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Presse

Datum:
13.12.2000

Zeitung:
Jungle World

Titel:
Isolierte Zelle vor Gericht

Isolierte Zelle vor Gericht

Der Angeklagte Tarek Mousli plaudert in seinem Prozess über alles, was er vom Innenleben der Revolutionären Zellen zu wissen vorgibt.

Geschichtsstunde Revolutionäre Zellen (RZ), Abteilung "Insel", also Berlin. Nein, nicht "Rote Zellen", wie sich der Vorsitzende Richter Eckhart Dietrich von dem Mann auf der Anklagebank erklären lassen muss. Locker, mit einem freundlichen Lächeln, erzählt Tarek Mousli von den Zeiten, in denen er einer Berliner Gruppe der RZ angehört haben will. Nicht aufgeregt, kaum nervös, die Unsicherheit gut versteckt hinter einer großen dunklen Brille. Dabei dürfte jener Mittwoch letzter Woche der wohl schwierigste Tag für den 41jährigen gewesen sein, seit er im vergangenen Jahr begonnen hat, zahlreiche ehemalige Freunde und Freundinnen sowie Mitstreiter bei der Bundesanwaltschaft anzuschwärzen.

Einige von ihnen sitzen hier, auf der anderen Seite, im Zuschauerraum. Nur knapp fünfzig Leute aus der Berliner autonomen Szene sind gekommen, um dem Schauspiel vorm Kammergericht der Hauptstadt zu folgen. Andere ziehen es vor, der Veranstaltung fernzubleiben. Erinnerungen könnten den alten Bekannten zu weiteren Beschuldigungen verleiten.

Angespannte Ruhe dominiert den Raum, als der Angeklagte eintritt. Nur vereinzelt werden Rufe laut: "Da ist er ja, das Schwein." Später wünscht eine Frau dem Mann im anthrazitfarbenen Rollkragenpullover über der schusssicheren Weste, "dass du an Deinen Aussagen erstickst". Doch der große Showdown bleibt aus. "Er arbeitet mit derselben Einsatzbereitschaft und Lockerheit mit dem Gericht zusammen, mit der er sich früher in der Szene eingebracht hat", versucht sich ein ehemaliger Bekannter das Verhalten des Angeklagten zu erklären. Aber wirklich verstehen, so scheint es, kann hier niemand, was in Mousli vorgeht.

Wahrscheinlich tut das auch heute nichts mehr zur Sache. Mousli ist Kronzeuge. Und sein selbstgefälliges Auftreten lässt keinen Zweifel daran, dass er die Seite gewechselt hat. Es scheint ihn nicht zu berühren, dass wegen seiner Aussagen fünf vermeintliche RZ-Mitglieder in Untersuchungshaft sitzen und gegen seinen ehemals "besten Freund" in Kanada ein Auslieferungsverfahren läuft. Dass er mit ihnen allen an militanten Aktionen gegen die deutsche Flüchtlingspolitik in den achtziger Jahren beteiligt gewesen sei, erzählt Mousli, als berichte er von einer gemeinsamen Autowerkstatt.

Doch nicht nur Eingemachtes aus der "Familie", wie sich die RZ nach Mouslis Worten intern nannte, verrät er den Strafverfolgern. Dank einer zehnjährigen Karriere in der Kreuzberger Szene kennt der Kronzeuge genug linke Aktivisten und Aktivistinnen, um viele interessante Namen zu nennen - ganz zur Freude des Bundesanwaltes Rainer Griesbaum, der, wie er sagt, mit "großen Ohren" zuhöre. Richter Dietrich liefert derweil höflich die Stichworte. Wer sich etwa in der militanten Gruppe Revolutionäre Viren betätigt habe? Oder wer in jenem "Koordinationsausschuss" saß, der im Alternativzentrum Mehringhof große Mengen Spendengeldes an verschiedene Projekte verteilt habe? 100 000 bis 150 000 Mark sollen aus diesem Fonds jährlich an die RZ geflossen sein, 1 500 Mark monatlich habe man an jedes illegale RZ-Mitglied weitergegeben. "Die Miete wurde anderweitig organisiert", weiß Mousli, der damals "Daniel" genannt worden sei. Auch jene "Funkgruppe" der Szene, der er schon vor seiner Zeit in den RZ angehört habe, sei mit diesem Geld finanziert worden.

Bis 1985 habe man "lückenlos den Funkverkehr des Verfassungsschutzes überwacht". Über einen AL-Vertreter sei man zudem an Infos aus dem Berliner Innenausschuss herangekommen. Es sind vor allem technische Fähigkeiten, die er in die RZ eingebracht haben will. Ob bei den Schüssen auf Günter Korbmacher, den Asylrichter im Bundesverwaltungsgericht, im September 1987 oder beim Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber im Februar desselben Jahres, immer habe er mit dem Funkscanner die Kommunikation der Gegenseite belauscht. Dass er im Frühjahr 1995 seiner damaligen Freundin erzählte, er habe bei einem der Attentate geschossen - daran will er sich heute nicht mehr erinnern. Ein Missverständnis. Der Schütze der "Familie", das sei Jon gewesen. Wie überhaupt Jon, Judith und Heiner, also die Verhafteten Rudolf Schindler, Sabine E. und Matthias B., zu den "Hardlinern" der RZ gehört hätten.

Woher er weiß, wer wie bei den Anschlägen vor Ort agierte? Oder dass zu einer angeblichen "RZ-Denkergruppe" Leute wie der Kölner Rechtsanwalt Detlef Hartmann und der Oldenburger Sozialwissenschaftler Ahlrich Meyer zählten? "Das ist uns so berichtet worden." Nachfragen: keine. Richter Dietrich gibt sich mit Plaudereien zufrieden, die sich häufig allein aus dem Hörensagen speisen. Nur vorsichtig weist er auf Widersprüche zu Angaben in vorangegangenen Vernehmungen hin. Eine überaus "nette Befragung", wie Martin Ruppert, der Verteidiger des von Mousli Beschuldigten Lothar E. kritisiert, selbst wenn das jetzige Verfahren keine direkten juristischen Auswirkungen auf noch anstehende Prozesse haben wird.

Aber warum auch sollten Richter Dietrich oder Bundesanwalt Griesbaum, der Mouslis Aussagen mit vorsichtigem Nicken quittiert, den Angeklagten aus dem Konzept bringen? Schließlich wird der Mann mit ziemlicher Sicherheit noch einmal in diesem Gerichtssaal gebraucht: als Kronzeuge, wenn im nächsten Jahr gegen die anderen vermeintlichen RZ-Mitglieder verhandelt wird.

Schon vor dem jetzigen Verfahren hat die Bundesanwaltschaft signalisiert, wegen der Aussagefreude ihres Zeugen auf eine Bewährungsstrafe zu plädieren. Und "ohne zwingende Gründe", so ließ der Gerichtsvorsitzende Dietrich zu Beginn des Prozesses wissen, werde man nicht "über die Strafanträge der Staatsanwaltschaft hinausgehen". Auf solche Versprechungen seiner neuen Geschäftspartner kann sich Mousli verlassen. Bereits jetzt bekommt er aus dem Zeugenschutzprogramm vom Bundeskriminalamt einen monatlichen Scheck von 2 400 Mark, plus Krankenversicherung, Leihwagen, Telefonkosten und Miete.

"Das macht einen hart und kalt", sagt der Kronzeuge. Er meint die Zeit, in der er in den RZ gewesen sei. Das "Klima" in der Gruppe habe ihn dazu gebracht, 1990 auszusteigen, um dann noch einige Jahre als "Schläfer" unterstützend tätig zu sein. Außerdem habe ihm der Anschlag auf Korbmacher zu denken gegeben. Ein "bürgerlicher Moralist" sei er damals gescholten worden, weil er die Schusswaffenaktion vor "Hardlinern" wie Rudolf Schindler, Sabine E. und Matthias B. kritisiert habe.

Vor allem aber die Liquidation von Gerd Albartus habe seine Entscheidung zur Abkehr von den Militanten ausgelöst. Durch das RZ-Mitglied, das im Dezember 1987 von Palästinensern erschossen wurde, sei er zu der Gruppe gekommen. Ganz so nachhaltig scheint das Entsetzen aber nicht gewesen zu sein. Mousli verriet ohne Umschweife die Identität jenes Mannes mit dem Decknamen "Malte", der nach Worten des Kronzeugen die Erklärung "Gerd Albartus ist tot" im Dezember 1991 "federführend" formuliert habe - ein Schreiben, mit dem eine der grundsätzlichen Debatten um die Politik der RZ eröffnet wurde. Die Auseinandersetzung um die Ermordung von Gerd Albartus, heißt es dort, werde sich "mit dem Zusammenhang von Politik und Moral" zu befassen haben. Und sie "spielt sich diesseits der Barrikade ab".

von wolf-dieter vogel

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http://www.freilassung.de/presse/mousli/juw131200.htm