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Presse

Datum:
04.01.2001

Zeitung:
Berliner Zeitung

Titel:
Steinwürfe und Gewalt, aber keine Schüsse

Steinwürfe und Gewalt, aber keine Schüsse

Außenminister Joschka Fischer (Grüne) bekennt sich zu seiner früheren Militanz

BERLIN, 3. Januar. Jede Menge körperlichen und ideologischen Ballast hat Joschka Fischer im Laufe der Jahre abgeworfen. Er ist dünn geworden und wieder kräftiger, vom Systemgegner zum Minister, und schließlich hat der einstige Nato-Gegner den Krieg gegen Serbien mit verantwortet. Trotz all der Wandlungen aber will ein Teil seiner Vergangenheit nicht vergehen: Wieder einmal muss sich der Außenminister und Vizekanzler Fragen zu jener Zeit stellen, als er die gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik gewaltsam bekämpfte.

Die Fotos vom Frankfurter Straßenkampf, die das Magazin "Stern" am heutigen Donnerstag veröffentlicht, wären für jeden Amtsträger ein Albtraum. Vermummt mit schwarzem Motorrad-Helm und von Genossen aus der Sponti-Szene unterstützt, bedrängt ein als Fischer identifizierter Mann einen einzelnen Polizisten. Der Beamte geht ohne Kopfschutz zu Boden, aber der Vermummte holt noch einmal zum Schlag aus. Selbst im Liegen treffen den Polizisten Fußtritte der militanten Linken. Das war im April 1973 und Fischer 25 Jahre alt. Dem Magazin bestätigte er zwar nicht direkt, dass er der prügelnde Helmträger war, aber er verwahrt sich auch nicht gegen diese Zuordnung.

Sorge bei den Grünen

Der "Stern" wiederum behält die Herkunft der Fotos für sich - "Informantenschutz". Denn die Bilder sind neu, anders als Fischers Erklärungen über jene Zeit. Er hat seine Militanz nie verheimlicht, aber auch niemals umfassend Auskunft darüber gegeben, an welchen Aktionen der Frankfurter Hausbesetzer und Anarchos er beteiligt war. "Wir haben Steine geworfen", sagte er dem Magazin. "Zuerst wurde man geschlagen, dann hat man sich gewehrt und zurückgeschlagen." Es habe die "Faszination revolutionärer Gewalt" begonnen. Den bewaffneten Kampf habe er aber "immer abgelehnt und heftig politisch bekämpft". Auch habe er keine Brandsätze auf Polizisten geworfen.

Ähnlich hatte Fischer schon früher auf Vorwürfe reagiert, er habe Gewalt auch gegen Personen verübt. Zuletzt wurde diese Anschuldigung im Bundestags-Wahlkampf 1998 gegen den Spitzenmann der Grünen erhoben. Auslöser war damals die Verhaftung des ausgestiegenen Terroristen Hans-Joachim Klein, ein Freund Fischers aus Frankfurter Tagen. Im laufenden Mordprozess gegen Klein soll der Minister nun am 16. Januar als Zeuge über die gemeinsame Zeit im Straßenkampf berichten.

Er werde den Richtern "nach bestem Wissen und Gewissen antworten", verspricht der Außenminister. In seiner näheren Umgebung heißt es: "Es gibt nichts zu verbergen." In dem Prozess gehe es ja auch nicht um Fischer, sondern um Klein. Das ist juristisch richtig - politisch aber steht der Minister schon zwei Wochen vor der Aussage unter Druck. Die Union legte ihm den Rücktritt nahe. Fischer tauge nicht als "Repräsentant einer gewaltfreien Zivilgesellschaft" und daher auch nicht als Außenminister, sagte der Vize-Fraktionschef Wolfgang Bosbach. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer formulierte vorsichtiger, offenbar habe Fischer "versucht, seine gewaltbereite Vergangenheit zu verdrängen".

Bei den Grünen wurde die Veröffentlichung der Fotos mit Nervosität aufgenommen. Offen äußerte sich zunächst nur der Bundestagsabgeordnete Christian Sterzing, der Fischer aufforderte, sich eindeutig von seiner Vergangenheit zu distanzieren. Sterzing wollte zudem nicht ausschließen, dass Fischers Ansehen Schaden nehmen werde. Grünen-Chef Fritz Kuhn beschäftigte sich am Mittwoch intensiv mit den Bildern und ihrer Vorgeschichte. In der Partei besteht die Sorge, dass die Fotos eine Eigendynamik entfalten und Fischers Image nachhaltig verändern könnten.

Gerold Büchner

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