Datum:
13.03.2001
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Zeitung:
Süddeutsche Zeitung
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Titel:
Der Unsichtbare aus der Geisterwelt
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Die Verbrechen der "Revolutionären Zellen" sollen
neu aufgerollt werden
Der Unsichtbare aus der Geisterwelt
Noch einmal soll es vor Gericht um den linken Terrorismus gehen. Und
noch einmal steht im Mittelpunkt die rätselhafte Figur des Rudolf
Schindler
Von Hans Leyendecker
Im Frankfurter Opec-Prozess wirkte der Angeklagte Rudolf Schindler sehr
unauffällig. "Von ihm wissen wir nur wenig. Es scheint zu seinem
Charakter zu gehören, sich möglichst unsichtbar zu machen",
erklärte der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke bei der
Urteilsbegründung.
Der 58-jährige Schindler, der nach Aussage des Hauptangeklagten
Hans-Joachim Klein an den Vorbereitungen auf den Opec-Überfall im Mai
1975 in Wien beteiligt gewesen war, schwieg penetrant. Seine Verteidiger,
Hans Wolfgang Euler und Hans-Jürgen Fischer, äußerten
massiv Zweifel an Kleins Glaubwürdigkeit. Am Ende wurde Schindler
freigesprochen, weil die Angaben Kleins nicht für eine Verurteilung
reichten. Um Schindler nun ist ein bizarrer Rechtsstreit entbrannt, der in
die Geisterwelt des westdeutschen Terrorismus zurückführt. Der
aus Schlesien stammende Feinmechaniker Schindler war Mitglied der
"Revolutionären Zellen" (RZ), die sich erstmals im November
1973 ins Bewusstsein der Republik gebombt hatten.
Das Trauma von Entebbe
Die Bundesanwaltschaft möchte ihm wegen der angeblichen Beteiligung
an drei Anschlägen in Berlin Mitte der achtziger Jahre den Prozess
machen. Der zuständige zweite Strafsenat des Kammergerichts lehnte
allerdings Ende Februar die Eröffnung des Hauptverfahrens ab und hob
den Haftbefehl auf. Die Richter erklärten, die Mitgliedschaft
Schindlers in der RZ zwischen 1975 und 1990 sei bereits Gegenstand des
Opec-Prozesses gewesen, er sei abgeurteilt.
Gegen die Entscheidung des Kammergerichts hat vorige Woche der
Generalbundesanwalt Beschwerde eingelegt, denn es handele sich um
unterschiedliche "prozessuale Taten". Schindler habe nicht
durchgehend den RZ angehört, sondern sei zeitweise untergetaucht.
Kurioserweise stützen die Karlsruher ausdrücklich eine Aussage
Schindlers aus dem Opec-Prozess, der zufolge er "in der Zeit von
August 1978 bis zur Wiederaufnahme meiner politischen Aktivitäten
Mitte der achtziger Jahre ... keine strafbaren Handlungen begangen und
keiner verbotenen Organisation angehört" habe. Dies war von der
Frankfurter Staatsanwaltschaft als "unglaubwürdig"
zurückgewiesen worden. Voraussichtlich in dieser Woche wird sich der
3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit der Akte Schindler
befassen.
Die Geschichte der RZ war lange Zeit ebenso unübersichtlich und
verworren wie dieser Rechtsfall. Fest stand nur, dass zwei Jahrzehnte lang
ein bunter Haufen von selbsternannten Feierabend-Revolutionären die
Republik terrorisierte. Mindestens 186 Anschläge gingen auf ihr Konto,
davon 40 allein in Berlin. Die Mitglieder der Vereinigung lebten
äußerlich unauffällig und übten meist einen
regulären Beruf aus. Einzelne Zellen-Kämpfer tauchten allerdings
in die Illegalität ab und werden vermutlich noch heute von einstigen
Mitstreitern durch Geldzuwendungen unterstützt. Es gab Schwerpunkte im
"Norden" (Hamburg und Niedersachsen), im "Süden"
(Rhein-Main-Gebiet), im "Pott" (NRW) und auf der
"Insel" (Berlin). Die untergetauchten Mitglieder befanden sich
nach der Diktion der Vereinigung im "Wald". Die Zellen schotteten
sich streng nach außen ab. Die Führungsmitglieder kamen auf
Treffen zusammen und stimmten Aktionen ab. Die RZ lehnten "politischen
Mord" als "Mittel revolutionärer Politik" ab und
verachteten den Zentralismus der Roten Armee Fraktion (RAF). Dennoch wurden
auch RZ-Leute zu Mördern.
Die allermeiste Zeit blieb die RZ für die Fahnder ein Phantom. Es
gab zwar früh Hinweise, dass radikale Palästinenser die
westdeutschen RZ-Kader unterstützen, ausbildeten und manchmal mit
Bomben in den Tod schickten. Aber erst in den achtziger Jahren wurde den
Ermittlern die internationale Dimension der Revolutionären Zellen
klar. Einige RZ-Mitglieder aus dem Frankfurter Milieu wie Klein sowie
Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann waren "gute Bekannte"
des Spontis Joschka Fischer, aber politisch dürfte der
Außenminister durch die alten RZ-Geschichten nicht unter Druck
geraten. Er hat früh die "Genossen im Untergrund" dazu
aufgerufen, die Waffen wegzuschmeißen. Die RZ-Leute Böse und
Kuhlmann waren 1976 an der Entführung einer Air-France-Maschine ins
ugandische Entebbe beteiligt, wobei die nichtjüdischen Passagiere
schließlich freigelassen wurden, die jüdischen aber bleiben
mussten. Die Deutschen wurden dann bei dem israelischen
Kommando-Unternehmen erschossen, das die Geiseln befreite.
Schon nach dem Opec-Überfall in Wien 1975, erst recht aber nach
Entebbe, kritisierte auch ein Teil der RZ-Desperados den
"Internationalismus," trat allerdings für die
Weiterführung des Kampfes auf nationaler Ebene ein. Zu dieser Gruppe
soll auch Schindler gehört haben. Die Geschichte dieser seltsamen
deutschen Stadtguerrilla, die als Symbol einen fünfzackigen Stern mit
der Inschrift "RZ" verwendete und von 1977 bis etwa 1987 einen
feministischen Zweig mit der Bezeichnung "Rote Zora" hatte
(danach machten sich die Frauen selbständig), wird in den kommenden
Monaten in diversen Gerichtsverfahren aufgerollt.
Ein Insider hat den Ermittlern erstmals umfangreiche Einblicke in das
Leben der Terror-Bewegung gegeben und den Genossen des "klandestinen
Kampfes" Namen gegeben. Das Phantom bekommt ein Gesicht. Als Kronzeuge
der Anklage tritt der Deutsch-Palästinenser Tarek Mousli gegen die
einstigen Freunde an. Der in Beirut geborene 41 Jahre alte Kampfsportlehrer
gehörte zehn Jahre lang den RZ an und wurde im vergangenen Dezember in
Berlin wegen Beteiligung an mehreren Anschlägen zu sehr milden zwei
Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte im ersten Berliner
RZ-Prozess vor den Ermittlern und im Gerichtssaal ausgepackt und wird jetzt
vor den Freunden von einst geschützt, die ihm Verrat vorwerfen. Mousli
belastet auch den alten Kumpanen Schindler schwer.
Nach seinen Aussagen soll Schindler nicht nur dem so genannten
"alten Stamm der RZ" angehört haben, sondern auch, unter dem
Decknamen "Jon", Rädelsführer der Berliner Sektion
gewesen sein. Mitte der achtziger Jahre schoss und bombte die RZ in Berlin
vor allem gegen die Ausländer- und Asylpolitik der Bundesregierung.
Nach Aussagen von Mousli war Schindler auch der Schütze der
"Berliner Zelle". Bei den so genannten Beinschuss-Attentaten auf
den Bundesverwaltungsrichter Günter Korbmacher und den Chef der
Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, soll er
abgedrückt haben. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm außerdem die
Beteiligung an dem Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle
für Asylbewerber im Februar 1987 in Berlin vor. Schindler schweigt zu
den Vorwürfen.
Tod in Hessen
Vier seiner angeblichen Kumpane, darunter auch seine Frau, müssen
sich ab 22. März in Berlin vor Gericht verantworten. Der Name der RZ
wird heute vor allem mit dem Mordanschlag auf den früheren hessischen
Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry im Mai 1981 verbunden. Die Tat ist
noch immer ungesühnt. Die für das Ost-Berliner Ministerium
für Staatssicherheit arbeitende frühere grüne
Europa-Abgeordnete Brigitte Heinrich, die für die Stasi die radikale
Linke ausforschte, hatte 1983 ihrem Führungsoffizier berichtet, dass
Karry von RZ-Leuten aus Versehen ermordet worden sei. "Man habe
versucht, ihn das Bein, beziehungsweise in das Knie zu schießen"
protokollierte der Stasi-Offizier. Karry sei dennoch tödlich getroffen
worden, weil die Leiter, mit der die Täter am Haus hochstiegen,
gewackelt habe. Ähnliches gab jetzt auch Mousil zu Protokoll, der
allerdings bei dem Attentat nicht dabei war. Dem Geraune der Szene will er
entnommen haben, dass Schindler mit dem Anschlag zu tun hatte.
Nach Feststellung des Berliner Kammergerichts ist der 58-Jährige
folglich "hinreichend verdächtig", an dem Attentat beteiligt
gewesen zu sein. Dies stützt die These der Richter, dass der
58-Jährige ohne zeitweilige Unterbrechung den Revolutionären
Zellen angehört hat. Die Karlsruher Ermittler, die Mousil ansonsten
bescheinigen, "widerspruchsfrei und differenziert" Angaben zu
machen, wollen ihrem Kronzeugen in diesem Fall begreiflicherweise nicht
ganz trauen. Die Richter gingen in ihrer Annahme "fehl", schrieb
die Bundesanwaltschaft in ihrer Beschwerde an den BGH. Es bestehe lediglich
ein "einfacher Anfangsverdacht".
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