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Presse

Datum:
29.11.2000

Zeitung:
Jungle world

Titel:
Ringen um Wahrheiten

Ringen um Wahrheiten

Pleite im Opec-Verfahren: Niemand will Hans-Joachim Klein so recht glauben.

Dennoch halten die Ermittler an ihren Kronzeugen gegen die RZ fest. Ab nächste Woche sitzt Tarek Mousli in Berlin auf der Anklagebank

Auf einmal rudern alle zurück. Zum Beispiel Bundesanwalt Peter Morré. Der Karlsruher Jurist entlastete vergangene Woche im Frankfurter Opec-Verfahren Rudolf Schindler. Der 57jährige Angeklagte habe innerhalb der RZ den Tarnnamen "Philip" getragen, und nicht, wie der Hauptbeschuldigte Hans-Joachim Klein behauptete, "Max" bzw. "Sharif". So also der Kenntnisstand der Bundesanwaltschaft (BAW).

Warum ihm das jetzt einfällt, und nicht vor einem Jahr, als gegen Schindler Haftbefehl erlassen worden war? Offenbar will niemand den Schwarzen Peter ziehen. Nicht das Bundeskriminalamt, das die beiden Tarnnamen seit Anfang der neunziger Jahre dem ehemaligen RZ-Mann Gerd Schnepel zuordnet, und natürlich auch nicht die Frankfurter Strafverfolger. Da Kleins Glaubwürdigkeit immer mehr abnimmt und selbst die bürgerliche Presse bis hin zur FAZ einen Freispruch Schindlers für unausweichlich hält, will keiner mehr so recht die Verantwortung für die Anklage Schindlers übernehmen.

War es das Bundeskriminalamt (BKA), das trotz seiner Informationen Klein noch nicht mal einen Vorhalt machte? Waren es die Frankfurter Staatsanwälte, die die Anklage formuliert hatten? Oder war es das Landgericht, das die Anklage zugelassen hatte?

Die Frage kann nicht aufgeklärt werden, denn eine Kontrollinstanz existiert nicht. Dabei liefert der Fall Klein ein Musterbeispiel dafür, was Kritiker des 1989 erlassenen Kronzeugengesetzes immer vorhergesagt hatten. Die "rechtsstaatswidrige" Regelung, erklärte etwa der grüne Innenpolitiker Cem Özdemir, biete "Anreiz zu falschen Verdächtigungen und Denunziationen".

Zum juristischen Hintergrund des am 31. Dezember 1999 ausgelaufenen Gesetzes: Wenn ein in so genannte terroristische Straftaten verwickelter Täter weitere vermeintliche Mittäter überführte, konnte er bei einem Mordvorwurf in der bisherigen Praxis mit einer Halbierung der Mindeststrafe von 15 Jahren rechnen. Rechtlich wäre sogar ein Strafnachlass bis zu einer dreijährigen Mindeststrafe möglich gewesen. In weniger schweren Fällen konnte mit Einverständnis eines Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) ganz von einer Strafverfolgung abgesehen werden. Dies aber galt nur, wenn das Verdienst des Kronzeugen um die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik groß genug war.

Kleins juristische Lage nach seiner Verhaftung war hoffnungslos. Also galt er als idealer Kandidat für das Kronzeugengesetz. Dennoch müsste er sich seine Vorteile nach Worten des Sprechers der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Job Tillman, "erst noch verdienen". Da er seine Aussagen vor dem Auslaufen der Regelung gemacht hat, würde er aber formal unter das Gesetz fallen. Welche Angebote und Versprechungen Klein tatsächlich in den Verhören gemacht wurden, wird sich wohl nicht aufklären lassen. Nach ähnlichen Erfahrungen in anderen Fällen dürfte sich das Szenario wie folgt abgespielt haben: Im Verhör wurde ihm immer wieder angedeutet, dass sich seine lebenslängliche Verurteilung wegen dreifachen Mordes nur verhindern ließe, wenn er andere Mittäter nennen würde. Und auch wenn er nichts über vermeintliche Tatbeteiligte wusste, wurden ihm so lange entsprechende Lichtbilder gezeigt und per nonverbaler Kommunikation die entsprechende Belohnung angedeutet, bis er auf die gewünschten Fotografien wies.

Die Belastung Schindlers und der im Januar 2000 unter denselben Vorwürfen in Frankreich verhafteten Sonja Suder basieren ausschließlich auf Kleins Aussagen, auch wenn die beiden für die Ermittlungsorgane keine Unbekannten waren. Sie wurden schon 1978 als mögliche Mitglieder genannt, als unter gesetzeswidrigen Umständen der schwerverletzte RZ-Mann Hermann Feiling vernommen worden war.

Juristisch betrachtet waren die Vorwürfe gegen Schindler und Suder, gegen die in Frankreich ein Auslieferungsverfahren läuft, bereits verjährt. Oder sie ließen sich nicht beweisen. In diesem Moment kam den Ermittlern ein Kronzeuge Klein gelegen, der die beiden zumindest formal belasten konnte. Eventuelle Widersprüche sollte dann das Gericht klären, nach dem Schindler bereits ein Jahr in Untersuchungshaft verbracht hatte. Man versprach sich weitere Erkenntnisse über die RZ, die auch von Entlastungszeugen Schindlers erbracht werden können.

Die Problematik des Kronzeugengesetzes ist den Strafverfolgern hierbei nicht unbekannt. Selbst die Autoren einer Streitschrift für die Verlängerung der Regelung, "Die Kronzeugenregelung - Erfahrungen, Anwendungsfälle, Entwicklungen", Rechtsanwalt Matthias Breucker und Kriminaldirektor Rainer Engberding, müssen zugestehen, dass sich die Kronzeugen nicht gerade an "die Wahrheit" hielten. Nur in einem von vier untersuchten Fällen orientierten sich die Zeugen nicht daran, was die jeweilige Aussagenvariante einbringen oder kosten könnte.

Davon völlig unbeeindruckt, operiert die BAW seit einem Jahr mit einem weiteren Kronzeugen: Tarek Mousli. Vier Männer und eine Frau sitzen wegen der Aussage des 41jährigen in Untersuchungshaft, gegen einen weiteren läuft in Kanada das Auslieferungsverfahren. Ihnen allen wird vorgeworfen, sie hätten sich an Aktionen einer Berliner RZ beteiligt. Ob Mousli den Status des Kronzeugen erhält, wenn nächste Woche gegen ihn der Prozess in Berlin beginnt, ist allerdings unklar. Die meisten seiner belastenden Aussagen machte er erst nach dem Jahreswechsel 1999/2000.

Das Strafgesetz hält aber genügend ähnliche Vergünstigungen für reuige Täter bereit. Mousli ist ein klassisches Beispiel dafür, wie ein Zeuge seine "Wahrheiten" den jeweiligen Erfordernissen anpasst. Da erzählte er 1995, er selbst sei es gewesen, der beim RZ-Anschlag auf den Vorsitzenden Richter beim Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, im September 1987 geschossen habe. Heute will er bei den Schüssen auf den Asylrichter nur noch den Polizeifunk abgehört und dadurch den Rückzug der Schützen gedeckt haben.

Im Dezember 1999 beschuldigte er den Verhafteten Harald G., im Jahr 1987 an der RZ-Aktion gegen die Berliner Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) beteiligt gewesen zu sein. Später ließ er wissen, dass er sich wohl wegen der Dunkelheit geirrt haben müsse. Der Grund seines Meinungswandels ist naheliegend: Die vernehmenden Polizeibeamten wiesen ihn nach Monaten darauf hin, dass G. in der besagten Nacht wegen einer anderen Sache in Polizeigewahrsam gesessen hatte. Harald G. ist trotzdem bis heute in Untersuchungshaft. Die widersprüchlichen Angaben interpretierte der BGH flott "als Ringen um die Wahrheit".

Mousli erhielt seine Belohnung indes schnell: Bereits im April 2000 wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Anklage gegen ihn wurde auf das unterste Niveau des formal Möglichen gedrückt. Aus einem "Rädelsführer der Berliner RZ" ist eine Randfigur geworden. Indem er den Po-lizeifunk abhörte, soll er lediglich Schmiere gestanden haben.

Was im anstehenden Berliner Verfahren noch an Widersprüchen auf den Tisch kommt, muss sich erweisen. Für den Opec-Prozess gilt schon jetzt: Würden rechtsstaatliche Kriterien in Staatsschutzverfahren ein große Rolle spielen, stünde es schlecht um die ermittelnden Behörden. Denn wer bei der Lektüre des Strafgesetzbuches nicht beim Paragrafen 129 a stehen bleibt, stößt unter dem Stichwort "Verfolgung Unschuldiger" auf den Paragrafen 344: "Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren (...) berufen ist, absichtlich oder wissentlich einen Unschuldigen oder jemanden, der sonst nach dem Gesetz nicht strafrechtlich verfolgt werden darf, strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, wird mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, bestraft."

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http://www.freilassung.de/presse/opec/jw291100a.htm