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Presse

Datum:
18.10.2000

Zeitung:
Süddeutsche Zeitung

Titel:
Immer an vorderster Front

Prozess wegen des Überfalls auf die Opec-Konferenz im Jahre 1975

Immer an vorderster Front

Der frühere Terrorist Hans-Joachim Klein schildert, warum er den "Revolutionären Zellen" beitrat

Frankfurt. Vor dem Landgericht in Frankfurt hat der Prozess gegen den 52-jährigen Hans-Joachim Klein begonnen, der im Dezember 1975 am Überfall auf die Konferenz der Erdöl exportierenden Länder (Opec) in Wien beteiligt war. Mitangeklagt ist der 57-jährige Rudolf Schindler. Er soll Klein zur Teilnahme angestiftet haben. Klein ist wegen dreifachen gemeinschaftlichen Mordes aus niedrigen Beweggründen angeklagt. Bei dem Überfall waren ein österreichischer Polizist, ein irakischer Leibwächter und ein Mitglied der libyschen Delegation erschossen worden. Die als Geisel genommenen Minister der Opec-Länder wurden zwei Tage später freigelassen.

"Dies ist ein Gericht und kein historisches Seminar", sagte der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke. Er gilt als sehr erfahren in Großprozessen; er hat das Verfahren gegen den Immobilienhändler Jürgen Schneider und den dritten Prozess gegen Monika Weimar geleitet. Gehrke wies darauf hin, dass sich in den 25 Jahren seit der Tat die politischen Verhältnisse nachhaltig geändert hätten und "viele Menschen sich von ihrem früheren Verhalten distanzieren". Bei dem Opec-Überfall seien jedoch Menschen getötet, geängstigt und entführt worden, darüber könne die Justiz nicht hinweggehen. Das Gericht werde die spätere Entwicklung der Beteiligten "im Rahmen des rechtlich Möglichen" berücksichtigen. Klein hatte sich zwei Jahre nach dem Überfall vom Terrorismus losgesagt und bis zu seiner Verhaftung 1998 unerkannt in Frankreich gelebt.

Hans-Joachim Klein schilderte am ersten Verhandlungstag seine Entwicklung bis zu seinem Eintritt in die "Revolutionären Zellen" (RZ), die damals eng mit der Palästinensischen Volksbefreiungsfront (PFLP) zusammenarbeiteten. Seine Mutter hatte sich 1948 selbst getötet, sie war wegen ihrer Beziehung zu einem jüdischen Mann im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert gewesen. Der Vater hatte das Kind nach der Geburt in ein Heim gegeben, bis zu seinem elften Lebensjahr war Klein dann bei einer Pflegemutter. Dann heiratete der Vater wieder und holte den Jungen zu sich. "Er hatte, höflich ausgedrückt, sehr rabiate Erziehungsmethoden", sagte Klein. Als der Vater ihn einmal wegen eines entflogenen Wellensittichs so verprügelte, dass Hans Joachim um sein Leben fürchtete, ging der Junge freiwillig wieder ins Heim.

Dass er bei einer Demonstration beobachtete, wie zwei Polizisten eine junge Frau zusammenschlugen, sei ein Schlüsselerlebnis für ihn gewesen, berichtete der Ex-Terrorist. Von da an habe er sich dafür interessiert, "was die Leute auf der Straße eigentlich wollten".

Er engagierte sich in der "Roten Hilfe", einer Gruppe, die sich für die Gefangenen der RAF einsetzte. Bei Hausbesetzungen und bei Demonstrationen, sowohl gegen den Vietnamkrieg wie gegen die Erhöhung der Straßenbahnpreise, sei er immer "an vorderster Front" gewesen. Durch Wilfried Böse, den Führer der RZ, lernte er den Top-Terroristen "Carlos" kennen. Er habe auch bei den Vorbereitungen für eine Entführung des Botschafters der Vereinigten Arabischen Emirate in London mitgewirkt, die jedoch nicht in die Tat umgesetzt wurde.

Einzelne Terroraktionen der RAF, wie etwa einen Bombenanschlag auf das IG-Farben-Gebäude, habe er gut geheißen, er selbst habe sich aber an Gewaltaktionen nicht beteiligen wollen, sagte Klein. Er habe lediglich einmal Devisen aus einem Banküberfall umgetauscht und vier RAF-Mitgliedern für eine Woche eine Wohnung besorgt. Darüber sei es aber auch zu einem Bruch mit der RAF gekommen, "weil die Leute nicht mehr aus der Wohnung raus wollten".

Sein Entschluss, selbst den Revolutionären Zellen beizutreten, sei durch den Tod des RAF-Mitglieds Holger Meins ausgelöst worden, der nach einem Hungerstreik starb. "Da kam ich zu der Überzeugung, dass die legale Arbeit zu nichts führt." Dazu gekommen sei "der ganze Frust" über die politische Stagnation in der Bundesrepublik. "In Schweden hat sich Olof Palme an die Spitze einer Vietnamdemonstration gestellt, und Willy Brandt hat die Hände in die Tasche gesteckt, während wir uns die Köpfe einschlagen ließen."

Von Hans Holzhaider

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