Datum: 26.02.2000
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Zeitung:
Der Spiegel
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Titel:
Angeklagter Schindler offenbar Opfer einer Verwechslung
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Angeklagter Schindler offenbar Opfer einer Verwechslung
Der Stolz war kaum zu überlesen. Am 15. Oktober 1999 gab die
Frankfurter Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung die Verhaftung
eines "mutmaßlichen Tatbeteiligten an dem Überfall
von Terroristen auf die Opec-Konferenz in Wien im Dezember 1975"
bekannt.
Zwei Tage zuvor hatten Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) Rudolf
Schindler festgenommen. Der betrieb, gemeinsam mit seiner Freundin,
im Frankfurter Nordend eine Galerie mit Apparaten für das "Wohlbefinden
zu Hause". Als Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ)
soll er 1975 die "Örtlichkeiten" ausgespäht
und "konspirative Wohnungen" für das Mordkommando
angemietet haben, das der legendäre Terrorist "Carlos"
alias Ilich Ramirez Sanchez anführte.
Fast ein Vierteljahrhundert nach der Tat, bei der drei Menschen
ermordet und elf weitere entführt worden waren, und sieben
Jahre nach einer Selbstauflösungserklärung der RZ schien
einer der spektakulärsten Terrorakte der vergangenen Jahrzehnte
kurz vor der endgültigen Aufklärung: Es sei damit zu rechnen,
verlautbarte die Staatsanwaltschaft",dass weitere Personen
als Tatverdächtige ermittelt und festgenommen werden können".
Jetzt allerdings sieht es eher so aus, als sei Schindler, gegen
den im November Anklage wegen "Beihilfe zum Mord" erhoben
wurde, einer Verwechslung zum Opfer gefallen. Auf die Spur des 57-Jährigen
waren die Ermittler durch Aussagen des "Carlos"- Komplizen
Hans-Joachim Klein gekommen, der gemeinsam mit Schindler in Sachen
Opec angeklagt ist. Klein war bereits 1977 aus der Terrorszene ausgestiegen
(SPIEGEL 32/1978) und nach fast zweieinhalb Jahrzehnten Flucht im
September 1998 in Frankreich verhaftet worden.
Nach seiner Auslieferung an die Bundesrepublik hatte er angeblich
laut BKA- Vermerk in einer Vernehmung am 2. September 1999 Schindler
"eindeutig und ohne Zweifel" als jenes RZ-Mitglied identifiziert,
das ihn für den Opec-Überfall rekrutiert habe und "von
Beginn an" mit drei weiteren deutschen RZ-Mitgliedern "in
die Aktion eingebunden" war. Dass Klein in vorangegangenen
Vernehmungen andere Personen als Anwerber genannt hatte, scheint
die Ermittler nicht sonderlich gestört zu haben. Auch die Tatsache,
dass er sich zunächst nur an einen "gewissen Schindler"
erinnern konnte, "dessen Vornamen er nicht mehr" wusste,
hat offenbar niemanden irritiert. Als "alles entscheidende
Aussage" gilt dem BKA und der Staatsanwaltschaft Kleins Einlassung
in seiner Vernehmung am 2. September 1999.
In dem entsprechenden Vermerk heißt es: "Als Decknamen
des Rudolf Schindler gibt er ,Max' und ,Sharif' an."
Spätestens hier hätten die Strafverfolger stutzig werden
müssen. Denn in den Unterlagen der Staatsanwaltschaft, die
zur Schindler-Anklage gehören, finden sich Hinweise auf zwei
Aktenkomplexe, in deneu die Decknamen "Max" und "Sharif"
eindeutig einem anderen RZ-Mitglied zugeordnet werden. Im "Operativvorgang
Separat" der Hauptabteilung XXII (Terrorabwehr) des Ministeriums
für Staatssicherheit der DDR wird der damalige Vize-Chef der
RZ, ein Mann namens G., als Träger der Aliasnamen "Max"
beziehungsweise "Sharif" bezeichnet.
Schindler hingegen wird in "Separat", in dem es um die
"Carlos"-Truppe und ihre RZ-Querverbindungen geht, an
keiner Stelle erwähnt. Dem entspricht eine Aussage G.s in einem
Verfahren der Berliner Staatsanwaltschaft gegen den "Carlos"-
Vertrauten Johannes Weinrich. In seiner Zeugenvernehmung im November
1997 hatte G., der im Ausland lebt, ausgesagt, er habe sich "abwechselnd"
als "Sharif" und als "Max" ausgegeben. Schindlers
Verteidiger, der Frankfurter Rechtsanwalt Hans Wolfgang Euler, kritisiert:
"Eine solche Form der Nicht-Vernehmung wie bei Klein, ohne
einen ernsthaften Vorhalt von Widersprüchen, habe ich bislang
nicht erlebt."
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt wollte am vergangenen Freitag
keine Stellungnahme abgeben. "Nach Erhebung der Anklage",
so ihr Sprecher Rainer Schilling, "äußern wir uns
aus Respekt vor der Würde des Gerichts generell nicht mehr
zu anhängigen Verfahren." Auch auf die Frage, ob Klein
bei einer "Wahllichtbildvorlage" womöglich Schindler
und G., die ein gewisse Ähnlichkeit aufweisen, verwechselt
haben könnte, wollte Schilling nicht eingehen. Spekulationen,
dass den Anklägern ein sich in Falschaussagen und Ungereimtheiten
verwickelnder Klein ins Konzept passe, weil ihm so der strafmildernde
Kronzeugenstatus verwehrt werden könnte, konterte Schilling
mit der Bemerkung, es sei "zweifelhaft, ob die Kronzeugenregelung
nach ihrem Auslaufen zum 31. Dezember des vergangenen Jahres in
diesem Verfahren überhaupt angewendet werden kann".
Für Schindler ist das einerlei. Auch wenn seine Unschuld im
Fall des Opec-Überfalls nachgewiesen werden kann, muss er wahrscheinlich
in Haft bleiben. Ein ehemaliger Genosse aus Berlin hat ihn in einem
anderen Verfahren als Drahtzieher und "Instruktor" von
Attentaten und Sprengstoffanschlägen in den achtziger Jahren
schwer belastet.
G. alias "Max" grüßt derweil via Internet
von fernen Gestaden. Auf seiner Homepage ("Noch im Bau. Still
under construction") stehen "Mitteilungen an Freunde,
Freundinnen und Verwandte" - und auch der Name seines Sohnes:
Sharif. Der Mann hat Sinn für Tradition.
GUNTHER LATSCH, WARNER POELCHAU
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