Datum:
21.01.2003
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Zeitung:
Tageszeitung
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Titel:
RZ-Prozess jetzt auch am Großen Sklavensee
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RZ-Prozess jetzt auch am Großen Sklavensee
Exhausmeister des Mehringshofs sitzt wieder in kanadischer Auslieferungshaft.
Er soll laut Anklage Mitglied der Revolutionären Zellen gewesen
sein
Seit Freitag sitzt der einer angeblichen Mitgliedschaft in den
Revolutionären Zellen (RZ) beschuldigte Lothar Ebke im kanadischen
Yellowknife wieder in Auslieferungshaft. Der 49-jährige ehemalige
Berliner und Hausmeister des Mehringshofs war am 18. Mai 2000 an
seinem neuen Wohnsitz am Großen Sklavensee auf Veranlassung
der deutschen Bundesanwaltschaft (BAW) verhaftet worden. Seitdem
versucht die BAW, seine Auslieferung nach Deutschland durchzusetzen.
In dem im äußersten Norden Kanadas gelegenen Yellowknife
betreibt Ebke seit Ende der Neunzigerjahre zusammen mit einer Geschäftspartnerin
eine Pension sowie einen Kleinbetrieb für Reparaturen. Nach
vier Wochen in Haft im Jahr 2000 setzte ihn das zuständige
Gericht gegen 75.000 Euro Kaution auf freien Fuß, allerdings
durfte er das Stadtgebiet der Provinzhauptstadt der Northwest-Territories
nicht verlassen und musste sich täglich bei der Polizei melden.
Diese Freilassung auf Kaution wurde nun aufgehoben, da am Dienstag
und Mittwoch vor einem Berufungsgericht der Einspruch von Ebke gegen
die Auslieferungsentscheidung des kanadischen Justizministers Martin
Cauchon verhandelt wird. Im Juli letzten Jahres gab Cauchon grünes
Licht für eine Auslieferung von Ebke nach Deutschland, nachdem
der Yellowknifer Richter John Vertes dies empfohlen hatte. Doch
Ebke ist zuversichtlich, dass die drei Richter des nun zuständigen
Berufungsgerichts die Haftverschonung zu den alten Bedingungen wieder
in Kraft setzen.
Die Bundesanwaltschaft beschuldigt Lothar Ebke, seit Mitte der
80er-Jahre Mitglied der RZ in Berlin gewesen zu sein. Gegen fünf
weitere Beschuldigte, darunter sein Hausmeisterkollege aus dem Mehringhof,
Axel Haug, verhandelt seit März 2001 das Berliner Kammergericht.
Konkret wirft die BAW Ebke neben der Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung die Beteiligung an dem Sprengstoffanschlag auf die zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber 1987 sowie an dem aus Anlass
des Golfkrieges verübten Anschlag auf die Siegessäule
im Januar 1991 vor.
Außerdem erwähnt die BAW in ihrem Auslieferungsantrag
seine angebliche Beteiligung an den Knieschussattentaten auf den
damaligen Chef der Berliner Ausländerpolizei, Harald Hollenberg,
1986 sowie den Vorsitzenden Richter des Bundesverwaltungsgerichts,
Günter Korbmacher, 1987, obwohl diese als Körperverletzungsdelikte
bereits verjährt sind. Die Vorwürfe gegen Ebke beruhen
ausschließlich auf den Aussagen des Kronzeugen und inzwischen
rechtskräftig als RZ-Mitglied verurteilten Tarek Mousli.
In dem heute beginnenden mündlichen Berufungsverfahren soll
vor allem die Frage geklärt werden, ob es ausreicht, dass Richter
Vertes das Begehren der Bundesanwaltschaft nur formal prüfte.
Der Richter war zu dem Schluss gekommen, dass der Antrag nach rechtsstaatlichen
Prinzipien gestellt sei. Auch bejahte Vertes die Frage, ob dieselben
Straftaten in Kanada unter Strafe stehen. Zur Frage der Glaubwürdigkeit
des Kronzeugen Mousli erklärte sich der kanadische Richter
allerdings für nicht zuständig.
Genau dies ist einer der zentralen Kritikpunkte von Ebkes Anwalt
John Norris. Der aus der Kanzlei der bekannten Menschenrechtsanwälte
Clayton Ruby und Marlies Edwardh in Toronto stammende Anwalt hält
es für verfassungswidrig, dass es seit der Neufassung des kanadischen
Auslieferungsrechts 1999 keinerlei Beweiswürdigung mehr gibt.
Auch für Ebkes Berliner Anwalt Martin Rubbert ist es unglaublich,
"dass eine inhaltlich nicht zu überprüfende Aussage
eines Zeugen zur Auslieferung reichen soll". Weiter kritisiert
Norris den für das kanadische Rechtssystem sehr wichtigen Punkt,
dass die BAW in Deutschland noch nicht einmal Anklage gegen Ebke
erhoben habe. Zudem gebe es den Straftatbestand der Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung in Kanada überhaupt nicht.
Unter den 15.000 Einwohnern Yellowknifes wird das Verfahren nicht
nur in der Lokalzeitung heiß diskutiert. Für das kanadische
Rechtsverständnis sei das Verfahren "äußerst
merkwürdig", berichtet Ebke. Und da sein Foto nun wiederholt
in der Zeitung erschien und in einem zweiseitigen Artikel "sein
Fall" dargestellt wurde, würden ihm immer öfter nicht
nur seine Freunde und Bekannten vor Ort "viel Glück"
wünschen.
Doch selbst wenn Ebke weniger Glück hat, kann es noch Jahre
dauern, bis es zu einer Auslieferung nach Deutschland kommt. Mit
einer Entscheidung des Berufungsgerichts rechnet Ebke frühestens
im April. Danach kann er noch vor den "Supreme Court of Canada"
- vergleichbar mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht - ziehen.
Christoph Villinger
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