|
Datum:
24.11.2000
|
Zeitung:
taz
|
Titel:
Tränenreiche Abrechnung
|
Tränenreiche Abrechnung
Der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit weint. Er sagt
im Opec-Prozess aus. Seine Zeugenaussage gerät zur unnachgiebigen
Auseinandersetzung mit dem bewaffneten Kampf
So viele Tote und ein zerbrochenes Leben. Und dann 1998, dieser
eine Sommer in Freiheit mit den beiden Kindern, um den der Exterrorist
Hans-Joachim Klein ihn gebeten hatte, ehe er sich der Polizei nach
25 Jahren Untergrund stellen wollte: Der grüne Europaabgeordnete
Daniel Cohn-Bendit weint.
Der Vorsitzende Richter im Frankfurter Landgericht im Prozess gegen
Klein ordnete gestern Vormittag eine Pause an. Der Zeuge Daniel
Cohn-Bendit fasst sich und setzt seine schonungslose Abrechnung
mit dem bewaffneten Kampf der Linken in den 70ern und 80ern fort.
Cohn-Bendit kannte den wegen dreifachen Mordes angeklagten Klein
schon vor dessen Beteiligung am Attentat gegen die Ministerkonferenz
Erdöl exportierender Länder (Opec) 1975 in Wien.
Damals waren von einem palästinensisch-deutschen Terrorkommando
drei Menschen erschossen, drei schwer verletzt und unter Leitung
des Top-Terroristen Illich Ramirez Sanchez 70 Geiseln nach Algier
entführt worden. Klein sagte sich 1977 vom Terrorismus los
und tauchte unter. 1999 wurde er, inzwischen verheiratet und Vater
von zwei Kindern, in Frankreich verhaftet.
Cohn-Bendit wurde gestern zu Kleins Leben vor dem Attentat und
zu der Tatsache gehört, dass er und andere Intellektuelle ihn
nach 1977 versteckten und unterstützten. Der Zeuge, gegen den
deshalb ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, sagte umfassend
über Kleins Weg in den Terrorismus aus. Er habe ihn nach 1968
bei Demonstrationen als "unheimlich hilfsbereiten" Menschen
kennen gelernt. Er sei mitfühlend gewesen, habe sich aber mit
"Ungerechtigkeiten dieser Welt überidentifiziert".
Der Vietnamkrieg, die Verfolgung der Black Panthers in den USA,
die Behandlung der politischen Gefangenen in der Bundesrepublik
seien ihm sehr nahe gegangen: "Klein war einer, der immer zeigen
wollte, wie berührt er von den Ereignissen war, die damals
stattfanden." Klein habe sich radikalisiert und sei so empfänglich
für die Anwerbung durch die "Revolutionären Zellen"
(RZ) geworden: "Die haben ihn rübergezogen."
Vom Opec-Attentat habe er erst aus der Zeitung erfahren und sei
entsetzt gewesen. Dass er und die damalige Sponti-Szene das nicht
hätten verhindern können, sei für ihn noch heute
"eine persönliche Niederlage".
Er selbst habe den bewaffneten Kampf schon früh kritisiert
und sei dafür, auch von Klein, damals als das "übelste
Schwein auf Gottes Erden, der größte Renegat" beschimpft
worden. Klein habe bei seiner Flucht aus dem Terrorismus Hilfe bei
seiner alten Szene gesucht und bekommen. Er habe sich dann, so Cohn-Bendit,
zu Recht bedroht gefühlt. Einerseits habe er ohnehin als Verräter
gegolten, andererseits auch Namen gewusst, vor allem den der ebenfalls
am Opec-Attentat beteiligten, 1995 gestorbenen Deutschen Gabriele
Kröcher-Tiedemann, Deckname "Nada". Er selbst sei
deshalb als Fluchthelfer von Klein bedroht worden, ein Molotowcocktail
habe die Redaktion der Sponti-Zeitung Pflasterstrand verwüstet.
Er habe mehrfach Besuch von Emissären der RZ bekommen, die
ihn "ganz freundlich" gebeten hätten, Klein zum Schweigen
aufzufordern. Unter ihnen sei auch der Hauptentlastungszeuge Gerd-Hinrich
Schnepel gewesen, der während der letzten Verhandlungstage
Kleins Mitangeklagten Rudolf Schindler entlastet hatte. Klein habe
sich für seine Tat "unendlich geschämt" und
sich freiwillig stellen wollen. Er habe nur noch um diesen einen
Sommer gebeten: "Wie soll ich erklären, wie schwer das
ist, die Verantwortung dafür, jemanden dazu zu bringen, ins
Gefängnis zu gehen?" Tränen seien da "gar nichts
Ehrenrühriges", so Cohn-Bendit.
HEIDE PLATEN
|