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Presse

Datum:
20.01.2000

Zeitung:
ak - analyse & kritik

Titel:
"Jedes Herz ist eine Zeitbombe"

"Jedes Herz ist eine Zeitbombe"

Zellen, Zorn und Rote Zora

Neue Kampfformen sollten entwickelt werden, der Widerstand massenhaft gemacht werden. Das war die Vorstellung der Revolutionären Zellen vom Kampf gegen das System. Flugblätter verteilen und Brandanschläge durchführen sollten zwei Seiten eines gemeinsamen Kampfes werden. Ohne Hierarchie und ohne Geringschätzung der jeweils anderen Kampfform.

"Alle müssen alles können", war der Anspruch der Revolutionären Zellen. Anders als die Rote Armee Fraktion (RAF) wollten die Revolutionären Zellen (RZ) keine Avantgarde-Organisation sein. Die Organisation, wenn denn überhaupt von einer Organisation gesprochen werden kann, sollte nicht wie die RAF als eine illegale Gruppe leben und operieren. Die Mitglieder wollten sich vor der staatlichen Verfolgung dadurch schützen, dass sie völlig anonym blieben und trotzdem illegale und/ oder militante Operationen durchführten, aber weiterhin legal leben und arbeiten wollten. Diese Organisationsform ermöglichte es den Mitgliedern auch, sich weiterhin direkt in die innerlinke Diskussion einzumischen. Dieser direkte Diskussionszusammenhang war ihnen besonders wichtig. Das sollte gewährleisten, dass sie sich nicht in irgendwelche theoretischen Konstrukte verstiegen, sondern mit ihren Kampfformen die aktuellen Kämpfe gegen das System unterstützten.

Die erste Erklärung, in der die Verantwortung für eine bewaffnete Aktion von den Revolutionären Zellen übernommen wurde, erschien im November 1973. Mit einem Anschlag gegen ITT in Westberlin wurde auf die Beteiligung des Konzerns am Putsch in Chile hingewiesen.

1975 erschien die erste Ausgabe des Revolutionären Zorns. Darin unterschieden sie die Zielrichtung ihrer Aktionen in drei Bereiche: "Antiimperialismus", "Antizionismus" und "Aktionen, die die Kämpfe von Arbeitern, Jugendlichen und Frauen" unterstützen.

Die Frauen der Revolutionären Zellen traten 1975 das erste Mal "eigenständig" in Erscheinung. Mit einer Bombe gegen das Verfassungsgericht in Karlsruhe leisteten sie ihren Beitrag zum Kampf gegen den §218. Ab 1977 traten sie als Rote Zora auf. Ihre Angriffe galten speziell den Orten der Unterdrückung von Frauen. Es gab aber weiterhin gemeinsame Grundsatzpapiere von Revolutionären Zellen und Roter Zora.

Ab 1985 begannen die Revolutionären Zellen eine Kampagne gegen Rassismus und Sexismus. Nach Anschlägen gegen deutsche Firmen, die mit dem südafrikanischen Apartheits-Regime zusammen arbeiteten, griffen sie 1986 Institutionen an, die für die staatliche, rassistische Flüchtlingspolitik (mit)verantwortlich waren.

Klauen wir ihnen ihre Datensammlung

Nie (richtig) zu fassen waren sie für die Bundesstaatsanwaltschaft. Anfang 1977 wurden Enno Schwall und Gerd Albartus verhaftet; ihnen wurde vorgeworfen, einen missglückten Brandanschlag auf ein Aachener Kino verübt zu haben, in dem der Film "Unternehmen Entebbe" gezeigt wurde. Eine Verurteilung der beiden glückte nur mit Hilfe der Aussagen des bei einer Bombenexplosion schwer verletzten Hermann Feiling. Feiling wurde, obwohl er vernehmungsunfähig war und unter dem Einfluss starker Medikamente stand, mehrere Tage völlig von der Außenwelt abgeschottet und verhört. Diese "Belastungsunterlagen" waren 1978 Grundlage für den Versuch, einen Prozess gegen Rudolf Raabe zu eröffnen, der sich dieser Prozedur aber durch Flucht ins Ausland entzog. In diesen "Aussagen" tauchten auch die Namen von Rudolf Schindler, der seit Oktober 1999 in U-Haft sitzt, und Sabine Barbara E., die am 19. Dezember in Frankfurt/Main festgenommen wurde, auf. Beide entzogen sich damals weiterer Verfolgung, indem sie von der Bildfläche verschwanden.

Nach groß angelegten Razzien und Fahndungen wurden am 18.12.1987 Ingrid Strobl und Ulla Penselin verhaftet, denen die Mitgliedschaft bzw. die Unterstützung der Revolutionären Zellen/ Roten Zora vorgeworfen wurde. Eine breite Solidaritätskampagne, in der sich Menschen aus den unterschiedlichsten Bewegungen zusammenfanden, machte die Konstrukte der Bundesstaatsanwaltschaft immer wieder öffentlich und half der Verteidigung, die Ankläger in Argumentationsschwierigkeiten und Beweisnot zu bringen, so dass der Vorwurf des Paragrafen 129a fallen gelassen werden musste. Trotzdem wurde Ingrid Strobl mit fadenscheinigen Beweisen, die ihr den Kauf eines Weckers nachweisen sollten, der später für einen Anschlag benutzt worden sein sollte, 1990 zu drei Jahren Haft verurteilt.

Im Rahmen ihres "Antizionistischen Kampfes" führten die Revolutionären Zellen mehrere Aktionen zusammen mit palästinensischen Kommandos durch. Zu dieser Politik und den Fehlern, die dabei gemacht worden waren, äußerten sie sich in dem im Dezember 1991 erschienenen Papier "Gerd Albartus ist tot". Aber eine wirkliche Auseinandersetzung mit diesem Teil ihrer Politik findet sich darin nicht.

Im Januar 1992 erklärten die Revolutionären Zellen "Das Ende unserer Politik". In der Auflösungserklärung einer RZ-Gruppe hieß es zu den Beweggründen: "In den 80er Jahren haben wir in der Region eine militante Politik zu vertreten und zu entfalten versucht, die immer auf dem Prinzip der Verankerung und Vermassung aufgebaut war - Verankerung in einem aktiven linksradikalem Umfeld und womöglich in sozialen Konflikten, die über diese linksradikale Szene hinausgingen. ... Spätestens am Ende der Flüchtlingskampagne, nach dem 18.12.87, und bei der Wiederaufnahme unserer Angriffe zur Unterstützung der Roma ab 1989 wurden wir uns unserer Isolierung bewusst."

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/rz/ak434a.htm