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Datum:
05.01.2001
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Zeitung:
taz
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Titel:
Punkten mit der Putztruppe
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Punkten mit der Putztruppe
Alle haben etwas davon: Die Presse macht Auflage, und der grüne
Außenminister kann in Ruhe seinen Auftritt beim Opec-Prozess
vorbereiten
"Joschka Fischer überrascht die Öffentlichkeit mit
einem späten Geständnis", titelt die Welt und machte
sich auf einer ganzen Seite über das Interview des Außenministers
mit "den Männern vom Stern" her. Springers Welt ist
bis hierher noch in Ordnung, auch wenn der Artikel von der Schreibe
her eigentlich in die Bild gehört hätte: "Joschka
Fischer wusste von diesen Fotos. Sie sind bald 30 Jahre alt und
trotzdem topaktuell. (...) Er stritt nichts ab, es hätte keinen
Sinn gehabt."
Doch Bild gibt sich friedlich-staatstragend: Über "Fischers
Sturm und Drang" schreibt onkelhaft Peter Boenisch in einem
gegen alle Gewohnheit fast 40 Zeilen langen Kommentar: "Fischer
war, wie er war, und er ist, wie er ist. Heute entscheiden allein
seine diplomatischen Ergebnisse und nicht die Bilder aus einer beiderseits
gewalttätigen und hasserfüllten Vergangenheit." Und
wo die Welt Fischers "linksradikale Vergangenheit" geißelt,
steht auf der Seite eins des Massenblattes nur etwas von einer "Vergangenheit
mit gewalttätigen Entgleisungen".
Was Fischer "den Männern von Stern" nun gesagt hatte,
liest sich über weite Strecken wie ein bestelltes Interview:
Mitte Januar muss der Außenminister im Prozess gegen Hans-Joachim
Klein aussagen, spätestens dann wäre seine Rolle in der
Frankfurter Hausbesetzerszene Mitte der 70er-Jahre - in diversen
Veröffenlichungen breit dokumentiert - wieder aufgerollt worden.
Zur Nach-vorne-Verteidigung also das Gespräch mit der Illustrierten,
nicht mit dem gleichfalls in Sachen Sponti-Fischer recherchierenden
Nachrichtenmagazin aus Hamburg. Vorsichtig, geradezu nett wird beim
Stern gefragt: "Wie würden Sie denn heute Ihre Rolle in
den 70er-Jahren beurteilen? Da bewegten Sie sich im Grenzbereich
von Straßenprotest und beträchtlicher Militanz."
Fischer: "Das war nicht nur im Grenzbereich, da gibt es nichts
schönzureden. Ja, ich war militant. Den bewaffneten Kampf habe
ich aber immer abgelehnt und heftig politisch bekämpft."
Die Springer-Blockade am Ostermontag 1968 in Frankfurt war ein
Wendepunkt für Fischer. Damals habe er von der Polizei "furchtbare
Dresche" gekriegt, danach "begann ich mich zu wehren und
nicht mehr wegzulaufen". Neu sind die Erkenntnisse über
die "Putztruppe" und ihr prominentestes Mitglied ("Wir
haben Steine geworfen") nicht, einigermaßen neu sind
allein die Fotos, die Stern wie Bild von der Frankfurter Journalistin
Bettina Röhl gekauft haben. Sie habe die damals teilweise in
der FAZ erschienenen Bilder des Frankfurter Fotografen Lutz Kleinhans
bei den Recherchen zu ihrem Apo-Buch "Sag mir, wo Du stehst"
gefunden, schreibt Röhl auf ihrer Internetseite ( http://www.bettinaroehl.de/
). Und Fischer dementiert im Interview keineswegs, der Mann mit
dem schwarzen Motorradhelm zu sein: "Was sieht man auf diesen
Fotos? Wahrscheinlich war es die Situation, an die ich mich erinnere.
Da waren wir damals am Weglaufen nach einer Demonstration in Bornheim,
die gewaltsam aufgelöst wurde." Nachfragen zum Rest der
Fotoserie, bei der ein Polizist in die Mangel genommen wird, bleiben
aus. Dem Stern geht es eher um Fischers Wandlung: "Heute vertreten
Sie dieselbe Ordnung, die Sie damals militant attackierten. Wie
erklären Sie das einem jungen Menschen, der die Apo-Zeit nur
aus Büchern kennt?" Fischer: "Vietnam, Notstandsgesetze,
der Mordanschlag auf Rudi Dutschke, der Kontinuitätsverdacht
zwischen NS-Staat und Bundesrepublik. Wir hatten Feindbilder im
Kopf. Wir sind auf viel Hass gestoßen, als wir gewaltfrei
demonstriert haben." Und beinahe die gesamte zweite Hälfte
des Interviews (Stern:"Machen wir einen harten Schnitt und
kommen wir zur Gegenwart") wendet sich Fischers Erfolgsbilanz
der rot-grünen Koalition und Spekulation über schwarz-grüne
Bündnisse zu.
Was den Stern zum Liebesdienst an Fischer - und zur Zahlung einer
offenbar stolzen Summe für die Röhl-Fotos - bewogen hat,
bleibt unklar. Immerhin hat es das angeschlagene Blatt geschafft,
den Spiegel unter Zugzwang zu setzen. Dort, so ist zu hören,
lässt man seit einem halben Jahr im Frankfurter Milieu recherchieren.
Pünktlich zur Fischer-Aussage im Opec-Prozess a m 15. Januar
sollte die Geschichte ins Blatt. Jetzt ist eine Woche weniger Zeit,
und schon für den kommenden Sonntag hat "Spiegel TV"
Experten zur Frankfurter Spontiszene der 70er-Jahre nach Hamburg
eingeladen. Vielleicht fordert ja der Spiegel, wozu sich gestern
nicht einmal die Welt- Leitartikler hinreißen lassen wollten:
Fischers Rücktritt.
STEFFEN GRIMBERG
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