgenpost
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Titel:
Richter handelt Deal mit Terroristin aus
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Richter handelt Deal mit Terroristin aus
Prozess gegen Ex-Mitglied der Terrororganisation "Rote Zora".
Ergebnis schon vor der Verhandlung abgesprochen
Das Geständnis kam nicht überraschend: Adrienne G.,
früheres Mitglied der Terrorgruppe "Rote Zora", gab vor dem 1.
Strafsenat des Berliner Kammergerichts zu, sich in zwei Fällen
an geplanten Terroranschlägen beteiligt zu haben. "Wissentlich
und willentlich", wie es ihre Verteidigerin Edith Lunnebach in
einer vorbereiteten Erklärung vortrug. Dabei ging es um einen
Anschlag auf das Gentechnische Institut in Berlin-Dahlem am 17.
Oktober 1986 und das Deponieren einer selbst gebastelten Bombe an
einem Verwaltungsgebäude des Bekleidungskonzerns Adler im
unterfränkischen Aschaffenburg am 21. Juni 1987.
Beim Kauf eines Mini-Weckers gefilmt
Beide Anschläge missglückten aufgrund technischer Fehler.
In beiden Fällen hatte Adrienne G. die für die
Sprengmechanik benötigten Miniwecker erstanden. Und genau
dieses Weckermodell hatte die Ermittler dann auch auf die Spur der
heute 58 Jahre alten Frau gebracht. Waren doch typgleiche Wecker
zuvor schon bei mehr als 40 anderen Sprengstoffanschlägen der
Terrorgruppen "Revolutionäre Zellen" (RZ) und "Rote Zora", die
als autonome Teilorganisation aus den RZ hervor ging, verwendet
worden. Beamte des Bundeskriminalamtes, das wurde aus im Prozess
verlesenen Protokollen deutlich, hatten deswegen eine ganze Serie
dieser Wecker mit Nummern markiert. Wer eine dieser Uhren erstand,
wurde in den jeweiligen Geschäften mit versteckten Kameras
aufgenommen. So auch Adrienne G. am 5. Oktober 1986 in Dortmund -
sieben Monate später wurde der Wecker mit dieser Nummer in
einer Tasche mit Sprengstoff und Zünder am Gebäude der
Firma Adler in Aschaffenburg gefunden. Das Bundeskriminalamt
begann, nach ihr zu fahnden. Offenbar nicht unbemerkt. Gingen doch
Adrienne G. und ihr Lebensgefährten Thomas K., der bei den
Ermittlern als Rädelsführer der RZ gilt, fast zeitgleich
in den Untergrund.
Seitdem wurden sie 19 Jahre lang vergeblich gesucht. Bis zum
Herbst 2006, als Anwältin Lunnebach einen Anruf bekam und
einen Deal einfädelte, der vor Gericht vom Senatsvorsitzenden
Jürgen Warnatsch noch einmal ausgebreitet wurde: Adrienne G.
hatte sich von ihrem immer noch unbekannt gebliebenen Versteck bei
Anwältin Lunnebach gemeldet. Diese wiederum hatte sich an die
Bundesanwaltschaft gewandt. In Gesprächen mit den
Anklagevertretern und dem zuständigen Strafsenat sei dann eine
Art Vergleich zustande gekommen, erklärte der
Senatsvorsitzende Warnatsch. Adrienne G. erklärte sich bereit,
sich zu stellen und Aussagen zu machen. Im Gegenzug wurde ihr
zugesichert, mit einer Bewährungsstrafe davonzukommen. Zur
Vereinbarung gehörte zudem, dass nur die beiden schon
erwähnten Anschläge in Dahlem und Aschaffenburg
Gegenstand der Anklage werden.
Taten liegen schon 20 Jahre zurück
Andreas Hornick, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof,
bekräftigte nach dem ersten Verhandlungstag noch einmal diesen
Deal. Ein wirklicher Schaden sei bei diesen versuchten
Anschlägen ja nicht entstanden. Auch lägen die Taten
schon 20 Jahre zurück, und es wäre ohne ihre freiwillige
Rückkehr kaum gelungen, die ehemalige Terroristin zu fassen.
Die Angeklagte machte am ersten Prozesstag noch keine Angaben. Auch
nicht darüber, warum sie sich im vergangenen Jahr
plötzlich gemeldet hatte. Anwältin Lunnebach
begründete das mit einer gewissen Müdigkeit. Es sei nicht
leicht, ständig unter einer falschen Identität zu leben.
Eine Rolle habe vermutlich auch die ersehnte Rückkehr nach
Berlin gespielt. Adrienne G. - geboren in Hannover - hatte von 1973
bis 1975 an der Gropiusschule ihr Referendariat durchlaufen.
Anschließend arbeitete sie zwei Jahre an einem
Neuköllner Mittelstufenzentrum. Diesen Job verlor sie, war
einige Zeit arbeitslos und absolvierte dann von 1982 bis 1984 in
Essen eine Umschulung zur Funkelektronikerin. Eine Ausbildung, die
für Aktionen bei der "Roten Zora" sicher von Vorteil war und
die ahnen lässt, dass sich ihre kämpferischen
Aktivitäten kaum im Miniwecker-Kauf erschöpften.
Das wird vor Gericht jedoch kaum zur Sprache kommen. Das Urteil
scheint schon geschrieben. Adrienne G. lebt jetzt mit Thomas K. in
Wedding. Sie hatte schon vor ihrem Auftauchen als Fotografin
gearbeitet und will diesen Beruf auch weiterhin ausüben.
Auf Thomas K. wartet nach Auskunft von Oberstaatsanwalt Hornick
ebenfalls ein Prozess. Ob es auch hier einen Deal gibt, ist nicht
bekannt - scheint aber sehr wahrscheinlich.
Von Michael Mielke
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