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Datum:
31.05.2000
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Zeitung:
taz Berlin
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Titel:
Durchsuchungstipps per Videoschaltung
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Durchsuchungstipps per Videoschaltung
Kreuzberger Szeneprojekt Mehringhof erneut durchsucht. Kronzeuge
gibt Polizeibeamten Handlungsanweisung per Video und Kopfhörer
Der Kronzeuge der Bundesanwaltschaft in Sachen Revolutionäre
Zellen, Tarek M., hat dem Kreuzberger Mehringhof gestern einen
überraschenden Besuch abgestattet. Nicht persönlich, sondern
virtuell. Bei der neuerlichen Durchsuchung gab er den Beamten des
Bundeskriminalamtes per Videokonferenz Tipps, wo Sprengstoffspuren zu
finden seien. "Weiter rechts, weiter rechts, stopp", so
dirigierte er die Beamten.
Die Kripo-Beamten agierten gestern sprichwörtlich mit
Samthandschuhen. Anders war es bei dem martialischen Großeinsatz vom
16. Dezember 1999, an dem fast 1.000 Polizeibeamte inklusive der
Anti-Terror-Einheit GSG 9 beteiligt waren.
Die erste Razzia war der Auftakt einer bundesweiten Festnahmeserie der
Bundesanwaltschaft in Sachen Revolutionäre Zellen (RZ). Wegen des
Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in der
Zeit zwischen 1984 und 1994 sowie der Beteiligung an
Sprengstoffanschlägen sitzen mittlerweile vier Männer und eine
Frau in Haft. Zwei der Beschuldigten waren früher als Hausmeister im
Mehringhof beschäftigt gewesen. Bei der Durchsuchung im Dezember hatte
die Polizei zehn Kilogramm Sprengstoff und Schusswaffen gesucht, aber nicht
gefunden. Die damalige Polizeiaktion ging ebenso wie die gestrige auf die
Aussage des Kronzeugen Tarek M. zurück. Der 41-jährige Berliner
Kampfsportlehrer, der im November 1999 als erster wegen diverser
Vorwürfe in Sachen RZ verhaftet worden war, hat bei der
Bundesanwaltschaft (BAW) ausgesagt, um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge
zu ziehen.
Bei der gestrigen Polizeiaktion war Tarek M. persönlich nicht
anwesend, aber trotzdem allgegenwärtig. Von einem Gefängnis in
der Bundesrepublik, der geheim gehalten wird, dirigierte er das
BKA-Kommando im Mehringhof per Videokonferenz. Der Durchsuchungsbeschluss
bezog sich nur auf einen im Durchgang zum zweiten Hinterhof gelegenen
Fahrstuhlschacht samt angrenzenden Räumlichkeiten im Keller und
Erdgeschoss. Die BAW erhoffte sich davon, das frühere Versteck des
Sprengstoffs und "möglicherweise noch vorhandene Spuren" von
diesem zu finden. Mit einer Videokamera und einem Schweinwerfer
ausgerüstet filmten Kripo-Beamte zunächst den Kellerbereich und
den Fahrfahrstuhlschacht, danach zwei Abstellräume neben dem Hof.
Per Standleitung wurden die Bilder live zu Tarek M. übertragen, der
vom Knast über ein Telefon Regienanweisungen gab. "Weiter rechts.
Noch mehr rechts. Stopp", gab eine Beamtin mit Handy die Anweisungen
an die Kameraleute weiter. "Schwenk auf die Tür. Stopp, wo die
gelbe Mülltonne ist." Die Beamtin mit dem Handy war nicht direkt
mit Tarek M. verbunden, sondern mit einem Kollegen, der in einem im Hof
geparkten Mercedes-Bus des BKA saß. In dem mit Vorhängen
verdunkelten Wagen flimmerte die Live-Aufzeichnung über einen Monitor.
Oben rechts im Bild war Tarek M. in Postkartengröße
zugeschaltet. Der Umgangston zwischen ihm und den Beamten wirkte
überaus vertraut. "Tarek, du musst klare Anweisungen geben",
war der telefonierende Beamte mit dem Kronzeugen per Du.
Die Spurensuche ging mit großer Akribie vonstatten. Erst wurden
die Wände des Fahrstuhlschachtes mit Wattebäuschen abgerieben und
die Proben in Gläschen verstaut. In einem Abstellraum neben dem Hof,
der gleichzeitig Notausgang ist, fischten die Beamten aus einem Schacht
eine alte, blaue Mülltüte, die gleichfalls zur Untersuchung nach
Wiesbaden wanderte. Auch der Schacht wurde von einer BKA-Beamtin mit einem
Staubsauger feinsäuberlich ausgesaugt.
Im Gegensatz zu der Duchsuchung im Dezember war die Atmosphäre
gestern ausgesprochen friedlich. Die Projekt-Mitarbeiter des Mehringhofs
durften während der über zweistündigen Aktion zugegen
sein, und auch die zunehmende Ansammlung von Zuschauern im Hof wurde
geduldet. Bei der Razzia im Dezember hatten die Beamten regelrecht
gewütet, der entstandene Sachschaden betrug über 100.000
Mark. Einer Klage auf Schadensersatz kam das BKA zuvor, in dem es
sich mit den Mehringhof-Betreibern mittlerweile auf eine unbürokratische
Schadensregulierung verständigte. 65.000 Mark hat das BKA nach
Angaben der Geschäftsführerin des Mehringhofs, Clara Luckmann,
inzwischen überwiesen. Weitere 12.000 Mark seien auf dem Weg.
Diesmal rückten die BKAler in Zivil ohne uniformierten Begleitschutz
an. Ob es das letzte Mal war, wird die Auswertung der Proben zeigen.
PLUTONIA PLARRE
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