www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  
Presse

Datum:
26.11.2000

Zeitung:
Jungle World

Titel:
Feuer, Flamme und Pistolen

Feuer, Flamme und Pistolen

Die letzte Schlacht: Zehn mutmaßlichen Mitgliedern der Revolutionären Zellen droht der Prozess. Mit dem Verfahren wegen des Wiener Opec- Überfalls von 1975 kommen auch verdrängte Widersprüche der radikalen Linken auf den Tisch

Kommt nun die große Abrechnung? Seit im vergangenen Jahr zwei ehemalige Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) begonnen haben, ausführlich ihre Versionen vom Innenleben der militanten Gruppe auszuplaudern, feiern die deutschen Fahnder späte Erfolge. Allein wegen der Angaben des Berliners Tarek Mousli sitzen drei Männer und eine Frau in Untersuchungshaft, gegen einen weiteren läuft in Kanada das Auslieferungsverfahren.

Wegen der Aussagen des zweiten Kronzeugen, Hans-Joachim Klein, verhafteten die Strafverfolger in Frankreich zwei Verdächtige, auf deren Auslieferung die deutschen Behörden seit Anfang des Jahres warten. In Frankfurt/ Main sitzt zudem ein Mann in Untersuchungshaft, den Klein belastet hat.

Wenn der Prozess gegen ihn, Rudolf Sch. sowie den Kronzeugen Klein selbst am 17. Oktober vor dem Frankfurter Landgericht beginnt, steht ein aus heutiger Sicht eigenartiger Aspekt deutscher linksradikaler Geschichte zur Verhandlung. Als Mitglieder der RZ sollen sich Sch. und Klein an einer Aktion der später so genannten Carlos-Gruppe beteiligt haben.

Das Kommando stürmte im Dezember 1975 die Wiener Opec-Konferenz und nahm mehrere Ölminister als Geiseln. Drei Tote blieben bei der Aktion zurück, als die Gruppe um den Venezolaner Illich Ramirez Sanchez ausgeflogen wurde und in Algerien Asyl erhielt. Dabei soll Sch. als führender Kopf der RZ für die Wiener Aktion Wohnungen angemietet und das Opec-Büro ausspioniert haben. In diese Vorbereitungen involviert war nach Kleins Angaben auch Sonja S., die im Januar 2000 in Paris verhaftet wurde.

Rudolf Sch., der 1978 abgetaucht und erst 1991 wieder legal nach Frankfurt zurückgekehrt ist, soll Klein zudem erst für den Überfall angeworben haben. Auch Mousli belastet den 58jährigen: Er will wissen, dass Sch. zehn Jahre seiner Zeit in der Illegalität in Berlin verbracht und sich dort an RZ-Aktionen beteiligt habe. Nach Angaben von Rechtsanwälten soll auch Mousli vor dem Frankfurter Gericht als Kronzeuge gegen Sch. aussagen.

Was von all den Vorwürfen gegen den Maschinenschlosser der Wahrheit entspricht, ist nicht geklärt. Getrieben von der Hoffnung, von der zu Jahresbeginn ausgelaufenen Kronzeugenregelung zu profitieren, plauderte Klein offenbar über alles, was ihm gerade in den Sinn kam. Schließlich werfen ihm die Ankläger die Beteiligung am dreifachen Mord vor ein Tatbestand, der gewöhnlich mit lebenslänglicher Haftstrafe bestraft wird. Dass man hier aber Nachsicht zeigen wird, daran lässt der Sprecher der Frankfurter Sta

atsanwaltschaft Job Tillman keinen Zweifel: "Wenn man zu der Ansicht kommt, dass Klein sich Vorteile aufgrund seiner Aussagen verdient hat, dann wird er die auch nutzen können."

Nur so ist zu erklären, wie es überhaupt zu der Anklage gegen Sch. kam, dem die Strafverfolger "Beihilfe zum Mord" vorwerfen. Es stört die Ermittler wenig, dass Klein zunächst andere Personen genannt hat, die ihn angeworben hätten. Ebensowenig macht es den Anklägern Sorgen, dass Sch. nach Worten des Kronzeugen in der Organisation unter den Decknamen "Max" und "Sharif" aufgetreten sei. Eine für Bundeskriminalamt und Ankläger anscheinend "alles entscheidende Aussage". Seltsam, denn "Max" und "Sharif" nannte

sich das ehemalige RZ-Mitglied Gerd S., wie der seit vielen Jahren in Nicaragua lebende Mann im November 1997 selbst in einem anderen Verfahren als Zeuge aussagte. Auch in Stasi-Akten lässt sich das so nachlesen. Dennoch hält die Staatsanwaltschaft an den Vorwürfen fest: "Solche Widersprüche muss man vor Gericht klären", sagt Behördensprecher Tillman.

Vorerst steht nur eines fest: die Beteiligung "Klein-Kleins", wie ihn seine Freunde gern nannten, an jenem Kommando gegen die Opec. Nicht nur ein Foto des verletzten Mannes auf dem Weg zum Wiener Flughafen beweist dies. Kaum hatte er Mitte der siebziger Jahre die Guerilla verlassen, berichtete Klein im Spiegel und in seinen bei Rowohlt erschienen Aussteiger-Memoiren "Rückkehr in die Menschlichkeit" über seine Beteiligung am Wiener Überfall. Bis zu seiner Verhaftung im September 1998 in einem französischen

Dorf machte er offenbar keine belastenden Aussagen gegen Ex-Genossen oder -Genossinnen. Danach sollte sich das ändern.

Späte Rache der deutschen Antiterror-Spezialisten? Oder sogar ein zeitlich gezielt inszenierter Teil einer Strategie, um nachträglich den militanten Widerstand von RZ und der ihr nahe stehenden feministischen Roten Zora zu denunzieren? Das mutmaßen zumindest einige Linke, weil den deutsche Behörden Kleins Aufenthalt schon viel länger bekannt gewesen sei. Eine These, die wohl als gewagte Spekulationen ins Reich der Verschwörungsfantasien verbannt werden darf. Dennoch sorgt die Gleichzeitigkeit, mit der die

Kronzeugen Klein und Mousli auftauchten, für Fragen. Weniger mit Blick auf angebliche Counter-Insurgency-Strategien. Umso mehr aber in Hinsicht auf die Geschichte der RZ als Vereinigung, der sich die überwiegende Mehrheit der militanten Linksradikalen in den achtziger Jahren eng verbunden fühlten.

RZ und Rote Zora, das waren für sie in erster Linie sympathisch agierende Grüppchen, im "Kampf um die Köpfe der Menschen" immer nah dran an der Bewegung. 186 Anschläge gehen auf das Konto der Militanten, bis sich die RZ faktisch in den neunziger Jahren auflöste. Manchmal avantgardistisch, meistens populistisch, gingen die Zellen ganz nach dem Geschmack der Autonomen mit Feuer, Flamme und manchmal auch Pistole gegen Atombetreiber, Frauenhändler, multinationale Konzerne und Asylrichter vor.

Und so hätte man sie auch gern inszeniert, wenn wie geplant im Januar 2001 der Prozess gegen die angeblichen Berliner RZ-Mitglieder Lothar E., Harald G., Axel H., Matthias B., Rudolf Sch. und Sabine E. vor dem Kammergericht beginnt. Schließlich soll die Hauptstadt-Combo für sozialrevolutionäre Aktionen gegen die deutsche Flüchtlingspolitik zur Verantwortung gezogen werden.

Doch mit dem Frankfurter Verfahren steht nun auch ein anderer Teil der RZ-Politik wieder zur Diskussion: die Einbindung in internationalistische Guerilla-Strukturen, die sich an palästinensischen Befreiungsbewegungen orientierten. Während sich die legale radikale Linke ohnehin wenig über die Folgen solcher Kooperationen sorgte und die antiisraelische Sache recht unreflektiert zu der ihren machte, spielten die aus dieser Zusammenarbeit resultierenden Widersprüche innerhalb der RZ eine wichtige Rolle. Doch

einen klaren Trennungsstrich vermochte man trotz aller Kritik nicht zu ziehen. Kontakte zwischen einzelnen RZ-Mitgliedern und der Carlos-Gruppe existierten bis in die späten achtziger Jahre.


Die verlorene Hoffnung auf Sieg

Aktionen wie der Überfall auf die Opec-Konferenz sind nur vor dem Hintergrund des Konzepts der trikontinentalen Befreiung zu verstehen

"Es gibt aber auch einen Teil unserer Politik, den viele Genossen nicht verstehen und nicht akzeptieren und den auch die Massen nicht verstehen und der sie vorläufig auch nicht interessieren wird. Wir halten ihn dennoch für richtig", erklärt die Revolutionäre Zelle (RZ) der ersten Tage im Jahr 1975. Und: "Dieser Teil des Kampfes bezieht sich auf den Internationalismus, wo es primär um die Solidarität mit den Genossen ausländischer Guerillabewegungen geht."

Man ahnt es schon: Diese Politik ließ sich kaum mit dem gleichzeitig formulierten Anspruch vereinbaren, eine populäre Guerilla aufzubauen. Und so ist das damalige RZ-Mitglied Hans-Joachim Klein mächtig genervt, als nach der täglichen Waffenausbildung im Südjemen plötzlich über "Kleinkram" wie die Sabotage von Fahrkartenautomaten diskutiert wird.

An mindestens zwei Aktionen, die weltweit Aufsehen erregen, sind RZ-Mitglieder beteiligt: am Überfall auf die Wiener Opec-Konferenz und an der Entführung einer Air-France-Maschine nach Entebbe in Uganda.

Am 21. Dezember 1975 überfällt ein aus Palästinensern, Lateinamerikanern und Deutschen bestehendes Kommando die turnusmäßige Sitzung der in der Opec organisierten Erdöl-produzierenden Staaten in Wien. Angeführt wird die Aktion von dem Venezolaner Illich Ramirez Sanchez, genannt "Carlos". Als das Gebäude erstürmt wird, sterben zwei Leibwächter und ein österreichischer Polizist. Ein Querschläger verletzt den am Kommando beteiligten Klein so schwer, dass er in einem Krankenhaus notoperiert wird.

Mehrere arabische Ölminister werden als Geiseln genommen und sollen bei einem Rundflug durch ihre arabischen Heimatländer gegen Geld und politische Gefangene ausgetauscht werden. Geplant ist außerdem, so schreibt Klein später, den saudischen und den persischen Ölminister zu erschießen. Nach harten Verhandlungen stellt die österreichische Regierung den Geiselnehmern ein Flugzeug zur Verfügung. Mit den Geiseln fliegen sie nach Algier.

Bereits in der Luft, um ihre Rundreise durch die arabischen Länder zu beginnen, muss das Kommando wieder umkehren, denn der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi verweigert die Landeerlaubnis in Tripolis. Gerüchteweise liegt zudem ein millionenschweres finanzielles Angebot aus Saudi-Arabien vor. Zurück in Algier, werden alle Geiseln freigelassen. Die am Kommando Beteiligten erhalten politisches Asyl. Später reisen sie in den Südjemen weiter.

In ihrem Kommuniqué beschwört dieses Kommando der "Bewegung der arabischen Revolution" vor allem den Willen zur arabischen Einheit gegen die "zionistische Aggression". Die arabischen Regimes hätten angefangen, "sich vor der wachsenden Stärke des palästinensischen Widerstands als Avantgarde der totalen [!] arabischen Revolution in Form des bewaffneten Volkskrieges zu fürchten. Sie fühlen sich bedroht von der zunehmenden Vereinheitlichungs- und Befreiungstendenz, die sich an dem ruhmreichen Oktober [gemeint ist der Jom-Kippur-Krieg 1973; d.V.] entzündet hat." Weiter wird "wer auch immer Israel anerkennt oder einwilligt, mit ihm zu handeln oder zu verhandeln", als Verräter bezeichnet. Solchen Verrätern droht das Kommando mit Bestrafung "durch die Massen".

Während sich fast das gesamte Kommuniqué um Israel und damit zusammenhängende Fragen dreht, wird die innerarabische soziale Situation nur in einem Satz gestreift: "Verstaatlichung der Ölmonopole und Übergang zu einer nationalen Öl- und Finanzpolitik, die es dem arabischen Volk ermöglicht, seinen Reichtum für seine eigene Entwicklung, seinen Fortschritt, Wahrung seiner nationalen Interessen und Stärkung seiner Souveränität zu benutzen." Aber selbst hier ist der "Finanzierung des palästinensischen Widerstands Vorrang zu geben".

Sieben Monate später entführt ein weiteres internationales Kommando eine Air France-Maschine auf dem Flug von Tel Aviv über Athen nach Paris. Sie landet im ugandischen Entebbe. An der Aktion beteiligt sind neben zwei Palästinensern auch zwei Deutsche: die Frankfurter RZ-Mitglieder Brigitte Kuhlmann und Wilfried Boese. Nach der Landung werden die Passagiere nach ihren Pässen getrennt. Alle israelischen Staatsbürger müssen im Flugzeug bleiben, der größte Teil der anderen Passagiere wird freigelassen.

Die Gruppe fordert die Freilassung von 53 politischen Gefangenen aus israelischen und deutschen Knästen. Nach dreitägigen Verhandlungen stürmt ein heimlich angereistes israelisches Kommando das Flugzeug. Vier Entführer werden getötet, alle Geiseln befreit und nach Israel zurückgebracht. Ein Opfer bleibt zurück: Die belgische Staatsbürgerin, Jüdin und ehemalige KZ-Insassin Dora Bloch stirbt im Laufe der Entführung unter ungeklärten Umständen.

Beide Aktionen werden in der deutschen linken Szene nicht diskutiert. In den einschlägigen Blättern findet sich hierzu zumindest kein einziger Beitrag. Anders im Spiegel. In der Ausgabe 28/1976 schreibt das Hamburger Nachrichtenmagazin, "daß ausgerechnet zwei Deutsche in Entebbe die Juden von den übrigen Passagieren selektierten", habe in Israel bitterste Erinnerungen heraufbeschworen. Jedem Spiegel-Leser, jeder Leserin kann also schon zu diesem Zeitpunkt die mögliche antisemitische Dimension dieser Aktion nicht unbekannt gewesen sein. Immerhin wird dieser Aspekt auch von Klein in einem Interview mit der französischen Tageszeitung Libération im Jahr 1978 problematisiert. Die RZ, so schreiben sie später, sind zu diesem Zeitpunkt noch zu sehr im antiimperialistischen Denken verfangen, um auf solche Kritik einzugehen.

Dieses Denken in Konzepten des antikolonialen und antiimperialistischen Befreiungskampfes entwickelt sich in den fünfziger Jahren. Im Laufe dieses Jahrzehnts befreien sich mehrere Länder im Trikont selbst durch den bewaffneten Kampf. So z.B. Kuba und Algerien. In vielen anderen Staaten toben später Kämpfe zwischen nationalen Befreiungsbewegungen und Staatsmacht oder imperialistischen Besatzern, wie etwa in Südvietnam, in Angola sowie in vielen Staaten Mittel- und Südamerikas.

Ihren programmatischen Höhepunkt hat diese Stimmung mit der Trikontinentalen Konferenz 1966 in Havanna, auf der Bewegungen und Regierungen aus 82 Staaten den bewaffneten Befreiungskampf als Standardweg der Emanzipation verkünden. Das ist, formal betrachtet, eine satte Uno-Mehrheit. Che Guevara ruft die Studenten und Studentinnen in Europa und den USA dazu auf, den "Kampf im Herzen der Bestie" aufzunehmen. Befreiung scheint nur noch eine Frage einer letzten subjektiven Anstrengung. Zudem machen die USA mit dem von ihnen unterstützten Putsch in Chile im Jahr 1973 klar, dass sie einen friedlichen Weg zum Sozialismus nicht akzeptieren würden. Wohl nicht nur zufällig werden in diesem Jahr die RZ gegründet.

Am 25. April 1974 stürzen junge linke Offiziere und ihre Soldaten das faschistische Regime in Portugal. Die trikontinentale Befreiung scheint auf dem europäischen Festland gelandet zu sein. In dieser Stimmung beteiligen sich RZ-Mitglieder an weltweit operierenden Kommandos der vermeintlichen "trikontinentalen Revolution".

Doch bald müssen sie bittere Erfahrungen machen, die nach der Entebbe-Aktion zu einer Spaltung der RZ führen. Von nun an gibt es einen "Inlandsflügel", der sich bewusst auf sozialrevolutionäre Aktionen beschränkt, orientiert an den Bedingungen in der BRD, und einen "internationalen Flügel", der sich der Gruppe Internationaler Revolutionäre anschließt. Diese Gruppe wird von den Medien als Carlos-Gruppe bezeichnet. Bis weit in die achtziger Jahre soll allerdings das RZ-Mitglied Gerd Albartus Querverbindungen zwischen den beiden Gruppierungen unterhalten haben. Diese werden ihm im Dezember 1987 zum Verhängnis. Er wird von Mitgliedern der Carlos-Gruppe als "Verräter" hingerichtet.

Bekanntestes überlebendes deutsches Mitglied dieser Gruppe ist Johannes Weinrich, den das Berliner Kammergericht im Januar dieses Jahres wegen eines Anschlags auf das Maison de France 1984 zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Schlussplädoyer dieses Prozesses versucht der linke Berliner Anwalt Rainer Elfferding den Lebensweg seines Mandanten Weinrich nachvollziehbar zu machen, allerdings ohne seine Konsequenzen zu teilen. Die deutschen Guerilleros hätten erkennen müssen, "wie wenig ðrevolutionärÐ die meisten dieser Bewegungen in Wirklichkeit waren, wie nationalistisch, wie eingebunden in regionale Interessen, wie abgeschnitten von der ðWeltrevolutionÐ, wie eifersüchtig aufeinander, wie zerstritten untereinander, wie abhängig von Regierungen und deren Geheimdiensten, die alles andere als ðrevolutionäreÐ Ziele interessierten, denen es um die Macht ging, um Öl, um Geld, und die mal mit diesem, mal mit jenem paktierten." In den Zelten der palästinensischen Flüchtlingslager hätten sich Hitlerbilder gefunden und "Menschen, die Hitler gut fanden, weil er gegen die Juden vorgegangen sei".

Erst 15 Jahre später äußert sich eine RZ-Gruppe öffentlich zur faktischen Spaltung im Jahr 1976. "Die berechtigte Sorge, der falschen Seite in die Hände zu arbeiten, darf nicht zum bequemen Freibrief werden, jeglichen Dreck unter den Teppich zu kehren", heißt es in der Erklärung "Gerd Albartus ist tot". Vielleicht müsse man umdenken und lernen, "daß Schwindel und Selbsttäuschung weit mehr zu unserem Scheitern beitragen, als die offen geführte Debatte um unsere internen Widersprüche". Doch jetzt hat leider erstmal der Staatsanwalt das Wort.


Bellende Hunde

Der Aussteiger Klein personifizierte die internen Auseinandersetzungen der Frankfurter Szene. So wurde er für alle zur Projektionsfläche eigener Unzulänglichkeiten

Die Kindheits- und Jugendgeschichte von Hans-Joachim Klein liest sich wie ein Kapitel aus Marcuses Randgruppenstrategie: "Kriterien zur Bestimmung des potenziell revolutionären Subjektes." Kindheit und Jugend verbringt er beim prügelnden Vater, im Heim, im Knast, auf der Straße und in der Gang. Nahe liegend also, dass Klein in der Linken mit offenen Armen empfangen wird.

Er erlebt die Zeit, in der sich die Studentenbewegung aufspaltet. Viele der noch Aktiven bleiben anti-autoritären Gedanken treu. In Frankfurt/ Main, wo Klein groß wird, greifen die Spontis Konzepte der italienischen Autonomia auf, die auf gesellschaftliche Verankerung und Militanz bauen und puren Ökonomismus ablehnen. Man findet sie in verschiedenen Bereichen: in der Betriebsarbeit, in Stadtteilgruppen, in Obdachlosensiedlungen, in den Jugendzentren, in der Frauenbewegung.

Klein beteiligt sich an der militanten Verteidigung besetzter Häuser, macht aber gleichzeitig keinen Hehl aus seiner Sympathie für die RAF. Damit gerät er in Widerspruch zu den Spontis. Er hat keine Lust, "vor grinsenden Bullenketten und tropfenden Wasserwerfern zu stehen, um dann anschließend kaputt vom Rennen und frustriert von der Ohnmacht nach Hause zu gehen".

Die Auseinandersetzungen werden härter, Kleins Spagat wird schwieriger. Ein Zufall kommt zur Hilfe. Wilfried Boese, den Klein von mehreren politischen Gruppen kennt, öffnet ihm die Tür zu den RZ. Klein willigt ein und macht aus seinem Doppelleben ein politisches Konzept. Er eignet sich Kenntnisse für die Illegalität an und engagiert sich gleichzeitig in der Roten Hilfe. Als dann im November 1974 der RAF-Gefangene Holger Meins im Hungerstreik stirbt und einen Tag später der Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann von der Bewegung 2. Juni erschossen wird, fühlt sich Klein in seiner Entscheidung gestärkt: Jetzt müsse "mit der Ohnmacht des Legalismus Schluß gemacht werden".

Von einem Vertreter der RZ wird ihm angetragen, an der geplanten Opec-Aktion teilzunehmen. Klein willigt ein. Und so ist er dabei, als das Kommando das Gebäude in Wien stürmt. Die Wochen nach der Aktion verbringt er in einem Militärcamp der PFLP im Südjemen und erholt sich von einer schweren Schussverletzung.

Die Diskussion über das Scheitern der Opec-Aktion erschöpft sich nach Kleins Worten in der Kritik am "zaghaften" Vorgehen einzelner Kommando-Mitglieder. Sowohl die rüde Art dieser Aufarbeitung als auch andere Erfahrungen lassen ihn an der Politik der Guerilla zweifeln: "Im Februar 1976 stand für mich fest, daß ich, sobald ich die Möglichkeit dazu habe, aus dieser Art der ðPolitikÐ ( ) aussteige." Noch in die Guerilla eingebunden, knüpft er alte Kontakte zur Frankfurter Sponti-Szene. Er will seinen Ausstieg ohne Guerilla-Strukturen organisieren.

Was ihm gelingt. Im Frühjahr 1977 meldet er sich in einem an den Spiegel gerichteten Brief zu Wort: "Wir wollen zwei Morde verhindern!" Ziel seiner Veröffentlichung sei es, Pläne der RZ zu vereiteln, Heinz Galinski, den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Berlin, und einen Leiter der jüdischen Gemeinde in Frankfurt anzugreifen.

Wenig später antworten die RZ. Auf den Ablauf der Opec-Aktion gehen sie nicht ein. Ebensowenig auf die Umstände der dort ums Leben gekommenen Menschen. Das ist aus sicherheitsbedingten Gründen verständlich. Allerdings sprechen sie auch mit keinem Wort das politische Scheitern der Wiener Aktion an. Um so mehr Raum nehmen Persönlichkeitsbeschreibungen ein. "Wir haben nicht gesehen, daß HJK sich übernommen hatte, wir haben ihm zuviel durchgehen lassen, wir sind auf ihn abgefahren." Dass die kritisierte Großmäuligkeit, wie sie Klein zur Schau stellt, nicht nur seine Sache ist, beweisen die RZ selbst. Sie betiteln ihr Schreiben mit dem Satz: "Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter".

Sicher gab es gute Gründe, nicht auf jede Projektion von Klein zu antworten und nicht auf die angeblich verhinderten RZ-Pläne einzugehen. Anders sieht es jedoch aus, wenn zugleich behauptet wird, Galinski sei alles andere "als nur jüdischer Gemeindevorsitzender", er sei mitverantwortlich "für die Verbrechen des Zionismus, für die Grausamkeiten der imperialistischen Armee Israels", um mit der Frage zu enden, "was man in einem Land wie dem unseren dagegen machen kann". Wer diese Frage stellt und diese "in einem Land wie dem unseren" nicht eindeutig beantwortet, der macht den RZ-Plan wahrscheinlich, anstatt ihn für absurd zu erklären.

Gleichzeitig mit der Spiegel-Veröffentlichung druckt der Pflasterstrand (PS), die Zeitung der Frankfurter Spontis, Kleins Brief ab. Man wolle, so die erklärte Absicht, jenseits interner und staatlicher Drohungen eine offene Auseinandersetzung führen. Kommentarlos veröffentlicht das Blatt dann noch einen mit "Jemand" unterzeichneten Brief. Jener Jemand will wissen, dass die Guerilla ein "Todesurteil" gegen Klein gefällt habe. Daraus folgt die Drohung: "Alle Versuche, das Todesurteil an Genossen Klein vollstrecken zu können, werden als das behandelt, was sie sind: Bullen-Aktivitäten. Wir kennen viele Namen. Wir würden nicht davor zurückschrecken, sie zu nennen." In der Folgezeit ist von einer Liste mit über 150 Namen die Rede.

Der Umgang mit diesem Brief wirft Fragen auf: Warum konnte Klein trotz eines vermeintlichen Todesurteils aussteigen? Warum wird eine RZ-Erklärung unterschlagen, in der klipp und klar zu lesen steht, dass jede und jeder aus der Gruppe mit ihrer Unterstützung aussteigen könne? Antworten gibt weder ein "Jemand" noch die PS-Redaktion. Deren Autoren füllen auch die "Lücken" nicht, die sich durch die vermeintlichen Attentatspläne offenbaren. Nur mit einem Satz nehmen sie Bezug: "Wie es anders möglich gewesen wäre, die beiden Anschläge zu verhindern, die wir auch für verhinderungswürdig halten, bleibt dabei auch offen." Wo also eine Diskussion hätte eröffnet werden müssen, bricht sie mit einer lächerlichen Andeutung ab.

Dabei hätte eine offene Auseinandersetzung viele Fragen zum linken Antizionismus und dessen antisemitischer Argumentation aufgeworfen. Um solche Fragen zu stellen, hätte es keinen angeblichen Plan der RZ gebraucht. Im schlimmsten Fall hätte dieser Plan nur die Fehler der Linken auf die Spitze getrieben, im besten Fall wäre er als eine Projektion enttarnt worden, deren Bearbeitung in der legalen Linken am besten aufgehoben gewesen wäre.

So aber wird die Denunziationsdrohung zum Teil einer Kampagne, die keineswegs die Neubestimmung militanter Politik, sondern deren Ende zum Ziel hat. Vom jetzigen Standpunkt aus besteht darüber kein Zweifel: Zu den "Jemanden" zählen heutige Grünenpolitiker wie Daniel-Cohn Bendit und Tom Koenigs.

Ein Jahr später melden sich die RZ noch einmal zu Wort. Sie werfen Klein vor, "die Grenze zum Verrat längst überschritten" zu haben. War er vorher noch ein "Problem, weil die Art seines Aussteigens die Befürchtung begründet, dass er auch vor dem Verrat konkreter Einzelheiten" nicht zurückschrecke, hat er nun "die Grenze zum Verrat" überschritten. Wie sie zu dieser Veränderung ihrer Einschätzung kommen, erklären die RZ nicht. Anstatt diese Grenzen klar zu benennen, verschwimmt die Definition: "Verrat beginnt letztlich, wo er seinen Drang zur Selbstdarstellung, den er kennt, akzeptiert."

Klein hat damals keine Namen von (lebenden) RZ-Mitgliedern preisgegeben. Nach seinen Worten geht es ihm um die Kritik an einer revolutionären Gewalt, "die als Endziel eine gerechtere und humanere Welt versprach und dabei zu Mitteln und Methoden griff", gegen die er früher auf die Straße gegangen wäre. Er kritisiert neben den angeblich geplanten Aktionen gegen jüdische Funktionsträger vor allem die Wirklichkeit des revolutionären Internationalismus, so wie er sie wahrgenommen hat: "Sie waren jedesmal abhängig von Waddi Haddat (leitender Funktionär der PFLP, d.V.) und seiner Gruppe." Die RZ sei "abhängig bezüglich des Geldes und bezüglich der Waffen." All das habe seinen Preis: "die Beteiligung von Mitgliedern der deutschen Guerilla an anderen Aktionen", sagt er im Oktober 1977 der Libération.

Man muss nicht jedem von Kleins Worten Glauben schenken. Und man muss nicht in der Guerilla gewesen sein, um die Gefahren von Bündnissen zu benennen, die umso größer und unkalkulierbarer werden, wenn die soziale, politische und materielle Basis fehlt. Ohne aber diese Fragen aufzugreifen und auf die Kritik von Klein direkt einzugehen, nimmt die RZ dennoch Stellung: "Der palästinensische Revolutionär Wadi Haddat hat im Rahmen diese Konzeptes, nämlich die ganze Welt zum Aktionsfeld des antiimperialistischenWiderstands zu machen, einen Beitrag zur internationalen Zusammenarbeit der Befreiungsbewegungen zu leisten, eine große Bedeutung."

Mit großer Geste geht man also erneut über Kleins Kritik hinweg. Dass die aufgeworfenen Fragen jedoch nicht nur die abwegigen Gedanken eines Abtrünnigen waren, dass sie innerhalb der RZ zu Auseinandersetzungen und Brüchen führten, lässt sich in der 13 Jahre später veröffentlichten Erklärung "Gerd Albartus ist tot" nachlesen. Die dort kritisierte Flugzeugentführung Ende Juni 1976 in Entebbe sei kein Einzelfall gewesen, "aber der Kulminationspunkt einer Entwicklung, in deren Verlauf wir uns mehr und mehr von dem entfernt hatten, wofür wir mal angetreten waren".

Nur einige hätten sich wieder auf die sozialen und politischen Bewegungen orientiert. Eine weitere Konsequenz sei der "allmähliche Rückzug" aus den internationalen Kontakten gewesen. "Allmählich, weil es alte, auch emotionale Verbindungen gab und weil wir uns selbst schwertaten, mit jenen Begriffen und ideologischen Konstrukten zu brechen, die eine Aktion wie Entebbe überhaupt möglich gemacht hatten." Der markige Satz von der Karawane, die weiterzieht, während die Hunde bellen, so ist in der Erklärung zulesen, "war mehr ein Spruch als daß er unsere Wirklichkeit beschrieb".


Das Scheitern der Lämmer

Die Verräter sind immer die anderen: Politische Defizite werden gern durch die Diskussion um Abtrünnige zugedeckt

Welch ein Bild. Links, freundlich lächelnd, ein älterer Mann mit Hornbrille, dahinter das Gesicht eines studentischen Rebellen. Neben dem Wuschelkopf, im Hintergrund, steht ein weiterer jugendlich wirkender Mann, gekleidet in eine Jeansjacke. Wenn in der kommenden Woche der Prozess wegen des Opec-Überfalls beginnt, wird dieses Foto wieder Reportagen zieren: Jean-Paul Sartre, Daniel Cohn-Bendit und Hans-Joachim Klein auf dem Weg ins Stammheimer Gefängnis. Besuch bei Andreas Baader, 1974.

Die Aufnahme hat für jeden etwas. Sie liefert Gewissheiten in einem Prozess, der mit dem Amtsantritt des heutigen Außenministers ein vorläufiges Ende gefunden hat. "Verräter", schimpfen die einen und wissen, dass niemand deutlicher für den Verlust alter Ideale steht als Klein und Cohn-Bendit. "Wer, wenn nicht wir", antworten Joseph Fischer, Tom Koenigs, Thomas Schmid und all die anderen geläuterten Frankfurter Spontis, die es sich zwischen Bundesministerien und Welt-Redaktion gemütlich gemacht haben. Und mit ihnen antwortet ein ganzes Völkchen grün wählender Mittvierziger, die den Bruch mit den spinnerten Ideen der siebziger Jahre ebenso erfolgreich vollzogen haben wie ihre bezahlten Apologeten.

Wer, wenn nicht die, die selbst mit der Entschlossenheit zum Umsturz auf die Straße gegangen waren, hätten einen "Terroristen Klein", und damit bildlich eine ganze Generation von Militanten erfolgreich nach Hause holen können? Und so steigt "Klein-Klein" mit Hilfe der alten Genossen und Genossinnen aus der Guerilla aus. Unterstützt von Pflasterstrand-Redakteur Cohn-Bendit setzt er ab Mai 1977 seine "Rückkehr in die Menschlichkeit" im Spiegel, in der Libération und beim Rowohlt-Verlag ordentlich in Szene. Die Politik der bewaffneten Gruppen sei, so lässt er wissen, geprägt von "Zynik und Gefühllosigkeit".

In Zeiten, in der militante Organisation an ihre Grenzen stößt, werden solche Sätze gern gehört. Obersponti Fischer im Herbst 1976: "Weil wir uns mit ihnen so eng verbunden fühlen, fordern wir sie auf, Schluss zu machen mit diesem Todestrip, runterzukommen von ihrer bewaffneten Selbstisolation, die Bomben wegzulegen und die Steine und einen Widerstand, der ein anderes Leben meint, wieder aufzunehmen."

Kleins Entscheidung kommt also gelegen, zumal der Aussteiger weder Genossen namentlich verrät noch sich von seiner linken Geschichte distanziert. Die Revolutionären Zellen (RZ), denen er den Rücken kehrt, gehen in einer Antwort auf die Probleme, die die Sponti-Vermarktung des Ausstiegs mit sich bringt, nur mit einem Satz ein: Klein solle benutzt werden, "um der Stadtguerilla in Deutschland den Garaus zu machen".

Über zehn Jahre später mittlerweile haben Cohn-Bendit und Fischer die erste rot-grüne Regierung hinter sich ist es wieder der "rote Dany", der einspringt. Verfassungsschützer "Hans Benz" klopft mit dem Aussteigerprogramm beim Pflasterstrand an. Der Versuch bleibt erfolglos. Zwar trifft sich "Benz" mit Klein in Frankreich, allerdings kann der VS-Mann kein attraktives Angebot machen. Wegen der drei Toten, die das Carlos-Kommando in Wien hinterließ, müsste Klein-Klein mit einer Mordanklage und einer Verurteilung zu lebenslänglicher Haft rechnen. Er zieht es also vor, im Ausland zu bleiben.

Ein Jahrzehnt später taucht der Name Hans-Joachim Klein erneut in der deutschen Öffentlichkeit auf, als er Anfang September 1998 in der französischen 300 Seelen-Gemeinde Sainte-Honorine-La Guillaume verhaftet wird. Von einem Zufallstreffer kann keine Rede sein: Klein-Klein ist schon vorher mit der Frankfurter Staatsanwaltschaft in Verhandlung über eine freiwillige Rückkehr. "Bei dem Stand der Gespräche", erklärte der Strafverfolger Volker Rath, habe es aber keinen Anlass gegeben, "fest und sicher davon auszugehen, dass Herr Klein sich stellen wird". Also schlagen die Ankläger zu, als sie ihm auf die Spur kommen.

Oder hat der Zeitpunkt der Verhaftung politische Gründe? Für die Grünen liegen diese auf der Hand: Der Zugriff findet sechs Wochen vor den Bundestagswahlen statt. Kaum wird die Polizeiaktion bekannt, kramen Unionspolitiker eine längst verstaubte Geschichte hervor: 1973 werden im Fahrzeug Fischers Waffen transportiert, die aus dem Einbruch in eine Kaserne stammen. Mit einer Pistole aus denselben Beständen wird acht Jahre später der hessische Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry von einer RZ erschossen.

Der Fahrer von Fischers Auto ist Klein, der, wie die Bundesanwaltschaft von Fischer schon seit 1983 weiß, einen neuen Motor in den Wagen einbauen soll. Die Geschichte geht im öffentlichen Spektakel unter. Selbst das Bundeskriminalamt (BKA) winkt ab.

Über den Zeitpunkt von Kleins geplanter freiwilliger Rückkehr wird trotzdem auch in der Linken spekuliert. Jutta Ditfurth etwa fragt sich, wieso der Mann "offensichtlich auf Anraten seiner alten Spontifreunde" ausgerechnet kurz vor der Bundestagswahl zurückkommen will. Sollte "der Emigrant" der Bauer sein, mit dem die beiden Oberspontis "den Herrschenden noch einmal vorführen wollten, wie meisterlich man sich aufs Befrieden linker Opposition versteht"? Eine "linke Opposition" spielt zwar in dieser Wahl keine Rolle, dennoch ist dieser Gedanke überlegenswert. Schließlich ist Cohn-Bendit bis heute um Publicity bemüht, wenn es zu betonen gilt, dass er Klein während seiner illegalen Zeit unterstützt hat. Integration garantiert: Wir lassen die schwarzen Schafe von damals nicht im Stich.

So weit, so gut. Doch Ditfurth fährt fort: "Waren die so sicher, dass sie einen grünen Außenminister haben würden, der vereint mit dem grünen Landesjustizminister Plottnitz, den alten Kumpel raushauen würde?" Ob sich denn keiner darüber wundere, dass ausgerechnet das BKA Fischer gegen alte Vorwürfe verteidige? Und mit Blick auf Fischers Schandtaten: "Fällt denn niemand auf, dass die oberen CDU-Chefetagen vornehm schweigen?"

Wir resümieren: Nicht etwa ein kompliziertes Konglomerat von Machtverhältnissen, subjektiven Entscheidungen und gesellschaftlichen Prozessen bringt Leute wie Fischer an die Macht und alte Freunde zurück, sondern der perfide Counter-Insurgency-Plan einer Mafia von CDU, BKA und den Grünen, freilich finanziert vom Großkapital.

Solche Simplizität besticht offenbar noch immer, wenn es gilt, sich gesellschaftliche Entwicklungen zu erklären. Denn auch in Kreisen, die sich mit den Verhaftungen mutmaßlicher RZ-Mitglieder beschäftigen, kursieren entsprechende Erklärungsversuche. So heißt es in einem Diskussionspapier, die durch Kronzeugen wie Klein und den Berliner Tarek Mousli hervorgerufene "Prozess- und Politinszenierung" sei "von langer Hand" geplant und werde "demonstrativ medial inszeniert".

Wie werden Verfahren, denen völlig unterschiedlichen Zeugen und Ursachen zu Grunde liegen, von "langer Hand" vorbereitet? Eine "demonstrative" mediale Inszenierung sucht man ohnehin vergebens. Im Gegenteil: Sieht man von Focus ab, zeigen Zeitungen kaum Interesse am Thema. Und wer würde die Namen RZ und Rote Zora überhaupt noch in den Mund nehmen, hätte es nicht die Verhaftungen der letzten zehn Monate gegeben?

Dass die Autoren und Autorinnen dieses Papiers auch noch befürchten, in dieser Inszenierung solle von der "tatsächlichen Bedeutung" der RZ und der Roten Zora abgelenkt werden, indem die Opec-Aktion sowie die Ermordung eines eigenen Genossen herausgestellt werde, lässt nichts Gutes erwarten. Nicht nur, weil in der Tradition realsozialistischer Geschichtsschreibung eine saubere Legende der RZ konserviert werden soll. Beunruhigend ist auch die Logik, die sich hinter diesem Denken verbirgt: Nicht wer Probleme hat, sondern wer sie öffentlich benennt, ist schuld am Desaster der radikalen Linken. Das erinnert an die Reaktionen auf den Ausstieg Kleins.

Keine Frage: Jene, die den Abtrünnigen unterstützen, haben immer ihre eigenen Interessen, wenn sie die erbärmliche Situation dieses Mannes funktionalisieren. Ebenso klar ist, dass sie dies heute für Ziele tun, die mit denen der Linken nichts mehr gemein haben. Leute wie Fischer und Cohn-Bendit sind, wenn man so will, "Verräter" ihrer früheren Ideale. Wer sie aber für die Unattraktivität der Linksradikalen verantwortlich macht, um sich das eigene Scheitern zu erklären, ignoriert das tatsächliche Problem: dass die Politkarriere der Fischers und Königs auf der Zustimmung anderer "Verräter", ihrer Wähler und Wählerinnen, basiert und damit Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung ist, in der sich der grün-alternative Mittelstand gegen die Linke durchgesetzt hat.

Auf ähnlicher Ebene bewegen sich jene, die das Kronzeugenproblem auf das "persönliche Scheitern" der Plaudertaschen Klein und Mousli reduzieren. Wer die Aussagen der beiden zum Tabu erklärt, will die eigenen Unzulänglichkeiten nicht wahrhaben, selbst wenn vieles in diesen Aussagen gelogen sein dürfte. Ist es denn ein Zufall, dass die beiden ausgerechnet mit jenen Aspekten der Guerilla Probleme hatten, die am Ende bedeutend zum Scheitern der RZ beigetragen haben. Oder sind die RZ etwa an Repression oder Verrat, an der feindlichen Verschwörung, zerbrochen?

Es gibt viele hausgemachte Gründe für die marode Situation der radikalen Linken, die es aufzuarbeiten gilt. Mit "Counterstrategien" jedenfalls lässt sich die Bedeutungslosigkeit militanter Organisation nicht erklären. Wer sie dort ausmachen will, sieht sich offenbar noch immer in einem Star War zwischen Staat und Militanten jenseits gesellschaftlicher Realität, den man sich schon hätte sparen können, als diese Form der Organisation noch von Bedeutung war.

Heute scheint schon die Debatte absurd. Doch "je mürber die eigene Identität, desto dringender das Verlangen nach Eindeutigkeit", schrieb der "Verräter" Hans- Magnus Enzensberger. Dass Leute wie Klein und Mousli für die Verhaftung von acht weiteren Menschen verantwortlich sind, steht auf einem anderen Blatt.

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/rz/jw261100.htm