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Datum:
1/2000
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Zeitung:
Scheinschlag
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Titel:
Nach 20 Jahren plötzlich von der linken Vergangenheit
eingeholt
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Nach 20 Jahren plötzlich von der linken Vergangenheit
eingeholt
Der Mehringhof im Polizeivisier
Gleich auf der ersten Seite eines dieser charakteristischen Bilder von
Fahrrad fahrenden Kindern im Hauseingang. Das Projekt Mehringhof in der
Gneisenaustraße 2 verschickte zum 20. Geburtstag ein Bilderbuch vom
Leben und vom Kampf in den Kreuzberger Hinterhöfen. Bei den meisten
der über 25 Projekte aus dem kulturellen, sozialen und
ökologischen Bereich ist es heute der Kampf um rare Fördermittel,
ABM- oder neuerdings Agenda21-Gelder. Eigentlich begleitete der Kampf um
Staatsknete das Projekt von Anbeginn, wie es in den kurzen
telegrammstilartigen Begleittexten im Buch gut nachzulesen ist. Anfang der
70er Jahre, als gerade die erste HausbesetzerInnenwelle über
Westberlin schwappte, wollten junge Leute das ehemalige Fabrikgebäude
ganz legal kaufen. Die SPD wollte das mit der Begründung verhindern,
"die könnten einmal das Rathaus beschießen".
Seit den Gründertagen dabei ist Axel, seit 9 Jahren Hausmeister im
Mehringhof und von allen Projekten anerkannt. Da war die Aufregung
natürlich groß, als er am frühen Morgen des 19.12.99 von
der Polizei in seiner Wohnung festgenommen wurde. Gemeinsam mit Harald, der
in einer im Mehringhof beheimateten antirassistischen Forschungsstelle
gearbeitet hat, und Sabine aus Frankfurt/Main, wird er beschuldigt Mitglied
der Revolutionären Zellen gewesen zu sein. Dabei handelt es sich um in
den 70er und 80er Jahren agierende revolutionäre Kleingruppen, die
sich mit militanten Aktionen gegen staatlichen Rassismus,
Frauenunterdrückung und Gentechnologie wehrten. Weil die AktivistInnen
tagsüber im bürgerlichen Leben standen, wurden die RZs auch
Feierabendguerilleros genannt. Wegen ihrer Zellenstruktur gelangen der
Polizei jahrelang bei den RZs keine Fahndungsgserfolge. Auch die aktuelle
Polizeiaktion wurde durch Kronzeugenaussagen ausgelöst. Demnach sollen
im Mehringhof Sprengstoff und Waffen versteckt gewesen sein. Die Polizei
nutzte diese Angaben am 19.12. zu einem polizeilichen Großeinsatz im
Mehringhof. Fast 9 Stunden wurden sämtliche Räume durchsucht und
teilweise Wände auf der Suche nach Sprengstoff aufgebohrt. Gefunden
hat die Polizei nichts. Zurück blieben teils verwirrte, teils
wütende Mehringhof-MitarbeiterInnen, die auf einmal von der eigenen
Vergangenheit oder das, was darüber verbreitet wird, eingeholt
wurden.
So viel diskutiert, wie seit Jahren nicht mehr
In den Plenas der nächsten Tage wurden die unterschiedlichen
Herangehensweisen deutlich. Organisieren wir jetzt Spenden für die
Festgenommenen oder die nächste Demo? Man entschied sich ganz
pragmatisch für beides. Die Pflichtdemonstration nach solch einen
Polizeieinsatz mobilisierte knapp 1000 Menschen. Nicht wenige waren
darunter, die seit einem Jahrzehnt nicht mehr auf einer Demo waren.
In diesen Tagen waren auch Autonome SprengstoffsucherInnen sehr zur
Belustigung des vorweihnachtlichen Publikums in der Stadt
ausgeschwärmt. Dann hatte die mit dem Jahreswechsel verbundene
Politpause das Thema nicht nur in der Presse in den Hintergrund treten
lassen. Außer für die Betroffenen selber, deren Haftbefehle noch
immer nicht aufgehoben wurden, obwohl die Taten, denen sie beschuldigt
wurden, meist schon verjährt sind.
Im MehringHof geht zumindest nach Außen wieder alles seinen
gewohnten Gang. Nur der erfahrene Hausmeister Axel wird an allen Ecken
vermißt. Doch der erste Eindruck könnte täuschen. "Wir
haben in den letzten Jahren schon lange nicht mehr so viel diskutiert, wie
in diesen Tagen. Da ging es um die Ideale der Gründertage und was
daraus geworden ist. Und da lasen wir noch mal die alten RZ-Texte und
dachten, die hatten doch eigentlich ganz recht" so eine Projektefrau
aus dem MH.
Das aktuelle politische Leben im MH spielt sich heute hauptsächlich
um die Kollektivkneipe Ex und den Buchladen "Schwarze Risse"ab.
Dort war kürzlich auch zu einer Veranstaltung eingeladen worden, die
sich der Frage "Der Mehringhof staadt-tragend oder
staadt-feindlich?" widmete. Es ging um das langjährige
MH-Vorstandsmitglied Jochen Staadt, der heute beruflich als führender
Mann im Forschungsverbund SED-Staat mit an der Renaissance der
Totalitarismustheorie bastelt. Der sozialdemokratische FU-Professor
Wolfgang Wippermann unterzog Staadt einer vernichtenden Kritik. Allerdings
längst nicht alle Projekte im Mehringhof. Man könne doch mit dem
langjährigen Freund Jochen so nicht umgehen, empörte sich eine
Frau zu Beginn der Veranstaltung.
"Wer nicht mal dem Staadt Feind sein kann, der ist bestimmt kein
Staatsfeind. Und wenn die Polizei noch so viele Razzien macht" so die
Reaktion eines Veranstaltungsteilnehmers. Peter Nowak
Solikonto zur Unterstützung der 3 Verhafteten: Martin Poell,
Kto-Nr: 2705-104, BLZ: 100 100 10 Postbank Berlin, Stichwort: Freilassung
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