Datum:
07.12.2000
|
Zeitung:
Berliner Morgenpost
|
Titel:
Das Ende der Roten Zora
|
Das Ende der Roten Zora
Hasstiraden aus dem Zuschauerraum - Mitglied der Revolutionären
Zellen legt vor dem Kammergericht Geständnis ab
Die Brille ist neu, die Haare sehen
nach Perücke aus. Aber sie sollen echt sein, sagen Leute, die
ihn kennen. Eine Zuschauerin begrüßt den 41-jährigen
Tarek Mousli mit Schimpfworten und Hass, als er gestern Morgen auf
der Anklagebank im Kammergericht Platz nahm. Tarek lächelte.
Bei dem Mann handelt es sich um den letzten Kronzeugen Deutschlands.
Kurz vor Ablauf der Gesetzesregelung im vergangenen Jahr offenbarte
er sich der Bundesanwaltschaft. In dem er den Ermittlern das Innenleben
der bis dahin unentdeckten Revolutionären Zellen/ Rote Zora
aufzeigte (RZ), schloss er einen bis dahin weißen Fleck bundesdeutscher
Nachkriegsgeschichte. Gleichzeitig kam er ins Zeugenschutzprogramm
des Bundeskriminalamtes.
Tarek Mousli gehörte den Revolutionären Zellen von 1985 bis zu
deren Auflösung an. Er ist der Mitgliedschaft einer terroristischen
Vereinigung angeklagt, die Anschläge auf den Richter des
Bundesverwaltungsgerichts, Günter Korbmacher, und den Leiter der
Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, und ein Bombenanschlag auf
die Siegessäule sind mittlerweile verjährt.
Die Liebe hatte ihn Anfang der 80er-Jahre nach Berlin gezogen. Hier
schloss er sich der Hausbesetzerszene und der Anti-Atomkraftbewegung an.
Das Studium der Geschichte, später auch Informatik, betrieb er
sporadisch. Schließlich sprach ihn ein Mitglied der Berliner RZ an.
In seinem Geständnis schilderte er gestern die inneren Abläufe
der RZ. Demnach gab es zwei Gruppen in Berlin. Untereinander sprach man
sich mit Decknamen an.
Die meisten RZ-Mitglieder hatten bürgerliche Existenzen, hinter
deren Fassade sie ihre politisch motivierten Anschläge planten und
ausführten. Mousli arbeitete als Fotosetzer, seit 1994 als
Karatelehrer. 1993 avancierte er sogar zum Präsidenten des Berliner
Karateverbandes. In jährlichen Treffen stimmten sich die RZ bundesweit
ab. Als Mousli zu den Zellen stieß, stand vor allem die Asylpolitik
in der Kritik der linken Terroristen.
Ein "Koordinierungsrat" verteilte Geld an die einzelnen
Gruppen. Das Geld stammte meist aus Zuwendungen von Sympathisanten. Anfang
1986 kamen die Revolutionären Zellen in den Besitz von
Blanko-Postsparbüchern. Sie fälschten sie und ergaunerten so etwa
500 000 Mark. 10 000 Mark jährlich erhielt die so genannte
Funkgruppe, der sich Tarek Mousli angeschlossen hatte.
Zu seinen Aufgaben gehörte es, während der RZ-Aktionen den
Polizeifunk abzuhören. Darüber hinaus waren die RZ in der Lage,
den Funkverkehr des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) und des
Verfassungsschutzes "nahezu vollständig" mitzuhören,
sagte Mousli gestern.
In der Folge des Geständnisses des deutsch-libanesischen
Kampfsportlers sind sechs weitere Mitglieder der RZ festgenommen worden.
Gegen vier von ihnen soll der Prozess im Frühjahr beginnen. Einer von
ihnen sitzt bereits in Frankfurt am Main zusammen mit dem ehemaligen
RAF-Terroristen Hans-Joachim Klein vor Gericht. Gegen ein weiteres
RZ-Mitglied in Kanada besteht ein Auslieferungsersuchen.
Die Bundesanwaltschaft hat Mousli für seine Aussagebereitschaft
eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt. "Er hat uns
Verbindungen gezeigt, von denen wir bislang nicht wussten", sagte
Bundesanwalt Rainer Griesbaum gestern.
Die Revolutionären Zellen bekannten sich 1973 erstmals zu
einem Anschlag. Insgesamt gehen mehr als 180 Anschläge auf
das Konto der linksradikalen Gruppierung, allein in Berlin waren
es 40 Anschläge. Bis zur Verhaftung Tarek Mouslis hatten die
Ermittler keinerlei Hinweise auf die Hintergründe der RZ.
Jens Anker
|