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Presse

Datum:
20.01.2000

Zeitung:
ak - analyse & kritik

Titel:
Früchte des Wahns

Früchte des Wahns

Bundesanwaltschaft erfindet RZ neu

1999 endete mit einem Paukenschlag. Kurz vor Auslaufen der Kronzeugenregelung holte die Bundesanwaltschaft (BAW) mit der Repressionskeule §129a zum Schlag aus. Am 19. Dezember wurden in Berlin und Frankfurt am Main zwei Männer und eine Frau unter dem Vorwurf der "Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung 'RZ'" festgenommen und das Berliner Alternativzentrum Mehringhof durchsucht.

"An den exekutiven Maßnahmen" nahmen "Staatsanwälte des Generalbundesanwalts, Beamte des Bundeskriminalamtes, der GSG 9, des Bundesgrenzschutzes und der Berliner Polizei teil", verkündete stolz die BAW in einer Pressemitteilung am Tag der Festnahmen. Um die angebliche Schwere und Gefährlichkeit der Anschuldigungen auch nach außen hin sichtbar zu machen, fuhr die BAW mit allem auf, was der hochgerüstete Repressionsapparat der BRD zu bieten hat.

Insgesamt waren bei dieser Aktion 1.000 BeamtInnen beteiligt. Schwarzvermummte Spezialeinheiten durchsuchten den Mehringhof in Berlin-Kreuzberg nach Sprengstoff und Waffen. Die "Sicherheitskräfte" wüteten dabei so, dass insgesamt Schäden von 100.000 Mark entstanden. Schlösser wurden aufgebrochen, Türen ausgehebelt, Hohlräume aufgestemmt und Inventar zerstört. Gefunden wurde - wie nicht anders zu erwarten war - nichts. Zeitgleich wurden Axel H., der Hausmeister des Mehringhofs, und Harald G., Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM), in ihren Wohnungen verhaftet. In Frankfurt am Main wurde Sabine E. von Beamten der BAW festgenommen.

Die drei wurden am nächsten Tag dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe vorgeführt. Harald G. sitzt seitdem in der JVA Düsseldorf, Axel H. wurde nach Wuppertal gebracht. Sabine E. ist im Knast in Frankfurt.

Alle drei werden verdächtigt, seit Mitte der 80er Jahre Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) gewesen zu sein. Axel H. soll im Mehringhof ein Waffen- und Sprengstoffdepot der RZ betreut haben. Zusammen mit Harald G. - so die BAW - habe er einem "Koordinierungsausschuss" angehört, der Gelder an RZ-Mitglieder im Untergrund verteilt habe. Harald G. und Sabine E. sollen zudem an RZ-Aktionen gegen die bundesdeutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik in den Jahren 1986 und 1987 teilgenommen haben. Konkret werden sie beschuldigt, an dem Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber in Berlin im Februar 1987 und dem Anschlag auf den damaligen Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, im Oktober des gleichen Jahres beteiligt gewesen zu sein. Sabine E. wird weiterhin vorgeworfen, am Anschlag auf den ehemaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberger, im Oktober 1986 teilgenommen zu haben.

Diese Vorwürfe sind zwar schon verjährt, zeigten aber "die Gefährlichkeit der terroristischen Vereinigung ,RZ'", so die BAW in ihrer Pressemitteilung vom 19.12.99. Nicht verjährt ist allerdings der Vorwurf der Mitgliedschaft in den RZ.

Bis zu diesem Jahr konnte die Bundesanwaltschaft kaum Erfolge gegen die unabhängig voneinander agierenden Revolutionären Zellen vorweisen, die 1992 - intern nicht unwidersprochen - ihre Auflösung erklärt hatten. Das änderte sich schlagartig im Mai letzten Jahres, als der in Frankreich festgenommene Hans-Joachim Klein nach Deutschland ausgeliefert wurde. Klein war Ende der 70er Jahre aus den RZ ausgestiegen und dann später mit Hilfe von Daniel Cohn-Bendit und dem Frankfurter Ex-Revolutionärem Kampf-Klüngel in Frankreich untergetaucht. Zuvor hatte er sich mit seinem Buch "Rückkehr in die Menschlichkeit" 1979 als "ausgestiegener Terrorist" hervorgetan.

Die BAW wirft Klein die Beteiligung am Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975 vor, bei dem drei Geiseln getötet wurden. Für die Aktion verantwortlich zeichnete ein palästinensisches Kommando. Kaum war Klein an die deutschen Behörden ausgeliefert, beschuldigte er angesichts der Anklage wegen dreifachen Mordes den Frankfurter Rudolf Schindler, er habe den OPEC-Anschlag mit vorbereitet. Daraufhin wurde Schindler im Oktober verhaftet. Schindler war bereits 1978 ins Visier der Ermittler geraten. Damals allerdings entzog er sich weiteren Ermittlungen, indem er zusammen mit seiner Lebensgefährtin Sabine E., die jetzt bei der Dezember-Aktion festgenommen wurde, abtauchte. Nun wird gegen Schindler auch wegen der RZ-Aktionen der Jahre 1986/87 ermittelt. Ein Fall von Sippenhaft? Welche Beweise die BAW für die neuen Anschuldigungen gegen ihn hat, ist jedenfalls nicht klar. Werden hier die Vorwürfe, die gegen seine Lebensgefährtin erhoben werden, einfach auf ihn ausgeweitet?

Das Unrecht ist nicht anonym

Allem Anschein nach sind die Verhaftungen vom 19. Dezember auf die Aussagen von Tarek M. zurückzuführen. Tarek M., Betreiber von zwei Karate-Schulen und kein Unbekannter in der Berliner Szene, wurde Ende November festgenommen. Die BAW feierte damals die Verhaftung als vollen Erfolg. Ihrer Ansicht nach seien nun die RZ-Aktionen von 1986/87 in Berlin aufgeklärt, hätte man mit Tarek M. doch dem mutmaßlichen "Rädelsführer" der RZ habhaft werden können. (Berliner Zeitung, 24.11.99) Unter dem Druck dieser Beschuldigungen hat Tarek M. anscheinend weit reichende Aussagen gemacht - jedenfalls legen das der Durchsuchungsbefehl für die Razzia im Mehringhof, wie auch der Haftbefehl gegen Harald G. nahe.

Der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen geht dabei wohl gegen Null. So ging z.B. die Suche nach Waffen und Sprengstoff im Mehringhof auf seine Aussage zurück. Wo genau das Depot sein sollte, konnte er allerdings nicht sagen. Gefunden wurde nichts. Von Bedeutung für die Redseligkeit Tarek M.s war wahrscheinlich das Auslaufen der Kronzeugenregelung zum Ende des Jahres. Tarek M. kennt die Berliner Szene so gut, dass er mit Informationen dienen kann, die in der Interpretation der BAW allemal für Verdächtigungen und Ermittlungen gut sind. Dabei ist klar, dass die Aussagen von Kronzeugen nur mit äußerster Vorsicht zu genießen sind. "Ihre Aussagen sind, was die Glaubwürdigkeit anbelangt, in Relation zu setzten zu den Vergünstigungen, die sie von staatlicher Seite erhalten", so Rechtsanwalt Rolf Gössner. (vgl. ak 433)

Es sieht ganz so aus, als hätte die BAW kurz vor Auslaufen der Kronzeugenregelung in einer Art Torschlusspanik noch einmal alle Register gezogen, um an Aussagen heranzukommen. Mit dem Ermittlungsparagraf 129a haben die Staatsschutzbehörden dabei ein flexibel einsetzbares und vielseitig nutzbares Instrument in der Hand. Mit ihm können "rechtsstaatlich" umfangreiche Bespitzelungen vorgenommen werden. Dabei reichen schon vage Verdachtsmomente aus, um ein Verfahren nach §129a anzustrengen. Der Kriminalisierung ist Tür und Tor geöffnet.

In Sachen RZ gibt es anscheinend einen regelrechten Verfolgungswahn der BAW. Nachdem sich die RZ der Verfolgung durch Auflösung entzogen haben, scheint es so, als bastle sich die BAW jetzt einfach eine neue RZ.

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/rz/ak434.htm