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Datum:
16.10.2000
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Zeitung:
Frankfurter Rundschau
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Titel:
Angeklagter Klein und Zeuge Carlos
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Angeklagter Klein und Zeuge Carlos
Vor dem Frankfurter Schwurgericht beginnt der Prozess um das Wiener
Opec-Attentat
Carlos der Große, Klein-Klein und der Rudi: drei
zentrale Figuren eines Gerichtssaaldramas, das ein Vierteljahrhundert nach
der Tat Züge des Grotesken trägt und beinahe schon gespenstig
anmutet. Doch der Justiz in Frankfurt ist es bitterernst. Von Dienstag an
will sie das Opec-Attentat von Wien aufklären - mit den Angeklagten
Hans-Joachim Klein (52) und Rudolf Schindler (57) sowie dem
Top-Terro-risten Ilich Ramirez Sanchez alias Carlos im Zeugenstand.
Was Staatsanwalt Volker Rath in der 64 Seiten langen
Anklageschrift zusammengetragen hat, ist ein Stück Zeitgeschichte:
der Überfall auf die Konferenz der Organisation
Erdöl exportierender Länder (Opec). Von Libyens
Staatspräsident Mo-ammar al Ghaddafi soll die Idee zum
mörderischen Anschlag stammen, bei dem im Dezember 1975 in Wien drei
Menschen erschossen und 70 Geiseln genommen wurden, darunter elf
Ölminister. "Wir hätten es lieber gesehen, wenn
Österreich den Fall übernommen hätte", bekennt Hessens
Generalstaatsanwalt Hans Christoph Schaefer.
Doch die französische Justiz entschied anders. Nachdem
der in der Normandie unter falscher Identität lebende Klein im
September 1998 gefasst worden war, überstellte sie den Ex-Revoluzzer
und Straßenkämpfer aus Frankfurt der Justiz seiner Heimat. Zur
Genugtuung prominenter Intellektueller wie Hans Magnus Enzensber-ger,
Alexander Klug und Iring Fetscher, die sich dafür beim
französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac eingesetzt
hatten.
So wird Klein-Klein - sein Spitzname damals in der Szene - in
den nächsten Monaten dieselbe Anklagebank des Frankfurter
Schwurgerichtssaales drücken, auf der im Kaufhausbrand-Prozess 1969
Andreas Baader und Gudrun Ensslin als spätere Anrührer der
Rote-Armee-Fraktion (RAF) gesessen haben. Eine Vergangenheit, mit der Klein
1977 brach, als er dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel aus dem Untergrund
seinen Revolver schickte und gestand: "Ich habe genug
angestellt." Der medienwirksame Ausstieg, detailliert von ihm in
seinem Buch "Rückkehr zur Menschlichkeit" beschrieben,
sollte ein Zeichen setzen: Ja zur gesellschaftlichen Veränderung, aber
Nein zur Gewalt.
Doch Mord, wie er Klein als Mitglied des sechsköpfigen
Opec-Komandos unter Carlos' Führung vorgeworfen wird,
verjährt nicht. Und bei Mord haben die Richter auch kein Ermessen mehr
beim Strafrahmen. Ob mit oder ohne mildernde Umstände, Mord
heißt lebenslange Freiheitsstrafe. Will der Angeklagte - für den
Fall, dass er verurteilt wird - nicht den Rest seines Lebens im
Gefängnis verbringen, gibt es für ihn nur eine Chance: die
Kronzeugenregelung, die auch bei Mord Strafmilderung vorsieht oder gar ein
Absehen von Strafe. Mittlerweile vom Gesetzgeber wieder außer Kraft
gesetzt, dürfte Klein der Letzte'sein, der sie noch einmal nutzen
kann.
Ausgiebig hat der Ex-Terrorist den Fahndern vom
Bundeskrimmalamt (BKA) und der Staatsanwaltschaft Rede und Antwort
gestanden. Rund hundert Blatt um-fasst das Vemehmungsprotokoll. Mit der
Folge, dass neben Klein nun noch ein anderer auf der Anklagebank sitzt:
Rudolf Schindler, ehemals führendes Mitglied der Revolutionären
Zellen (RZ), der nach Ansicht des Gerichts als Mittäter des
Opec-Überfalls in Betracht kommt. Im Gegensatz zu Hans-Joachim Klein,
für dessen Aussage allein vier Verhandlungstage vorgesehen sind, wird
Schindler voraussichtlich beharrlich schweigen. "Jedenfalls fürs
Erste", wie sein Anwalt Hans Wolfgang Euler andeutet. Euler ist der
Ansicht, dass sich Klein irren müsse, zumal er Schindler zugleich zwei
Decknamen zuordne, "Max" und "Sha-rif, unter denen damals
nachweislich ein ganz anderer RZ-Mann operiert habe. Der soll jetzt in
Nicaragua leben und angeblich bereit sein, als Zeuge nach Frankfurt zu
kommen. Für Klein womöglich ein heikler Auftritt: würde
nämlich Schindler entlastet und am Ende freigesprochen, stünde er
plötzlich da ohne den Rabatt der Kronzeugenregelung.
Dass er beim Opec-Überfall selbst eines der drei Opfer -
ein Kriminalbeamter aus Wien, ein irakischer Leibwächter sowie ein
libyscher Delegierter - erschossen hat, wird von Klein energisch
bestritten. Carlos und Gabriele Kröcher-Tiedemann sollen die
Schützen gewesen sein. Tiedemann aber, die unterdessen an Krebs
gestorben ist, war in Köln freigesprochen worden. Und Carlos, der seit
1994 wegen anderer Straftaten im Gefängnis von Paris sitzt, hat
behauptet, es sei Klein gewesen, der den Iraki Ali Hassan Khafali mit der
Waffe niedergestreckt habe.
Ob Carlos als Zeuge nach Frankfurt kommt? Vorsitzender
Richter Heinrich Gehrke hat ihn für den 23. November geladen. Doch in
Frankreich zögert man aus Sicherheitsgründen eher. Lieber
würde man es sehen, wenn das Frankfurter Gericht nach Paris käme
und dabei wäre, wenn Carlos von einem französischen Richter
vernommen wird. Das wiederum will den Frankfurter Juristen nicht recht
schmecken. Wenn schon EU, dann auch richtig, meinen sie und bestehen auf
Carlos' Vorführung in Frankfurt.
Hatte man für den Prozess ursprünglich mit 80 und
noch mehr Zeugen gerechnet, ist die Zahl inzwischen merklich geschrumpft.
24 Zeugen wurden von der Schwurgerichtskammer förmlich geladen - doch
nur knapp ein Dutzend dürfte auch erscheinen. Der Grund: Soweit die
Zeugen nicht bereits gestorben sind, erscheint auf Grund fortgeschrittenen
Alters ihre Verhandlungsfähigkeit fraglich. Andere Zeugen wiederum
haben Angst - oder einfach auch keine Lust, wie der Kapitän des
Flugzeuges, das Attentäter und Geiseln nach Algier brachte.
Kann sein, dass der Prozess vor diesem Hintergrund rasch seinen
spektakulären Charakter verliert und zur langweiligen Vorlesestunde
wird. Es gibt kiloweise Aktenblätter von früheren Vernehmungen,
die in das Verfahren eingeführt werden müssen. Doch Gehrke,
bekannt als "Mann für schwere Fälle" aus so
unterschiedlichen Prozessen wie gegen den Millionenbetrüger
Jürgen Schneider oder gegen Monika Böttcher, will den
Fall nicht ausufern lassen und - wenn möglich - noch vor Weihnachten
ein Urteil verkünden. Seine Devise: "Auch wenn wir vor
historischem Hintergrund verhandeln - Geschichtsforschung sollen
andere betreiben."
Norbert Leppert
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