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Presse

Datum:
22.12.1999

Zeitung:
Junge Welt

Titel:
Terror im Puppentheater

Terror im Puppentheater

Bundesanwaltschaft bestätigte Haftbefehle gegen mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen

Die Verfahren gegen die drei mutmaßlichen Mitglieder der Revolutionären Zellen/ Rote Zora (RZ) wird im Eilverfahren durchgezogen. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) hat die Haftbefehle gegen die 53jährige Sabine Barbara E., den 49-jährigen Axel H. und den 51jährigen Harald G. am Dienstag in "vollem Umfang" bestätigt. Die drei Personen wurden am vergangenen Sonntag in Berlin beziehungsweise in Frankfurt am Main mit einem großen Polizeiaufgebot festgenommen. Allen dreien wird die Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" vorgeworfen. Zwei der Verhafteten sollen auch an verschiedenen Anschlägen der RZ in den 80er und 90er Jahren beteiligt gewesen sein.

Die Bundesanwaltschaft stützt sich bei ihrem Haftbefehl auf die Aussagen eines ebenfalls verhafteten mutmaßlichen Mitglieds der RZ, Tarik Mousli. Entgegen früheren Angaben der Bundesanwaltschaft handelt es sich bei dem in der Justizvollzugsanstalt Köln/Ossendorf Inhaftierten um einen staatenlosen Palästinenser. Mousli hatte gegenüber den Ermittlungsbehörden bereits Anfang November umfangreiche Aussagen gemacht, die auch zu neun Hausdurchsuchungen in Berlin und Frankfurt/Main führten. Mousli war aufgrund des Geständnisses des im vergangenen Jahr in Frankreich verhafteten Hans- Joachim Klein festgenommen worden. Die Berliner Rechtsanwältin Silke Studzinsky, die Harald G. vertritt, vermutet hinter dem umfangreichen Geständnis Mouslis Eigennutz. "Wir glauben, daß er sich durch die Beschuldigungen erhofft, in den Genuß der Kronzeugenregelung zu kommen", so Studzinsky am Dienstag zu junge Welt. Nach der Regelung, die im neuen Jahr nicht mehr verlängert wird, hätte Mousli durch seine Aussage ein weitaus geringeres Strafmaß zu befürchten. Die Anwältin vermutet, daß die Anklage daher bis Jahresende erhoben werden soll. Nach Studzinskys Angaben wurden die Festgenommenen umgehend aus Berlin weggebracht und voneinander isoliert in Wuppertal, Düsseldorf und Frankfurt am Main inhaftiert.

Dieses Vorgehen gleicht dem Umgang mit RAF- Gefangenen in den 80er Jahren. Nach Angaben seiner Rechtsanwältin hat Harald G. lediglich Angaben zu seiner Person gemacht und weitere Aussagen verweigert. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft erklärte am Dienstag gegenüber jW, daß in den Privaträumen des Inhaftierten Harald G. elektronische Bauteile gefunden worden seien. Ob diese zum Bau von Sprengsätzen dienlich sein könnten, "müssen aber noch Experten prüfen". Dies werde sich bis ins neue Jahr hinziehen. Die Festgenommenen blieben bis dahin in Haft.

Mousli hatte gegenüber der Bundesanwaltschaft erklärt, daß im Alternativzentrum "Mehringhof" in Berlin-Kreuzberg Waffen und Sprengstoff in der Nähe oder unmittelbar in einem Fahrstuhlschacht gelagert seien. Bei seiner Aussage habe er auch die Namen der am Sonntag Festgenommenen genannt und besonders Axel H.beschuldigt. Die Bundesanwaltschaft startete daraufhin eine der bundesweit größten Polizeiaktionen der letzten Jahre.

Bei der Pressekonferenz der Betreiber des Mehringhofes am Dienstag wurde von Olivia Santen, Sprecherin des Zentrums, der bei der Polizeiaktion entstandene Sachschaden abschließend auf "knapp 100 000 Mark" beziffert. Es habe sich um den größten Polizeieinsatz in der 20jährigen Geschichte des Mehringhofes gehandelt. 50 Türen wurden aufgebrochen, in allen 30 in dem Gebäude arbeitenden Projekten wurden Nachforschungen angestellt. Besonders absurd: Am stärksten wüteten die Beamten in der Werkstatt eines Puppentheaters. Hier wurden Verkleidungen von Wänden und Decke abgerissen, Glas ging zu Bruch.

Um gegen diese "vollkommen überzogenen" Aktionen und für die Freilassung der drei Inhaftierten Mitarbeiter des Mehringhofes zu protestieren, findet am heutigen Mittwoch um 18 Uhr eine Demonstration am Berliner U-Bahnhof Mehringdamm statt.

Till Meyer/ Harald Neuber

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