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Datum:
06.12.2000

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Mutmaßliches RZ-Mitglied legt Lebensbeichte ab

Mutmaßliches RZ-Mitglied legt Lebensbeichte ab

Berlin (Reuters) - Erstmals hat ein mutmaßliches Mitglied der linksextremen "Revolutionären Zellen" (RZ) am Mittwoch vor dem Berliner Kammergericht umfangreich über Strukturen und Aktivitäten der Organisation ausgesagt. Der Angeklagte Tarek Mousli räumte zu Beginn des Prozesses um Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion die Anklagevorwürfe ein und nannte mutmaßliche Komplizen. Die Bundesanwaltschaft bestätigte indes, dass sie im Gegenzug für Mouslis Geständnis und Aufklärungshilfe aller Voraussicht nach auf eine Bewährungsstrafe plädieren werde. "Mousli wird den Gerichtssaal wohl als freier Mann verlassen", sagte Bundesanwalt Rainer Griesbaum.

Während Mousli über seine Beteiligung an Anschlägen auf einen hohen Beamten des Berliner Senats und einen Bundesrichter sprach, kam es mehrfach zu Zwischenrufen. "Verräter" oder "Du sollst an Deiner Aussage ersticken" riefen Zuhörer in den Gerichtssaal. Der 41-jährige Mousli hatte nach seiner Festnahme im November 1999 gegenüber der Bundesanwaltschaft umfangreich über die "Revolutionären Zellen" ausgesagt und sechs weitere mutmaßliche RZ- Mitglieder enttarnt. Im April dieses Jahres wurde ihm Haftverschonung gewährt.

In dem unter strengen Sicherheitsvorkehrungen laufenden Prozess muss sich Mousli für Anschläge auf den inzwischen verstorbenen ehemaligen Leiter der Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, und den früheren Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, im Oktober 1986 beziehungsweise September 1987 verantworten. Außerdem wird Mousli ein Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber im Februar 1987 zur Last gelegt. Im Frühjahr 1995 soll er zudem für die "RZ" in einem von ihm gemieteten Keller im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg etwa zehn Kilogramm Sprengstoff aufgewahrt haben.

Der deutsch-libanesische Kampfsportlehrer Mousli, der als Kronzeuge vom Bundeskriminalamt beschützt wird, erschien mit einer schusssicheren Weste unter dem Pullover im Gerichtssaal. Er sei 1985 zu einer der beiden "Berliner Zellen" der "Revolutionären Zellen" gekommen und bis 1990 aktiv gewesen, sagte er. Damals hätten die "RZ" als "militanter Teil der sozialen Bewegung" unter strenger Abschottung agiert. Auf Grund seiner technischen Kenntnisse sei er vor allem für die Funkaufklärung verantwortlich gewesen. Bei den Anschlägen habe er die Tatorte ausgekundschaftet und den Polizeifunk abgehört. Als Schützen nannte Mousli das mutmaßliche RZ-Mitglied Rudolf Schildler, der zurzeit in Frankfurt am Main als Mitangeklager des mutmaßlichen OPEC-Attentäters Hans-Joachim Klein vor Gericht steht.

Bundesanwalt Griesbaum sagte am Rande des Prozesses: "Ich halte die Aussage von Mousli für sehr glaubhaft". Rechtsanwälte von angeblichen "RZ"-Mitgliedern, die nach Mouslis Hinweisen festgenommen worden waren, bezweifelten jedoch den Wahrheitsgehalt. Mit Wolfgang Kaleck sagte einer dieser Verteidiger, es gebe für Mousli "massenhaft Motive, falsch auszusagen". Durch den Sprengstoff, der bei Mousli gefunden worden war, wäre es wahrscheinlich zu einer mehrjährigen Haftstrafe gekommen, sagte Kaleck.

Die "Revolutionären Zellen" sollen zwischen 1973 und 1995 bundesweit mindestens 186 Anschläge verübt haben. Die Attentate auf Vertreter von Ausländerbehörden und Gerichten wurde in Selbstbezichtigungsschreiben mit der "rassistischen Politik" gegenüber Ausländern begründet. Zahlreiche "RZ" hatten in den 90-er Jahren ihre Selbstauflösung bekannt gegeben. Für den Prozess gegen Mousli sind bislang vier weitere Verhandlungstage bis zum 20. Dezember terminiert.

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http://www.freilassung.de/presse/mousli/ya061200.htm