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Datum:
24.11.2000
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Zeitung:
Frankfurter Rundschau
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Titel:
Zwischen Lachen und Weinen Cohn-Bendits emotionaler Zeugenauftritt
im Prozess gegen Hans-Joachim Klein
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Zwischen Lachen und Weinen
Cohn-Bendits emotionaler Zeugenauftritt im Prozess gegen Hans-Joachim
Klein
Früher war er bei Gericht Dauerkunde. Kaum eine Woche, in der gegen
den "roten Dany" gerade kein Strafverfahren geführt wurde.
Praktisch nach jeder spektakulären Demonstration in Frankfurt bekam er
es als Studentenführer mit Polizei und Justiz zu tun. Ein
Vierteljahrhundert später aber, an diesem verregneten Morgen, kommt er
nicht als Angeklagter, sondern als seriöser Zeuge, der im Prozess
gegen den Opec-Attentäter Hans-Joachim Klein eine wichtige Aussage
machen will: Daniel Cohn-Bendit, 55 Jahre alt, Europa-Parlamentarier..
Selbst bei der Prozesseröffnung vor fünf Wochen waren nicht so
viele Bild- und Fernsehreporter versammelt wie beim Auftritt des
Grünen-Spitzenpolitikers, der am Donnerstag gegen 9.30 Uhr den
Schwurgerichtssaal des Landgerichts betritt. Doch Cohn-Bendit kommt nicht
allein: Da gegen ihn ein Verfahren anhängig ist wegen Strafvereitlung,
hat er zum Schutz vor allzu bohrenden Fragen des Staatsanwalts seinen
Anwalt Wilhelm Barrabas mitgebracht.
Was Prozessbeteiligten und Zuhörern, darunter zahlreiche
Polizisten, die sich bei ihrem Job als Bewacher des Gerichtsgebäudes -
an inzwischen zehn Verhandlungstagen - etwas Abwechslung erhoffen, in den
nächsten Stunden bevorsteht, ist ein Zeugenauftritt buchstäblich
zwischen Lachen und Weinen. Befragt nach dem Wohnsitz, lehnt Cohn-Bendit
sich zurück im Zeugenstuhl: "Frankfurt, Paris, Brüssel und
Straßburg." Gerichtsvorsitzender Heinrich Gehrke beugt sich
schmunzelnd vor und provoziert den ersten Lacher: "Da haben Sie ja
kaum Zeit, eine Wohnung mal richtig kennenzulernen."
Bald darauf jedoch schlägt die Stimmung jäh um und im Saal
wird es still. Hat Cohn-Bendit eben noch heiter-ironisch "von der
Tragödie zweiter Akt" gesprochen - als der Angeklagte Klein zwei
Jahre nach dem Opec-Attentat aus dem Lager der Terroristen fliehen will und
sich hilfesuchend an die Sponti-Szene wendet - da bricht er mit einem Male
am Zeugentisch zusammen, weint und schluchzt, vergräbt den Kopf und
kann nicht mehr. "Zehn Minuten Pause", bestimmt der Richter,
sichtlich auf diese Reaktion nicht vorbereitet.
Was hat den Zeugen derart aus der Fassung bringen können? Oben, auf
der Pressetribüne wird die Szene von Reportern hurtig rekonstruiert.
Thema: Kleins Entschluss im Sommer 1998 das Versteck in Frankreich
aufzugeben, um sich freiwilig - spät, aber doch - dem Verfahren zu
stellen. Dann aber zögert er wieder, will nur diesen einen letzten
Sommer noch zusammensein mit seinen beiden Kindern und ruft an bei Dany,
gleichsam bettelnd und verloren wie ein Sohn, der vom Vater den Segen haben
will - telefonisch.
Zwanzig Minuten nach der Krise hat Cohn-Bendit sich wieder in der Hand.
"Ich kann das erklären", sagt er ins Mikrofon mit gewohnt
fester, tönender Stimme. "Es ist die Verantwortung, die ich
spüre." Jene Verantwortung, die er für Klein-Kleins Ausstieg
übernahm, ohne letzlich zu wissen, wie das Ganze ausgeht: halbwegs gut
mit vielleicht acht, neun Jahren Freiheitsstrafe oder schlimm, und das
wäre Lebenslänglich wegen Mordes.
Dass auch der letzte Akt im Klein-Drama vermasselt wurde, weil die
Fahnder eben schneller sein wollten und sich Klein zur Festnahme in dem 327
Seelen zählenden Dorf in der Normandie einfach holten, nennt der Zeuge
"Schicksal des Leben". Wieder im Besitz seiner Wortgewalt, ist
Cohn-Bendit bereit für die nächste heikle Frage, und der Prozess
kann weitergehen.
Norbert Leppert
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