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Datum:
04.01.2001
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Zeitung:
Tagesspiegel
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Titel:
Die Spur der Steine
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Joschka Fischer
Die Spur der Steine
Der Außenminister war militant - kein Grund
zurückzutreten, aber zurückzuschauen
Joschka Fischer ist ein ungewöhnlicher Politiker mit einer
ungewöhnlichen, einer gebrochenen Biografie. Deswegen - und
nicht trotzdem - rangiert er auf der Beliebtheitsskala ganz oben.
Es war seit langem bekannt, dass zu seinem Leben auch eine militante
Phase gehörte. Er selbst hat davon, mitunter nicht ohne einen
gewissen Sündenstolz, gern erzählt.
Nun hat der "Stern" Fotos aus dem Jahr 1973
veröffentlicht, auf denen eine Gruppe Linksradikaler einen einzelnen
Polizisten schlägt und tritt. Einer der jungen Männer soll
Joschka Fischer gewesen sein. Im danebenstehenden Interview streitet er das
nicht rundheraus ab. Jedenfalls gibt er pauschal zu, auch mal
"hingelangt" zu haben. Wenn man diese Bilder sieht, dann verliert
die "Phase der Militanz" sogleich ihren vordergründigen
Heroismus, sie wird konkret - und realistisch, also: schäbig.
Wer jemals die "Streetfighter" von Nahem bei der Arbeit
gesehen hat, den kann die Kleinheit und Niedrigkeit dieses politisch
aufgemotzten Machokults nicht überraschen. Wer dagegen Rebellion nur
aus schwarz-weißen Filmen und von farbigen Gemälden her kennt,
der wird sich jetzt wundern. Oder, wenn es politisch opportun erscheint,
auch empören.
Einer von denen, die es beim Wundern nicht belassen wollen, ist der
stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Bosbach, der Fischer
sogleich den Rücktritt nahelegte. "Mit so einer Haltung kann man
nicht Außenminister von Deutschland sein." Wahr ist: Die
unschönen Bilder zeigen kein Kavaliersdelikt. Und wenn Joschka Fischer
noch immer ein militanter Straßenkämpfer wäre, dann
hätte Bosbach Recht. Doch das ist er schon lange nicht mehr. Die Frage
kann also nur sein, ob jemand mit einer solchen Vergangenheit
Außenminister bleiben darf. Die Antwort darauf ist - bei dem, was
jetzt bekannt ist - eindeutig: Ja, er kann. Fischer hat sich vom
Staatsfeind zum Staatsmann gewandelt, in mehreren Schüben, auch
glaubhaft.
Joschka Fischer ist ein gewöhnlicher Politiker. Es fällt ihm
schwer, Scham zu zeigen und Fehler zuzugeben. Auch in diesem
"Stern"-Interview ist keinerlei Scham zu spüren. Zu den
Bildern sagt er: "Ich sehe das nicht als unangenehm an. Das ist meine
Biografie. Das bin ich, Joschka Fischer. Ohne meine Biografie wäre ich
heute ein anderer, und das fände ich gar nicht gut."
Militant ist Fischer schon lange nicht mehr, etwas zu sehr von sich
eingenommen, das ist er nach wie vor. Weil seine Biografie zu so einem
perfekten Ergebnis geführt hat, weil sie ihn, den Joschka, den
Fischer, den Außenminister hervorgebracht hat, darum können
diese Bilder in seinen Augen nicht unangenehm sein. Sie sind vielmehr
Stufen zu der Lebens-Pyramide, an deren windumtoster Spitze er nun in
eigener Person sitzt.
Auch seine Versuche, sich als Opfer staatlicher Militanz darzustellen -
"zuerst wurde man geschlagen, dann hat man sich gewehrt und
zurückgeschlagen" - wirken merkwürdig. Und unwahrscheinlich.
Wer Straßenkämpfer bei der Arbeit gesehen hat, kann das
schwerlich glauben. Dann und wann war es auch mal umgekehrt: Da haben die
Rebellen zuerst gedroschen und geworfen, da waren sie auch mal in
Überzahl und haben das ausgenutzt. Aber vielleicht war Joschka Fischer
da die Ausnahme, der einzige echte Militante, der nie den ersten Stein
warf.
Befremdlich wirkt auch, dass Fischer die jungen, zumindest nicht um 68
politisierten Interviewer des "Stern" fragt, ob sie denn nie
Steine auf Polizisten geworfen hätten. So als ob das in jeder
Generation zur politischen Mannbarkeit gehört hätte. Auch sein
Scherz befremdet, er sei kein guter Werfer gewesen: "Zu kurze
Hebel." Da hatten die Polizisten seinerzeit aber Glück.
Misslungene Scherze, Opferpose, keine Scham, sogar den Begriff der
Mitverantwortung möchte der Außenminister nicht in den Mund
nehmen. Es ist nicht der beste, nicht der souveränste und nicht der
sympathischste Joschka Fischer, der sich da präsentiert.
Am 16. Januar wird der deutsche Außenminister im Prozess gegen den
Terroristen Hans-Joachim Klein über die Frankfurter Szene der
70er-Jahre aussagen. Bis dahin hat Fischer noch Zeit, an seiner Geschichte
zu arbeiten.
Bernd Ulrich
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