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Presse

Datum:
20.12.1999

Zeitung:
Junge Welt

Titel:
"Terroristenjagd" im Berliner Mehringhof

"Terroristenjagd" im Berliner Mehringhof

Polizei und GSG 9 suchte nach Waffen- und Sprengstoffdepots in Projektzentrum

Innerhalb weniger Minuten war die Kreuzberger Gneisenaustraße am Sonntag früh um 6.00 Uhr mit Einsatzfahrzeugen besetzt. Rund tausend teilweise vermummte Polizisten sowie Mitglieder der GSG 9 stürmten am Sonntag morgen überraschend den Gebäudekomplex des Mehringhofs. Ziel der überfallartigen Aktion: Die Suche nach Waffendepots. Nach Mitteilung der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe suchten die Beamten in den Räumen des alternativen Projektes insbesondere nach Waffen- und Sprengstoffdepots der Organisation Rote Zora/ Revolutionäre Zellen. Während die aufgereihten Einsatzfahrzeuge die Gneisenaustraße auf ihrer gesamten Länge, bis hin zum etwa eineinhalb Kilometer entfernten Südstern grün färbte, wühlten die Polizisten vergeblich: Bis zum Ende der Aktion am Nachmittag wurde aber nichts gefunden. Mehrere Dutzend Menschen, die an einer Salsa-Fete teilgenommen hatten, durften das Gebäude erst nach Feststellung der Personalien gegen 11 Uhr wieder verlassen. Journalisten und Fotoreportern wurde der Zutritt verweigert, umliegende Gebäude vorsorglich okkupiert.

Noch während die Durchsuchung andauerte, die von der Polizei mit verbitterter Härte geführt wurde, kam es zu einer spontanen Demonstration, an der sich 150 Leute beteiligten.

Der Polizeiaktion war am Morgen um 6 Uhr in Berlin die Verhaftung zweier Männer im Alter von 49 und 51 Jahren vorausgegangen. Zur gleichen Zeit war in Frankfurt am Main eine 53jährige Frau wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation verhaftet worden. Der Ältere der beiden Männer und die Frau sollen zudem 1987 einen Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber in Westberlin verübt haben. Bei der in Frankfurt verhafteten Frau soll es sich um die Lebensgefährtin des vor einigen Wochen in Frankfurt verhafteten Rudolf Günter Schindler handeln.

Außerdem werden beide beschuldigt, im selben Jahr an einem Anschlag auf den damaligen Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht in Berlin, Günter Korbmacher, beteiligt gewesen zu sein, bei dem diesem gezielt in den Unterschenkel geschossen worden sei. Die Frau soll ein Jahr zuvor bereits an einem ähnlichen Angriff auf den Leiter der Westberliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, mitgewirkt haben.

Neben den Gebäuden des alternativen Kulturzentrums Mehringhof in Berlin-Kreuzberg richtete sich die Durchsuchung auch auf Kabel- und Aufzugsschächte, weil die Ermittler Hinweise darauf hatten, daß einer der Verhafteten dort für die Revolutionären Zellen/ Rote Zora ein Waffen- und Sprengstoffdepot betreut habe. Unbekannte Mitglieder der Organisation hatten den Angaben zufolge 1987 über 100 Kilo Sprengstoff sowie weitere Sprengmittel gestohlen und bei mehreren Anschlägen - unter anderem 1991 auf die Siegessäule in Berlin - eingesetzt. Der größte Teil der Sprengstoffbeute tauchte bisher aber nicht wieder auf.

Im Rahmen der Polizeiaktion wurde unter anderem der Haftbefehl gegen Rudolf Günter Schindler erweitert, der bereits wegen der Beteiligung am Anschlag auf die Wiener OPEC-Konferenz 1975 in Frankfurt am Main angeklagt ist. Er wurde durch Aussagen des Joseph- Fischer-Intimus Hans-Joachim Klein bei der Staatsanwaltschaft belastet.

Abgesehen von einer beschlagnahmten Telefonliste aus dem Jahr 1986, auf der sich der Name von Innenminister Otto Schily fand, war die Aktion allerdings aus polizeilicher Sicht kein Erfolg. Die von den Einsatzkräften verursachte Schäden belaufen sich nach Mitteilungen der Veranstalter auf 100 000 Mark. Die Bundesanwaltschaft kündigte weitere Verhaftungen an.

Peter Murakami

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