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Datum:
14.02.2001
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Zeitung:
taz
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Titel:
Klein-Klein wird büßen
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Klein-Klein wird büßen
Alle waren sie da. Prominente Zeugen in einem Prozess, der morgen
mit dem Urteilsspruch der 21. Großen Strafkammer des Frankfurter
Landgerichts sein Ende finden wird: Bundesaußenminister Joschka
Fischer, der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit, der
Kabarettist Matthias Beltz. Ihre Auftritte im grellen Licht der
Öffentlichkeit haben den Angeklagten dahinter fast verschwinden
und vergessen lassen, dass nicht sie und ihre Vergangenheit als
Häuser- und Straßenkämpfer vor Gericht stehen, sondern
Hans-Joachim Klein (53) und Rudolf Schindler (57), angeklagt wegen
Mordes und Beihilfe zum Mord.
Ein Foto ging am 21. Dezember 1975 um die Welt: Ein Terrorist,
schwarze Haare, das Gesicht schmerzverzerrt, die Hand auf den Bauch
gepresst. Die Schussverletzung ist lebensgefährlich. Freunde
in Frankfurt erkennen den Mann. Der Verwundete ist "der Jochen",
in der Frankfurter Spontiszene auch Klein-Klein genannt, einer der
sechs Täter, die gemeinsam und schwer bewaffnet die Ministerkonferenz
Erdöl exportierender Länder (Opec) in Wien überfallen
und 33 Geiseln genommen haben. Sie alle werden auf Befehl des Kommandeurs
des deutsch-palästinensischen Terrorkommandos, des Venezuelaners
Illich Ramirez Sanchez, berüchtigt als "Carlos",
nach Algier ausgeflogen. Klein wird dort im Krankenhaus behandelt,
die Geiseln kommen frei. Zurück bleiben drei Tote: ein österreichischer
Polizist, ein libyscher und ein irakischer Sicherheitsmann. Morde
verjähren nicht und sollen nun nach 26 Jahren eine späte
Sühne erfahren.
Seit Oktober 2000 steht Klein, ausgeliefert aus Frankreich, in Frankfurt am
Main vor Gericht. Ein klarer Fall eigentlich:
ein geständiger Täter, ein Terroristenprozess, ein Urteil.
Und dennoch ein schwieriger Fall für den Vorsitzenden Richter
Heinrich Gehrke, der schon zu Beginn in Richtung der Staatsanwaltschaft
gemahnt hatte, das Verfahren sei kein "historisches Seminar"
zur Aufarbeitung der Vergangenheit prominent gewordener Zeugen.
Diese vorgegebene Orientierung musste jedoch immer wieder abhanden
kommen: in Disputen über die Nachkriegsjahre im Wirtschaftswunder-Deutschland,
über die Studentenrevolte 1968, über Repression und Widerstand,
über die Entstehung des bundesdeutschen Terrorismus.
Die Zeugenvernehmungen, die eigentlich der Beleuchtung des Lebensweges,
des Charakters des Hans-Joachim Klein und der Umstände, unter
denen so einer zum Mörder wird, dienen sollten, gerieten unter
der Regie von Staatsanwalt Volker Rath zur öffentlichen Spekulation
über die damalige Gewaltbereitschaft und Terrorismusnähe
des heutigen Außenministers. Und zur Abrechnung mit denjenigen
in Fischers Bekanntenkreis, die Klein 25 Jahre lang als unerkannte
"Jemande" geholfen hatten, sich der Strafverfolgung zu
entziehen. Eine Schlappe der Ermittler, die für Staatsanwalt
Rath schwer zu verkraften zu sein scheint. Denn Klein, der sich
1977 vom Terrorismus lossagte, schrieb im Untergrund nicht nur sein
Buch "Rückkehr in die Menschlichkeit", sondern gab
Dutzende Interviews, erzählte seine Geschichte immer wieder.
Einfach wäre der Fall auch ohne das alles nicht. Das Gericht
muss entscheiden, ob Klein als Kronzeuge behandelt werden kann,
obwohl diese umstrittene Strafmilderung für Verrat schon seit
Ende 1999 nicht mehr in Kraft ist. Es wird außerdem daüber
befinden, ob der durch eben diese Regelung - durch belastende Aussagen
Kleins - auf die Anklagebank geratene Mitangeklagte Rudolf Schindler
tatsächlich 1975 in Wien Beihilfe geleistet hat, indem er als
Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ) an der Vorbereitung
des Attentats beteiligt war. Schindler bestreitet das und wehrt
sich auch gegen der Vorwurf, er habe dem Aussteiger Klein später
im Auftrag der RZ-Genossen nach dem Leben getrachtet. Schindler,
so seine Verteidigung und deren Zeugen, sei Opfer einer Verwechslung
geworden, entstanden durch "falsche Erinnerung" des psychisch
schwer angeschlagenen Klein. Strafmildernd für Klein könnte
sein, dass er geständig ist und sich stellen wollte, als ihn
die Fahnder 1998 im Dorf Sainte-Honorine-la-Guillaume in der Normandie
verhafteten. Und dass er nach seinem Ausstieg sowohl geplante Attentate
der RZ verriet als auch seine Kampfgefährten zum Ausstieg aus
dem Terrorismus aufrief.
Klein selbst hatte vor Gericht immer wieder für sich in Anspruch
genommen, dass er bereits genug gebüßt habe. Die 25 Jahre
auf der Flucht, eine zerbrochene Ehe, gesundheitliche Schäden
seien Strafe genug gewesen für die "zehn Minuten"
in Wien, die sein Leben zerstört hätten. Das Gericht wird
diese Sichtweise nicht teilen können. Dennoch bestätigt
sie ein Selbstbild des Hans-Joachim Klein, das auch andere vor Gericht
zeichneten. Klein scheint auf der Anklagebank in Reue, Selbstmitleid
und Verdrängung zu versinken. Selbst als Hauptangeklagter bleibt
er jene Nebenfigur, die er schon im Frankfurter Häuserkampf
gewesen sein muss: ein Mitläufer, einer, der sich durch Maulheldentum
und körperlichen Einsatz bei Demonstrationen zu profilieren
versuchte, ein unsicherer Mensch, der die Anerkennung anderer brauchte.
Einer auch, der die Anwerbung durch die RZ als Aufstieg empfunden
haben mag, als Beförderung sozusagen im Kampf gegen den Imperialismus,
von der zweiten Reihe der Spontiszene in die erste des internationalen
Befreiungskampfes.
Einer, der sich vermutlich wahrhaftig einbildete, er könne
nach dem Opec-Attentat unerkannt in seine kleine, heile Welt im
Frankfurter Szenestadtteil Bockenheim zurückkehren, sich als
geheimnisumwitterter, romantischer Held fühlen. So mag es auch
wahr sein, dass er jahrzehntelang an den Konsequenzen seiner Tat
gelitten hat. Die Staatsanwaltschaft forderte vor zwei Wochen 14
Jahre Haft für Klein, fünf Jahre für Schindler. Kleins
Verteidigung plädierte für eine Freiheitsstrafe, die acht
Jahre nicht überschreiten möge. Die Rechtsanwälte
von Rudolf Schindler verlangten einen Freispruch und die sofortige
Haftentlassung ihres Mandanten.
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