Datum:
20.12.1999
|
Zeitung:
Tagesspiegel
|
Titel:
Großaktion des BKA
|
Großaktion des BKA Kreuzberger Mehringhof nach Sprengstoff
und Waffen durchsucht
Dutzende Beamte im Einsatz wegen Verdachts gegen
"Revolutionäre Zellen" - drei Festnahmen
Ein abgesperrter Bürgersteig, Dutzende uniformierte Polizisten,
teils mit Schutzschild und Schlagstock ausgerüstet - dieses
Bild bot sich am gestrigen Sonntag vor dem Mehringhof an der Kreuzberger
Gneisenaustraße. In einer groß angelegten Aktion durchsuchten
Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Bundesgrenzschutzes
(BGS) aus Karlsruhe und Wiesbaden und von der Berliner Polizei das
Gelände stundenlang nach Waffen und Sprengstoff.
Auch das Spezialkommando GSG 9 war im Einsatz. Zuvor waren Sabine
Barbara E.in Frankfurt am Main und Axel H. und Harald G. in Berlin
in ihren Wohnungen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft bei der
terroristischen Vereinigung "Revolutionäre Zellen / Rote
Zora (RZ)" festgenommen worden. "Bitte gehen Sie auf dem
Radweg weiter." Freundlich, aber bestimmt wird die Passantin
des Mehringhof-Einganges verwiesen. Seit sechs Uhr früh durchsuchen
BKA- und BGS-Experten - teils extra aus Westdeutschland gekommen
- über 30 Projekte und Betriebe im Mehringhof: Dazu gehören
ein Ausländerverein und die Schule für Erwachsenenbildung.
Gesucht werden etwa "Sprengstoff, Waffen, nicht zugelassene
Scanner, Peilgeräte" - und zwar "im Treppenhaus,
in Aufzugsschächten, im Fahrstuhl und Gelassen", steht
in der Durchsuchungsbescheinigung. Insgesamt sind nach Auskunft
von BKA-Pressesprecher Norbert Unger bundesweit rund 1000 Mitarbeiter
im Einsatz. Die Überprüfung in Kreuzberg war am späten
Nachmittag noch nicht vorüber, bis Redaktionsschluss war unklar,
ob etwas beschlagnahmt wurde.
Den Beschluss zur Mehringhof-Durchsuchung hatte der Ermittlungsrichter
des Bundesgerichtshof am 14. Dezember erlassen, "weil der begründeten
Verdacht besteht", dass es dort ein Waffendepot der "RZ"
gebe, sagte Horst Salzmann, Pressesprecher und Oberstaatsanwalt
beim Bundesgerichtshof.
Die Tat- Vorwürfe im Einzelnen:
Die 53 Jahre alte Sabine Barbara E. und der 51-jährige Harald
G. sollen am Sprengstoffanschlag vom 6. Februar 1987 auf die Zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber in Berlin beteiligt gewesen
sein. Zudem wird ihnen die Beteiligung am Anschlag auf den damaligen
Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher,
vom 1. September 1987 in Lichterfelde zur Last gelegt - er wurde
durch gezielte Schüsse im Unterschenkel verletzt. Sabine Barbara
E. soll zudem am Anschlag auf den ehemaligen Leiter der Berliner
Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, mitgewirkt haben,
dem am 28. Oktober 1986 in Zehlendorf ebenfalls gezielt in die Beine
geschossen wurde.
Die Tatvorwürfe der schweren Körperverletzung sind verjährt
- der dringende Terrorismus-Verdacht besteht weiter. Bereits Ende
November wurde der Berliner Kampfsportlehrer Tarek Mohamad Ali M.
unter dem Verdacht festgenommen, an beiden Taten beteiligt gewesen
und Kopf der "Revolutionären Zellen" zu sein. Er
hatte Sprengstoff Marke "Gelamon 40" in einem Keller in
Prenzlauer Berg aufbewahrt. Der festgenommene Axel H. steht nun
im Verdacht, ein Waffenlager im Mehringhof zu betreuen, heißt
es in der Pressemitteilung des Generalbundesanwalts. Gesucht wird
Sprengstoff, mit dem unter anderem am 15. Januar 1991 ein Attentat
auf die Siegessäule verübt wurde.
"Axel? Das ist doch der Mehringhof-Hausmeister", sagen
zwei Frauen von der Schule für Erwachsenenbildung. Die beiden
können sich nicht vorstellen, dass er ein Waffendepot unterhalten
könnte. Die Polizei hatte die Mitarbeiter der Schule telefonisch
von der Durchsuchung informiert. Die Südamerikanerin Grace
war im Haus, als die Polizisten Türen aufbrachen und Scheiben
zertrümmerten, um in die Räume zu kommen. "Wir haben
eine bolivianische Soli-Fete gefeiert. Dann kam die Polizei, hat
uns genau abgetastet und jedem eine Wache zur Seite gestellt."
Einige der Gäste seien stark alkoholisiert gewesen, sagt BKA-Sprecher
Norbert Unger. Die Polizisten seien teils recht hart vorgegangen,
kritisiert die betroffene Frau. Aufgewühlt zeigte sich auch
Rechtsanwältin Petra Isabel Schlagenhauf, die sich als Vorsitzende
beim Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile/ Lateinamerika
(FDCL) engagiert, in deren Räumen die rund 20 Gäste festgehalten
wurden. Zwar wurden die Vereinsmitglieder laut Durchsuchungsbefehl
über Stunden als "Tatunverdächtige" überprüft,
die Polizei stellte aber offenbar ausländerrechtliche Vergehen
fest.
Beamte verwiesen Pressemitarbeiter und Mehringhof-Mieter vor der
Einfahrt strikt auf das Gelände der nahegelegenen Lina-Morgenstern-Gesamtschule.
Dort wärmten sich Beamte im Schulgebäude auf, dort wurden
Fragen beantwortetet. So sehr die Fraktionsvorsitzende der PDS in
Kreuzberg, Barbara Seid, sich auch bemühte, die Genehmigung
zum Zutritt in den Mehringhof zu erhalten: Nur am Einsatz Beteiligte
und Polizeipräsident Hagen Saberschinsky durften hinein. Auch
der Zugang zu einem benachbarten Wohnhaus wurde von der Polizei
überwacht. Dort wartete Marion Bugerowski aus Prenzlauer Berg
in der Kälte. "Ich war bei meinem Freund. Jetzt wird mein
Ausweis erst überprüft, bevor ich nach Hause gehen darf."
Annette Kögel
|