Datum:
16.02.2001
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Zeitung:
taz
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Titel:
Abschied von der Rache
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Abschied von der Rache
Anfrage eines deutschen Hörers an Radio Jerewan: "Stimmt es,
dass bei Strafprozessen nur geltendes Recht angewandt werden kann? Dass
also beim Mordprozess gegen Hans-Joachim Klein die Kronzeugen-Regelung
ausscheidet, da sie ausgelaufen ist?" Antwort des Senders: "Im
Prinzip ja. Außer der Täter hat sich inzwischen so
verändert, dass er eigentlich mit sich selbst nicht mehr identisch
ist. Er ist vielmehr seinem Wesen nach zum Zeugen seiner eigenen Tat
geworden, so dass die Kronzeugen-Regelung auch nach ihrem Ablauf auf ihn
anzuwenden ist."
Kommentar
Stimmt diese Antwort von Radio Jerewan? Im Prinzip nein, aber im
Ergebnis ja. Denn was rechtsstaatlich bedenklich erscheint, dient eindeutig
einem anderen wichtigen Gut, dem Rechtsfrieden. Mit seinem milden Urteil
von neun Jahren hat das Gericht doch noch von einer Praxis Abstand
genommen, die seit den 70er-Jahren die Reaktion der Justiz auf den
politischen Terrorismus bestimmte: die Strafverfolgung bis zum bitteren
Ende, die Praxis der Rache.
Stimmt diese Antwort von Radio Jerewan? Im Prinzip nein, aber im
Ergebnis ja. Denn was rechtsstaatlich bedenklich erscheint, dient eindeutig
einem anderen wichtigen Gut, dem Rechtsfrieden. Mit seinem milden Urteil
von neun Jahren hat das Gericht doch noch von einer Praxis Abstand
genommen, die seit den 70er-Jahren die Reaktion der Justiz auf den
politischen Terrorismus bestimmte: die Strafverfolgung bis zum bitteren
Ende, die Praxis der Rache.
Da der deutsche Staat jeden Ausflug aus dem gepanzerten Gehäuse der
Rechtsverfolgung ablehnte, hatte er nichts zur Befriedung der Republik
beizutragen. Dass die terroristischen Gruppen schließlich der Gewalt
abschworen, war die Reaktion auf einen Lernprozess in den linken Szenen:
Sie überwanden den Gewaltfetischismus und setzten auf die neue Praxis
des zivilen Ungehorsams innerhalb des Prinzips der Gewaltfreiheit.
Die Justiz und große Teile der Machtelite hingegen taten sich
schwer mit dem, was sie zu lernen hatten. Bis in die jüngste Zeit gilt
das Gewaltmonopol des Staates als Fetisch, als eigentliches Unterpfand der
Souveränität. Kompromisse auf diesem Feld rüttelten
angeblich an den Grundfesten des Gemeinwesens. Bezeichnet das Urteil im
Klein-Prozess nur einen historischen Schlussstrich, oder unterstreicht es
einen Prozess des Umdenkens auf Seiten der Justiz? Wir werden sehr bald
Gelegenheit haben, uns anlässlich der Castor-Transporte ein Urteil zu
bilden.
CHRISTIAN SEMLER
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