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Datum:
07.12.2000
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Zeitung:
Tagesspiegel
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Titel:
Für den Kronzeugen war dieser Auftritt der schwierigste
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Revolutionäre Zellen
Für den Kronzeugen war dieser Auftritt der schwierigste
Im Prozess gegen früheren RZ-Mann Mousli schlugen Emotionen
hoch
Der Konflikt wird schon vor dem Kammergericht sichtbar: "Tarek,
halt's Maul, sonst holt dich der Fritz Teufel", steht auf einem
Schild, das ein Autonomer am Eingang hoch hält. Im Gebäude ist
der Saal mit etwa 50 Zuhörern aus der linken Szene gut gefüllt.
Um kurz nach 10 Uhr tritt der Angeklagte auf: Der ehemalige Hausbesetzer
und RZ-Aktivist Tarek Mousli, der zum Kronzeugen der Bundesanwaltschaft
geworden ist. Mousli trägt einen anthrazitfarbenen, von einer
schusssicheren Weste ausgebeulten Rollkragenpullover, eine Anzughose und
schwarze Lederschuhe. Als er den Saal betritt, ruft einer der Zuschauer:
"Da ist ja das Schwein!"
Mousli setzt sich und faltet die Hände. Die Knöchel
färben sich weiß. Dieser Auftritt vor seinen ehemaligen Freunden
ist sein schwerster Gang, denn die Strafe ist absehbar niedrig: Zwei Jahre
auf Bewährung hat ihm die Bundesanwaltschaft angeboten.
Der 41-Jährige ist angeklagt, zehn Jahre lang Mitglied der
"Revolutionären Zellen" (RZ) gewesen zu sein. An zwei
Pistolen-Attentaten soll Mousli beteiligt gewesen sein. "Daniel"
habe sein Deckname gelautet, sagt der anklagende Bundesanwalt Rainer
Griesbaum. Bis 1990 habe er sich aktiv bei den RZ beteiligt, danach als
"Schläfer". "Wollen Sie Angaben machen?", fragt
der Richter. "Verräter", ruft ein Zuschauer. "Ja, ich
will", sagt Mousli. "Stimmen die Vorwürfe?", erwidert
der Richter. "Ja, sie stimmen."
Der Vorsitzende Richter ist zuerst an Mouslis Lebensgeschichte
interessiert: Wie er nach Deutschland, nach Berlin, schließlich in
die linke Szene gekommen sei: "Wie kam Ihre Liebe zur
Linkslastigkeit?" Das Publikum lacht. Der Angeklagte lächelt. Der
Richter ist irritiert. Mousli berichtet vom Tod seines Vaters in
Saudi-Arabien 1963, danach zog die Familie nach Deutschland, er kam auf ein
Internat in St. Peter Ording, wo er Kontakt zu einer linken
Schülergruppe bekam. Später zog er in Kiel in ein besetztes Haus,
ging Anfang der 80er Jahre nach Berlin und engagierte sich "in
sozialen Bewegungen": der Anti-Akw- und der Hausbesetzerbewegung. 1985
warb ihn schließlich ein Freund für die RZ.
Auf Grund von Mouslis Angaben hat die Bundesanwaltschaft Ermittlungen
gegen sechs weitere Personen eingeleitet und versucht, die RZ zu enttarnen.
Mousli berichtet von abgehörtem Polizeifunk und Verbindungen über
die Alternative Liste bis in die Polizei hinein. Die RZ konnten sogar
Polizeifunkgeräte kaufen. Vieles will er nur erzählt bekommen
haben. Bei manchen Aussagen korrigiert er sich, anderes ist sehr
detailliert. Viele Widersprüche werden nicht thematisiert. Obwohl
Mouslis frühere Freundin aussagte, er habe ihr erzählt, er selbst
habe bei einem Attentat geschossen, ist sie nicht als Zeugin geladen.
Der Vorsitzende Richter Eckhart Dietrich hält sich an die
Anklageschrift, verwechselt aber Namen und Personen und nennt die
"Revolutionären Zellen" konsequent "Rote Zellen",
bis ihn sogar der Angeklagte korrigiert. So wirkt das Verfahren zuweilen
wie eine Geschichtsstunde der linksradikalen Bewegung in den 80er Jahren.
Noch vor Weihnachten will der Vorsitzende das Verfahren abschließen,
Gericht und Bundesanwaltschaft gehen davon aus, dass Mousli ein freier Mann
bleibt. Spannender dürfte der Prozess gegen die von Mousli
Beschuldigten sein. Dann tritt Mousli erneut vor Gericht auf - als
Kronzeuge.
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