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Datum:
28.01.2000
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Zeitung:
Tagesspiegel
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Titel:
Happige Anwaltskosten im Mehringhof
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Happige Anwaltskosten im Mehringhof
Generalbundesanwalt weist Vorwürfe der Alternativen zurück
Johannes Metzler
Auf den ersten Blick wirken die Türen, die im engen Hinterhof
des Fahrradladens herumstehen, wie ganz normaler Sperrmüll.
Erst bei einem Blick aus der Nähe fallen das zersplitterte
Holz und die aufgebrochenen Schlösser auf - Spuren der mittlerweile
vier Wochen zurückliegenden Ereignisse im Kreuzberger Mehringhof
an der Gneisenaustraße.
Am frühen Morgen des 19. Dezember hatten Einsatzkräfte
der Polizei mit Unterstützung der Elitetruppe GSG-9 das Gebäude
regelrecht gestürmt und nach Sprengstoff und Waffen durchsucht,
die der inhaftierte Hausmeister Axel H. hier deponiert haben sollte.
Als die Beamten nach mehreren Stunden das Haus schließlich
räumten, hinterließen sie im Mehringhof eingetretene
Türen, heruntergerissene Wandverkleidungen und beschädigte
Einrichtungsgegenstände - die Betreiber beziffern den Sachschaden
auf über 100 000 Mark. "Dabei wurde nicht einmal eine
Flasche gefunden, mit der man einen Molotow- Cocktail hätte
herstellen können", machte kürzlich ein grüner
Kreuzberger Politiker seinem Ärger Luft.
Doch eine Dienstaufsichtsbeschwerde der Leute vom Mehringhof wies
der Generalbundesanwalt in einer Stellungnahme zurück. Es lägen
keine Verstöße gegen den "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit"
vor. Das gab gestern der Presseausschuss im Mehringhof bekannt.
Außerdem wurde beschlossen, Geld für die Inhaftierten
zu sammeln. Die Kosten für Anwälte und Reisen dürften
monatlich bei rund 10 000 Mark liegen. Auf den ersten Blick ist
der Alltag in das Gebäude zurückgekehrt. An den Tagen
danach, sagt eine Mitarbeiterin des Fahrradladens, habe das Telefon
immer wieder geklingelt. "Viele haben gesagt: Wenn wir Euch
nicht kennen würden, würden wir nicht mehr zu Euch kommen."
Die Schlagzeilen in Zusammenhang mit der Polizeiaktion seien nicht
gut für den Laden, weil die Kundschaft durchaus nicht nur alternativ
sei: "Vom Punk bis zum Krawattenträger ist eigentlich
alles dabei." Im Buchladen "Schwarze Risse", in dessen
Regalen linke Szene- Zeitschriften neben Romanen der Weltliteratur
stehen, herrscht heute wenig Betrieb; zwei Kunden blättern
in ausliegenden Büchern. "Uns hat es nicht so schlimm
getroffen", meint die junge Frau, die hier arbeitet. Im hinteren
Ladenteil ist die beschädigte Tür bereits ersetzt worden:
"Die alte war nicht mehr zu retten." Auch Hohlräume
in der Wand seien abgeklopft und untersucht worden. Die schlimmsten
Schäden im Mehringhof sind zwar bereits behoben. Doch der Schock
über das Vorgehen der Polizei sitzt tief, und die Ruhe täuscht:
In einigen Projekten herrscht Verunsicherung über die nächsten
Schritte der Staatsanwaltschaft.
Denn die Durchsuchung des Mehringhofs ist wahrscheinlich auf Aussagen
des inhaftierten Kampfsportlehrers und mutmaßlichen Ex-Mitglieds
der "Revolutionären Zellen", Tarek M., hin angeordnet
worden, der seit seiner Verhaftung im November von der Kronzeugenregelung
regen Gebrauch macht. "Tarek arbeitet mit der Staatsanwaltschaft
die ganzen Akten aus den 80er Jahren auf", vermutet ein Kenner
der Szene. In einem kursierenden Flugblatt heißt es: "Man
kann davon ausgehen, er reitet Leute rein, um seinen eigenen Hals
zu retten." Für die nächsten Tage wird darum mit
weiteren Vernehmungen gerechnet. Über Bekanntschaften, Verbindungen
und Namen, die im Rahmen der Verhöre von Tarek M. gefallen
sein könnten, wurde in den vergangenen Wochen im Mehringhof
heftig spekuliert
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