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Datum:
16.02.2001
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Zeitung:
Tagesspiegel
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Titel:
Mildernde Umstände
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Mildernde Umstände
Neun Jahre Haft für Hans-Joachim Klein wegen Beteiligung
am Anschlag auf die Opec-Konferenz 1975
Blitzlichtgewitter für Hans-Joachim Klein, als er am Donnerstag um
kurz nach 14 Uhr den Frankfurter Schwurgerichtssaal betritt; wie
üblich in Handschellen, begleitet von einem Vollzugsbeamten.
Am 25. Prozesstag steht der Hauptangeklagte selbst wieder im Mittelpunkt
des Interesses. Zu Anfang im Oktober war es zum letzten Mal so gewesen: Als
Klein selbst ausgesagt hatte über den Anschlag auf die OPEC-Konferenz
im Dezember 1975, über das Treffen der Kommando-Mitglieder einige Tage
vorher, über die anschließende Flucht nach Algerien und weiter
in den Jemen. Über seinen Ausstieg aus den Revolutionären Zellen
(RZ), sein Buch "Die Rückkehr in die Menschlichkeit", sein
Verstecken zuerst vor den früheren Kommandomitgliedern, dann vor
Polizei und Zielfahndern, über 20 Jahre in ärmlichen
Verhältnissen in der Normandie; über seinen Plan, sich zu
stellen, und über die Festnahme durch BKA-Fahnder. Schließlich
Kleins Bericht über die Frankfurter Spontiszene der 70er Jahre,
über sein Verhältnis zu den damaligen Wortführern Daniel
Cohn-Bendit und Joschka Fischer.
Sie, die im Laufe des Verfahrens als Zeugen auftraten, machten die
Schlagzeilen des Prozesses: der heutige Europaabgeordnete und der heutige
Bundesaußenministers, Anfang der 70-er Freunde von Klein. Beiden
reparierte der angelernte Autoschlosser die Autos, beiden war er
sympathisch; der Proletarier unter den Studenten, der Vorzeigearbeiter, so
formulierte der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke in seiner
Urteilsbegründung, dessen Schicksal den Studenten zur Rechtfertigung
der Weltrevolution diente.
Dass Fischer, Cohn-Bendit und der Frankfurter Kabarettist Matthias Beltz
aussagten, so der Richter, sei wichtig und "sachkundige richterliche
Aufklärung" gewesen; die Zeugen hätten trotz
öffentlichen Druckes offen und seriös ausgesagt. Dass sie dadurch
erhebliche Schwierigkeiten bekommen hätten, bedaure er. Die
Zeugenaussagen waren die wenigen Momente des Prozesses, in denen Klein
Reaktionen zeigte; meist saß er starr auf der Anklagebank, den Kopf
in den Rollkragen seines Pullovers gezogen wie eine Schildkröte.
Als Fischer ihm nach seiner Aussage die Hand drückte, erwachte er
das eine Mal aus der Erstarrung, als Cohn-Bendit auf der Zeugenbank in
Tränen ausbrach, das andere Mal. Betroffen hörte er sich dessen
Selbstvorwürfe an, er habe Klein nicht vor dem Abrutschen aus der
Sponti-Szene zur Gewalt der RZ hindern können. Kaum eine Regung Kleins
bei der Urteilsverkündung: 9 Jahre Haft.
Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Kleins Verteidiger hatten für ihn die
Kronzeugenregelung gefordert; und Richter Gehrke erklärte sie
gestern zum Schlüssel für das verhältnismäßig
geringe Strafmaß. So könnte man von der für gemeinschaftlich
begangenen dreifachen Mord obligatorischen lebenslangen Freiheitsstrafe
abweichen, und weitere Strafmilderungsgründe könnten greifen:
zuvorderst die schwierige Kindheit Kleins, die falschen Freunde,
die ihn in der vermeintlichen Befreiungskampf der Terroristen hineingezogen
hätten; und nicht zuletzt sei sein Leben nach dem Anschlag
in ständiger Angst und in schwierigen Verhältnissen so
etwas wie die vorweggenommene Strafverbüßung gewesen.
Wenn Klein sich gleich nach der Tat gestellt hätte, dann wäre
er heute wohl ein freier Mann, so das Urteil. Jetzt solle er wenigstens
eine Perspektive haben.
Da Klein die Untersuchungshaft in Frankreich und Deutschland angerechnet
wird, könnte er in drei oder vier Jahren in den offenen Vollzug
kommen.
Michael Brandt
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