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Datum:
22.11.2000
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Zeitung:
taz
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Titel:
Wer ist hier eigentlich der Max?
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Wer ist hier eigentlich der Max?
Verwirrung im Gericht: Gerd-Hinrich Schnepel sagt, er sei Max.
Rudolf Schindler schweigt. Und Hans-Joachim Klein fragt sich, ob
er meschugge ist
Ein graues Gesicht, kalkweiße Bartstoppeln, die Hände fahrig.
Hans-Joachim Klein (52) sitzt zusammengekauert auf der Anklagebank im Saal
165 C des Frankfurter Landgerichts, als ob er ständig friere. Gegen
diese Kälte hilft auch die dicke Daunenjacke nicht. "Für
zehn Minuten Opec", hatte er zu Prozessbeginn im Oktober gesagt,
"zahle ich seit 25 Jahren." 25 Jahre, die er versteckt gelebt
hat, ehe er 1999 in einem kleinen französischen Dorf verhaftet
wurde.
Während der ersten Verhandlungstage hatte Klein in ungehemmtem,
launigem Redefluss über seinen Werdegang in der linken Frankfurter
Spontiszene berichtet. Den Tathergang schilderte er ebenfalls bereitwillig.
Als mögliche Todesschützen nannte er die 1995 verstorbene
Deutsche Gabriele Kröcher-Tiedemann und den Terroristen Illich Ramirez
Sanchez, besser bekannt als "Carlos". Allein: Aus Wien angereiste
Zeugen widersprachen seiner Aussage vehement. Und Hans-Joachim Klein? Der
klagte prompt über Herzbeschwerden.
Und schweigt.
Da klingt es seltsam unangemessen, wenn der Vorsitzende Richter Heinrich
Gehrke aus dem 1979 erschienenen Buch "Rückkehr in die
Menschlichkeit" vorliest, in dem ein früherer Hans-Joachim Klein
im Ton des Schelmenromans vom Opec-Überfall und seiner späteren
Flucht vor den ehemaligen Kampfgefährten der deutschen
"Revolutionären Zellen" (RZ) und der palästinensischen
Befreiungsbewegung PFLP berichtet. Und immer wieder beteuert, er selbst
habe in Wien niemanden erschossen und die Eskalation der Gewalt auch nicht
gewollt.
Dass das allein ihn nicht vor einer langen Haftstrafe bewahren werde,
hatten Hans-Joachim Klein und sein Verteidiger Eberhard Kempf von Anfang an
ahnen können. Wohl deshalb setzen sie darauf, dass der Angeklagte in
den Genuss der eigentlich nicht mehr gültigen Kronzeugenregelung
kommen könne. Hans-Joachim Klein nannte denn also den Namen seines
jetzigen Mitangeklagten, Rudolf Schindler (57). 1975 sei er in Frankfurt
von dem Terroristen Winfried Böse für das Opec-Terrorkommando
rekrutiert worden. Schindler sei dabei gewesen, habe unter den Decknamen
"Max" und "Sharif" auch in der Vorbereitung des
Attentates mitgewirkt und ihm, Klein, später, als er aussteigen
wollte, nach dem Leben getrachtet.
Rudolf Schindler hat von Anfang an geschwiegen und sitzt schmal und
aufmerksam neben seinen Verteidigern Hans Euler und Jürgen Fischer.
Sie präsentierten dem Gericht in der vergangenen Woche ihren eigens
aus Nicaragua angereisten Hauptentlastungszeugen Gerd-Hinrich Schnepel
(57), der sich als ehemaliges RZ-Mitglied zu erkennen gibt und für
sich in Anspruch nimmt: "Ich war Max und Sharif." Den
"Max" habe er sich selbst ausgesucht, weil auch sein Hund so
geheißen habe. Für die Palästinenser sei er
"Sharif" gewesen. "Wegen Karl May?", fragt Vorsitzender
Heinrich Gehrke den eloquenten, wie ein Oberlehrer dozierenden Zeugen.
Schnepel: "Nein, wegen Omar Sharif."
Der Entwicklungshelfer Gerd-Hinrich Schnepel sagt aus, er sei damals mit
der 1976 bei einer Flugzeugentführung in Entebbe erschossenen
RZ-Anführerin Brigitte Kuhlmann liiert und nur deren Chauffeur
gewesen. In diesen beiden Funktionen habe er kurz vor dem Anschlag auch
zusammen mit Kuhlmann im selben Hotel übernachtet wie Klein. Er selbst
habe aber nichts von dem geplanten Attentat gewusst. Klein und Schindler,
der ebenfalls zur RZ gehört habe, habe er schon vor dem Anschlag
gekannt und später im Jemen wiedergetroffen. 1977 habe er sich ohne
Probleme von der RZ getrennt.
Schnepel bestreitet, dass die RZ Klein jemals nach dem Leben getrachtet
habe. Er selbst habe sich im Gegenteil zusammen mit dem in Berlin
inhaftierten Terroristen Johannes Weinrich um Klein gekümmert, ihn in
einem einsamen Haus im Aostatal in Norditalien versteckt und
"betreut". Dessen spektakulärer Ausstieg habe ihn
"total überrascht". Die von Klein gegen die RZ erhobenen
Vorwürfe seien völlig "hirnrissig". Weder sei die
Ermordung jüdischer Gemeindemitglieder in Deutschland je ernsthaft
geplant worden, noch habe Klein sich bedroht fühlen müssen. Er
selbst habe diesen allerdings von Anfang an nicht leiden können, ihn
für psychisch instabil und einen "Angeber" gehalten:
"Er schwätzte viel und versuchte, Eindruck zu machen", sagt
Gerd-Hinrich Schnepel. Wie auch immer. Im Jemen sei Klein als Held gefeiert
worden und habe viel und gerne über den Anschlag geredet. Und, sagt
Schnepel, er erinnere sich daran, dass dort damals gesagt wurde, Klein
selbst habe niemanden erschossen. Einen der Morde habe damals Gabriele
Kröcher-Tiedemann für sich reklamiert.
Nach Schnepel gefragt, gerät Klein fast aus der Fassung: "Ich
kenne den Mann nicht. Ich versteh nicht, was hier abläuft!" Seine
Hände greifen ins Leere, als er stammelnd beteuert: "Der Max war
der Herr Schindler. So was vergisst man in seinem Leben nicht!" Und
leiser, wie zu sich selbst: "Ich bin doch nicht meschugge
geworden!" Richter Gehrke versucht vergeblich, dieser Frage
nachzugehen. Ob Klein ihn womöglich "raushalten" wolle,
fragt er Schnepel, und deshalb Schindler beschuldige. Nein, sagt der
Gefragte, er glaube vielmehr an "Erinnerungslücken" bei
Klein. "Wenn aber Sie Max und Sharif waren, und Schindler nicht Max
und Sharif war ...?", fragt einer der Beisitzenden Richter ratlos in
den Saal. Ja, was dann?
Ja, dann wird das wohl auch nichts mit der Finte, auf die die
Verteidiger Kleins, der renommierte Rechtsanwalt Eberhard Kempf und seine
Kollegin Eva Dannenfeld, setzten: Wird Schindler freigesprochen, ist Klein
kein Kronzeuge mehr.
Gerd-Hinrich Schnepel jedenfalls belastet gestern wiederum den
grünen Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit, der Klein 1977 zusammen
mit anderen Frankfurter Intellektuellen bei der Flucht nach Frankreich half
und finanziell unterstützte. Er, Schnepel, habe Cohn-Bendit Anfang der
80er-Jahre aufgesucht, um mit diesem über Kleins Buch und jene darin
enthaltenen "falschen" und "ehrabschneidenden"
Behauptungen zu reden, die ihn als ehemaligen "Max" und
"Sharif" empört hätten. Cohn-Bendit habe ihn beruhigt
und gesagt, auch er selber nehme Kleins Text "nicht so
wörtlich", versuche auch, ihn "zu bremsen",
unterstütze ihn aber weiter, damit er "ein normales Leben"
führen könne.
Das mit dem "wörtlich nehmen" lässt sich morgen
vielleicht genauer klären. Dann soll Daniel Cohn-Bendit als Zeuge
gehört werden. Für den 7. Dezember ist der Frankfurter
Kabarettist Matthias Beltz geladen, ebenso wie Bundesaußenminister
Joschka Fischer ein alter Bekannter Kleins aus der Sponti-Zeit.
Joschka Fischer reagierte gelassen auf die Ladung von Richter Gehrke. Er
wolle gerne aussagen, müsse aber doch dafür nicht nach Frankfurt
reisen.
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