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Datum:
21.12.1999
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Zeitung:
Tagesspiegel
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Titel:
Nach der Razzia
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Nach der Razzia
Der Mehringhof ist das "lebende Museum" der alternativen
Szene, aber auch weiterhin der Treffpunkt von Linksradikalen und
Militanten
"Raus aus den Löchern", hieß die Losung auf
den "Flugis", die Anfang Dezember in der linksradikalen
Szene kursierten. Auf dem "2. unordentlichen Maulwurfstreffen"
sollten "Strategien und Perspektiven linksradikaler Politik"
diskutiert werden. Ort des Treffens: der Mehringhof in der Geneisenaustraße
2 in Kreuzberg. Das ausgedehnte Fabrikgebäude ist seit zwanzig
Jahren das Hauptquartier der Alternativen Bewegung mit einem bunten
Mischung von Kulturprojekten wie dem Mehringhoftheater, Betrieben
wie einem biologischen Großhandel, einem Fahrradladen oder
einer Schule für Erwachsenenenbildung. Doch während die
alternative Latzhosenfraktion in die Jahre gekommen ist, sich mit
Kindern und Altersversorgung beschäftigt und von sich selbst
sagt, "wir sind ein lebendes Museum", ist der Mehringhof
für die linksradikale und militante Szene immer noch der zentrale
Treffpunkt.
In der Kneipe "Ex" finden sich auf der Theke mehr
"Soli-Sammelbüchsen" als Biergläser, im Buchladen
"schwarze Risse" gibt es schwerverdauliche radikale Traktate, der
"Ermittlungsausschuss" untersucht seit vielen Jahren
"polizeiliche Übergriffe" gegen Linke und auch die autonome
Postille "Interim" hat im Mehringhof seine Adresse. Formal
jedenfalls. Denn weder Redaktion noch die als presserechtlich
verantworliche "Charlotte Schulz" hat die Polizei trotz einiger
Durchsuchngen bislang ausfindig machen können. Großeinsätze
der Polizei hat der Mehringhof seit seiner Gründung im Jahre 1979
immer wieder erlebt; die Mitarbeiter der über 30 Betriebe und Projekte
nehmen es gelassen. Für den Kaufpreis von 1,7 Millionen Mark wurden
vor zwanzig Jahren zahlreiche politische Gruppen zum Besitzer der
eindrucksvollen Immobilie, während im damaligen West-Berlin nahezu
zeitgleich über 160 Häuser besetzt wurden. In der Geschichte des
Mehringhofs spiegeln sich seitdem die politischen Auseinandersetzungen in
Berlin wider. Der damalige Innensenator Heinrich Lummer ließ Anfang
der achtziger Jahre nach Demonstrationen der Hausbesetzer seine Beamten
gegen das imposante Backsteingebäude vorrücken, bald danach zog
der im Mehringhof organisierte Volkszählungsboykott mehrfach
Staatsanwaltschaft und Polizei an. Mit teilweise erheblichen Folgen
für die Stadt. So war die Durchsuchung des
"Boykott-Büros" am vorhergehenden Tag ein Auslöser
für die gewalttätigen Ausschreitungen am 1. Mai 1987 in
Kreuzberg, die Berlin weltweit negativ in die Schlagzeilen brachte. Ob bei
den gewalttätigen Demonstrationen gegen den US-Präsident Ronald
Reagan in den Jahren 1991 und 1987, ob bei den Protesten gegen die
Nato-Nachrüstungsdebatte oder gegen das Treffen des internationalen
Währungsfonds 1988 in Berlin - im Mehringhof traf sich die autonome
und linksradikale Szene zu ihren Vollversammlungen und
Vorbereitungstreffen. Oft genug unter öffentlicher Observation.
Für den Verfassungsschutz nämlich war der Mehringhof eine
erstklassige Quelle.
Der Mauerfall wirbelte zwar das autonome Kreuzberger Biotop mit seinen
festgefügten linksradikalen Gewissheiten durcheinander. Die Szene
verjüngte sich und zog teilweise nach Prenzlauer Berg. Der Mehringhof
aber blieb weiterhin ein zentraler Treffpunkt für die radikale Linke.
Auf zahlreichen Veranstaltungen wurde ab 1993 der "Widerstand"
gegen die Bewerbung Berlins für die olympischen Sommerspiele 2000
organsiert. Ob die dilettantische Bewerbung des Senats und des obersten
Olympia-Managers Axel Nawrocki für die Niederlage Berlins
verantwortlich war, oder die öffentlichkeitswirksamen
"Nolympia"-Aktionen, wie die linksradikalen Aktivisten für
sich in Anspruch nahmen, bleibt dahingestellt.
Die Krise der Linken ist aber auch am Mehringhof nicht vorbeigegangen.
Das auch die Autonomen Nachwuchssorgen haben, zeigt sich an Details. Das
legendäre "Ex", für Generationen von Autonomen die
Kneipe, warf in den letzten Jahren nicht mehr genug Umsatz ab. Jetzt wird
das Lokal von über 20 Gruppen aus der Stadt gemeinsam betrieben.
Gerd Nowakowski
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