Datum:
21.06.2004
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Zeitung:
Der Spiegel
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Titel:
Kronzeugen: Wie sich ein Terroraussteiger seinem Gläubiger
entzieht
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Kronzeugen: Wie sich ein Terroraussteiger seinem Gläubiger entzieht
Das Bundeskriminalamt schützt den Zeugen der Anklage in einem
Terrorismus-Prozess - auch vor rechtmäßigen Forderungen
eines Gläubigers.
Wenn Tarek Mousli im Prozess gegen Mitglieder der Revolutionären
Zellen vor dem Berliner Kammergericht auftrat, war Sicherheit groß
geschrieben. Stets trug der Zeuge der Anklage ein Toupet und eine
kugelsichere Weste; nach dem Ende seiner Befragungen eskortierten
ihn bewaffnete Personenschützer des Bundeskriminalamts (BKA)
über eine panzerglasgeschützte Hintertreppe aus dem Kriminalgericht
Moabit. Dann verschwanden sie mit ihm, als wär's ein billiger
Thriller, in schweren Daimler-Limousinen an einen unbekannten Ort.
Den im Libanon geborenen Karatelehrer Mousli, 45, schützte
das BKA während des sich drei Jahre hinziehenden Prozesses
besonders gründlich - es fürchtete Racheakte ehemaliger
Kampfgenossen. Schließlich hatten die Aussagen des Kronzeugen
dafür gesorgt, dass die Bundesanwaltschaft mehrere bis dahin
nicht entdeckte Mitglieder der Terrorgruppe anklagen konnte, die
seit den siebziger Jahren für rund 40 Anschläge in Berlin
verantwortlich gewesen ist.
Der Schutz wird auch drei Monate nach Prozessende aufrechterhalten
- und zwar so effektiv, dass inzwischen ein anderes Rechtsgut gefährdet
ist. Die Abschirmung des BKA verhindert nicht nur die Angriffe möglicher
Rächer, sie blockt auch Gläubiger mit rechtskräftigem
Titel ab. Zeugenschutz als Schuldnerschutz - das, sagt der Hamburger
Rechtsphilosophie-Professor Reinhard Merkel, "ist nach den grundlegenden
Prinzipien des Zivilrechts nicht akzeptabel".
Vor fast zwei Jahrzehnten lieh der Berliner Physiker und EDV-Experte
Martin Brüggenwirth, 47, seinem damaligen politischen Weggefährten
Mousli 40 000 Mark. Seit nunmehr vier Jahren versucht er, sein Geld
zurückzubekommen. Zwei Gerichte und vier Gerichtsvollzieher
bemühten sich, ihm zu seinem Recht zu verhelfen - doch Brüggenwirth
hat bis heute noch keinen einzigen Cent gesehen.
Mousli ist eben kein gewöhnlicher Schuldner. Als Kind eines
wohlhabenden saudi-arabischen Geschäftsmannes und einer Deutschen
in Beirut geboren, wuchs Mousli im Libanon und in Deutschland auf.
Seinen späteren Gläubiger Brüggenwirth lernte er
als Student Anfang der achtziger Jahre in der Kieler Hausbesetzerszene
kennen; später lebten sie zusammen in einer Wohngemeinschaft
in West-Berlin.
Solidarität wurde damals in der Kreuzberger Autonomenszene
groß geschrieben. Als Mousli mit anderen Genossen eine Fotosatz-Firma
gründen wollte, gewährte ihm Brüggenwirth den Kredit
von 40 000 Mark. Aber bald schon hatte sich der unstete Mousli mit
seinen Partnern zerstritten, die Firma ging Pleite.
Auch dem Sportstudio, das der Karatemeister mit schwarzem Gurt
als Nächstes aufmachte, war kein durchschlagender Erfolg beschieden.
Brüggenwirth ließ Mousli daraufhin zwar ein Schuldanerkenntnis
unterschreiben, sah aber keine Chance, sein Geld auch zu bekommen.
Im Mai 1999 jedoch tauchte Mousli aus seinem Finanztal auf. Er
wurde wegen des Besitzes von rund zehn Kilogramm Sprengstoff verhaftet,
die er in seinem Keller gelagert hatte. Schließlich beschuldigte
die Bundesanwaltschaft ihn, als Mitglied der Revolutionären
Zellen an diversen Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Um
sich etliche Jahre Gefängnis zu ersparen, diente sich Mousli
der Bundesanwaltschaft und dem BKA als Kronzeuge an.
Im Dezember 2000 wurde er lediglich zu zwei Jahren Haft auf Bewährung
verurteilt. Zuvor schon hatte er eine neue Identität bekommen.
Seit Anfang 2000 alimentiert das Bundeskriminalamt ihn mit rund
1200 Euro im Monat. Zusätzlich kommt der Steuerzahler für
Miete, Krankenversicherung, Telefonkosten und seinen Pkw auf.
Dafür lieferte Mousli ein derart komplexes Gemisch aus Tatsachen,
Gerüchten und Unwahrheiten, dass die Anwälte der fünf
angeklagten Mitglieder der Revolutionären Zellen 174 Verhandlungstage
brauchten, um etliche der Beschuldigungen wieder zu entkräften.
"Lügen pflastern seinen Weg", sagt der in dem Prozess verteidigende
Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck.
Als Brüggenwirth erfuhr, dass sein Schuldner dank des BKA
endlich über regelmäßige Einkünfte verfügte,
erwirkte er im Dezember 2000 einen Vollstreckungsbescheid und später
einen Pfändungsbeschluss. Alsdann beauftragte er einen Gerichtsvollzieher.
Doch dessen Versuch, im Gerichtssaal eine "Taschenpfändung"
durchzuführen, vereitelten BKA-Beamte aus "Sicherheitsgründen".
Auch den Beschluss des für das BKA im rheinischen Meckenheim
zuständigen Amtsgerichts, die staatlichen Alimente an Mousli
zu pfänden, blockten die Zeugenschützer ab.
Ein Kriminaloberrat teilte Brüggenwirth mit, dass die Zahlungen
des BKA nicht "Gegenstand eines Anspruchs der jeweiligen Schutzperson"
seien - Mousli das Geld also quasi freiwillig erhalte. Die Pfändung
habe man deshalb "als gegenstandslos zu den Akten genommen".
Für "eine Sauerei" hält Brüggenwirth den Gläubigerschutz
des BKA. "Es kann eigentlich nicht wahr sein", wundert sich auch
Rechtsanwalt Kaleck, "dass Mousli für Vollstrecker nicht zugänglich
ist."
Das BKA mag sich prinzipiell nicht zum Zeugenschutz äußern.
Dafür bekam Brüggenwirth Post aus dem Untergrund. Via
Bundeskriminalamt ließ Mousli seinen Gläubiger wissen,
dass er künftig 4000 Euro pro Jahr abstottern werde. Das mag
Brüggenwirth allerdings nicht glauben: "Solche Versprechungen",
sagt er, "kenne ich seit 18 Jahren."
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