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Datum:
22.11.2000
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Zeitung:
Frankfurter Rundschau
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Titel:
Das schmutzige Erbe der Putzgruppe
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Das schmutzige Erbe der Putzgruppe
Im Frankfurter Prozess gegen den Opec-Attentäter Klein sollen
prominente Ex-Spontis Geschichte erzählen
Er ist nur ein Zeuge. Einer von vielen. Aber wo Daniel Cohn-Bendit
auftritt, geht es meistens ums Ganze. Auch im Frankfurter Opec-Prozess, wo
er sich am Donnerstag der Vernehmung stellt: Zur Verhandlung steht die
Sponti-Szene, jenes in den 70er Jahren pulsierende Politop, aus dem
Staatsmänner ebenso hervorgegangen sind wie Terroristen,
professionelle Spaßmacher, Lebenskünstler und die vielen, vielen
anderen, die oft unter enormem Anpassungsdruck hineinwuchsen in die
Normalität des Berufs- und Familienlebens.
Der "rote Dany", als Super-Grüner zwischen Deutschland
und Frankreich Abgeordneter im Europa-Parlament, war einer ihrer
Häuptlinge - neben und mit zwei anderen Bürgerschreckfiguren, die
sich - jeder auf seine Weise - ein Vierteljahrhundert später
größter Beliebtheit bei einem breiten Publikum erfreuen:
Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und der Kabarettist
Matthias Beltz.
Große Auftritte gewohnt, scheint sich das ehemalige Chaoten-Trio
indes im Prozess gegen den als Opec-Attentäter wegen Mordes und
Geiselnahme angeklagten Hans-Joachim Klein eher mit bescheidenen Rollen
begnügen zu wollen. Cohn-Bendit ist selber bedroht von einem Verfahren
wegen Strafvereitelung, das ihn im Fall einer Verurteilung zu einem Jahr
Freiheitsstrafe sein politisches Mandat kosten würde. Er zieht es
deshalb vor, mit Anwalt zu erscheinen. Der soll prüfen, ob und wann es
juristisch geboten ist, die Auskunft als Beschuldigter zu verweigern.
Auch Beltz dürfte im Frankfurter Schwurgerichtssaal wenig zu lachen
haben. Im Vorverfahren bekam sein Anwalt Wilhelm Barrabas gewaltig Krach
mit dem ermittelnden Staatsanwalt. Strafverfolger Volker Rath hatte einen
160-Fragen-Katalog des Bundeskriminalamts aufgetischt, den Beltz Punkt
für Punkt beantworten sollte. Worauf der Kabarettist grimmig
lächelte und schwieg, was ihm glatt ein Ordnungsgeld einbrachte, das
auf Beschwerde wieder aufgehoben wurde.
Immer Ärger mit Juristen, wird sich auch der Außenminister
sagen, wenn ihn in Berlin die Zeugenladung erreicht. Bei ersten
Voranfragenließen Fischers Referenten sich Zeit. Erst als die
Zeitungen berichteten, ließ eine Sprecherin eilig verlauten, der
Minister sei "bereit, seinen Beitrag zur Wahrheitsfindung zu
leisten" - nur wie und wo, sei noch offen. Da Regierungsmitglieder
nach der Strafprozessordnung bestimmte Privilegien genießen,
könnten die Richter gezwungen sein, zur nicht öffentlichen
Vernehmung nach Berlin zu reisen. Freiwillig will der Minister nicht in den
Zeugenstand kommen. Er besteht, wie am Dienstag bei der Justiz zu
hören war, auf "förmlicher Ladung".
Was die Herren bezeugen sollen, betrifft die Rolle, die Hans-Joachim
Klein in der Sponti-Szene spielte, bevor er Ende 1975 abtauchte im
terroristischen Untergrund.
Aufgewachsen ohne Mutter, die sich mit der Pistole des Vaters, eines
Polizeibeamten, das Leben nahm, hat er nach dem Abbruch seiner Kfz-Lehre
sowie einem Gefängnisaufenthalt wegen Autodiebstahls Kontakt bekommen
zu Studenten. Klein-Klein - so sein Spitzname - wird
"anpolitisiert" und landet - solidarisch begrüßt -
mitten in der Studentenrevolte.
"Polizeieinsätze, Massenfestnahmen und jede Menge
Strafverfahren: Wir haben ordentlich was auf die Nuss bekommen",
erinnert sich ein 55 Jahre alter Jurist, der damals mit noch
bruchstückhafter Rechtskenntnis bei der "Roten Hilfe"
assistierte. "Wir mussten uns wehren, gegen Bullen, gegen staatliche
Repression, gegen die alten Naziköppe." So formiert sich nach der
Studentenrevolte eine neue Protestszene, mit vielfältigen Aktions- und
Widerstandsformen, die sich unterm Dach des abgeschlafften SDS
(Sozialistischer Deutscher Studentenbund) organisatorisch nicht mehr
unterbringen lassen.
Nach der Selbstauflösung des SDS gehen die Wege endgültig
auseinander: Mit "Ziel Weltrevolution" pilgern die einen zu den
so genannten K-Gruppen, während andere sich vom militanten Konzept der
Stadtguerilla - RAF (Rote Armee-Fraktion) und RZ (Revolutionäre
Zellen) - faszinieren lassen und ausschwirren zum "bewaffneten Kampf
in den Metropolen". Die allermeisten in Frankfurt aber bleiben
"irgendwo irgendwie dazwischen", Spontis eben, die von Fall zu
Fall mobil werden, um "gesellschaftspolitische Konflikte in Aktionen
virulent zu machen".
Vor allem der Häuserkampf im Westend wird bevorzugtes Aktionsfeld
von Cohn-Bendit, Fischer, Beltz und Co. Als im Frühjahr 1973 ein Haus
im Kettenhofweg geräumt werden soll, zählt der
Polizeipräsident 48 verletzte Beamte - "ein bis dahin nicht
bekanntes Ausmaß an Aggressivität und Brutalität".
Mitten unter den Militanten HansJoachim Klein, der nach frustrierenden
Teach-ins und Lektüreversuchen - " . . . also Mitscherlich, den
hab ich nicht kapiert" -, sein Draufgängertum ungestüm
ausagieren kann. Nach den Schlachten des Tages hockt man abends zusammen,
im "Eppstein-Eck", in der "Traube", beim
"Pizza-Peter", um großmäulig Bilanz zu ziehen. Doch
Klein-Klein kann sich damit nicht zufrieden geben, er will mehr, will alles
- und bleibt zum Erstaunen der "Putzgruppe", in der sich die
Militanten zusammengeschlossen haben, nach einem Ski-Urlaub im November
1975 plötzlich wie vom Erdboden verschwunden.
Als dann kurz vor Heiligabend von Wien aus das Foto eines schwer
verletzten Opec-Attentäters durch die Weltpresse geht, können sie
es in der Sponti-Szene kaum fassen. Der da auf der Trage liegt mit
Bauchschuss, ist ihr Klein-Klein, einer von sechs Terroristen, die mit
Libyens Unterstützung unter dem Befehl von Commandante Carlos die
Konferenz der Erdöl exportierenden Länder (Opec) überfallen
und dabei drei Menschen getötet haben.
"Durchgeknallt", lauten die Kommentare in der Frankfurter
Szene, die von nun an verstärkt Wert auf Abgrenzung legt: Ihr RK
(Revolutionärer Kampf) soll nicht verwechselt werden mit der am
Opec-Überfall beteiligten RZ - was den Fahndern vom Staatsschutz nicht
so ohne weiteres einleuchtet, zumal sie einige Berührungspunkte
ausmachen.
"Richtig ist, dass wir die Frage der Gewalt nicht ausdiskutiert
hatten", erinnert sich der Jurist von der "Roten Hilfe".
Molotow-Cocktails gehören jetzt zum Arsenal des Frankfurter
Berufsdemonstranten. Bis es dann den großen Schlag tut:
Anlässlich der Demonstration nach dem Selbstmord der in Stammheim
inhaftierten RAF-Terroristin Ulrike Meinhof am 10. Mai 1976 knallt wieder
einer durch. Sein "Molli", der in einem Streifenwagen landet,
führt zu lebensgefährlichen Verbrennungen eines Polizisten, des
26 Jahre alten Jürgen Weber.
Unter den sieben Tatverdächtigen, nach denen wegen versuchten
Mordes gefahndet wird, ist der 28-jährige Josef Martin Fischer. Er
wird festgenommen, kommt für eine Nacht in Polizeigewahrsam und wird
anschließend vom Haftrichter entlassen - mangels dringenden
Tatverdachts.
24 Jahre später sieht sich Joschka Fischer wiederum konfrontiert
mit Abschnitten einer Vergangenheit, zu der er sich öffentlich bisher
nur vage äußerte. Beobachter fragen, ob er im Zeugenstand etwas
zu befürchten hat. Auch wenn Richter Gehrke das Thema der Vernehmung
eng eingrenzen will, muss der Minister darauf gefasst sein, dass etwa vom
Staatsanwalt bohrende Fragen kommen. Fischer könnte dann zwar die
Auskunft verweigern - nur weiß auch er, dass juristisch
Vernünftiges in der Politik ziemlich töricht sein kann.
"Da muss Joschka jetzt durch", raten Freunde bei den
Grünen. Fischer solle den Zeugenauftritt doch als Chance begreifen.
Mit einer Aussage unter Wahrheitspflicht bekäme er endlich ein Mittel
an die Hand, um wirksam jenen zu begegnen, die ihn bei jedem Wahlkampf
wieder als einen Protagonisten der Terror-Szene vorführen wollen, der
eigentlich auf die Anklage- und nicht auf die Regierungsbank
gehöre.
Für Fischer markieren "die Erfahrungen nach dem bewussten
Montag nach Ulrikes Tod" den Wendepunkt. "Die Repression hatte
uns am Wickel", heißt es in einem programmatischen Aufsatz der
Zeitschrift autonomie (Heft 5, 1977), der unterzeichnet ist mit
seinem Namen. "Es hätte nicht viel bedurft, damit wir daran
endgültig kaputt gegangen wären." Zwar will der Autor nicht,
"dass wir uns als Opferlämmer pazifistisch unterpflügen
lassen sollen, nur find' ich halt, dass wir mit dem Mythos der
revolutionären Gewalt aufräumen sollen." Von da an ist die
Versandung der Frankfurter Szene nicht mehr aufzuhalten.
Ein Problem aber bleibt: Es heißt Klein und ist doch riesengroß,
zumal der Opec-Attentäter sich in einem viel beachteten ersten
Schritt zwar lossagt vom Terrorismus, dann aber nicht die Konsequenz
zieht, sich auch seinem Verfahren zu stellen. Cohn-Bendit fühlt
sich in der Pflicht und hilft ihm im Unterschlupf. Das ist der Anfang
eines Jahrzehnte schwelenden Konflikts, in dem der beredte Muster-Grüne
bisweilen ziemlich ratlos wirkt.
Norbert Leppert
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