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Presse

Datum:
12.04.2007

Zeitung:
Frankfurter Rundschau

Titel:
Die seltsame Terroristin

Die seltsame Terroristin

Am 15. Oktober 1986 kauft eine Frau in Dortmund einen Wecker. Es ist ein unscheinbarer Wecker der Marke Emes Sonochrom, kleiner als ein Feuerzeug, handlich und präzise. Es ist eine unscheinbare Frau von schlanker Statur, etwas größer als der Durchschnitt, sachlich und präzise. Was sie nicht weiß, ist, dass sich auf dem Wecker, kaum sichtbar, eine Kennnummer befindet und hinter dem Tresen eine Kamera. Das wird die Frau noch Zeit kosten. 19 Jahre, um genau zu sein.

Seit dem 11. April 2007 sitzt dieselbe Frau vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin. Sie ist 58 Jahre alt und trägt unter ihrem schwarzen Hosenanzug ein lila Shirt. Sie hat eine kunterbunte Mappe mitgebracht, darin blättert sie gelegentlich. Sie redet nicht viel, obwohl sie einiges zu sagen hätte. Sie heißt Adrienne G. Sie ist angeklagt als Terroristin. Dabei war der Terror, den sie einst verbreitete, gemessen an heutigen Maßstäben fast lächerlich.

Adrienne G. hat geholfen, Bomben zu bauen. Eine davon sollte eine Textilfabrik treffen - und tat es nicht. Eine andere galt einem Universitäts-Institut. Auch sie ein Rohrkrepierer. In beiden Fällen war es Adrienne G., die für die Zünder einen Wecker organisiert hatte. Sie tat es nicht nur für sich. Sie tat es für "alle unterdrückten Frauen". Sie tat es im Namen der "Roten Zora".

1986 - in Bonn regierte Helmut Kohl, in Washington Ronald Reagan, das Böse war noch keine Achse und hieß schlicht Sowjetunion - war die "Rote Zora" eine "ernstzunehmende terroristische Vereinigung", so der damalige Verfassungsschutz. Zunächst als feministischer Arm der "Revolutionären Zellen" (RZ), später autonom, bekannte sich die Frauenriege zwischen 1977 und 1995 zu mehr als 40 Brand- und Sprengstoffanschlägen. Zu Schaden kam dabei niemand, was auch daran lag, dass etliche Attacken kläglich scheiterten. Da die Gruppe in linken Kreisen aber Popularität genoss und Frauen aufrief, als "Banditinnen" den Geschlechterkampf aufzunehmen, betrachtete man ihr Tun mit einiger Sorge.

Zumal die Zoras, wie auch die RZler, anders als die RAF-Kämpfer, nicht aus dem Untergrund heraus agierten, sondern als "Feierabendterroristen" eine bürgerliche Fassade aufrechterhielten. Das erschwerte ihren Häschern den Zugriff erheblich. Bis heute weiß man erstaunlich wenig über Anzahl und Organisationsstruktur der Beteiligten. Selten konnten die Übeltäter zweifelsfrei identifiziert und verurteilt werden. Insofern darf der Fall Adrienne G. als Erfolg gelten. Wenn auch als zweifelhafter: Weil ihr nach 19 Jahren die Lust auf die Flucht vergangen war, stellte sich die einstige Gymnasiallehrerin und spätere Funkelektronikerin im Dezember 2006 selbst. Aus der Versenkung brachte sie noch ihren Lebensgefährten Thomas K. mit, dem wegen "Rädelsführerschaft" in der RZ ebenfalls ein gerichtliches Nachspiel droht.

Dass der Prozess gegen Adrienne G. das Umfeld der "Roten Zora" merklich erhellen wird, kann indes ausgeschlossen werden. Schon zuvor hatte sie angekündigt, sich nur unter vertretbaren Bedingungen stellen zu wollen. Soll heißen: Namen will sie nicht nennen, ebenso wenig Details zu ihrer Flucht - mehr als ihr knappes Geständnis zu den gescheiterten Bombenanschlägen darf man nicht erwarten. Die Bundesanwaltschaft ließ sich darauf ein. Und so begann dieser Terror-Prozess in ungewöhnlich entspannter Atmosphäre: Mit mehr als zwei Jahren Haft auf Bewährung muss Adrienne G. nicht rechnen.

Was dieser Prozess an seinem ersten Tag dennoch ermöglichte, war eine fast schon skurrile Rückschau auf eine Zeit, in der Terroropfer noch nicht nach Tausenden bemessen wurden, in der man Bomben ohne Internetanleitung mit Bleistift, Klopapier und Aldi-Kartons bastelte, in der Bekennerschreiben aussahen wie Kinderfantasien entsprungen und sogar mit 30 Pfennig mehr frankiert wurden als nötig. Gerade einmal 20 Jahre ist das her.

Damals witterten die Mitglieder der "Roten Zora" überall Anzeichen für die Erniedrigung von Frauen. Deswegen griffen sie Pornoläden an. Deswegen attackierten sie die Bundesärztekammer und mit ihr die "Vergewaltiger in weißen Kitteln". Deswegen erkoren sie schließlich auch den Textilkonzern Adler zum Anschlagsziel.

Adler hatte im Frühjahr 1987 in seinem südkoreanischen Werk etliche Mitarbeiterinnen entlassen, nachdem diese für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt hatten. Um den Slogan "Wo Mode so unverschämt günstig ist" aufrechterhalten zu können, wurde zudem ein privater Wachschutz installiert. Die Reaktion der "Roten Zora" folgte prompt: Am 21. Juni entging das Adler-Stammhaus in Haibach bei Aschaffenburg nur knapp einem Anschlag. Die Bombe, für die Adrienne G. einen Wecker besorgt hatte, zündete nicht. Dafür gingen wenige Wochen später in gleich acht Adler-Märkten bundesweit Sprengsätze hoch und richteten erheblichen Schaden an. Der "Zora"-Slogan folgte schriftlich: "Adler flambiert."

Zehn Monate zuvor, am 17. Oktober 1986, hatten es die militanten Feministinnen auf das Gentechnische Institut in Berlin-Dahlem abgesehen. Da sie der Ansicht waren, Gentechnik müsse "in ihrer Gesamtheit bekämpft werden", platzierten sie auf dem Fenstersims eine Tasche mit der Aufschrift "Action Bag". Der Inhalt: Eine selbstgebastelte Bombe mit rund 1300 Gramm Sprengstoff und einem Wecker, den erneut Adrienne G. besorgt hatte. Als das Ganze in die Luft fliegen sollte, passierte jedoch - nichts. Das Bündel war vom Regen aufgeweicht worden.

Da solche Pannen eher die Regel als die Ausnahme waren, wusste die Polizei zu diesem Zeitpunkt längst, dass die "Rote Zora" in puncto Bomben eine gewisse Markentreue schätzte. Rund 7000 Wecker der Marke Emes Sonochrom hatte man daher wohlweislich nummeriert, bevor sie in den Handel gingen. So kam man nicht nur Adrienne G. recht schnell auf die Schliche. Verhaften konnte man die Dame jedoch nicht so bald: Als im Dezember 1987 im Rahmen der "Aktion Zobel" hunderte Wohnungen in Deutschland durchsucht wurden, waren G. und etliche Mitstreiterinnen bereits getürmt. Offenbar hatte deren Popularität auch vor bürgerlichen Kreisen nicht Halt gemacht: Die Frau eines Polizisten soll die entscheidende Warnung vor der Razzia gegeben haben.

19 Jahre lang lebten Adrienne G. und Thomas K. danach offenbar unbehelligt im Ausland. Angeblich als "Lea" und "Malte". Wie und wo, wüsste man gerne. Aber man wird es wohl nicht erfahren. Ein ganz normales Leben sollen sie geführt haben, sie zuletzt als Fotografin. Man habe Pässe gehabt, man sei gereist. Wie das geht, als gesuchte Terroristen? Das sind so Fragen. "Nach meiner Rückkehr" gedenke sie, da weiterzumachen, wo sie aufgehört hat, ließ die Frau mit dem verwuschelten Kurzhaar lediglich wissen. Eine seltsame Terroristin ist das: Studiert und baut danach mit an Bomben, die nicht funktionieren; flieht und kommt nach 19 Jahren wieder; sagt wenig und holt sich eine Bewährungsstrafe ab, um dann wieder im Nirgendwo zu verschwinden.

"Die Rote Zora": Stoff für einen spannenden Film - wenn es ihn nicht schon gäbe. Nächstes Jahr kommt er in die Kinos. Mit Mario Adorf und Ben Becker. Doch es handelt sich nur um die Verfilmung des gleichnamigen Kinderbuchs.

Von JÖRG SCHINDLER

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