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Presse

Datum:
30.11.2000

Zeitung:
Frankfurter Rundschau

Titel:
Starke Worte, Spott und ein Knall

Starke Worte, Spott und ein Knall

Beim siebenstündigen Verhör des verurteilten Terroristen "Carlos" in Paris lagen die Nerven blank

Wenn im Frankfurter Schwurgerichtssaal am heutigen Donnerstag die Verhandlung um das Opec-Attentat fortgesetzt wird, dürfte aufmerksamen Beobachtern kaum entgehen, dass der eine oder andere Prozessbeteiligte etwas erschöpft wirkt. Hinter Richtern, Staatsanwalt und Verteidiger liegt ein juristischer Kraftakt, der ebenso viel Nerven wie Geduld und diplomatisches Geschick erforderte: Die siebenstündige Vernehmung von Illich Ramirez, genannt "Carlos", dem internationalen Terroristenführer, der in Paris als Zeuge aussagte.

Eigentlich hatte das Verhör im altehrwürdigen Justizpalast auf der Cité ohne größeres Aufsehen vonstatten gehen sollen. Doch als der 51 Jahre alte Venezolaner, der 1975 beim Opec-Attentat von Wien das sechsköpfige Terroristenkommando anführte, von Polizisten einer Spezialeinheit vorgeführt wird, wimmelt es in Saal 35 A nur so von Reportern und Kameraleuten.

Nach drei Monaten Einzelhaft genießt der wegen dreifachen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Carlos das Spektakel wie eine vorzeitige Weihnachtsbescherung.

Ein Manuskript mit zehn Blatt Fragen, Skizzen vom Tatort sowie jede Menge Fotos mit Tatverdächtigen haben die Richter aus der Mainmetropole mitgebracht. Fragen vor allem nach der Rolle, die die in Frankfurt als Opec-Attentäter angeklagten Hans-Joachim Klein und Rudolf Schindler gespielt haben sollen. Doch bevor die deutschen Strafjuristen ihre erste konkrete Frage anbringen können, vergehen zwei volle Stunden, in denen Carlos mit der die Vernehmung leitenden Pariser Richterin Michèle Bernard-Requin eine Art Katz-und-Maus-Spiel veranstaltet.

Will der exzentrische Südamerikaner, der bis zu seiner Festnahme in Frankreich als Staatsfeind Nummer eins galt, aussagen oder will er nicht? In einem Französisch mit knatterndem Akzent liefert "Carlos" die erste Kostprobe seiner Dialektik. Einerseits drückt er seine Verachtung aus für die "deutsche Gerichtsbarkeit", deren Gastpiel ihn an das von Nazi-Deutschland besetzte Frankreich erinnert. Andererseits will er mit seiner Aussage "juristische Manöver all jener durchkreuzen, die vor imperialistischem Hintergrund die Wahrheit nur manipulieren wollen".

Eine Hand lässig in der Hosentasche seiner khakifarbenen Freizeitkluft, erreicht "Carlos", dass er und nicht die französisch-deutsche Juristenschar die erste Frage stellt. Ob Monsieur "le Président de Francfort" nun angereist sei, "um die Wahrheit herauszufinden oder nur, um sie zu verheimlichen?" Doch Heiner Gehrke, lässt sich nicht provozieren: Selbstverständlich gehe es - "wie bei jedem Gericht im Rechtsstaat" - um die Wahrheit, wobei er sich seiner Rolle wohl bewusst sei: "Wir sind hier nur Gäste."

Gleich hat "Carlos" wieder ein Thema, das er in immer neuer Variation als grotesk klingenden Kanon intoniert, bei dem er sämtliche Stimmen selbst übernimmt. "Eigentlich hätten wir uns ja in Frankfurt treffen müssen, jedenfalls in einem ordentlichen Verfahren." Und wieso die beiden Angeklagten nicht mitgekommen seien nach Paris? Die Antwort, dass die Prozessordnung inhaftierten Beschuldigten keine Auslandsreise gestattet, scheint den "Berufsrevolutionär leninistischer Tradition" (Carlos über Carlos) nicht zu interessieren. Schon ist er bei einem anderen Thema.

Knapp vier Stunden Verhandlung sind verstrichen, als der Zeuge im überhitzten Saal endlich zur Sache kommt. Keine Frage, dass er Klein-Klein kennt, für den die Teilnahme am Opec-Überfall, der drei Todesopfer forderte, an seinem 28. Geburtstag "ein Traum gewesen ist".

Dass der aus der Sponti-Szene stammende Frankfurter dem berüchtigten Terroristenführer vorher mit, wie er behauptet, "Bedingungen" gekommen sei ("Ich schieße nur, wenn ich bedroht werde"), tut "Carlos" der Große ab mit einer Handbewegung: "Klein konnte Fragen stellen, aber keine Bedingungen. Das war eine militärische Operation."

Und Schindler, kennt der Zeuge auch den von Klein als Mittäter belasteten Rudi Schindler? Schindlers Verteidiger erleben bange Minuten, als "Carlos" anhebt zu einem Loblied über Schindler, den "ich nur bewundern kann". Bis das Verwirrspiel sich auflöst und deutlich wird, dass die Rede ist von Oskar Schindler, der historischen Figur aus Spielbergs Holocaust-Film über "Schindlers Liste". Mais non, Monsieur, nicht Oskar, sondern Rudolf Schindler, drängt Madame, die Richterin. "Ach, den Rudi meinen Sie", sagt "Carlos" mit verschmitztem Lächeln. "Kenn' ich nur aus der Zeitung." Worauf die Richterin - eines der wenigen Male - recht energisch wird: "Herr Zeuge, Sie sollen das Gericht hier nicht verspotten."

Plötzlich ein Knall im Saal, Schindlers Anwalt Euler fährt entnervt auf, stößt hervor: "Wo ist die Waffe, wo?" Reporter in der Stuhlreihe dahinter können ihn beruhigen. Was tatsächlich nach einem Schuss klang, war nur der gepanzerte Helm eines Polizisten, der versehentlich vom Knie gerutscht und zu Boden geknallt war. Leicht schläfrig hebt der Beamte seine Kopfbedeckung wieder auf. "Es war für alle eine Nervenprobe", fasst die Verteidigung später ihren Eindruck von der Vernehmung vor der Kamera zusammen. "Und die Nerven hier haben blank gelegen."

Im Justizpalast sind bereits Putzkolonnen angerückt, als "Carlos" gegen 20.30 Uhr auf entscheidende Passagen seiner Aussage zurückkommt. Ob Klein im Opec-Gebäude selbst auch getötet hat, "kann ich nicht sagen, weil ich gerade beschäftigt war mit etwas anderem". Schon stellt sich Erleichterung ein bei Kleins Anwältin Eva Dannenfeld, da kommt prompt die kalte Dusche: "Aber in Algier, beim Verlassen des Hospitals, hat Klein selbst mir erzählt, dass er den irakischen Leibwächter erschossen hat."

Noch ein letzter Erregungssturm des Top-Terroristen, als Staatsanwalt Volker Rath es wagt, sich nach so genannten "Klar-Namen" möglicher Mittäter zu erkundigen, dann ist die Audienz beendet. Frisch wie in der ersten Stunde des Verhörs verlässt "Carlos" den Saal, während die Juristen erschöpft ins Freie drängen.

Norbert Leppert

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