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Presse

Datum:
09.10.2000

Zeitung:
DER SPIEGEL

Titel:
Kampfname "Angie"

Kampfname "Angie"

Ein Terroristenprozess in Frankfurt wirft Schaffen auf den libyschen Präsidenten Gaddafi, der sich gerade ein neues Image zulegt. Er soll Auftraggeber des OPEC- Attentats 1975 in Wien gewesen sein. Vor Gericht stehen der Ex- Terrorist Hans-Joachim Klein und ein mutmaßlicher Helfer.

Der neue Gaddafi ist ein honoriger Staatsmann. Schon im April dieses Jahres, bei einer internationalen Konferenz in Kairo, hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder dem libyschen Revolutionsführer erstmals die Hand geschüttelt. Ein halbes Jahr später - da hatte Muammar al-Gaddafi gerade geholfen, westliche Geiseln auf der philippinischen Insel Jolo freizukaufen - kam Außenminister Joschka Fischer persönlich zur Stippvisite vorbei.

Fischer lobte den arabischen Staatschef:

"Wir sind sehr dankbar für das Engagement Libyens und wissen den großen Beitrag zu schätzen"

Der alte Gaddafi wird wohl jetzt in Frankfurt wieder auferstehen. Vom 17.0ktober an will die Justiz am Main die Wahrheit über einen der spektakulärsten Terrorakte der vergangenen Jahrzehnte herausfinden: den Überfall auf die Konferenz der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) im Dezember1975 in Wien. Die Gangster erschossen damals drei Menschen und dirigierten ein Flugzeug voller Geiseln nach Algier.

Hauptbeschuldigter vor der 21. Strafkammer des Landgerichts ist der gebürtige Frankfurter Hans-Joachim Klein, 52. Als Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ) war Klein bei dem Wiener Waffengang dabei. Er selbst wurde durch einen Schuss in den Bauch schwer verletzt, die Folgen machen ihm bis heute zu schaffen.

Über den Mann im Hintergrund redet Klein inzwischen offen: "Gaddafi war der Auftraggeber." Auch der Frankfurter Staatsanwalt Volker Rath äußert in seiner Anklageschrift keine Zweifel an der Darstellung, dass die Idee des Opec- Überfalls vom libyschen Staatspräsidenten stammt.

Sollten die Richter zum gleichen Ergebnis kommen, wird die neue Freundschaft gleich auf eine harte Probe gestellt. Doch die Bundesregierung hat schon durchblicken lassen, dass sie Gaddafi die weltweiten Terroranschläge, denen auch in Deutschland Menschen zum Opfer fielen, vergeben will. Schließlich hat sich der Mann ja geändert.

Auch innenpolitisch ist der Prozess gegen Klein und seinen mutmaßlichen Helfer Rudolf Schindler heikel - delikater Verhandlungsstoff liegt reichlich vor. Der in Frankfurt als "Klein-Klein" bekannte Revoluzzer mischte einst bei den Streetfightern um den heutigen Außenminister Fischer und den jetzigen grünen Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit mit; ihre Polit- Gang nannte sich "Revolutionärer Kampf".

Zumindest die Verbindung zu Cohn-Bendit riss nicht völlig ab, nachdem aus dem Szenetyp "Klein-Klein" der international operierende RZ- Terrorist mit dem Kampfnamen "Angie" geworden war. Als Klein in einer weiteren biographischen Wende beschloss, aus dem Terrorismus auszusteigen, halfen ihm Frankfurter Freunde dabei, ein neues Leben zu beginnen.

Den Ausstieg inszenierte Klein auf großer Bühne: Im April 1977 schickte er seinen Revolver an das SPIEGEL- Büro in Rom und erklärte: "Ich habe genug angestellt." Nach dem Opec- Attentat habe er seine Kampfgefährten als "schlicht und einfach menschenverachtend" kennen gelernt.

Als Beweis für seine Umkehr lieferte Klein zwei RZ- Mordpläne mit: Die Terroristen hätten es auf den damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in West-Berlin, Heinz Galinski, und auf dessen Frankfurter Kollegen Ignaz Lipinski abgesehen. Ob tatsächlich der Verrat die Attentate verhindert hat oder ob die Pläne so konkret nicht waren, ist unklar.

In einem 1979 erschienenen Buch ("Rückkehr in die Menschlichkeit") und in etlichen Interviews, die er im Verborgenen gab, betonte Klein immer wieder, sein Ausstieg solle auch ein Zeichen sein: keine Gewalt. Selbstbewusst bis größenwahnsinnig stilisierte er sich zum führenden Antiterroristen: "Wenn ich zehn Leute von der Guerilla wegkriege, habe ich mehr erreicht als das Bundeskriminalamt mit seinen hundert Millionen Mark."

Die mehr als zwei Jahrzehnte währende Gratwanderung - Flucht sowohl vor den einstigen Waffengenossen als auch vor der Polizei - gelang ihm dank verschwiegener Unterstützer. Die Sympathisanten sorgten dafür, dass er als "Dirk Clausen" in der Normandie unbehelligt leben konnte. Private Dramen wie eine gescheiterte Liaison, aus der zwei Kinder hervorgingen, blieben "Dirk" nicht erspart. Als ihn am 8. September 1998 kurz vor 19 Uhr ein Polizist mit seinem richtigen Namen ansprach, saß er gerade in der Dorfkneipe.

Eine mutmaßliche Komplizin, die für den Opec- Überfall Waffen nach Wien geschafft haben soll, hält sich ebenfalls in Frankreich auf: Die Strafverfolger wurden Sonja Suder, 67, zwar gern den Prozess machen, doch die französische Justiz lieferte sie bislang nicht aus.

Dass Klein auch seine Helfer, die so genannten Jemande, in die Illegalität zog, war allen klar. In seinem Brief an den SPIEGEL schrieb Klein: "Es ist ja noch immer strafbar, einen steckbrieflich Gesuchten zu unterstützen."

Das ist auch dem hessischen FDP-Abgeordneten Jörg- Uwe Hahn aufgefallen. Sechs Tage nach der Verhaftung Kleins erstattete Hahn Strafanzeige gegen den Grünen Cohn-Bendit, der aus seiner Verbindung zu Klein kein Geheimnis gemacht hatte.

Ehe die Staatsanwaltschaft förmlich gegen Cohn-Bendit ermitteln kann, muss die Immunität des Europaabgeordneten aufgehoben werden. Ein erster Anlauf der Frankfurter Strafverfolger scheiterte im Juni: Der zuständige Brüsseler Ausschuss lehnte das Begehren ab und verlangte "ergänzende Informationen", etwa den konkreten Zeitraum der möglicherweise illegalen Aktivitäten Cohn-Bendits. Der zuständige Ermittler Rath will nun einen überarbeiteten Antrag schicken.

Auch andere Unterstützer sind im Visier der Fahnder. Auf Grund einer Namensliste in den Ermittlungsakten laufen Befragungen an. Auf den sonst redseligen Klein können sich die "Jemande" bislang verlassen: Hinsichtlich seiner Helfer währt er die Konspiration und verweigert jede Aussage.

Cohn-Bendit zeigt sich gelassen: Er sei für die Staatsanwaltschaft jederzeit zu sprechen, "meine Immunität sollte hierbei nicht im Wege stehen". Klein habe er "sowohl moralisch wie finanziell" von 1977 bis 1982 unterstützt. Das sei erstens verjährt, und zweitens nehme er für sich in Anspruch:

"Ich habe nicht Strafe, sondern Morde vereitelt." Auch nach 1982 wusste Cohn-Bendit' wie er Klein erreichen kann. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) kam die spezielle Verbindung gerade recht.

Als Argumentationshilfe gegenüber der Staatsanwaltschaft hat es sich der Grünen- Politiker vom Geheimdienst sogar schriftlich geben lassen: "Auf Grund der Ermittlungsbemühungen" Cohn-Bendits' heißt es in der Bescheinigung, sei es in den Jahren 1988 und 1993 zu insgesamt drei Treffen zwischen dem Ex- Terroristen und einem BfV- Spezialisten gekommen.

Der Beamte mit dem Decknamen "Hans Benz" wollte Klein im Rahmen eines Aussteigerprojekts dazu bringen, sich zu stellen. Laut einem BfV- Papier zeigten die Gespräche Wirkung: Dem Mann im Untergrund, notierten die Verfassungsschützer, "konnte naher gebracht werden, dass er irgendwann seinen beiden Kindern erklären müsse, wer er eigentlich ist und an welchen terroristischen Straftaten er beteiligt war und warum er zu feige ist, sich seiner Verantwortung dafür zu stellen".

Klein schreckte vor allem das Risiko, als verurteilter Mörder lebenslang im Knast zu sitzen. Durch seine Kontaktleute war ihn klar: Die Ankläger würden sich nicht mit dem Vorwurf der Geiselnahme oder der Beihilfe zum Mord begnügen.

Trotzdem habe Klein im September1998 freiwillig nach Deutschland kommen wollen, sagt sein Verteidiger Eberhard Kempf:

"Alles war genau verabredet." Doch die Zielfahnder waren schneller.

Was während des Opec- Attentats tatsächlich passiert ist, muss nun das Gericht herausfinden. Bei zwei der drei Toten scheinen die Mordschützen festzustehen:

Ilich Ramirez Sánchez, genannt "Carlos"' der den Sturmtrupp anführte, sowie Gabriele Tiedemann, Kampfname " Nada" die 1995 an Krebs starb. Doch wer erschoss das dritte Opfer? Klein sagt: Tiedemann. Ex-Kamerad "Carlos", der seit 1994 in Paris im Gefängnis sitzt, sagt: Klein.

Am 23. November soll "Carlos" in Frankfurt als Zeuge aussagen. Ob er kommt, ist unsicher. Belastet wird Klein auch durch die kriminaltechnische Untersuchung. Danach wurde der tödliche Schuss "in einer Höhe von 150 bis 160 Zentimeter aus größerer Distanz gezielt abgegeben". Tiedemann sei aber nur 1,58 Meter groß gewesen. Ein Schuss über Kopf sei "weder von der Person noch aus der Situation heraus möglich gewesen".

Vor kniffligen Fragen steht das Gericht auch im Fall des mutmaßlichen Opec- Helfers Schindler, der im Oktober 1999 in Frankfurt verhaftet wurde. Klein hat ihn, so die Anklage, als den Mann identifiziert, der ihn für das Attentat rekrutierte und der auch in Wien dabei war, um logistische Unterstützung zu leisten.

Doch Schindlers Anwalt Hans- Wolfgang Euler ist sicher: "Was Klein sagt, kann nicht stimmen." Euler hat gute Argumente, denn Klein ordnet Schindler zwei Decknamen zu ("Max", "Sharif"), unter denen nachweislich ein anderer RZ Kämpfer agierte. Der lebt inzwischen in Nicaragua und soll ebenfalls in Frankfurt aussagen.

Dass Schindler, der von 1978 bis 1991 abgetaucht war; zeitweilig ein Terroristenleben führte, kann dennoch als sicher gelten. Ein ehemaliger RZ- Mann, der vergangenes Jahr in Berlin verhaftet wurde, belastet ihn und andere Ex- Genossen schwer. Selbst wenn Schindler in Frankfurt freigesprochen werden sollte, die nächste Anklage kommt.

GEORG MASCOLO, DIETMAR PIEPER

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/opec/sp091000a.htm